Europäische Union: Geschichte und Struktur
Im Jahr 2007 feiert die EU den 50. Jahrestag der Unterzeichnung der „Römischen Verträge“. Wie die Europäische Union sich zu einer Gemeinschaft mit offenen Grenzen und gemeinsamer Währung entwickelt hat, erfahren Sie im folgenden Artikel
Die Europäische Union hat sich in den letzten Jahren fundamental gewandelt: Aus 15 Mitgliedstaaten wurden 2004 mit einem Schlag 25 und seit dem Beitritt Rumäniens und Bulgariens zum 1. Januar 2007 umfasst die EU 27 Länder mit rund 490 Millionen Einwohnern. Da die EU ein schwer durchschaubares Geflecht aus Kompetenzen und Ämtern aufzeigt, das in den vergangenen Jahrzehnten stetig gewachsen ist, sind wichtige Reformen nötig. Am 29. Oktober 2004 unterzeichneten 25 Staats- und Regierungschefs in Rom den „Vertrag über die Verfassung für Europa“, dem noch die einzelnen Mitgliedstaaten zustimmen mussten. Nachdem dies anfangs gut gelungen war, blockierten dann die negativen Referenden in Frankreich und den Niederlanden eine Durchsetzung. Außerdem stritt man sich ein gutes Jahr um die Finanzen – eine insgesamt schwierige Situation.
Erste Europa-Initiativen nach dem Zweiten Weltkrieg
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs drängten führende Politiker schnell auf eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Staaten Europas. Nur so schien eine politische wie menschliche Katastrophe in der Zukunft vermeidbar zu sein.
Kooperation statt Krieg
Bereits kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Zusammenarbeit zwischen den Staaten Europas neu gestaltet. Ein elementarer Grund war der Wunsch nach Sicherheit und Frieden. Die zuvor verfeindeten Nachbarstaaten wollten zusammenarbeiten und so eine Basis für ein friedliches Zusammenleben in Europa bilden. Ein neuer Krieg sollte unmöglich werden. Außerdem tauchte der Gedanke des gemeinsamen Marktplatzes auf, mit dem die Staaten des westlichen Europas ein wirtschaftliches und politisches Gegengewicht zu den Verbündeten der Sowjetunion im östlichen Europa bilden wollten. An der Schnittstelle zwischen den Machtbereichen von USA und Sowjetunion machten die Westeuropäer ihren Einfluss geltend, indem sie ihre Stimmen bündelten.
Gründung des Europarates
1948 trafen sich führende Europapolitiker, darunter der französische Außenminister Robert Schuman, der italienische Premier Alcide de Gasperi, der belgische Außenminister Paul Henri Spaak und der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer, auf dem Europa-Kongress in Den Haag und begründeten die Zusammenarbeit der Staaten Europas. Sie forderten einheitliche Menschenrechte in Europa und die Einrichtung einer Europäischen Versammlung. Auf ihre Initiative hin wurde im Mai 1949 der Europarat gegründet. Ihm gehörten die Außenminister der Mitgliedsstaaten sowie Gruppen von Parlamentsabgeordneten aus jedem Land an.
Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte
Schon früh setzte der Europarat die bis heute gültige Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten durch. Später wurde die Sozialcharta verfasst, die Mindestnormen im wirtschaftlichen und sozialen Bereich vorsieht. Da der Europarat aber keine bindenden Beschlüsse fassen kann, bleibt sein Einfluss bis heute sehr begrenzt. Dennoch war er die erste europäische Organisation nach dem Krieg. Die Versammlung der Parlamentarier gilt als Keimzelle des Europäischen Parlaments.
Erfolge und Misserfolge Anfang der 1950-er Jahre
1952 wurde die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl gegründet, der erste wirtschaftliche Zusammenschluss europäischer Staaten. Was bei Wirtschaftsfragen gelang, konnte im politischen Bereich nicht verwirklicht werden.
