Sozialisation (z.B. Mead, Parsons, Hurrelmann)
Die menschliche Sozialisation ist die Grundlage für eine in der Gesellschaft handlungs- und entscheidungsfähigen Persönlichkeit. Talcott Parsons ist der Meinung, dass durch Sozialisation dem Heranwachsenden die Wertorientierungen einer Gesellschaft, sowie die Fähigkeiten, welche er zum Handeln in Rollen braucht erlernt werden. Diese erfolgt zum einen ungeplant durch die Mitmenschen und zum anderen geplant mittels Erziehung. Dabei werden Werte und Normen vermittelt, welche die Person verinnerlicht. Sie erlernt dabei soziales Verhalten und wächst in soziale Rollen hinein (Enkulturation). Der Mensch ist dabei nicht ein rein reaktives Wesen, sondern wird gleichzeitig zum Mitbestimmer der Kultur. Ausschlaggebend ist hierbei nicht nur die Prägung der Umwelt, sondern auch die vererbten Anlage, die Gene des Menschen. Die Sozialisation stellt einen lebenslangen Prozess dar.
(Vgl.: Theorie nach George H. Mead – Sozialisation und Individuation Quelle: Schaubild/ Tabelle von Internetseite: https://de.slideshare.net/mschaki/theorieanstze-der-sozialisation (zuletzt aufgerufen am 15.12.2017)
Georg H. Mead ist der Auffassung, der Mensch handelt in Rollen, an die Erwartungen geknüpft sind. Er erklärt den Prozess der Sozialisation und der Individuation mittels der drei Komponenten „I“, „me“ und „self“.
Das „I“ stellt dabei die persönliche, affektive Komponente der Persönlichkeit dar. Es ist spontan, impulsiv und kreativ, aber auch im weitestgehend sozialisiert. Das „me“ hingegen verkörpert die Vorstellung von dem Bild, das andere von dem Individuum haben, bzw. Rollen, die es von anderen übernommen hat. Es ist also die von der Gesellschaft gespiegelte Seite der Persönlichkeit. Es reflektiert und prüft Handlungen auf deren Gesellschaftstauglichkeit. Das „I“ und das „me“ stehen im Wechselspiel zueinander und beeinflussen sich gegenseitig. Durch dieses entsteht die individuelle spezifische Identität, also das „self“. Der Mensch ist sich seines selbst bewusst, d.h. er weiß dass er existiert und interagiert (= Selbstbewusstsein i.S. Meads). Das „self“ fungiert als „Schiedsrichter“ zwischen „me“ und „I“ und versucht die gesellschaftlichen Ansprüche mit den eigenen Wert- und Normvorstellungen in Balance zubringen.
Mead erklärt, dass ein Kind seine Identität durch Rollenspiele („play“) entwickelt. Diese finden meist im sozialen Nahbereich satt, d.h. es übernimmt Rollen von bedeutenden Bezugspersonen, den („signifikant Anderen“) durch nachahmen. Dadurch kann es die Perspektive der anderen einnehmen und hier heraus agieren. Es wird sich seines Selbst bewusst und beobachtet sich dadurch mit den Augen anderer.
Das Kind spielt z.B. Vater-Mutter-Kind. Hierbei fühlt es sich zum einem in die Rolle der Mutter ein und zum anderen führt es einen Dialog mit sich selbst, da es die Reaktionen der Anderen – hier der Mutter – auf Verhaltensweisen, wie das unartige Kind durchspielt.
In der Phase des „game“ verfügt das Kind nun über Rollen anderer und hat diese verinnerlicht. Es kann dadurch das Handeln anderer Vorrausehen und sein Verhalten anpassen. Diese Fähigkeiten erlauben es ihm nun sich selbst aus den Blickwinkel der anderen zu sehen und es kennt die Erwartungen an seine Person. Das gibt dem Kind Orientierung in Bezug darauf abschätzen zu können, wie sich andere Verhalten werden und wie es sich selbst gegenüber anderen zu verhalten hat. Durch die Generalsierung ist das Individuum unabhängig von der Beurteilung Einzelner und es macht ihn autonom.
Dies kann anhand einer Gruppenprozesses in der Schule aufgezeigt werden. Der Schüler kann sich in jeden einzelnen Mitschüler hineinversetzen und sein Handeln danach ausrichten. Aber auch durch den Kontakt zu verschiedenen Lehrern oder einfacher gesagt, gesellschaftlichen Gruppen, lernt das Individuum seine und andere Haltungen kennen und organisieren. Diese Rollenübernahme lässt sich global ausweiten (i.S.v. Menschenrechten, Gesetze, etc.).
