Soziale Ungleichheit: Kinderarmut
Mehr als jedes fünfte Kind wächst in Deutschland in Armut auf. Vielfach können die Kinder nicht am gesellschaftlichen Leben teilhaben, ein selbstbestimmtes Leben außerhalb der Armut bleibt ihnen meist verwehrt. Wie hat sich die Kinderarmut in den letzten Jahren in Deutschland entwickelt? Welche wesentlichen Arten von Armut lassen sich unterscheiden? Welche Maßnahmen zur Bekämpfung der Kinderarmut zeigen Wirkung?
Aufgaben:
- Erschließen Sie anlässlich der ansteigenden Kinderarmut in Deutschland in Einzelarbeit die wesentlichen Arten von Armut (M1-M3).
- Stellen Sie Ihre Ergebnisse im Plenum vor und bewerten Sie gemeinsam die wesentlichen Arten von Armut.
Definition von Armut
Was ist eigentlich Armut? Welche Arten von Armut gibt es? Im Wesentlichen unterscheidet man drei Arten der Armut:
Absolute Armut
Absolute oder extreme Armut bezeichnet nach Auskunft der Weltbank eine Armut, die durch ein Einkommen von etwa einem Dollar (neuerdings 1,9 US$) pro Tag gekennzeichnet ist. Auf der Welt gibt es 1,2 Milliarden Menschen, die in diese Kategorie fallen.
Absolute Armut ist ein Leben am äußersten Rand der Existenz. Sie ist gekennzeichnet durch eine unzureichende Mittelausstattung, um lebenswichtige Grundbedürfnisse zufrieden stellen zu können. Absolut arme Menschen leiden unter schwerwiegenden Entbehrungen und müssen permanent um ihr Überleben kämpfen. Absolute Armut ist für die meisten der in Deutschland lebenden Menschen kaum nachvollziehbar. Der gebräuchlichste Indikator für die Bestimmung absoluter Armut ist die Verfügbarkeit von einem Dollar und weniger pro Tag für die Befriedigung der Lebensbedürfnisse. (Neuerdings setzt die Weltbank diese Grenze bei 1,90 US$ an.) Die meisten der 1,2 Milliarden Menschen, die in diese Kategorie fallen, haben sogar deutlich weniger als einen Dollar zu Verfügung. Sie besitzen oft praktisch überhaupt kein Bargeld und versuchen ausschließlich vom Ertrag ihres Grund und Bodens zu leben. Neben der 1-Dollar-Grenze spricht die Weltbank auch noch von der 2-Dollar-Grenze (Auch als moderate poverty bezeichnet). Sie gilt als Indikator für die typische Armut in Ländern mit mittlerem Einkommen. Das verfügbare Geld muss freilich auch in Beziehung gesetzt werden zu den Lebenshaltungskosten, die für den städtischen Bereich durchschnittlich um 30% höher liegen als im ländlichen Bereich.
Quelle und weitere Informationen: http://www.armut.de/definition-von-armut.php
Relative Armut
Von relativer Armut spricht man in Wohlstandsgesellschaften, in denen es absolute Armut praktisch kaum gibt, wohl aber eine arme „Unterschicht“ (neuerdings auch Prekariat genannt). Als relativ arm gilt hier derjenige, dessen Einkommen weniger als die Hälfte des Durchschnittseinkommens beträgt.
Unter relativer Armut versteht man eine Unterversorgung an materiellen und immateriellen Gütern und eine Beschränkung der Lebenschancen, und zwar im Vergleich zum Wohlstand der jeweiligen Gesellschaft. Wer relativ arm ist, hat deutlich weniger als die meisten anderen. Sein Einkommen reicht in vielen Fällen nicht aus, um ein annehmbares Leben zu führen. Im Gegensatz zum Begriff der absoluten Armut, der auf Subsistenz verweist, also auf das, was zum Leben unbedingt notwendig ist, basiert der international anerkannte Begriff relativer Armut auf der Vorstellung sozialer Ungleichheit. So gilt zum Beispiel in Deutschland als relativ arm, wer maximal 50% des Medianeinkommens einer Bevölkerungsgruppe zur Verfügung hat. Es wird auch unterschieden zwischen einem „Armutsrisiko“ (auch „milde Armut“ genannt), das bei 60% des Medianeinkommens angesetzt wird, der eigentlichen Armutsgrenze, die wie gesagt mit 50% definiert wird, und einer „strengen Armut“, die bei 40% des Medianeinkommens angesetzt wird. Nach den Kriterien der Europäischen Union ist derjenige arm, der 60% oder weniger des Medianeinkommens zur Verfügung hat.