Die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS)
Kontrolle über die kriegswichtigen Güter Kohle und Stahl
Die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS, auch Montanunion genannt) war zwei Jahre nach Gründung des Europarates der erste wirtschaftliche Zusammenschluss in Europa. Auf Initiative der französischen Politiker Jean Monnet und Robert Schuman sollten die wichtigen Rohstoffe Kohle und Stahl künftig auf einem gemeinsamen Markt gehandelt werden. Eine Kontrollbehörde und ein Gerichtshof überwachten den Handel, ein Ministerrat aus den Teilnehmerstaaten legte den Rahmen fest. Frankreich und Deutschland sahen in der Montanunion einen Weg, ihre alte Feindschaft beizulegen. Zudem sollte durch die Kontrolle der kriegswichtigen Güter der Frieden in Europa weiter gefestigt werden. 1952 trat die Montanunion in Kraft. Ihr gehörten neben Deutschland und Frankreich auch Belgien, die Niederlande und Luxemburg sowie Italien an. 1973 traten Großbritannien, Irland und Dänemark bei, 1981 Griechenland und 1986 Spanien sowie Portugal. Die Montanunion war jedoch inzwischen zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft erweitert worden (1957).
Funktionsweise der Montanunion
Die Montanunion funktionierte im Prinzip wie die heutige EU: Die Minister der Mitgliedsstaaten legten in gemeinsamen Treffen die politischen Grundzüge fest. Für ihre Koordination und Überwachung wurden eigene Institutionen geschaffen.
Deutschland und Frankreich als europäischer Motor
Die Montanunion ist ein Beispiel dafür, wie Frankreich und Deutschland als treibende Kräfte im europäischen Einigungsprozess wirkten. Mit dem deutsch-französischen Freundschaftsvertrag (Elysée-Vertrag) 1963 versuchten die Länder, die europäische Integration weiter zu fördern.
Misserfolge bei der politischen Einigung
Europäische Politische Gemeinschaft (EPG) scheitert
In den fünfziger Jahren war die Zeit für eine weitergehende Zusammenarbeit noch nicht reif. Die Außenminister der Montanunion ließen eine Verfassung für eine Europäische Politische Gemeinschaft (EPG) ausarbeiten, die viele Gedanken der heutigen Union vorwegnahm. Diese Gemeinschaft sollte die Außen-, Verteidigungs- und Wirtschaftspolitik der Mitgliedsstaaten koordinieren. In der Verfassung waren ein Parlament mit zwei Kammern, der Europäische Exekutivrat als eine Art Regierung, ein Rat der nationalen Minister, ein Gerichtshof und ein Wirtschafts- und Sozialausschuss vorgesehen. Die EPG scheiterte schließlich in den Verhandlungen der Mitgliedsstaaten: Sie hätten auf Bereiche ihrer Souveränität verzichten müssen, waren dazu aber nicht bereit.
Keine gemeinsame europäische Verteidigung
Die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) ereilte ein ähnliches Schicksal. Die Idee war, ein gemeinsames europäisches Heer unter einem europäischen Verteidigungsminister einzurichten, doch das Vorhaben wurde nie in die Realität umgesetzt, weil die Politiker der Mitgliedsstaaten nicht auf eigene Heere verzichten wollten. Auch in diesem Fall waren die Mitgliedsstaaten also nicht bereit, Teile ihrer nationalen Macht abzugeben. Während sie vom Nutzen einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit überzeugt waren, zeigten sie große Bedenken bei einer politischen Annäherung.
Der Ausbau der Wirtschaftsgemeinschaft seit 1955
Die Hoffnung auf Erleichterungen im Handelsverkehr und beim Warenumsatz trieb den Ausbau der Wirtschaftsgemeinschaft an. Mit der Zahl der Mitglieder wuchs gleichzeitig die Notwendigkeit der Kompromisse.
Die Römischen Verträge
Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG)
1955 weiteten die Mitglieder der Montanunion ihre Aufgabenbereiche aus. Sie beschlossen, mit einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) den Handel zwischen ihren Staaten zu fördern, indem sie zunächst die Zollgebühren an den Grenzen senkten. Später entstand zwischen den Mitgliedsstaaten dann ein gemeinsamer Markt, mit freiem Verkehr von Waren, Personen, Kapital und Dienstleistungen. Auch die EWG wurde nach dem Muster konstruiert, das wir in der heutigen Gestalt der Europäischen Union wiederfinden: Ein Ministerrat legte die Leitlinien der Politik fest, und eine Kommission setzte die Politik um.
Die Europäische Atomgemeinschaft (EURATOM)
Nach ähnlichem Muster sollte die Vereinigung Europäische Atomgemeinschaft (EURATOM) funktionieren. Sie koordinierte die Nuklearindustrie der Mitgliedsstaaten, die sich damals im Aufbau befand. In Zeiten wachsender Bedrohung durch Atomwaffen sollte auch die Rüstung in Europa kontrolliert werden. EURATOM und die EWG wurden 1957 mit den Römischen Verträgen zum Leben erweckt und in den folgenden Jahren eingerichtet.
