Globalisierung und Regionalisierung
Bayerns Rolle in der EU – die Regionen in der EU
Schaut man sich die Arbeit des Bayerischen Landtags genauer an, stellt man häufig fest, dass Entscheidungen der EU den Bayerischen Landtag oft unmittelbar betreffen. Die Gestaltungsspielräume sind häufig klein und bestehen nur innerhalb des von der EU vorgegebenen Rahmens. In der Regel hat der Bayerische Landtag EU-Rechtsakte umzusetzen, bereits bestehende Gesetze sind nötigenfalls an EU-Recht anzupassen. Besonders wichtig sind für Bayern beispielsweise die EU-Agrarpolitik, die EU-Regionalförderung und Vorgaben im Umweltbereich, z.B. für bayerische Unternehmen.
Der Bayerische Landtag hat daher ein besonderes Interesse daran, dass die EU die ihr übertragenen Kompetenzen und deren Grenzen beachtet. Mit dem Vertrag von Lissabon, der am 1. Dezember 2009 in Kraft trat, wird nun die Rolle der Kommunen und Regionen in Brüssel gestärkt. Der Vertrag wertet die politischen Ebenen auf, die den Bürgerinnen und Bürgern am nächsten stehen: die Gemeinderäte, Kreistage und Regionalparlamente – kurz: die Regionen. Bei künftigen EU-Gesetzesvorlagen müssen sie vorab konsultiert und angehört werden. Jeder neue Gesetzesvorschlag der EU muss auf seine finanziellen und administrativen Auswirkungen auf die Regionen und Kommunen geprüft werden.
Besondere Bedeutung hat in dem Zusammenhang der Ausschuss der Regionen, der das Sprachrohr der Kommunen und Regionen in Brüssel ist. Er erhält neue Rechte und seine Stellung gegenüber den anderen EU-Institutionen wird deutlich gestärkt.
Der Bayerische Landtag hat im Oktober 2010 eine eigene Kontakt- und Informationsstelle in Brüssel eingerichtet. Sie ist bei der Vertretung des Freistaats Bayern bei der Europäischen Union angesiedelt. Besondere Bedeutung hat in dem Zusammenhang der Ausschuss der Regionen, der das Sprachrohr der Kommunen und Regionen in Brüssel ist. Er erhält neue Rechte und seine Stellung gegenüber den anderen EU-Institutionen wird deutlich gestärkt.
Das sog. Subsidiaritätsprinzip ist nunmehr stärker zu beachten. Dies bedeutet, dass Aufgaben so weit wie möglich von unteren politischen Ebenen, wie eben den Regionen oder Kommunen übernommen werden. Handlungen sollen also zuerst einmal von der untersten politischen Ebene ausgehen. Erst, wenn auf dieser Ebene keine Lösung gefunden werden kann, sollen Entscheidungen auf höherer politischer Ebene gefällt werden.
Der Ausschuss der Regionen kann neue EU-Vorschriften, die seiner Meinung nach das Subsidiaritätsprinzip verletzen, vor dem Europäischen Gerichtshof anfechten. Der Lissabon-Vertrag stärkt die beratende Rolle des Ausschusses: So muss er in Zukunft von der Kommission und dem Rat und vom Europäischen Parlament konsultiert werden. Insbesondere gilt dies für die Bereiche Energie und Umweltschutz.
Wichtig ist auch für das Bundesland Bayern, dass eine verstärkte Kontrolle der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips durch die regionalen Parlamente, also durch den Bayerischen Landtag, stattfinden kann Damit soll sichergestellt werden, dass in der EU zukünftig die Bedürfnisse der europäischen Bürger in ihren regionalen Lebensbereichen und in ihrer kulturellen Vielfalt stärker berücksichtigt werden müssen.
Allzu häufig wurden in der Vergangenheit die Bürger in der EU mit zentralistischen Entscheidungen aus Brüssel konfrontiert, die lokale Traditionen nicht berücksichtigten. Der frühere Bundespräsident Roman Herzog kritisierte die EU als eine „intransparente, komplexe Mammut-Institution“. Mehr als vier Fünftel der in Deutschland gültigen Gesetze seien inzwischen von Brüssel festgeschrieben.
Eine berühmt-berüchtigte EU-Verordnung ist die sog. „Gurkenverordnung“, die EU-Verordnung Nr. 1677/88/EWG zur Festsetzung von Qualitätsnormen für Gurken. Sie legte fest, dass eine Gurke der Handelsklasse „Extra“ maximal eine Krümmung von zehn Millimetern auf zehn Zentimetern Länge aufweisen durfte. Diese Verordnung war lange Zeit Sinnbild einer regelungswütigen EU-Bürokratie und wurde dementsprechend kritisiert. Der ehemalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber, der eine Arbeitsgruppe für den Bürokratieabbau leitete, wertete die Abschaffung der Verordnung als „Signal für ein neues Denken in Brüssel“. Interessant ist an diesem Fall, dass sich eine Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten sowie Handels- und Bauernverbände für eine Beibehaltung der Verordnung aussprachen, als die EU-Kommission 2009 die „Gurkenverordnung“ außer Kraft setzte. Die wichtigsten Großhändler verwenden die Vorgabe weiterhin als interne Norm.
Bild: Eine Gurke mit einem nach Klasse III zulässigen Krümmungsgrad Von Garitzko – Eigenes Werk, Gemeinfrei, Link
Dies Beispiel zeigt, dass hinter vielen Regelungen in der EU wirtschaftliche Interessenverbände, Lobbygruppen stehen, die auf rechtliche Regelungen drängen, um wirtschaftliche Vorteile gegenüber Konkurrenten zu haben. Als weiteres Beispiel kann eine EU-Vorschrift dienen, die bayerische Bauern zwang, neue Traktorsitze anzuschaffen. Dies wurde natürlich heftig öffentlich diskutiert und als EU-Bürokratismus kritisiert. Weniger bekannt ist allerdings, dass die EU-Kommission von Deutschland zu der entsprechenden Richtlinie gedrängt wurde. Die Richtlinie geht auf einen Vorstoß Bayerns zurück. Dort hatte ein Unternehmer in den siebziger Jahren Überrollbügel für Traktoren erfunden, nachdem es viele schwere Unfälle gegeben hatte. Damit die Konstruktionen helfen, müssen aber wichtige Bauteile des Traktors normiert sein, darunter auch der Sitz. Mit der Verordnung konnte der bayerische Traktorenhersteller seine Sicherheitsbügel deutlich besser verkaufen.
Die Initiativen zu den meisten EU-Gesetzen, die heute verlacht werden, kamen aus den Mitgliedsländern. Man sieht also, dass Bürgerferne nicht ausschließlich in der Brüsseler Bürokratie zu finden ist, und dass die EU-Bürokratie häufig als Sündenbock herhalten muss. Wenn nach dem Sinn von staatlichen Regelungen und nach Bürgernähe gefragt wird, sind die politischen Akteure auf allen Ebenen gefragt, ob auf der EU-Ebene, im nationalen oder auch regionalen Rahmen.
Wichtige Instrumente für ein bürgernäheres Europa können dabei der Ausschuss der Regionen und die Stärkung des Subsidiaritätsprinzips in der EU sein.