Die relative Armut muss in ihrer Bedeutung allerdings „relativiert“ werden, weil das finanzielle Einkommen nur ein Indikator unter anderen ist und im Zusammenhang mit anderen Gegebenheiten gesehen werden muss. Im 2. Armutsbericht der Bundesregierung von 2005 heißt es darum zu Recht: „Schließlich greift eine indirekte Bestimmung der Armut wie etwa in Form der Einkommensarmut zu kurz, wenn andere Faktoren (z.B. Vermögen, Schulden, Gesundheit, Bildung, Arbeitslosigkeit) bei gleichem Einkommen einen jeweils unterschiedlichen Stellenwert besitzen.“ Vor allem geht es bei der Beurteilung der relativen Armut um den tatsächlichen Lebensstandard bzw. um die tatsächliche Befriedigung der Grundbedürfnisse. Weil die so genannte „Einkommensarmut“ den gesellschaftlichen Status nicht genügend wiedergibt, versucht man mit dem „Lebenslagenkonzept“ eine weitere Beschreibung. Dieses Konzept interpretiert Armut als Unterversorgung in verschiedenen Bereichen, zum Beispiel in den Bereichen Wohnen, Bildung, Gesundheit, Arbeit, Einkommen und Versorgung mit technischer und sozialer Infrastruktur. Ähnlich beschreibt eine Studie der Arbeiterwohlfahrt (AWO) verschiedene „Armutsdimensionen“: Dazu gehören materielle Armut, Bildungsbenachteiligung, kulturelle Armut, soziale Armut, fehlende Werte, emotionale Armut, Vernachlässigung, falsche Versorgung und ausländerspezifische Benachteiligung. Eins ist fast allen Versuchen, das Problem „Armut“ zu beschreiben, gemeinsam: Es geht um die ungleiche Verteilung von Chancen, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.
Quelle und weitere Informationen: http://www.armut.de/definition-von-armut.php
Gefühlte Armut
Gefühlte oder auch sozio-kulturelle Armut lässt sich weniger an konkreten Einkommensgrenzen festmachen. Es ist mehr das Bewusstsein, das diese Art der Armut konstituiert. Sie betrifft diejenigen, die sich aufgrund ihrer allgemeinen gesellschaftlichen Ausgrenzung oder Diskriminierung als „arm“ betrachten oder Angst vor einer sich verschlechternden wirtschaftlichen Lage haben bzw. in ständiger Angst vor Armut leben.
Die gefühlte oder sozio-kulturelle Armut entspringt einem subjektiven Gefühl und Bewusstsein der Betroffenheit und lässt sich nicht an Einkommensgrenzen festmachen. Sie stellt sich oft ein, wenn Menschen sich aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation gesellschaftlich ausgegrenzt oder diskriminiert fühlen, wenn sie das Gefühl haben, nicht integraler Bestandteil der Gesellschaft zu sein, in der sie leben. Haben Menschen einen bescheidenen und einfachen Lebensstil selbst gewählt, so verstehen sie sich in der Regel nicht als arm. Haben sie jedoch das Gefühl, Objekt und Opfer von Umständen oder Entwicklungen zu sein, die sie nicht kontrollieren können und weswegen sie unfreiwillig materielle und seelische Not leiden, so begreifen sie sich oft als arm, selbst wenn sie nach objektiven Maßstäben nicht zu den Armen zu rechnen wären. So prägt sie vor allem eine Perspektivlosigkeit und die Abwesenheit von der Hoffnung und Zuversicht, dass man sich durch eigener Hände Arbeit selbst aus der Notlage wird befreien können. Dabei ist gefühlte Armut in entwickelten Ländern viel öfter vorzufinden, als in den Ländern, wo Mangel an Mitteln, die man für den Alltag braucht, bei jedem Schritt und Tritt spürt. Als von Armut betroffen oder bedroht fühlen sich gerade in Deutschland Menschen, die entweder durch Schicksalsschläge schwere Einkommenseinbußen und eine Rückstufung ihres Lebensstandards