Soziale Ungleichheit
Funktionalistische Schichtungstheorie
Es wird davon ausgegangen, dass ungleiche „Belohnungen“ nötig seien, um Menschen zur Übernahme unterschiedlich „wichtiger“ und/ oder anstrengender Tätigkeiten zu motivieren – und dass damit zugleich Ungleichheiten durch den Verweis auf Differenzen von Leistungsbereitschaft und -fähigkeit gerechtfertigt werden könnten.
Freilich will eine noch größere Mehrheit eine allumfassende, strikt leistungsgesellschaftliche Orientierung auch gleich wieder eingeschränkt wissen, denn immerhin traf die Aussage, dass „der Staat (…) für alle einen Mindestlebensstandard garantieren“ sollte, bei 53 Prozent der Befragten auf „volle“ und bei 30 Prozent „eher“ auf Zustimmung.
Quelle: http://www.bpb.de/apuz/28838/deutsche-ungleichheiten-eine-skizze
Chancengleichheit oder Chancengerechtigkeit
Vorstellungen von Chancengleichheit oder Chancengerechtigkeit bleiben oftmals diffus, und sind auch im Rahmen bildungspolitischer oder gerechtigkeitstheoretischer Diskussionen durchaus umstritten. Akzeptiert man schließlich „Einkommensunterschiede“ als notwendige Anreize, geht es letztlich um normative Vorstellungen von Leistungsgerechtigkeit – und auch hier wird bei näherem Hinsehen schnell deutlich, dass sich es sich bei der „Verrechnung“ von Aufwand, Ertrag und Belohnung um einen hochkomplexen sozialen Vorgang handelt, bei dem das Verhältnis von „Leistung“ und „Gegenleistung“ nicht ein für allemal festgestellt werden kann, sondern in den vielfältigsten Arenen immer wieder aufs Neue zu bewerten und auszuhandeln ist.
Aufgaben:
1 Welche der Situationen vor dem Stadionzaun sind gerecht?
Vergleichen Sie Ihre Vorstellung mit Margit Stamms Tweet
Zusatzmittel Zweitens sind für Schulen mit großen Herausforderungen zusätzliche finanzielle Mittel vorgesehen. Schulen mit vielen SchülerInnen, die großen Förderbedarf haben, können damit strukturellen Ungleichheiten über mehr Förderangebote, pädagogisches Unterstützungspersonal, administrative Supportstrukturen entgegenwirken. Zur Verteilung dieser Zusatzmittel wurde unter Einbeziehung internationaler Erfahrungen eine schlanke und einfach nachvollziehbare Berechnungsformel entwickelt. Als wichtigster Faktor für die Berechnung wird der Bildungsstand der Eltern herangezogen und als zweiter, etwas geringer gewichteter Faktor, die Umgangssprache der SchülerInnen (d. h. ob primär Deutsch oder eine andere Sprache im Elternhaus gesprochen wird). Beide Indikatoren sind wesentliche Faktoren für Bildungsbenachteiligungen im österreichischen Schulsystem. Mit diesen beiden Indikatoren werden dann Einzelwerte für jede/n Schüler/in berechnet, die anschließend auf Schulstandortebene aggregiert (Mittelwert der SchülerInnenwerte) und in sieben Stufen unterteilt werden. Je nach Indexstufe bekommen die Schulstandorte zusätzliche Ressourcen. Einer Schule auf Indexstufe 7 stehen zusätzliche Mittel zu 100 % zur Verfügung, da der Förderbedarf als besonders hoch eingeschätzt wird. Ein Schulstandort auf Indexstufe 6 erhält 75 % der zur Verfügung stehenden Maximalsumme, während Schulstandorte auf Stufe 3 und Stufe 2 beispielsweise aufgrund des geringeren Grads der Herausforderung einen niedrigeren Anteil (12,5 % bzw. 6,25 %) erhalten. Schulen der Stufe 1 werden keine zusätzlichen Mittel zugeteilt, da die Basisfinanzierung als ausreichend einstuft wird. [https://www.arbeiterkammer.at/interessenvertretung/arbeitundsoziales/bildung/Chancen-Index.html]
- Diskutieren Sie: Sehen Sie hier auch eine Idee für das deutsche System?
- Anwendung: Überlegen Sie sich zielgerichtete Maßnahmen zum Chancenausgleich für Bereiche Ihrer Wahl im folgenden Artikel:
Startchancen-Programm: Mehr Hilfe für sozial benachteiligte Schülerinnen und Schüler
„Wir sollten künftig noch ehrgeiziger sein, um jungen Menschen Chancen zu eröffnen und das Aufstiegsversprechen zu erneuern“, fordert Stark-Watzinger. Davon profitiere jeder Einzelne und auch die Gesellschaft als Ganzes. Schließlich fehle es schon heute an Fachkräften, die Wachstum und Wohlstand sichern.