Die Ausbildung der Identität einer Person geschieht demnach in zwei Phasen aufgrund der wechselseitigen Wirkung von Gesellschaft und Individuum. Der Individuationsprozess eines Menschen ist damit kein abgegrenzter und subjektiver Prozess sondern steht, verändert und bildet sich in der Interaktion mit Gesellschaftsmitgliedern.
primäre/ sekundäre Sozialisation
Die Phasen der Sozialisation werden weitestgehend nach den Lebensphasen gegliedert. In jeder dieser Phase ergeben sich bestimmte Entwicklungsaufgaben.
Sozialisationsstörungen können in jeder dieser Phasen auftreten, z.B. durch existenzielle Armut/ Hunger, Misshandlung, Krankheit, Isolation uvm..
Exkurs: atypische Sozialisation
Der Fall „Kamala“ Der indische Missionar J.A.L. Sigh hat im Jahr 1920 zwei verwilderte Mädchen im Dschungel aufgefunden, sie aus einer Wolfshöhle befreit und versucht, sie in einem Waisenhaus in Midnapore aufzuziehen. Über das Vorleben dieser beiden Kinder kann nichts Genaues gesagt werden, vermutlich sind sie schon in frühester Kindheit ausgesetzt worden oder verloren gegangen. Das jüngere der beiden Mädchen, „Amala“, starb bereits ein Jahr später, während das ältere, „Kamala“ genannt, neun Jahre später im Alter von etwa 17 Jahren verstarb. Bei ihrer Befreiung zeigten die beiden Kinder wolfsähnliches Verhalten: Sie konnten rasch auf allen Vieren laufen – so schnell, dass ihnen kein Mensch folgen konnte -, konnten aber nicht aufrecht gehen und stehen. Am liebsten aßen sie rohes Fleisch, Wasser schlappten sie mit der Zunge. Andere Menschen gegenüber waren sie scheu und furchtsam, spielten jedoch aber gern mit Hunden im Zwinger des Waisenhauses. Beide hatten dicke Hornhautbildungen an Knien, Ellbogen und Handflächen, am übrigen Körper war ihre Haut relativ weich. Sie wehrten sich durch Beißen und Kratzen. Ihr „Sprechen“ beschränkte sich auf das Ausstoßen von Erregungslauten und Knurren. Trotz intensiver Förderung entwickelte sich bei Kamala spezifische menschliche Verhaltensweisen nur kümmerlich – sie erwarb zum Beispiel erst nach fünf Jahren den aufrechten Gang, ohne je richtig auf zwei Beinen laufen zu können; ihr aktiver Wortschatz bestand lange nur aus wenigen Silben, mit denen sie Personen und Gegenstände bezeichnete oder Bedürfnisse zum Ausdruck brachte. Bis zu ihrem Tod erwarb sie nur etwa fünfzig Wörter. Als sie starb, war sie geistig auf der Entwicklungsstufe einer Schwachsinnigen (vgl. Erich Weber, 1987).
Aufgaben:
1 Diskutieren Sie gesellschaftliche Gründe, warum jemand zum Terrorist wird.
2 Was ist mit der Aussage „Die Radikalisierung junger Muslime ist wie eine zweite Sozialisation“ gemeint?
3 Vergleichen Sie die lebenslange Sozialisation eines Terroristen mit der einer “Normalbiografie”. Konstruieren Sie Beispiele.
Artikel: Wie junge Muslime zu Terroristen werden
Sie leben unter uns. Besuchen die gleichen Schulen. Studieren an den gleichen Universitäten und driften trotzdem in eine Parallelwelt ab, deren einziges Ziel es ist, den Westen und seine Werte in die Knie zu zwingen und dann zu vernichten. Für Tanja Puschnerat, Referatsleiterin im Bundesamt für Verfassungsschutz, machen die Anschläge in Europa eines deutlich „Der Terror ist nicht importiert, sondern ein hausgemachtes Problem unserer Gesellschaft“, sagte sie. Am Anfang einer Terrorkarriere stehe die Radikalisierung. In Moscheen, Universitäten ebenso wie Chatrooms und Diskussionsforen im Internet komme der Kandidat mit islamistischem Gedankengut in Berührung. Durch das Internet verlaufe die Radikalisierung heute zunehmend rasanter. „Die Radikalisierung ist wie eine zweite Sozialisation“, erklärt Puschnerat.