Leitbilder gerechter Einkommensverteilung
Auf die Frage nach dem gerechten Einkommen gibt es mehrere Antworten, hinter denen verschiedene Vorstellungen von Gerechtigkeit stehen. Unterschiedliche Leitbilder für eine gerechte Einkommensverteilung führen zu unterschiedlichen Verteilungsprinzipien.
Das Leistungsprinzip
Dem Leistungsprinzip zufolge soll ein Erwerbstätiger einen Anteil des Inlandsprodukts erhalten, der so groß ist wie der Beitrag, den er zum Inlandsprodukt geleistet hat. Das Prinzip wird deshalb auch als Beitragsprinzip bezeichnet. Konkret bedeutet das, dass jeder Einzelne in dem Maß vom gesellschaftlichen Wohlstand profitieren soll, in dem er auch dazu beigetragen hat.
Das Leistungsprinzip ist eines der wichtigsten Elemente einer liberalen Wirtschafts- und Gesellschaftsanschauung. Die Entlohnung, die den Marktkräften überlassen bleibt, setzt zugleich Leistungsanreize frei, auf denen das wirtschaftliche Wachstum und der technische Fortschritt der Marktwirtschaften beruhen. Werden wesentliche Teile des Einkommens, das am freien Markt erzielt werden kann, durch staatliche Eingriffe verhindert oder nachträglich über die Steuern den Einkommensbeziehern entzogen, wird der individuelle Leistungswille geschwächt. Die Einhaltung des Leistungsprinzips erfordert, dass gleiche Startchancen für alle Marktteilnehmer gewährleistet werden. Jeder Mensch muss seine Fähigkeiten, mit denen er auf den Arbeitsmärkten ein Einkommen zu erzielen vermag, auch durch eine entsprechende Ausbildung entfalten können. Zudem besteht eine Wechselwirkung zu einer gerechten Verteilung der Vermögen.
In der praktischen Durchsetzung ist dieses Prinzip schwierig, weil der Beitrag des Einzelnen zum Gesamtprodukt nicht eindeutig feststellbar ist. Zum Einen ist die Produktion eines Gutes heute häufig eine Gemeinschaftsleistung, das heißt, es wirken so viele Kräfte zusammen, dass die Auswirkung einer einzelnen Tätigkeit nicht mehr festgestellt werden kann. Zum Anderen ist die subjektive Mühe, die Anstrengung, die ein Einzelner einbringt, nur schwer messbar und wird daher häufig nicht berücksichtigt, da nur das wirtschaftliche Ergebnis zählt.
Das Bedarfsprinzip
Dem Bedarfsprinzip nach erfolgt eine Verteilung von Gütern bzw. Ressourcen nach dem Bedarf der Menschen, unabhängig von ihrer Mitwirkung am Produktionsprozess. Die nähere Bestimmung des Bedarfsbegriffes ist jedoch sehr schwierig. Die Frage, was als Bedarf angesehen wird, wie ein Bedarf festgestellt und wie dieser gemessen wird, ist sehr umstritten. Es muss auch bedacht werden, dass nicht jeder Mensch in der Lage ist, mitzuteilen, welchen Bedarf er hat und dass es Ausprägungen von Bedarf gibt, der gesellschaftlich nicht anerkannt bzw. akzeptiert ist. Die Schwierigkeiten, die mit der Bestimmung des Bedarfs verbunden sind, werden oft dadurch gelöst, dass von politischer Seite ein bestimmter Bedarf festgelegt wird. Meist wird dabei von einem durchschnittlichen Bedarf oder Mindestbedarf ausgegangen, der allen Menschen zur Verfügung stehen sollte.
Das Gleichheitsprinzip
Die Forderung nach Gleichheit bei der Einkommensverteilung ist nur ein besonderer Fall der Einkommensverteilung nach dem Bedarf. Sie wird häufig damit begründet, dass alle Menschen gleich seien. Die Menschen unterscheiden sich aber nicht nur in angeborenen Fähigkeiten und Veranlagungen, sondern auch in ihrem Leistungswillen. Auch ihre Bedarfsstrukturen sind sehr unterschiedlich. Daher hat die Forderung nach völlig gleicher Verteilung keine praktische Bedeutung, sondern dient nur als Orientierungshilfe für die Richtung der Einkommenspolitik.
In einer Marktwirtschaft muss es eine Obergrenze der Gleichheit geben, weil eine gewisse Einkommensdifferenzierung als Leistungsanreiz notwendig ist. Daher beruht in Deutschland die Einkommensverteilung auf dem Leistungsprinzip, das durch Eingriffe des Staates nach dem Bedürfnisprinzip korrigiert wird.
Leitbilder gerechter Einkommensverteilung: Aufgaben
Testen Sie Ihr Wissen an folgenden Beispielen:
Aufgaben:
1 Ordnen Sie die zwölf Textbausteine in die Tabelle ein:
- Vor allem als Korrekturprinzip extremer Auswirkungen des Leistungsprinzips genannt, insbesondere im Hinblick auf die Erfüllung von Grundbedürfnissen wie Wohnen, Essen, Gesundheit.
- Hoher Popularitätsgrad, allerdings unter der Voraussetzung der Korrektur.
- Negative Auswirkungen auf Leistungsbereitschaft, Konflikte mit ökonomischen Zielen wie Produktivität und Wachstum.
- Verteilung wird vom Markt, also durch Angebot und Nachfrage, automatisch herbeigeführt. -> hohes Maß an individueller Freiheit -> optimale Verteilung der Güter -> Wachstum.
- Niedrige Popularität wegen verbreiteter Akzeptanz des Leistungsprinzips. Gewinner-Verlierer-Problematik.
- Konflikt mit dem Ziel des sozialen Ausgleichs und der sozialen Sicherheit (was passiert in Zeiten ohne Leistung?).
- Je nach sozialer Schicht: Geringe bis sehr hohe Akzeptanz. Spender-Empfänger-Problematik.
- Jedem nach seinem individuellen Bedarf.
- Jedem das Gleiche.
- Gleiches Einkommen für gleiche Leistungen! – meist marktbezogen definiert: Marktpreise (auch Löhne) werden als leistungsgerecht angesehen.
- Hohe soziale Gerechtigkeit, Unabhängigkeit von Zufall und Chancen, bietet Sicherheit.
- Je nach Umfang der „Korrektur“ werden Konflikte mit dem Leistungsprinzip befürchtet.
2 Nehmen Sie Stellung, welches der drei Leitbilder gerechter Einkommensverteilung Sie selbst für am gerechtesten halten.