Mit dem Startchancen-Programm will die Bundesregierung besonders sozial benachteiligte Schülerinnen und Schüler unterstützen. Denn der Bildungserfolg hängt nach wie vor stark von der sozialen Herkunft ab. Die Corona-Pandemie hat die Lage noch einmal verschärft. „Das kann uns nicht ruhen lassen. Deshalb sind wir darüber bereits im intensiven Austausch mit den Ländern. Unser Ziel ist es, ein nachhaltiges Programm aufzusetzen, das bis zu 4000 allgemein- und berufsbildende Schulen mit besserer Infrastruktur, einem Chancenbudget und mehr Sozialarbeitern ausstattet“, so die Ministerin. [https://www.bmbf.de/bmbf/shareddocs/kurzmeldungen/de/2022/06/bildungsbericht-2022.html]
- Anwendung: Überlegen Sie sich zielgerichtete Maßnahmen zum Chancenausgleich für Bereiche Ihrer Wahl im folgenden Artikel:
Bildungsungleichheit
Die Institutionalisierung des Leistungsprinzips als weithin akzeptierter Mechanismus der ungleichen Verteilung von “Belohnungen” gilt nun gemeinhin als eine zentrale Errungenschaft moderner Gesellschaften: Nicht mehr die Geburt, wie in feudal-ständischen Gesellschaften, oder andere, durch eigenes Zutun nicht veränderbare, zugeschriebene oder “askriptive” Merkmale, sondern durch eigenes Handeln erworbene Eigenschaften, also insbesondere (Aus-)Bildungsqualifikationen, sollen darüber entscheiden, welche (beruflichen) Positionen Menschen einnehmen können – und welche (ungleichen) Möglichkeiten der Einkommenserzielung ihnen damit offen stehen oder verschlossen bleiben.
Als “legitim” gelten Einflüsse, die zwischen (ungleichen) Qualifikationen und (ungleichen) beruflichen Stellungen und von dort weiter auf (ungleiche) Einkommen wirken; als “illegitim” werden dagegen jene Einflüsse betrachtet, die auf kategorialen “Zugehörigkeiten” (wie z.B. dem Geschlecht) und darauf aufbauenden Prozessen der “sozialen Schließung” beruhen. Damit steht die Vorstellung einer “Meritokratie” aber nicht nur im Zentrum der Legitimation von Ungleichheit(en) in modernen Gesellschaften. Zugleich verlagert sich die wissenschaftliche wie politische Aufmerksamkeit auf die Möglichkeiten und Mechanismen des Erwerbs von Qualifikationen, von so genanntem “Humankapital” oder “kulturellem Kapital”, mithin auf die (ungleichen) Chancen des Zugangs zu bzw. des Erwerbs von Bildung.
Aufgaben:
2 Werten Sie die folgende Graphik im Sinne der Meritokratie aus.
Vermögens- und Einkommensungleichheit
Wirft man noch einen kurzen Blick auf Veränderungen von Vermögensungleichheiten, so besaßen z.B. 1983 die obersten 10 Prozent der (westdeutschen) Haushalte fast 50 Prozent des statistisch erfassten Vermögens, die ärmere Hälfte der Haushalte jedoch nur etwas mehr als 3,3 Prozent. 1998, also 15 Jahre später, konnte das obere Zehntel aller deutschen Haushalte dann mit rund 44 Prozent des gesamten Vermögens etwas weniger auf sich vereinigen; die untere Hälfte verfügte dagegen mit gut 4 Prozent über einen marginal höheren Anteil. Im Jahre 2003 belaufen sich dann die entsprechenden Anteile auf knapp 47 Prozent für die „reichsten“ 10 Prozent (wobei deren durchschnittliches Vermögen bei mehr als 600 000 Euro liegt) und auf knapp 4 Prozent für die „ärmeren“ 50 Prozent – bei einem Durchschnitt von etwa 10 000 Euro, hinter dem sich jedoch z. T. hohe „Negativvermögen“, also Verschuldungen, verbergen.[Ausführliche Version in BPB.de] Da sich jedoch schon früher Schwankungen in diesen Anteilswerten gezeigt haben, muss an dieser Stelle offen bleiben, ob sich hinter den Veränderungen zwischen 1998 und 2003 eine dauerhafte „Trendwende“ in der Ungleichverteilung von Vermögen verbirgt und wir zukünftig eventuell mit einem erneuten Anwachsen entsprechender Ungleichheiten rechnen müssen.