Die 1970-er Jahre: Krisen und Erweiterungen
Mehr Mitglieder – weniger Einigkeit
In den folgenden Jahren zeigten sich erste Probleme: Das Prinzip, nach dem Entscheidungen im Ministerrat einstimmig gefällt werden müssen, sorgte für Schwierigkeiten. Die Erweiterung der Gemeinschaft um Großbritannien, Irland und Dänemark 1973 machte die Situation nicht einfacher.
Kompromiss-Suche im Europäischen Rat
Ab 1974 gewannen die Sitzungen des neu eingerichteten Europäischen Rates an Bedeutung (nicht zu verwechseln mit dem Europarat). Seitdem treffen sich die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten mindestens zweimal im Jahr, um die Richtlinien der europäischen Politik festzulegen und Kompromisse auf höchster politischer Ebene auszuhandeln.
Stärkung des Europäischen Parlaments
Das Europäische Parlament bekam ebenfalls eine wichtigere Rolle, denn seit 1975 verabschiedet es den Haushalt der Union. 1979 waren die Bürgerinnen und Bürger der neun Mitgliedsstaaten erstmals zur Wahl zum Europäischen Parlament aufgerufen. Seither gingen zahlreiche Initiativen zu Reformen und Verbesserungen der Europäischen Integration vom Parlament aus.
Pläne für Wirtschafts- und Währungsunion
In den siebziger Jahren mehrten sich die Initiativen für eine Überarbeitung der bisherigen europäischen Integration. Nachdem Montanunion, Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und EURATOM umgesetzt waren, sollte der gemeinsame Markt ausgebaut werden. In einer Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) sollten weitere Bereiche der Wirtschafts- und Finanzpolitik gemeinsam geplant und gesteuert werden. Das Europäische Währungssystem (EWS) legte feste Wechselkurse für die europäischen Währungen fest.
Von der Gemeinschaft zur Union
Der freie europäische Binnenverkehr und die Einführung einer gemeinsamen Währung waren in den 90er Jahren die wichtigsten Schritte auf dem Weg von der Wirtschaftsgemeinschaft zur Europäischen Union.
Der Weg zum europäischen Binnenmarkt
Die Einheitliche Europäische Akte (EEA)
Die Gemeinschaft wuchs in den 80er Jahren immer weiter: 1981 trat Griechenland bei, 1986 kamen Portugal und Spanien dazu. Kurz darauf wurde mit der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) ein wichtiger Vertrag auf dem Weg zur heutigen Europäischen Union unterzeichnet, deren Kernpunkt der Binnenmarkt war. Bis 1992 sollten Waren, Kapital, Dienstleistungen und Menschen völlig frei zwischen den europäischen Staaten verkehren können.
Mehr Zuständigkeiten – mehr Abstimmungsprobleme
Brüssel erhielt die Verantwortung für weitere Politikbereiche, doch je mehr Zuständigkeiten die europäischen Behörden bekamen, desto schwieriger wurde die Abstimmung mit den nationalen Regierungen. Insbesondere bei den Treffen der Ministerräte zogen sich die Verhandlungen oft lange hin, da bereits ein Staat mit seinem Veto alles blockieren konnte. Auch das Parlament sollte mehr Rechte erhalten, um die Entscheidungen von Kommission und Europäischem Rat besser zu kontrollieren und so die demokratische Legitimation der Europäischen Union zu stärken.
Europa ohne Grenzen
Zu Beginn der neunziger Jahre zeichnete sich der Beitritt weiterer Staaten ab: Finnland, Österreich und Schweden wurden 1995 EU-Mitglieder. Anschließend nahm die nächste Herausforderung bereits Formen an, denn nach dem Ende des Kalten Krieges und der deutschen Wiedervereinigung 1990 konnte Westeuropa nicht die Augen vor der Tatsache verschließen, dass die osteuropäischen Staaten ihren Weg nach Europa gehen wollten.