hinnehmen mussten, oder die eine Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Situation befürchten. Es ist weniger das konkrete Einkommen, das diese Art der Armut auszeichnet, als vielmehr das subjektive Bewusstsein und die empfundene Ohnmacht. An dieser Stelle muss auch zugestanden werden, dass der Begriff „gefühlte Armut“ auch kritisiert worden ist als der Versuch sich einzureden, arm und benachteiligt zu sein, obwohl es einem objektiv gut geht. „Der Ausdruck ‚gefühlte Armut’ ist ein weiterer Indikator für das hohe Niveau, auf dem wir es uns zum Jammern bequem gemacht haben. Ach Gott, was gehts mir schlecht, der Nachbar hat ein neues Auto“, sagt Dietmar Hefendehl auf der Seite „wissen.de“ in seiner Begründung, den Begriff „gefühlte Armut“ als Wort des Monats gewählt zu haben. Insofern ist vorzuziehen, eher von sozio-kultureller Armut zu sprechen, der man durchaus eine gewisse Objektivität zuordnen kann, selbst dann, wenn die Betroffenen sich nicht als „arm“ fühlen, ein Phänomen, das man vor allem bei Kindern feststellen kann, die sich oft erst dann als arm begreifen, wenn sie sich gegenüber anderen benachteiligt wissen.
Quelle und weitere Informationen: http://www.armut.de/definition-von-armut.php
Aufgaben:
- Erarbeiten Sie in Gruppen mit Hilfe von Fallbeispielen (M7-M11) wesentliche Merkmale der Kinderarmut in Deutschland.
- Erschließen Sie aus den Beispielen Lösungsmöglichkeiten und recherchieren Sie im Internet weitere mögliche Maßnahmen gegen die Kinderarmut.
- Präsentieren Sie die Ergebnisse unter Einsatz passender Medien der Klasse.
„Ich will eine Achterbahn, die bis zum Himmel geht“
Sie sorgen sich, verdrängen und hoffen: In Deutschland leben drei Millionen Kinder in Armut. sueddeutsche.de hat in München fünf von ihnen getroffen und nach ihren Wünschen gefragt.
Lisa Sonnabend
Robbie, Kostas, Katharina, Martin und Alex leben in München. Die Kinder wollen unbedingt einmal auf den Olympiaturm, würden gerne ein Zimmer für sich alleine haben oder ins Kino gehen. Doch nur wenige ihrer Wünsche gehen in Erfüllung – denn ihre Eltern sind arm.
Robbie, 8 Jahre, aus Moosach:
In den Sommerferien will ich unbedingt zum Olympiapark fahren. Ich war da schon einmal. Da sind wir mit dem Aufzug den Olympiaturm hochgefahren, das ging ganz schön schnell und man hatte eine tolle Aussicht. Das will ich wieder machen – und danach würde ich mir gerne noch das Fußballstadion anschauen. Ich hoffe, es klappt und jemand fährt mit mir hin. In den Ferien helfe ich auch mit bei Leuten, die ein Haus bauen. Ich muss da messen, ob die Steine gleich groß sind. In Urlaub fahre ich nicht. Einmal war ich mit meinem Papa schon am Meer. Aber das ist schon lange her. Mein Papa wohnt seit drei Jahren nicht mehr bei uns und ich sehe ihn nur noch ganz selten. Schlimm finde ich es aber eigentlich nicht, dass ich in den Ferien nicht wegfahre. In München gefällt es mir sowieso am besten, weil hier die Arche ist. Da darf ich die größten Türme bauen. Ich bin jeden Tag in der Arche. Manchmal kochen wir sogar zusammen. Davor muss ich aber immer zuerst zur Nachhilfe, weil ich in der Schule nicht so gut bin. Ich gehe in die erste Klasse. Ich kann schon fast alle Buchstaben und auch lesen. Mein Lieblingsfach ist die Pause. Ich hab in der Schule immer ein paar Spielzeugautos dabei und die nehme ich dann mit raus und spiele mit meinen Freunden damit. Autos find ich toll. Wenn ich mal groß bin, möchte ich einen Ferrari haben. Bei dem kann ich dann