Interferenz: Wellen auf endlichen Wellenträgern I

Überlagerung von fortschreitender und reflektierter Welle auf einem endlichen Wellenträger

Im letzen Kapitel haben wir festgestellt, dass fortschreitende Wellen reflektiert werden, wenn die Oszillatorkette (z.B. an einer Wand) endet. Eine solche, räumlich begrenzte Oszillatorkette, bezeichnet man auch als „Endlichen Wellenträger“. Da die fortschreitende Welle nach der Reflektion in die entgegengesetzte Richtung läuft, entsteht – wegen der gegenläufigen Überlagerung – eine stehende Welle, allerdings nur unter bestimmten Umständen. Wie wir sehen werden, können sich für einen Wellenträger der Länge ℓ nämlich nur stehende Wellen mit ganz bestimmten Frequenzen, den sogenannten Eigenfrequenzen ausbilden. Dabei muss auch die Art der Reflexion an den Enden berücksichtigt werden. Was bei der Reflexion einer Welle geschieht und warum nur bei ganz bestimmen Frequenzen stehende Wellen gebildet werden, soll im Folgenden untersucht werden.

Reflexion eines Wellenbergs am Ende eines Wellenträgers

Die Animation unten zeigt die Reflexion eines Wellenberges einer Seilwelle an einem festen Ende.

Am festen Ende des Wellenträgers findet ein Phasensprung von 180° (π im Bogenmaß) statt, aus dem Wellenberg ist nach der Reflexion ein Wellental geworden. Der Grund hierfür liegt darin, dass das (rote) Teilchen am Ende fest ist und sich so die Teilchenschnellen des Wellenberges im Augenblick der Reflexion umkehren (die Schnellenvektoren werden um 180° gedreht). Die roten Schnellenpfeile an der Front des Wellenberges sind nach der Reflexion nach unten gerichtet und gehören zur Front des reflektierten Wellentals.

Das Ende des Seils muss jedoch nicht festgehalten werden. Ist es lose, spricht man von einem offenen (losen) Ende des Wellenträgers. Wie man unten sieht, ist es dem losen (roten) Teilchen nicht möglich, die Schnellen des Wellenberges umzudrehen, es kommt beim losen Ende nicht zu einem Phasensprung und der Wellenberg bleibt nach der Reflexion ein Wellenberg.

Periodische Anregung eines Wellenträgers und Entstehung der Eigenschwingungen

In der Simulation unten erzeugt ein Erreger eine sinusförmige Störung, die sich zunächst nach rechts ausbreitet, am Ende reflektiert wird und dadurch wieder zurück läuft.

Kurz nach der Reflektion der Welle am rechten Ende bildet sich (aus den genannten Gründen) eine stehende Welle aus, die jedoch schnell wieder verschwindet. Der Grund für das Verschwinden liegt darin, dass der Erreger weiter schwingt und so permanent eine nach rechts laufende Welle erzeugt, die hier die kurzzeitig entstandene, stehende Welle zerstört, indem sie sie destruktiv überlagert.

Verändert man nun kontinuierlich die Erregerfrequenz f (oder die Länge des Wellenträgers ℓ), beobachtet man aber, dass die Überlagerung der hin- und rücklaufenden Welle auch konstruktiv sein kann. Erreger und Wellenträger sind dann in Resonanz und führen sogenannte „Eigenschwingungen” aus. Erregerfrequenz f und Wellenträgerlänge ℓ müssen dabei (in Abhängigkeit der Art der Enden) in einem bestimmten Verhältnis stehen. Bevor wir auf die genauen Zusammenhänge eingehen, wird hier eine Simulation gezeigt, bei der die Erregerfrequenz f zu Seillänge ℓ passt und deshalb eine solche Eigenschwingung erzeugt.

In der obigen Simulation bilden sich auf dem Wellenträger vier Schwingungsbäuche und fünf Schwingungsknoten aus (auch der Erreger befindet sich am Ort eines Schwingungsknotens, obwohl er eine kleine Amplitude besitzt). Damit genau dieses Schwingungsbild entsteht, muss der Erreger, wie schon erwähnt, in einer ganz bestimmten Frequenz f schwingen, die man „Eigenfrequenz” nennt.

Grundschwingung und Oberschwingungen I

Halbiert man in der zuletzt gezeigten Simulation die Erregerfrequenz f, verdoppelt sich die Wellenlänge λ und im Wellenbild werden jeweils zwei Bäuche durch einen ersetzt (aus vier Bäuchen werden zwei).

Damit ist im obigen Beispiel auch die halbierte Erregerfrequenz eine Eigenfrequenz des Wellenträgers, sie gehört aber zu einer anderen Eigenschwingung.