Maastricht, Amsterdam und Nizza
Die Mitgliedsstaaten versuchten in mehreren Anläufen die Struktur der Europäischen Gemeinschaft zu verbessern. Auf dem Gipfeltreffen von Maastricht Ende 1991 beschlossen die Regierungschefs, neben der Umsetzung der Wirtschafts- und Währungsunion, eine Stärkung des Parlaments. Gleichzeitig weiteten sie die Kompetenzen der Union in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Innen- und Justizpolitik aus. Zudem wurde die Unionsbürgerschaft eingeführt und1992 verschwanden dank des „Schengener Abkommens“ an vielen Grenzen innerhalb Europas die Zollkontrollen. Ähnliche Reformpakete wie in Maastricht wurden bei Treffen in Amsterdam (1997) und Nizza (2000) beschlossen. Neben dem Umbau der Institutionen und der Osterweiterung bildete die Einführung der gemeinschaftlichen Währung einen Schwerpunkt dieser Reformen.
Der Euro
Anfang 2002 war es dann soweit: Fast fünfzig Jahre nach der Gründung der Montanunion hielten die Europäer die ersten gemeinsamen Münzen und Scheine in der Hand. Die wirtschaftliche Einigung Europas war nach einem halben Jahrhundert mit dem Euro für alle Bürger sichtbar vollendet. Gleichzeitig war die Europäische Union allerdings zu einem undurchschaubaren bürokratischen Dschungel geworden. Ihre Funktionsweise in all ihren Feinheiten durchschauen nur Experten.
Verfassung und Finanzen
Europa wieder mal in der Krise
2004 stand die Erweiterung um zehn ost- und mitteleuropäische Staaten an, weshalb die EU einen neuen EU-Vertrag, die „EU-Verfassung“, verabschieden wollte. Nach einer langwierigen Kompromisssuche konnten sich die damaligen 25 Staats- und Regierungschefs auf einen gemeinsamen Text verständigen, allerdings hatten sie nicht damit gerechnet, dass einige EU-Länder den Text ablehnen werden. Als zunächst die Franzosen und kurze Zeit später die Niederländer in Referenden dagegen stimmten, war die Ratlosigkeit groß und niemand wusste so recht, wie es nun weitergehen sollte. Immerhin waren sich alle einig, dass die erweiterte EU mit 27 oder mehr Mitgliedern neue und einfachere Regeln braucht.
Finanzhaushalt für die Zukunft
Aus diesem Grund beschloss der Brüsseler EU-Gipfel im Juni 2005, den Ratifizierungsprozess zu verlängern. Der bisherige Zeitplan, eigentlich hätten die 25 Mitgliedstaaten bis zum November 2006 zustimmen sollen, war ohnehin geplatzt.
Die EU steckte in einer ihrer tiefsten Krisen und ein weiteres wichtiges Thema drängte immer stärker auf die Tagesordnung: die Debatte um die EU-Finanzen für die Jahre 2007 bis 2013. Bereits unter der luxemburgischen Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2005 stritt man sich heftig. Insbesondere Großbritannien legte sich quer, denn Tony Blair wollte den so genannten Brittenrabatt nicht antasten und setzte sich für eine grundlegende Änderung der Haushaltsstruktur ein. Er wollte die Agrarsubventionen massiv kürzen und das Geld in Forschung und Entwicklung investieren, doch dagegen stellte sich Frankreich, der größte Empfänger im Bereich Landwirtschaft.
Kanzlerin Merkel profitiert vom Finanzstreit
Als Ratspräsident im zweiten Halbjahr 2005 sollte Tony Blair dann federführend einen Kompromiss erarbeiten, allerdings stießen seine Vorschläge weiterhin auf wenig Gegenliebe. So wurde schließlich die frisch gewählte Bundeskanzlerin Angela Merkel die Gewinnerin des Finanzstreits: Sie schlüpfte bei ihrem ersten EU-Gipfel im Dezember 2005 in die Vermittlerrolle und brachte den Kompromiss zu Stande.
EU-Kommission zückt Plan D
In Sachen Verfassung war die EU damit zwar keinen Schritt weiter, doch eine andere EU-Institution, die Kommission, hatte sich zwischenzeitlich einige Gedanken gemacht. Schon am 20. Juli 2005 verabschiedete sie den „Aktionsplan zur Verbesserung der Kommunikationsarbeit der Kommission zu Europa“ – kurz: der Plan D für Demokratie, Dialog und Diskussion. Die Kommission will damit die Öffentlichkeitsanstrengungen der EU moderner machen und Europa den Bürgern wieder „näher bringen“. „Bei Plan D geht es um Diskussion, Dialog und aufmerksames Zuhören“, erklärte Margot Wallström, Kommissions-Vizepräsidentin und zuständig für institutionelle Fragen und Kommunikation.