das Dach abmachen und mich sonnen, während ich ganz schnell fahre. Von Beruf will ich Polizist werden. Wenn ich einen Dieb beim Stehlen erwische, nehme ich ihn mit ins Gefängnis. Kinder will ich, glaube ich, nicht. Mein Bruder hat ein Baby bekommen, das ist mein Neffe. Er ist ganz süß und ich durfte ihn schon mal auf meinem Schoß halten. Aber mir wäre das zu anstrengend. Ich wohne mit meiner Mama und meinen Geschwistern in dem Hochhaus gleich neben der Arche in Moosach. Vor kurzem hab ich das Schlafzimmer von meiner Mama bekommen, die schläft jetzt im Wohnzimmer. Das ist gut, weil davor hab ich mit meiner Schwester in einem Bett geschlafen. Das war ganz schön eng und ich konnte oft nicht gut schlafen. Meine Schwester hat mich manchmal in der Nacht aus dem Bett geworfen, ich sie aber auch mal. Vor dem Einschlafen schaue ich oft Fernsehen. Der steht nämlich in dem Zimmer, wo ich jetzt schlafe. Am liebsten mag ich Sponge Bob – das ist total witzig und ich kann ihn inzwischen schon ganz gut nachmachen. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich mir eine Achterbahn wünschen, die bis in den Himmel geht. Dann würde ich ganz weit hinauffahren. Ich würde mir die Wolken ansehen und sie berühren. Auf dem Rückweg würde ich eine Wolke mit zu mir nach Hause nehmen. Und dann würde ich versuchen, mich auf die Wolke zu setzen und hinauf in den Himmel zu fliegen. Obwohl ich befürchte, dass ich runterfallen werde.
„Ich will eine Achterbahn, die bis zum Himmel geht“
Sie sorgen sich, verdrängen und hoffen: In Deutschland leben drei Millionen Kinder in Armut. sueddeutsche.de hat in München fünf von ihnen getroffen und nach ihren Wünschen gefragt.
Lisa Sonnabend
Robbie, Kostas, Katharina, Martin und Alex leben in München. Die Kinder wollen unbedingt einmal auf den Olympiaturm, würden gerne ein Zimmer für sich alleine haben oder ins Kino gehen. Doch nur wenige ihrer Wünsche gehen in Erfüllung – denn ihre Eltern sind arm.
Nikos, 12 Jahre, aus Neuperlach: „In der Mitte vom Bett haben wir eine Art Wand gebaut“
Ich bin 12 Jahre alt. In Griechenland bin ich allerdings schon 13 Jahre, dort zählen die Leute anders. Geboren bin ich in Athen. Als ich vier Jahre alt war, sind wir nach München gezogen. Warum weiß ich gar nicht. Wahrscheinlich wollten meine Eltern hierher, weil einige Verwandte von ihnen in München wohnen. Ich wäre eigentlich lieber in Griechenland geblieben. Dort sind ganz viele von meinen Freunden. Außerdem ist es toll, wenn mich jemand in Griechenland nervt, dann kann ich mit meinen Geschwistern über ihn auf Deutsch schimpfen und er versteht nicht, was ich sage. Im August fliege ich mit meinen Geschwistern wieder nach Griechenland. Ich freue mich schon sehr. Das hat „ghettokids“ bezahlt, meine Familie hätte gar nicht so viel Geld. Dann esse ich immer Sardellen, ich schlucke auch die Haut und die Gräten mit runter. Den Kindern dort bringe ich manchmal Deutsch bei. Das ist toll, weil dann bekomme ich ein bisschen Taschengeld. Und ich kann wieder ganz oft Schwimmen gehen. In meiner Familie kann keiner so schnell schwimmen wie ich. Ich setze mir dann eine Brille auf und suche unter Wasser nach Muscheln. Manchmal ziehe ich ein paar schwarze Muscheln aus dem Meer. Einmal habe ich mindestens 30 Stück gefunden. Aus denen kommt Schleim raus und die kann man sogar essen. Das Meer mag ich viel lieber als das Michaelibad bei mir daheim. Da muss man keinen Eintritt zahlen. Ins Schwimmbad in München darf ich nicht so oft, weil es so