Komplexe technische Systeme – Kernspaltung Grundlagen
Entdeckung der Kernspaltung
Im Jahre 1938 entdeckten die Physiker Hahn und Straßmann die Kernspaltung. Beschießt man einen U-235-Kern mit einem Neutron, so bildet sich zunächst ein Zwischenkern, der nach Bruchteilen einer Sekunde in zwei Kerne (Tochterkerne) zerplatzt. Zusätzlich werden 2 bis 3 Neutronen und Energie frei.
Für die angegebene Reaktion wird die Massenbilanz ermittelt. Zu diesem Zweck bestimmt man die Masse m1 sämtlicher Teilchen vor der Spaltung und vergleicht sie mit der Masse m2 aller Teilchen nach der Spaltung.
Vor der Spaltung:
m1 = mn + m(235U) = 1,008665 u + 234,993456 u = 236,00211 u
Nach der Spaltung:
m2 = m(144Ba) + m(89Kr) + 3mn = 143,89195 u +88,89782 u + 3 · 1,008665 u = 235,81576 u
Massendefekt:
m = 0,18635 u
Nach der Einstein’schen Gleichung entspricht dieser Masse eine Energie von E = 173 MeV.
Die angegebene Reaktionsgleichung ist nur ein Beispiel, wie sich ein U-235-Kern spalten kann. Welche Tochterkerne sich ergeben, ist zufallsabhängig. Wichtig ist, dass die Summe der Massenzahlen und der Kernladungszahlen vor und nach der Spaltung übereinstimmen. Bei einer Spaltung verschwinden weder Nukleonen, noch werden neue erzeugt. Die Spaltprodukte (Tochterkerne) sind hoch angeregt und besitzen eine ungünstige Protonen-/Neutronenverteilung (Neutronenüberschuss); sie sind deshalb hochgradig radioaktiv (– und
-Strahler).
Je nachdem, welche Spaltprodukte entstehen, ergeben sich unterschiedliche Massendefekte. Demzufolge schwankt auch die pro Spaltung freigesetzte Energiemenge. Als ungefährer Wert wird im Folgenden von einer freigesetzten Energie von 200 MeV pro Spaltung ausgegangen. Diese Energie, deren weitaus überwiegender Teil in Form von kinetischer Energie der auseinander fliegenden Tochterkerne auftritt, wird in Kernreaktoren im umliegenden Strukturmaterial abgebremst und damit in Wärme umgewandelt. Die bei der Spaltung eines U-235-Kerns freigesetzte Energie ist mit 200 MeV = 3 · 10-11 J energietechnisch gesehen eine sehr geringe Energiemenge.
Es wird deshalb als Nächstes abgeschätzt, wie viel Energie frei wird, wenn 1 kg U-235-Kerne gespalten werden.
Zahlenbeispiel
Nach der Definition der Stoffmenge 1 mol enthalten 235 g U-235-Kerne gerade so viel Kerne, wie die Avogadro’sche Konstante angibt, nämlich 6,022 · 1023 Kerne. Demnach sind in 1 kg U-235 insgesamt (1000g/235g) · 6,022 · 1023 = 2,56 · 1024 U-235-Nuklide vorhanden. Da bei der Spaltung jeder Kern etwa 200 MeV Energie liefert, werden bei der Spaltung von 1 kg dieser Kerne 200 · 2,56 · 1024 MeV = 5,12 · 1026 MeV, also 8,19 · 1013 J frei. Wird die erhaltene Energie in kWh und t SKE umgerechnet; es ergeben sich 2,3 · 107 kWh bzw. 2800 t SKE. Bei der Spaltung von 1 kg U-235-Kerne entsteht ein Massendefekt von etwa 1 g, d.h. etwa 1 Promille der eingesetzten Masse wird bei der Spaltung in Energie umgesetzt. Vergleicht man die Energiedichten bei der Kernspaltung mit derjenigen der chemischen Energie der Verbrennung von Steinkohle, so zeigt sich, dass 1 kg U-235 so viel Energie liefert wie etwa 3000 t Steinkohle, das ergibt ein Verhältnis von 1 zu 3000000.