Sozialisationsinstanzen
Familie
Die erste Sozialisationsinstanz, in die ein Mensch hineingeboren wird, ist die Familie. Sie prägt maßgeblich als primäre Sozialisationsinstanz das soziale Handeln des Individuums. Sie erlernen unterschiedliche Beziehungsmuster aufgrund der möglichen Perspektiven der verschieden alten Personen (Eltern, Geschwister, Großeltern, weitere Angehörige wie Lebenspartner etc.). Die Familienformen des 21. Jahrhunderts sind vielfältig und vielschichtig. Ursächlich für das postindustrielle Familienbild sind u.a. die veränderten Rollenbilder von Mann und Frau sowie die Pluralisierung der Lebensformen (Klein- oder Kernfamilie, Alleinerziehend, Patchwork Familie). Ebenfalls wird die Sozialisationsbedeutung der Familie aufgeweicht, da diese durch weitere Instanzen, wie die Schule, dem KIGA, Peergroups etc. ergänzt bzw. in Teilen von diesen übernommen wird.
Merkmale der Familie des 21. Jh.
- Familie als Intimgruppe und privater Zufluchtsort
- veränderter Umgang mit Sexualität, Ehe und Familie
- gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften
- Anstieg des Heiratsalters und der Scheidungshäufigkeit
- Individuation (Vereinzelung) durch alleinerziehende Elternteile
- Patchwork-Familien, d.h. zwei Elternfamilien mit Kinder schließen sich zu einer gemeinsamen Familie zusammen
- Kranken- und Altenpflege übernehmen meist öffentliche Einrichtungen
Funktion von Familie
- Generative Funktion: sichert durch Fortpflanzung den Fortbestand der Gesellschaft
- Haushaltsfunktion: stellt eine Haushaltsgemeinschaft für Nahrung, Kleidung und Wohnung bereit
- Erziehungsfunktion: vermittelt durch die Erziehung Werte und Normen innerhalb einer Gesellschaft
- Platzierungsfunktion: Eltern platzieren bzw. positionieren ihre Kinder schulisch und beruflich
- Erholungsfunktion: bietet den Familienmitgliedern einen erholsamen, privaten Zufluchtsort
Schule
Die Institution Schule als sekundäre Sozialisationsinstanz soll das Kind auf das Leben in der arbeitsteiligen Gesellschaft vorbereiten. Dafür sind u.a. die Ausbildung bestimmter Fertigkeiten Kenntnisse oder Kompetenzen vonnöten.
Gesellschaftliche und personale Funktion der Schule:
- Selektion: durch Leistungen werden Positionen vergeben
- Integration: Werte und Normen der Gesellschaft werden vermittelt
- Qualifikation: Vermittlung von Wissen, Fertigkeiten und Arbeitsverhalten
- Persönlichkeitsbildung: Förderung der Selbstständigkeit/ -verwirklichung, Mündigkeit
Die Erziehungsziele der Schule sind u.a. in der Verfassung der Länder und den Schulordnungen fixiert. Sie spiegeln die Sozialisationsaufgaben dieser Instanz, wie z.B. im Artikel 131 der Bayrischen Verfassung – Ziele der Bildung, deutlich wird:
(1) Die Schulen sollen nicht nur Wissen und Können vermitteln, sondern auch Herz und Charakter bilden.
(2) Oberste Bildungsziele sind Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung und vor der Würde des Menschen, Selbstbeherrschung, Verantwortungsgefühl und Verantwortungsfreudigkeit, Hilfsbereitschaft (…) und Verantwortungsbewusstsein für Natur und Umwelt.
(3) Die Schüler sind im Geiste der Demokratie (….) zu erziehen.
Wechselseitige Beziehungen
Aus dem Zusammenwirken der Menschen entstehen soziale Strukturen mit wechselseitigen Beziehungen. Diese Beziehungen üben Einfluss auf das Handeln, die sozialen Rollen und die Interaktion der Gesellschaftszugehörigen
Soziales Handeln (nach Max Weber)
Handeln ist alles menschliche Verhalten mit einem subjektiven Sinn. Dies sind all jene Absichten, Intentionen und Gründe, die eine Person für ihr Verhalten anführt.
Die Soziologie beschäftigt sich jedoch nicht mit einzelnen Handlungen einer Person, sondern mit den Handlungen in Bezug auf andere Menschen, das soziale Handeln.
In einer Definition sagt Max Weber (1972): „Soziologie … soll heißen: eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will. … ‚Soziales‘ Handeln aber soll ein solches Handeln heißen, welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist.“
Soziales Handeln wird damit zum Gegenstandsbereich der Soziologie.
Die Typen sozialen Handelns (nach Max Weber)
- zweckrational: gezielter Einsatz von bestimmten Mittel, um ein angestrebtes Ziel (bestimmter eigener Zweck) zu erreichen
- wertrational: aus Überzeugung heraus, ethischer/ ästhetischer/ religiöser Eigenwert eines Verhaltens, unabhängig vom Erfolg
- affektuell: emotionales Handeln aus aktueller Gefühlslage heraus, auch ohne Reflexion (Extremfall, kaum mehr sinnhaft)
- traditional: Gewohnheitshandeln, Alltagshandeln (Extremfall auch kaum mehr sinnhaft)
Anzumerken ist hierbei, dass der Großteil des Handelns in einer Gesellschaft unreflektiert abläuft: „Das reale Handeln verläuft in der großen Masse seiner Fälle in dumpfer Halbbewußtheit oder Unbewußtheit (…) handelt in der Mehrzahl der Fälle triebhaft oder gewohnheitsmäßig.“ Solch gewohntes, stumpfes Handeln lässt Sozialsysteme funktionsfähig bleiben.