teuer ist. Man kann im Meer auch viel weiter raus schwimmen, man fühlt sich viel freier. Ich habe fünf Geschwister – drei Brüder und zwei Schwestern. Die älteste ist schon 17, die jüngste erst vier Jahre alt. Wir wohnen alle in einer Wohnung in Neuperlach. Weil wir nicht so viel Geld haben, gibt es in unserer Wohnung fast keine Möbel. Eigentlich nur Tisch, Stühle und Betten. Ich teile mir mein Zimmer mit meinem Zwillingsbruder. Wir schlafen gemeinsam in einem Bett. Manchmal streiten wir dann. Deswegen haben wir zwischen uns in der Mitte vom Bett eine Art Wand gebaut. Ich würde wahnsinnig gerne ein Einzelzimmer haben. Und am besten einen Fernseher und DVD-Player nur für mich. Wenn ich ganz viel Geld hätte, würde ich für meine Familie ein Haus mit Keller und Garten kaufen, in dem jeder ein Zimmer für sich allein hat. In meinem Zimmer würde ich dann ganz viele Poster aufhängen. Von Bushido und 50 Cent. Dass wir nicht so viel Geld haben, ist schon oft schlimm. Mein Vater arbeitet in einer Fabrik. Von dort aus kann man die Allianz Arena sehen, das ist schön. Aber das Geld, das er verdient, reicht nicht für uns alle. Beim Wandertag in der Schule hätte ich beinahe nicht mitmachen können. Doch dann hat mir Frau Korbmacher von „ghettokids“ ein bisschen Geld gegeben und jetzt kann ich doch mit. Manchmal haben wir am Ende vom Monat auch nicht mehr viel zu essen übrig, dann hab ich oft Hunger. Das ist schlimm. Vor allem wenn ich Breakdance übe. Da muss man konzentriert sein und gut aufpassen, dass einem nichts passiert. Hunger lenkt da ganz schön ab.
„Ich will eine Achterbahn, die bis zum Himmel geht“
Sie sorgen sich, verdrängen und hoffen: In Deutschland leben drei Millionen Kinder in Armut. sueddeutsche.de hat in München fünf von ihnen getroffen und nach ihren Wünschen gefragt.
Lisa Sonnabend
Robbie, Kostas, Katharina, Martin und Alex leben in München. Die Kinder wollen unbedingt einmal auf den Olympiaturm, würden gerne ein Zimmer für sich alleine haben oder ins Kino gehen. Doch nur wenige ihrer Wünsche gehen in Erfüllung – denn ihre Eltern sind arm.
Katharina, 13 Jahre, aus Milbertshofen: „Meine Eltern haben gesagt, wir können nicht fahren“
Meine Mama arbeitet als Friseurin. Das ist toll, weil so hab ich immer eine gute Frisur. Erst neulich hat sie mir wieder die Haare geschnitten. Ich darf mir dann immer wünschen, was für eine Frisur ich haben mag. So wie meine Haare jetzt aussehen, so stufig, gefällt es mir ziemlich gut. Manchmal schaue ich bei meiner Mama auch einfach nur so im Friseursalon vorbei. Es gefällt mir dort, da ist immer was los. Wenn ich älter bin, möchte ich auch Friseurin werden. Doch dafür muss ich erst mal die Schule schaffen.
Früher war ich ganz schön schlecht in der Schule. Ich bin in der 6. Klasse einer Förderschule, obwohl ich schon 13 Jahre alt bin. Die erste und die vierte Klasse musste ich an einer normalen Schule wiederholen, weil ich am Anfang nicht so gut Deutsch konnte und dann beim Lesen und Schreiben ziemliche Probleme hatte. Ich komme aus Griechenland. Inzwischen ist es aber schon besser geworden. Gestern hatte ich in einem Diktat null Fehler, vor ein paar Monaten waren es immer mindestens 15. Ich wohne mit meiner Mama, meinem Papa und meinen zwei Brüdern in Milbertshofen. Mein Papa ist oft nicht da, weil er Autos nach Italien bringen muss. Ich weiß nicht, wie man den Beruf nennt. Wenn die anderen keine Zeit haben, passe ich manchmal auf meinen kleinen Bruder auf. Der ist erst acht Jahre alt.
