Das Selbstkonzept und die Selbstaktualisierung

Lernsituation: „Hilferuf  – Wer bin ich und wer will ich sein?“

In einem Internetforum schrieb sich ein User folgendes von der Seele:

„Guten Abend liebe Leute, ich muss das einfach loswerden, und vielleicht vermag der ein oder andere User hier ja, mir helfen zu können oder hat einen guten Rat für mich oder liest es auch einfach nur, das würde an und für sich schon genügen.

Das letze Mal so richtig glücklich war ich, als ich so um die 9 oder 10 Jahre alt war. Mein Leben war eigentlich nie einfach, ich war stets umgeben von Misserfolg, Beleidigung und Einsamkeit, auch wenn ich nicht immer alleine war. Schuldgefühle prägten mich seit je her, da ich meistens Angst habe Dinge falsch zu machen. Aber egal, das ist nicht das Problem, mit der Vergangenheit habe ich soweit abgeschlossen.

Und nun zu meinem Problem, das mich beschäftigt, und das ich alleine nicht zu bewältigen vermag: Wie schaffe ich es, mich selbst zu finden? Ich mag mich nicht, bezeichne mich selbst als schlechten Menschen und mir kommt vor, dass mich andere auch nicht wirklich mögen, auch wenn ich ständig allen ein Lachen herbeizaubere. Doch das ist nur eine Farce.
Ich werde oft als arrogant, selbstverliebt und dumm bezeichnet, dabei ist das überhaupt nicht der Fall, aber ich gebe mich so, denn so bringe ich die Leute zum Lachen, es ist meine Art von Humor, die leider viel zu oft missverstanden wird. Und selten gibt es Menschen, die mein Schauspiel durchschauen und fragen, wie es mir wirklich geht…
Wer bin ich? Wer will ich sein? Und wie werde ich zu der Person, die ich sein will, nämlich ich?

Ich habe versucht mich kurz zu fassen, und hoffe dabei, mich verständlich ausgedrückt und nichts vergessen zu haben.

Danke für`s Lesen.“

Aufgaben:

1. Überlegen Sie zunächst, welche Problematik hier vorliegen könnte.

2. Beschreiben Sie die Persönlichkeit aus diesen Internetbeitrag mithilfe des Selbstkonzeptes nach Carl Rogers. Sie benötigen dazu konkretes Fachwissen, um den Sachverhalt fundiert erklären zu können. Erarbeiten Sie sich dazu die zentralen Annahmen zur Beschaffenheit und Bildung des Selbstkonzeptes.

3. Antworten Sie nun den Schreiber!

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Zur Einsendeaufgabe (siehe Ausgangssituation): Gestalten Sie Ihren fiktiven VIBOS-Schüler weiter aus. Zeichnen Sie diese Person zunächst in Form einer Skizze/ Portrait auf ein Blatt (möglichst anschaulich & kreativ). Erklären Sie nun die Beschaffenheit des Selbstkonzeptes dieser Person, sowie dessen Entstehung mithilfe relevanter Annahmen der personenzentrierten Theorie nach Carl Rogers.

Informationstext

Das Selbstkonzept

Vom Organismus als Ganzes grenzt Rogers das „Selbst“, als Wahrnehmung einer Person von sich selbst, ab.

Die individuellen Erfahrungen, die ein Mensch in seinem bisherigen Leben gemacht hat, ergeben für diesen Menschen sein individuell ausgeprägtes Wahrnehmungsfeld, seine einzigartige Realität. Entsprechend dieser Erfahrungen werden andere Personen, Dinge oder Ereignisse von einzelnen Personen unterschiedlich interpretiert und bewertet, z. B. als erfreulich, herausfordernd und bedeutsam bzw. unbedeutend, unangenehm oder gar beängstigend erlebt.

Ein Teil dieses Wahrnehmungsfeldes entwickelt sich nach und nach zum Selbst ergeben schließlich das Selbstkonzept einer Person.

  • Das Selbstkonzept ist also eine durch Erfahrungen gebildete und sich verändernde Struktur von Wahrnehmungen, Empfindungen und Werthaltungen, die diese Person bezogen auf sich selbst hat.

