Das Selbstkonzept im Umgang mit Erfahrungen
Der dritte relevante Aspekt in Rogers Theorie, neben der Aktualisierungstendenz und dem Selbstkonzept, ist die Kongruenz bzw. Inkongruenz. Er meint damit die Deckungsgleichheit zwischen dem Selbst und seinen Erfahrungen.
Aufgaben:
- Überlegen Sie nun, welches kritisches Ereignis Ihre fiktiv erfundene Person treffen könnte (z.B. Misserfolg in der Schule/ Beruf, Partnersuche schlägt fehl, verlorener Wettkampf, etc….). Beschreiben Sie dieses anschaulich und stellen Sie dieses ebenfalls auf Ihren Kreativblatt dar.
- Erklären Sie mithilfe relevanter Annahmen der personenzentrierten Theorie nach Carl Rogers, wie Ihre entwickelte Persönlichkeit das Misserfolgserlebnis verarbeiten wird. (Hinweis: Achten Sie auf Ihr gewähltes Selbstkonzept!)
- Vergleichen Sie anschließend die unterschiedlichen Umgangsweisen der verschiedenen Persönlichkeiten aus Ihrem Kurs/ Ihrer Klasse.
Hinweis: Vergessen Sie nicht, die Einsendeaufgabe inhaltlich sukzessiv weiter zu ergänzen.)
Informationstext
Kongruenz und Inkongruenz
Eine Person ist dann kongruent, wenn ihr aktuelles Verhalten und Erleben mit dem bestehenden Selbstkonzept weitgehend übereinstimmen. Ist dies nicht der Fall, so spricht man von Inkongruenz.
Exemplifikation
Herr Reißer ist verärgert und wütend über seinen Vorgesetzten. Zeigt er seine Gefühle in angemessener Weise, so stimmt sein Verhalten mit seinem aktuellen Selbstkonzept ,,Meine Gefühle und Werthaltungen sind mir wichtig“ überein. So verhält er sich kongruent.
Hat er dagegen das Selbstkonzept ,,Ein guter Angestellter darf keine negativen Emotionen gegenüber den Vorgesetzten zeigen“, dann passen Ärger und Wut natürlich nicht in sein Selbstkonzept. Er unterdrückt diese Gefühle oder nimmt sie vielleicht gar nicht wahr. Sein Erleben ist dann inkongruent.
Im Mittelpunkt der Person steht nach Rogers die eigene Wertschätzung.
- Kongruent, also mit sich übereinstimmend handelt ein Mensch, wenn er ehrlich zu sich selber ist und wenn seine Handlungen und Selbstwahrnehmungen übereinstimmen.
- Inkongruent erlebt er sich, wenn eine Diskrepanz zwischen dem Erleben des Organismus und dem Selbstkonzept gegeben ist. Das ist z.B. dann der Fall, wenn jemand sich für einen angesehenen und beliebten Menschen hält, jedoch von seiner sozialen Umwelt häufig Ablehnung und herablassende Behandlung erfährt.
Jeder Mensch wird immer wieder mit neuen Selbsterfahrungen konfrontiert, die unter Umständen sehr stark vom bestehenden Selbstkonzept abweichen können. Rogers meinte dazu, dass der Mensch immer versucht, diese Diskrepanz möglichst gering zu halten. Dabei sei die Qualität des Selbstkonzepts (flexibel oder starr) dafür verantwortlich, wie mit diesen Selbsterfahrungen umgegangen wird:
- ob sie angenommen (gesunde Persönlichkeit) oder
- ignoriert (ungesunde Persönlichkeit) werden.
Ein positives Selbstkonzept ist flexibel genug, neue zunächst inkongruente Erfahrungen anzunehmen und sich ihnen anzupassen, wodurch es wieder zu einer weitgehenden Übereinstimmung zwischen dem Selbstkonzept und den gemachten Erfahrungen kommt, was wiederum dazu führt, dass die Person ausgeglichen und zufrieden ist.