Milbertshofen gefällt mir total gut. Ich will nie woanders hinziehen. Nach der Schule mache ich erst meine Hausaufgaben und dann treffe ich mich mit meinen Freundinnen. Wenn es nicht regnet, gehen wir draußen auf der Straße spazieren. In Cafés oder ins Kino können wir meistens nicht gehen, weil wir alle nicht so viel Geld haben. Sonst schaue ich oft fern – am liebsten griechische Serien. Und die Serie „Verliebt in Berlin“ hab ich gern gemocht, wo die Frau erst ziemlich hässlich ist und sich dann in ein ganz hübsches Mädchen verwandelt. Wenn ich viel Geld hätte, würde ich mir ganz viel Schminkzeug kaufen und Klamotten. Manchmal ist es schon ganz schön schade, dass wir nicht so reich sind wie andere. Zum Geburtstag hab ich mir die Konsole Wii gewünscht, aber leider nicht bekommen. Ein Schlagzeug hätte ich auch gerne. Aber meine Mama hat das nicht erlaubt, weil Schlagzeug was für Jungs ist. Sie hat auch gesagt, das es zu laut für unsere Wohnung ist. Sie hatte Angst, dass sich die Nachbarn beschweren. Das kann ich auch verstehen. Dafür hab ich ein Keyboard von „ghettokids“ geschenkt bekommen. Das macht auch Spaß. Ich kann schon zwei Lieder spielen. Leider habe ich keinen Unterricht und ich muss mir alles selber beibringen. Dadurch lerne ich viel langsamer.
In den Sommerferien fahre ich oft nach Griechenland. Dieses Jahr haben meine Eltern gesagt, wir können nicht fahren, weil wir nicht genug Geld haben. Aber jetzt haben wir noch einen billigen Flug gefunden und es klappt zum Glück doch noch. Es ist total schön dort. Es ist viel wärmer als in Deutschland, die Sonne scheint ständig und es gibt das Meer. Ich bin aber froh, dass wir in München leben. Hier kenne ich viel mehr Leute und es ist später einfacher, eine Arbeit zu finden.
„Ich will eine Achterbahn, die bis zum Himmel geht“
Sie sorgen sich, verdrängen und hoffen: In Deutschland leben drei Millionen Kinder in Armut. sueddeutsche.de hat in München fünf von ihnen getroffen und nach ihren Wünschen gefragt.
Lisa Sonnabend
Robbie, Kostas, Katharina, Martin und Alex leben in München. Die Kinder wollen unbedingt einmal auf den Olympiaturm, würden gerne ein Zimmer für sich alleine haben oder ins Kino gehen. Doch nur wenige ihrer Wünsche gehen in Erfüllung – denn ihre Eltern sind arm.
Martin, 9 Jahre, aus Moosach: „Wahrscheinlich schaffe ich es in die Realschule“
Wenn ich mir etwas wünschen könnte, würde ich mir ein Haus mit Garten und Fußballplatz wünschen. Dann würde ich immer alle meine Freunde einladen zum Spielen. Zur Zeit spielen wir immer auf einem Spielplatz. Ich bin meist im Mittelfeld oder Torwart. Im Tor bin ich richtig gut. Wenn ich groß bin, will ich vielleicht Fußballer werden. Mein Vorbild ist Cristiano Ronaldo. Geheimagent fände ich aber auch einen guten Beruf. Ich gehe in die dritte Klasse. In der Schule bin ich ganz gut. Wahrscheinlich schaffe ich es in die Realschule, das hat mein Lehrer neulich zu mir gesagt. Der Musikunterricht ist bei uns immer besonders schön, unser Lehrer ist ziemlich lustig. Ich freue mich immer, wenn wir „Frösche in der Nacht“ singen. Da machen alle ganz komische Grimassen beim Singen und geben merkwürdige Geräusche von sich. In den Sommerferien fahre ich wieder mit meiner Familie auf einen Bauernhof. Der ist eineinhalb Stunden von München weg. Da waren wir schon öfter. Es gibt Kühe, Schweine und kleine Kühe. Die streichel ich dann immer. Einmal war ich sogar bei einer Geburt dabei. Da kam plötzlich das Kälbchen raus mit ganz viel Schleim und Blut dran, fürchterlich. Dann wurde es gleich in einen kleinen Stall gebracht und hat sich neugierig umgeschaut. Wir gehen im Urlaub auch oft schwimmen. Da gibt es ein großes Bad. Dafür hab ich einen Ferienpass. Die Rutsche dort ist ganz schön lang. Da können drei Kinder nebeneinander rutschen. Es ruckelt einen hin und her und plötzlich landet man im Wasser. Mein Lieblingsessen ist Pizza Salami und weißes Eis mit Nüssen. Vielleicht gibt es das ja mal im Urlaub. Und meinen Gameboy nehme ich auch mit auf den Bauernhof. Zur Zeit spiele ich immer Pokemon. Ich hab es schon bis zu Level 40 geschafft. Den Gameboy habe ich zu Weihnachten bekommen. Geburtstag hab‘ ich am 25. März. Das ist ein bisschen blöd, weil meine Schwester am 22. März Geburtstag hat und dann denkt in meiner Familie an meinen keiner mehr so richtig. Aber ich habe dann doch noch ein paar kleine Sachen geschenkt bekommen. Das Wichtigste ist für mich nicht Geld, sondern dass meine Familie immer gesund ist und dass wir immer genug zu essen haben.