Die EU nach ihrer Erweiterung von 2007
Am 1. Januar 2007 traten Rumänien und Bulgarien der EU bei, obwohl lange umstritten war, ob diese beiden Länder „reif“ für den Beitritt sind. Trotz aller Bedenken gab die EU-Kommission in ihrem letzten Fortschrittsbericht Ende September 2006 „grünes Licht“.
Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft
Nachdem Angela Merkel bei ihrem ersten EU-Gipfel im Dezember 2005 den Finanzstreit beilegen konnte, nahm sie sich für ihre Amtszeit als EU-Ratspräsidentin im ersten Halbjahr 2007 das zweite wichtige Thema vor: Die EU-Verfassung, die trotz „Plan D“ bisher nicht so recht vorangeschritten war. Zwar hatten sich die EU-Staats- und Regierungschefs bei einem Gipfeltreffen im Juni 2006 geeinigt, spätestens bis Jahresende 2008 über die Zukunft der Verfassung zu entscheiden, doch die europäischen Mühlen mahlen oft langsamer als geplant…
Die „Berliner Erklärung“
Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft verhandelte mit den 26 anderen EU-Regierungen um die weiteren Details. Bundeskanzlerin Merkel wollte zum 50. Jahrestag der Unterzeichnung der „Römischen Verträge“ im März 2007 bekannt geben, wie es mit der Verfassung weiter gehen sollte. Dieses Vorhaben konnte sie schließlich auch umsetzen: Zusammen mit EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und Hans-Gert Pöttering, dem Präsidenten des Europäischen Parlaments, unterzeichnete sie am 26. März 2007 die „Berliner Erklärung“.
Das knapp dreiseitige Dokument fasst die Entstehung, die Werte und die künftigen Herausforderungen der Europäischen Union zusammen. Die Staats- und Regierungschefs betonen zudem, dass man „die politische Gestalt Europas immer wieder zeitgemäß erneuern“ müsse und bekräftigen zum Schluss ihre Absicht, „die Europäische Union bis zu den Wahlen zum Europäischen Parlament 2009 auf eine erneuerte gemeinsame Grundlage zu stellen“.
Wie geht es weiter?
Bereits kurz nach dem EU-Jubiläumsgipfel verflog die Einigkeit wieder: Polen und Tschechien stellten den Zeitplan der Bundeskanzlerin und anderen Verfassungsbefürwortern für einen Grundlagenvertrag bis Mitte 2009 öffentlich in Frage. Trotz allen Widerständen will Angela Merkel nun bis zum EU-Gipfel am 21./22. Juni 2007 versuchen, den Rahmen für die Inhalte des neuen EU-Grundlagenvertrages – das Wort „Verfassung“ taucht in der „Berliner Erklärung“ nicht mehr auf – abzustecken und einen Fahrplan zur endgültigen Lösung der Verfassungskrise vorlegen.
Debatte um Form und Inhalt – Regierungskonferenz soll neuen EU-Vertrag erarbeiten
Auf dem Juni-Gipfel wollen die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten nach Angaben von Bundeskanzlerin Merkel eine Regierungskonferenz einberufen, in der die Vertreter der 27 EU-Regierungen unter der portugiesischen Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2007 einen neuen Vertrag ausarbeiten werden. Bis spätestens Anfang 2008 soll der neue Vertrag fertig sein, damit ihn alle 27 EU-Länder bis Ende des Jahres 2008 endgültig ratifizieren können.
Großbritannien: Kein Verfassungsvertrag!
Bis dahin gilt es, die zum Teil weit auseinander liegenden Positionen der einzelnen Mitgliedsstaaten unter einen Hut zu bringen. Der britische Premierminister Tony Blair sagte in einem Gespräch mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und sechs anderen europäischen Zeitungen, dass ein „vereinfachter Vertrag, ein Änderungsvertrag“ nach dem Muster der Verträge von Amsterdam (1997) oder Nizza (2001) an die Stelle des Verfassungsvertrags treten müsse. Die negativen französischen und niederländischen Referenden sowie die öffentliche Debatte in anderen Ländern hätten gezeigt, dass sich ein Verfassungsvertrag nicht durchsetzen lasse. Er forderte in diesem Pressegespräch aber keinerlei Änderungen der im ersten Teil des Verfassungsvertrages vorgesehenen institutionellen Reformen der EU.