Vor allem Menschen mit einem negativen Selbstkonzept und geringer Selbstachtung versuchen, ihre verletzbare Selbststruktur zu verteidigen und zu schützen. Sie haben ein starres Selbstkonzept. Jede Erfahrung, die ihr Selbstkonzept gefährdet und noch mehr in Frage stellt, wird als bedrohlich wahrgenommen. Um die bestehende Selbststruktur zu schützen, werden diese Erfahrungen abgewehrt.
Wahrnehmungsabwehr
Eine Erfahrung, die in Diskrepanz zum Selbstkonzept steht, kann dazu führen, dass die Person diese bedrohliche Erfahrung dem Bewusstsein nicht zugänglich macht, d.h. Wahrnehmungsabwehr wird aktiviert. Es gibt zwei Abwehrprozesse:
- die Verzerrung der Bedeutung der Erfahrung oder
- die Verleugnung der Existenz der Erfahrung
Verzerrung
Bei der Verzerrung tritt die Erfahrung zwar ins Bewusstsein, ihre Bedeutung ist aber so verändert und entstellt worden, dass sie wieder mit dem aktuellen Selbstkonzept übereinstimmt. Durch die Verzerrung kommt die Erfahrung in einer Form ins Bewusstsein, die mit dem Selbst übereinstimmt.
Exemplifikation
Herr Reißer kann seine negativen Gefühle völlig verneinen und ignorieren. Er kann sie auch als momentanes Unwohlsein entstellen und damit ihre wahre Bedeutung verschleiern.
Verleugnung
Die Verleugnung trägt dazu bei, die Selbst-Struktur vor der drohenden Gefahr zu bewahren, indem sie bedrohliche Erfahrungen zurückweist und negiert und so vom Bewusstsein ausschließt. Bei der Verleugnung wird die Existenz einer Erfahrung also völlig verneint.
Exemplifikation
Herr Reißer ist es nicht bewusst, dass er den Wohnort wechseln muss. Er ist der Ansicht die Stelle ändert sich kaum.
Beide Abwehrreaktionen bewahren den Menschen davor, dass ihr beschädigtes Selbstkonzept weiter verletzt wird und ihre Selbstachtung noch mehr verloren geht. So lässt sich für kurze Zeit ein gewisser Grad an Übereinstimmung zwischen dem Selbstkonzept und den aktuellen Erfahrungen herstellen, eine Auseinandersetzung mit der Realität und die daraus resultierende Veränderung des Selbstkonzepts findet aber nicht statt.
Wenn die aktuellen Erfahrungen einer Person ganz offensichtlich von ihrem Selbstkonzept abweichen, dann wird eine Abwehrreaktion immer schwieriger.
Exemplifikation
Herr Reißer, dessen Selbstkonzept es ist, niemals zu hassen, wird Angst erleben, wenn die verleugneten Hassgefühle ganz offensichtlich in seine Fantasie oder in seinem nonverbalen Verhalten auftreten.
Gelingt die Abwehr der bedrohlichen Erfahrungen nicht mehr und drängen diese immer heftiger in das Bewusstsein, dann zerbricht schließlich die Selbststruktur und ein sehr widersprüchliches, psychisch fehlangepasstes Verhalten kann die Folge sein.
Exemplifikation
So können verleugnete Hassgefühle ganz unvermittelt hervorbrechen, indem Herr Reißer andere anschreit. Kurze Zeit später entschuldigt er sich für sein unbeherrschtes Verhalten und verspricht, dass es nie wieder vorkommt.
In diesem Konflikt sieht Rogers die Grundlage der Angst. Wenn sich nun ein Individuum, ausgelöst durch Inkongruenz, so verhält, dass das Verhalten als Widerspruch zum Selbstkonzept empfunden wird, ist eine Therapie oder zumindest intensive Beratung nötig. Inkongruenz führt längerfristig zu seelischen Störungen. Solche Personen brauchen dann therapeutische Hilfe, um die nicht gelöste Diskrepanz zwischen dem Selbstkonzept und der Erfahrung aufzuheben und ihr Selbstkonzept zu verändern.