„Ich will eine Achterbahn, die bis zum Himmel geht“
Sie sorgen sich, verdrängen und hoffen: In Deutschland leben drei Millionen Kinder in Armut. sueddeutsche.de hat in München fünf von ihnen getroffen und nach ihren Wünschen gefragt.
Lisa Sonnabend
Robbie, Kostas, Katharina, Martin und Alex leben in München. Die Kinder wollen unbedingt einmal auf den Olympiaturm, würden gerne ein Zimmer für sich alleine haben oder ins Kino gehen. Doch nur wenige ihrer Wünsche gehen in Erfüllung – denn ihre Eltern sind arm.
Erkal, 13 Jahre, aus Hasenbergl: „Ohne meine Band bin ich nichts“
Mir ist im Leben wichtig, dass ich Freunde habe, die mich nicht betrügen. Und das habe ich. In unserer Band zum Beispiel verstehen wir uns alle super, sonst wären wir auch längst nicht so gut. Wir haben schon viele Auftritte gehabt, die werden von „ghettokids“ für uns organisiert. Ende Juli spielen wir sogar bei einem Empfang vor dem bayerischen Ministerpräsidenten. Wir üben jeden Samstag im Salon von „ghettokids“. Manche Lieder schreiben wir selber, andere spielen wir nach. Wir machen vor allem Arabesk-Musik. So der Hip-Hop-Typ bin ich nicht. In der Band trommle und singe ich. Daheim in unserer Wohnung übe ich dann noch manchmal singen. Ich halte mir dann die Ohren zu, dann höre ich mich singen und merke, ob ich die Töne richtig treffe. Ohne meine Band bin ich aber nichts, alleine singe ich nur zur Übung. Ich gehe in die fünfte Klasse. Natürlich ist mein Lieblingsfach Musik. In Mathe und Englisch bin ich auch ziemlich gut, das macht mir auch Spaß. Später will ich Sänger werden, obwohl das sicher ziemlich schwierig wird. Fliesenleger fände ich aber auch keinen schlechten Beruf. Mein Vater arbeitet als Stapelfahrer in einer Brauerei, meine Mutter ist Putzfrau. Bei uns in der Wohnung leben noch meine vier Geschwister. Meine Brüder sind schon 22 und 23 Jahre alt, aber wir verstehen uns ziemlich gut. Der eine heiratet in diesem Jahr. Das wird ein großes Fest. Natürlich müssen wir da jetzt ganz schön sparen. Manchmal fände ich es schon toll, wenn wir mehr Geld hätten, damit ich mir ein bisschen mehr zum Geburtstag wünschen oder mir neue Kleidung oder eine CD kaufen könnte. Neulich hatte ein Freund von mir Geburtstag, der auch im Hasenbergl wohnt und auch arm ist. Er hätte gar nicht feiern können. Doch dann hat uns „ghettokids“ Geld gegeben und wir konnten ins Kino gehen und uns noch was zu essen und trinken kaufen.
Mein Traum ist es, einmal Xavier Naidoo zu treffen und mit ihm zu singen. Toll wäre, vielleicht sogar eine Aufnahme mit ihm zu machen. Xavier Naidoo hat eine echt gute Stimme und er singt mit Herz. Er ist mein Vorbild. Ohne Singen könnte ich nicht leben.