Für jeden Wellenträger lässt sich eine kleinste Erregerfrequenz f finden, die die sogenannte „Grundschwingung” erzeugt. Höhere Eigenschwingungen werden als „Oberschwingungen” bezeichnet und bekommen eine Ordnung zugewiesen. Die Grundschwingung entsteht im obigen Beispiel, wenn die Erregerfrequenz nochmals halbiert wird, sich die Wellenlänge dadurch nochmals verdoppelt und wiederum an die Stelle von zwei Schwingungsbäuchen einer tritt. Das nächste Bild zeigt die Grundschwingung nach dem Einschwingvorgang.

Nach dem Ende des Einschwingvorgangs hängt die Amplitude des Schwingungsbauchs davon ab, wie viel Energie pro Zeiteinheit vom Erreger in den Wellenträger gelangt und wie viel Schwingungsenergie vom Wellenträger währenddessen (z.B. durch Reibung) an die Umgebung abgegeben wird. Nach dem Einschwingvorgang sind Energiezufuhr vom Erreger und Energieabgabe an die Umgebung gleich groß. In dem Fall, in dem keine Resonanz vorliegt und es nicht zu einem Aufschwingen des Systems kommt, emittiert der Erreger nicht nur Energie an den Wellenträger, sondern er nimmt auch wieder Energie vom Wellenträger auf.

Grundschwingung und Oberschwingungen II

Die Animation unten zeigt die Grundschwingung und die Oberschwingungen bis zur 5. Ordnung, wenn beide Enden des Wellenträgers fest sind.

Bei der Grundschwingung passt eine halbe Wellenlänge λ in die Wellenträgerlänge ℓ: ℓ = λ/2. Bei der ersten Oberschwingung ist ℓ = λ, bei der zweiten Oberschwingung ist ℓ = 3/2·λ. Ausgehend von der Grundschwingung enthält das Wellenbild also immer einen Schwingungsbauch mehr, wenn man zur nächsten Eigenschwingung springt. Verwenden man den Buchstaben k für die Ordnung der Schwingung (mit k = 0 für die Grund-schwingung), kann man folgende allgemeingültige Gleichung für zwei feste Enden aufstellen:

ℓ = (k+1) · λ/2    mit k = 0; 1; 2;…

Mit c = f·λ lässt sich auch eine Gleichung für die Eigenfrequenzen des Wellenträgers herleiten. λ = (2·ℓ)/(k+1) bzw. 1/λ = (k+1)/(2·ℓ) eingesetzt in f = c/λ:

f = (k+1) · c/(2·ℓ)   mit k = 0; 1; 2;…

Damit ist die Frequenz der Grundschwingung f0 = c/(2·ℓ). Die Frequenz der ersten Oberschwingung beträgt f1 = c/(4·ℓ), also das Doppelte der Grundschwingung: f1 = 2·f0. Damit lassen sich die Frequenzen der Oberschwingungen mit Hilfe der Grundschwingungsfrequenz f0 berechnen:

f = (k+1) · f0   mit k = 0; 1; 2;…

Sind beide Enden der Wellenträger lose, ändert sich zwar das Wellenbild, die obigen Gleichungen für die Zusammenhänge zwischen Wellenträgerlänge ℓ, Wellenlänge λ und Eigenfrequenzen f bleiben jedoch gleich. Die Animation unten zeigt dies.

Grundschwingung und Oberschwingungen III

Neben den beiden Fällen, in denen beide Enden des Wellenträgers entweder fest oder lose sind, existiert noch eine dritte Möglichkeit, bei der ein Ende fest und das andere lose ist.

Bei der Grundschwingung passt ein Viertel der Wellenlänge λ in die Wellenträgerlänge ℓ: ℓ = λ/4. Bei der ersten Oberschwingung ist ℓ = 3/4·λ, bei der zweiten Oberschwingung ist ℓ = 5/4·λ. Ausgehend von der Grundschwingung enthält das Wellenbild also wieder (wie bei den beiden vorher besprochenen Fällen) einen Schwingungsbauch mehr, wenn man zur nächsten Eigenschwingung springt. Verwenden man den Buchstaben k für die Ordnung der Schwingung (mit k = 0 für die Grundschwingung), kann man folgende allgemeingültige Gleichung für ein festes und ein loses Ende aufstellen:

ℓ = (2·k+1) · λ/4   (= (k+½) · λ/2)   mit k = 0; 1; 2;…

Mit c = f·λ lässt sich auch eine Gleichung für die Eigenfrequenzen des Wellenträgers herleiten. λ = (4·ℓ)/(2·k+1) bzw. 1/λ = (2·k+1)/(4·ℓ) eingesetzt in f = c/λ:

f = (2·k+1) · c/(4·ℓ)   mit k = 0; 1; 2;…

Damit ist die Frequenz der Grundschwingung f0 = c/(4·ℓ). Die Frequenz der ersten Oberschwingung beträgt f1 = 3·(c/(4·ℓ)), also das Dreifache der Grundschwingung: f1 = 3·f0. Damit lassen sich die Frequenzen der Oberschwingungen mit Hilfe der Grundschwingungsfrequenz f0 berechnen:

f = (2·k+1) · f0   mit k = 0; 1; 2;…

Grundschwingung und Oberschwingungen IV

Versuch:

An einen Sinusgenerator wird ein Lautsprecher angeschlossen, der am offenen Ende einer einseitig geschlossenen Glasröhre angebracht wird. Die Frequenz am Sinusgenerator wird langsam von Null ausgehend erhöht.

Beobachtung:

Erst bei einer ganz bestimmten Frequenz ist ein deutlicher Anstieg der Lautstärke zu vernehmen. Dieser Intensitätsanstieg verschwindet jedoch wieder beim weiteren Erhöhen der Tonfrequenz. Erst beim Dreifachen der zuerst gefundenen Frequenz steigt die Intensität wieder deutlich an.

Erklärung:

Vor dem Erreichen der Grundfrequenz f0 überlagern sich die hin- und rücklaufenden Wellen destruktiv, erst bei fGenerator = f0 kommt es zur Resonanz. In der Simulation unten ist die zugehörige Teilchenbewegung modellhaft dargestellt. Hier wird auch noch einmal ersichtlich, warum am rechten Ende der Röhre ein Knoten der Teilchenbewegung sein muss. Der Röhrenboden rechts stellt für die Luftmoleküle ein Hindernis dar, das ihre Bewegung direkt am Röhrenboden unterbindet.

Die folgende Animation zeigt (nicht synchron zur Teilchenbewegung) das zugehörige Wellenbild für die Teilchengeschwindigkeiten (Teilchenschnellen).

Eine weitere Erhöhung der Generatorfrequenz (von f0 ausgehend) sorgt zunächst für das Verschwinden der Intensitätserhöhung. Erst bei fGenerator = 3·f0, also dem Erreichen der Eigenfrequenz f1 der ersten Oberschwingung sind der Erreger (Lautsprechermembran) und die Teilchen des Wellenträgers (Luftmoleküle in der Röhre) in Resonanz und die Lautstärke des Tons mit der Frequenz f1 ist deutlich höher als die der vorher eingestellten Töne. Unten sind wieder die Teilchenbewegungen und das Wellenbild der Teilchen-geschwindigkeiten dargestellt.

Alternativ zum Wellenbild der Teilchengeschwindigkeit könnte auch der Schalldruck dargestellt werden. Dann würden allerdings aus den Knoten Bäuche und umgekehrt. Teilchen in Bewegungsknoten bewegen sich zwar nicht, werden aber von ihren Nachbarteilchen links und rechts gestaucht oder entlastet, was zu einer Schwankung des Luftdrucks an dieser Stelle führt. In Bewegungsbäuchen hingegen bewegen sich die benachbarten Luftmoleküle mit und so entstehen keine Stauchungen und Dehnungen, also auch keine Druckunterschiede.

Genauere Untersuchung am Beispiel:

Die obige einseitig geschlossene Glasröhre besitzt eine Länge von 60 cm. Es soll ermittelt werden, bei welchen drei niedrigsten Frequenzen eine Intensitätserhöhung der Lautstärke zu beobachten ist (c = 333 m/s).

Lösung:

Die Eigenfrequenzen können mit der Gleichung f = (2·k+1)·c/(4·ℓ) berechnet werden. Die Grundfrequenz f0 ergibt sich für k = 0:   f0 = (2·0+1)·(333 m/s)/(4·0,60 m) = 138,75 Hz = 139 Hz

Frequenz der ersten Oberschwingung f1:   f1 = (2·1+1)·f0 = 3·138,75 Hz = 416 Hz

Frequenz der zweiten Oberschwingung f2:   f2 = (2·2+1)·f0 = 5·138,75 Hz = 694 Hz

Zusatzinformation:

Bei Orgelpfeifen hängt deren Grundton von deren Länge ab. Die Erregung der Orgelpfeifen erfolgt allerdings nicht mit einer ganz bestimmten Frequenz, sondern das sogenannte Labium verwirbelt anströmende Luft und erregt so die Luftmoleküle in der Röhre durch unregelmäßige Stöße, die ein ganzes Frequenzband beinhalten. In der Orgelröhre werden dann die Grundfrequenz und viele Oberschwingungen gleichzeitig angeregt. Dieses Gemisch aus Grundfrequenz und Oberschwingungen ist es aber gerade, was den besonderen Klang einer Orgelpfeife oder anderer Musikinstrumente ausmacht.