Soziale Rolle (nach Ralf Dahrendorf)
Aus der Sicht der Dahrendorfschen Rollentheorie ist Sozialisation ein Prozess, indem der Handelnde soziale Rollen einnimmt und die damit verbundenen Erwartungen beachtet. Dahrendorf geht davon aus, dass der Mensch ein durch die Gesellschaft, mit deren vorgeschriebenen Normen, Werte und Erwartungen, bedingtes Wesen ist. Er bezeichnet deshalb den Idealtypus seines Konzepts als „homo sociologicus“ (den soziologischen Menschen). Der Mensch wird damit zum Träger vorgeformter Rollen. So kann der Inhaber einer Rolle gesellschaftskonformes Verhalten erlernen und zeigen. Dieses angepasste Verhalten gibt dem Einzelnen, sowie der gesamten Gesellschaft soziale Sicherheit und Orientierung, da Verhaltensweisen vorhersehbar werden.
Position-Rolle-Status
Personen die sozial Handeln und mit anderen in Interaktion treten, tun dies aus einer gesellschaftlichen Position bzw. einer sozialen Rolle heraus.
Die Position: stellt zunächst einen bestimmten Platz im Gefüge gesellschaftlicher Beziehungen dar (z.B. Schule, Familie, Arbeitsplatz). Hieraus ergeben sich für das Individuum eine Vielzahl sozialer Rollen, die es einnimmt.
Die Soziale Rolle: ist die Gesamtheit aller Erwartungen an einen Inhaber einer bestimmten sozialen Position (z.B.: Schülerrolle: Lernen, Schreiben, …). Die soziale Rolle besteht aus einem Bündel an speziellen Normen, die von seinen Bezugspersonen an den Rolleninhaber herangetragen werden.
Das soziale Handeln in einer sozialen Rolle ist somit an gesellschaftliche Erwartungen geknüpft. Ralf Dahrendorf bezeichnet diese als Rollenerwartungen. Rollenerwartungen sind gewisse Verhaltensweisen, die man vom Träger einer (sozialen) Position erwartet werden.
Verbindlichkeit von Rollenerwartungen
Stabilität des Verhaltens wird entsprechend der Verbindlichkeit durch Muss-, Soll- und Kann-Erwartungen gesteuert. Abweichungen von der Norm werden durch die Gesellschaft kontrolliert und sanktioniert.
Arten von Rollenerwartungen:
Muss-Erwartungen:
- rechtliche Pflichten, stark verbindlich, bei Nichterfüllung: gesetzliche Strafe
- Befolgung zieht niemals positive Sanktionen[1] nach sich
Soll-Erwartungen:
- von dem Inhaber einer sozialen Position als annähernd ebenso verbindlich empfunden wie Muss-Erwartungen
- bei Nichterfüllung: negative soziale Sanktionen
- dauerhaftes Einhalten von Soll-Erwartungen wird positiv sanktioniert
Kann-Erwartungen:
- schwächste Form der Rollenerwartungen
- freiwilliges Engagement (etwas zu tun was über das Notwendige hinausgeht)
- ohne diese kein Vorrankommen der Gesellschaft möglich
- Einhaltung (fast) nur mit positiven Sanktionen verbunden
Demzufolge sind nicht alle Rollenerwartungen gleich verbindlich. Sie richten sich nach der Art der Bestrafung, die bei Nichtbeachtung erfolgt. So werden stark negative Sanktionen, wie z.B. Geld-/ Haftstrafen oder aber auch Verachtung es wahrscheinlicher machen, dass der Rolleninhaber die Erwartungen erfüllt.
Bei der Einhaltung dieser Erwartungen erfährt der Rolleninhaber positive Sanktionen, wie z.B. hohes Ansehen, Anerkennung, Prestige. Nach Dahrendorf können Menschen auf positive Sanktionen jedoch verzichten, weshalb diese Rollenerwartungen weniger verbindlich sind.
Wer eine Position in einer Gruppe innehat, wird von seiner Umgebung bewertet und bekommt somit auch einen gesellschaftlichen Status zugeschrieben (z.B. Student höher als Schüler, FOS-Schüler vs. BVJ). Je mehr und je stärker die negativen Sanktionen der Rollenerwartungen einer sozialen Rolle sein können, desto höher deren gesellschaftliche Bedeutung.
Kritische Würdigung der Rollentheorie
In vielen sozialen Beziehungen sind die Erwartungshaltungen, die mit einer sozialen Rolle verknüpft sind, flexibel und wandelbar (z.B. Eltern-Kind-Beziehung, Lehrer-Schüler-Verhältnis). Hier können Erwartungen als Ergebnis von Aushandlungsprozessen zwischen den Beteiligten gesehen werden, welche flexibel und individuell gestaltet werden können. Jedoch nach den Annahmen Dahrendorfs kann das Individuum nicht entscheiden, wie es seine Position erfüllt. Dem Individuum wird kaum Handlungsfreiheit zugestanden, da es zum Spielball der Gesellschaft wird. Es agiert rein mechanistisch auf die vorgeschriebenen Ansprüche in Bezug auf die soziale Position/ Rolle. In Bereichen, in denen klare Rollenbeschreibungen vorliegen, wie z.B. Militär, Verwaltungen etc., scheint das rollentheoretische Sozialisationskonzept daher eher geeignet zu sein, um Sozialisationsprozesse erklären zu können.