Bemerkenswert bleibt aber trotz einiger in jüngster Zeit auftauchender Indizien für eine neuerliche Zunahme von Vermögens- und Einkommensungleichheiten vor allem ihre längerfristige Konstanz – sieht man hier einmal von Ostdeutschland ab, wo sich, ausgehend von einer gegenüber der alten Bundesrepublik deutlich egalitäreren Einkommensverteilung in der DDR, in dieser Hinsicht ziemlich rasch „westliche“ Verhältnisse eingestellt haben. Bemerkenswert ist aber auch eine weitere (Fast-) Konstante in den Einkommensungleichheiten, nämlich die zwischen Männern und Frauen.
Dass Frauen „im Durchschnitt“ weniger verdienen als Männer, wurde, ganz im Sinne „leistungsgesellschaftlicher“ Maximen, lange Zeit mit ihrer geringeren Qualifikation „begründet“ und/oder auf die Konzentration von Frauen in bestimmten Berufsbereichen zurückgeführt. Neuere Untersuchungen können jedoch zeigen, dass sich in Westdeutschland auch dann, wenn man die Löhne vollzeitbeschäftigter Männer und Frauen bei gleicher Qualifikation in den gleichen Berufen (und Betrieben) miteinander in Beziehung setzt, eine zwischen 1993 und 2001 weitgehende konstante Lohndifferenz von 12 Prozent zu Gunsten der Männer ergibt. Differenzen dieser Art, die sich weder in marktbeherrschten Gesellschaft wie den USA noch beispielsweise im wohlfahrtsstaatlich geprägten Schweden finden lassen, können weder durch unterschiedliche Ausstattungen mit „Humankapital“ erklärt noch durch Verweise auf das „Leistungsprinzip“ gerechtfertigt werden.
Ungleichheiten auf hohem Niveau
Nachzutragen bleibt in dieser Skizze zu „deutschen Ungleichheiten“ noch, dass es sich bei den gerade geschilderten Ungleichheiten von Vermögen und Einkommen im historischen wie im internationalen Vergleich zweifellos um Ungleichheiten auf hohem Niveau handelt. Ulrich Beck hat dafür im Zusammenhang mit seiner viel diskutierten „Individualisierungsthese“ die Metapher vom „Fahrstuhleffekt“ geprägt. Damit ist gemeint, dass der steigende Massenwohlstand – und mithin die für die überwiegende Mehrheit zumindest der westdeutschen Bevölkerung prägende Nachkriegserfahrung von „Wirtschaftswunder“ und stetigem Wirtschaftswachstum, die Helmut Schelsky (1968) schon für die fünfziger und sechziger Jahre von einer „nivellierten Mittelstandsgesellschaft“ sprechen ließ, – zwar die Abstände zwischen Oben und Unten kaum tangiert, jedoch gleichzeitig das gesamte Ungleichheitsgefüge eine oder mehrere Etagen höher gefahren hat. Die international vergleichende Forschung zeigt dazu, dass zumindest im Raum der Europäischen Union Einkommensungleichheiten in der Regel umso niedriger sind, je höher das Durchschnittseinkommen der Bevölkerung ist – ein Zusammenhang, der sich dann noch in Richtung geringerer Einkommensungleichheiten verstärkt, wenn man das Wirken wohlfahrtsstaatlicher Umverteilungen mit einbezieht.
Lebensstil- und Milieuforschung
Genau auf diese allgemeine Wohlstandssteigerung hat sich nun auch die Lebensstil- und Milieuforschung seit den achtziger Jahren immer wieder berufen, wenn es darum ging, die „relative Autonomie“ von Lebensstilen und Milieus als (neue) Formen der sozialen Integration zu betonen. Zwar ist bis heute umstritten, ob dies einen endgültigen Abschied von der Vorstellung einer vertikal-hierarchisch klar gegliederten Ungleichheitsstruktur bedeutet – oder ob sich auch in Lebensstilen und Milieus ungleiche Lebensbedingungen bzw. unterschiedliche soziale Lagen ausdrücken. Der Blick richtete sich dabei aber meist auf Zusammenhänge zwischen (materiellen) Ungleichheiten einerseits sowie Lebensstilen und Milieus andererseits.
Hierin liegt auch das Potential für neue Trennlinien, die gleich alten Standesdünkel, neue Barrieren in Bildung, Beruf und Verteilungskampf aufbauen.
Aufgaben:
3 Fassen Sie die Aussagen der beiden Graphiken (Entwicklung der Vermögensverteilung 1973 bis 1998 (Westdeutschland), Die Vermögensverteilung in Deutschland) zusammen.
4 Zeigen die Graphiken die oben beschriebene Trendwende.
5 Gibt es in diesen Graphiken die nivellierte Mittelstandsgesellschaft? Gibt es sie eventuell zumindest in unserer Wahrnehmung?