Polen: Neuverhandlung über Stimmrechte
Die beiden schärfsten Kritiker, Polen und Tschechien, haben ihre Positionen nach persönlichen Gesprächen mit Angela Merkel Mitte April 2007 etwas relativiert. Der polnische Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski blieb allerdings in einem Punkt hart: Zwar befürworte er den Verfassungsprozess und erhoffe sich Lösungen auf dem EU-Gipfel im Juni, doch zugleich betonte er, dass er den im Verfassungsentwurf festgeschriebenen Verlust von Stimmrechten für Polen nicht hinnehmen wolle. Dieser Abstimmungsmechanismus mache Polen zu dem „am wenigsten bevorzugten Land in der EU“, kritisierte er. Polen befürchtet, künftig zu leicht überstimmt werden zu können.
Tschechien: Kein Superstaat Europa!
Die tschechische Regierung konnte Merkel anscheinend auf ihre Seite ziehen: Die „Financial Times Deutschland“ berichtet in ihrer Ausgabe vom 2. Mai 2007, dass es Merkel geschafft habe, die Vorbehalte von Ministerpräsident Mirek Topolanek und Präsident Vaclav Klaus abzubauen. Allerdings fordere Tschechien, „alle irreführenden Bezeichnungen aufzugeben, die den falschen Eindruck erwecken, der Vertrag führe zur Errichtung der Struktur eines Superstaats“. Der Vertrag dürfe nicht länger Verfassung heißen und der außenpolitische Vertreter der Union dürfe nicht EU-Außenminister genannt werden. Nach Informationen der „Financial Times Deutschland“ scheint Merkel bereit zu sein, die tschechischen Forderungen weitgehend zu erfüllen.
Die Institutionen der Europäischen Union
Wer ist wofür zuständig und wer hat wie viel Macht? Ein kurzer Wegweiser mit weiterführenden Links durch das Wirrwarr der EU-Institutionen.
Die Europäische Kommission
Im Prinzip geht es in Brüssel immer noch zu wie zu Zeiten der alten Montanunion: Die Europäische Kommission arbeitet wie eine Regierung. Sie plant und koordiniert die EU-Politik. Wie eine Regierung ist sie unterteilt in verschiedene Fachbereiche. Deren Chefs, die Kommissare, sind mit Ministern vergleichbar. Unter ihnen sind zwar die Nationalitäten aller Mitgliedstaaten vertreten, und die jeweiligen Regierungen wählen aus, wen sie als Kommissar nach Brüssel schicken. Sie sollen aber eigentlich streng neutral nur für die Kommission arbeiten. Der deutsche Kommissar in Brüssel heißt derzeit Günter Verheugen (SPD). Er ist Vizepräsident der EU-Kommission und dort für das Ressort „Unternehmen und Industrie“ zuständig.
Europäischer Rat und Ministerrat
Die Kommission plant zwar, doch muss sie natürlich das tun, was die Mitgliedstaaten wollen. Die Richtlinien der europäischen Politik bestimmen daher die Staats- und Regierungschefs auf ihren Ratssitzungen (Europäischer Rat). Da sie sich bei ihren kurzen Treffen nicht um alle Details kümmern können, treffen sich auch die Minister regelmäßig zu Tagungen des Ministerrats, offiziell heißt er „Rat der Europäischen Union“. Außenpolitische Entscheidungen werden beispielsweise beim Rat der Außenminister festgelegt; wirtschaftspolitische Entscheidungen fällen die Finanz- und Wirtschaftsminister beim ECOFIN-Rat.
Europäisches Parlament
Für die Kontrolle ist – wie in den Mitgliedstaaten auch – das Parlament zuständig. Es hat bei der Ernennung der Kommissare mitzureden und bei der Verabschiedung von rund ¾ aller EU-Gesetze. Schließlich entscheidet es über den Haushalt der EU, kann also festlegen, welche Institutionen wie viel Geld bekommen. Wie in der nationalen Politik gibt es verschiedene Fraktionen nach Parteizugehörigkeit; bei einigen Entscheidungen stimmen die Abgeordneten aber auch nach nationalem Interesse ab.
Diese drei Machtzentren bewegen also die Europäische Politik – neben einer Vielzahl weiterer Institutionen, die alle ihre Rolle im politischen Prozess haben. Durch die notwendige Abstimmung mit diesen Institutionen und vor allem mit den nationalen Regierungen wird die europäische Politik bisweilen schwer steuerbar.
Quelle: http://www.lehrer-online.de/url/eu-geschichte / Autoren: Wolfgang Bauchhenß und Michael Bornkessel