Exemplifikation

Herr Reißer hat mehrfach die Erfahrung gemacht, dass ihm das Zusammenarbeiten mit jungen  Menschen Freude bereitet. Er betrachtet sich selbst als kontaktfreudig und aufgeschlossen. Herr Reißer geht daher gerne auf die Auszubildende zu und plant gemeinsame Arbeitsschritte.

Herr Schmidt hat eher die Erfahrungen gesammelt, dass die jungen Menschen unmotiviert  und ungeeignete auf ihn wirken. Er selbst bezeichnet sich eher als konservativ und introvertiert und wird daher soziale Situationen mit den Jugendlichen meiden und sich eher unkooperativ gegenüber diesen verhalten.

Das Selbstkonzept besteht nach Rogers aus charakteristischen Wahrnehmungen der eigenen Person (reales Selbstbild) und den Wahrnehmungen des Selbst in Bezug zu anderen und zur Umgebung (idelles Selbstbild).

Das reale Selbstbild ist die Wahrnehmung und das Wissen über die Fähigkeiten und Fertigkeiten der eigenen Person. Es umfasst die bewussten, tatsächlichen Wesenszüge, Erlebens- und Verhaltensweisen, die diesen Teil des Selbstkonzeptes ausmachen.

Exemplifikation

Herr Reißer ist sich bewusst, dass er ein kontaktfreudiger und aufgeschlossener Mensch ist. Er ist ein Typ, der alles geradeaus nach außen trägt und dabei sich gern im Dialekt ausdrückt. Seine Schwächen sieht er selbst in Beratungsgesprächen mit fremden Kunden. Es fällt ihm schwer eine adäquate Fachsprache an den Tag zu legen. Weiterhin weiß er, dass er schnell widerspenstig wird, wenn Dinge nicht nach seinen Vorstellungen ablaufen.

Das idelle Selbstbild beinhaltet die eigenen idellen Ansprüche und Forderungen der Person an sein Selbst, sowie die Ansprüche und Forderungen der sozialen Umwelt, die an das eigene Selbst herangetragen werden.

Exemplifikation

Herr Reißer würde sich selbst in Diskussionen gern mehr hervorheben wollen. Deshalb wünscht er sich Argumente in einen sachlichen Sprachstil vortragen zu können. Sein Vorgesetzter fordert, dass er sich im Kundenkontakt qualifizierter und seriöser darstellt.

Dieses Selbstkonzept wird damit zu einer ständig prüfenden Instanz zwischen der „inneren“ und der „äußeren“ Wirklich­keit. Dabei ist es immer bestrebt, seine inte­grierte in­nere Struk­tur aufrecht zu erhalten.

Das Selbstkonzept einer Person kann in sich harmonisch und konsistent sein. Jedoch können auch die einzelnen Bestandteile im Widerspruch zueinander stehen, sodass eine Inkongruenz in der Person entsteht.

Selbstkonsistenz

Sind das tatsächliche Bild einer Person und das ideelle Bild der eigenen Persönlichkeit weitgehend deckungsgleich, so ist die Person zufrieden und ausgeglichen – sie akzeptiert ihre Schwächen und nutzt ihre Stärken. Dieser Zustand wird als angenehm, entspannt und wohltuend wahrgenommen.

Exemplifikation

Herr Reißer, weiß dass er in seiner Ausdrucksweise plump oder unbeholfen wirken kann. Er verbindet die Ansprüche seines Vorgesetzten mit seiner individuellen Weise auf Menschen zuzugehen und stellt damit ein deckungsgleiches Bild zwischen seinen Können und den Ansprüchen her.

Selbstinkonsistenz – Widerspruch innerhalb des Selbstkonzeptes

Innere Spannungen, innere Unruhe, Unausgeglichenheit und in der Folge Ängste und Depressionen entstehen allerdings dann, wenn das tatsächliche Selbstbild und das idelle zu sehr auseinanderklaffen oder das tatsächliche Selbstbild aufgrund der hochgesteckten Ideale nicht akzeptiert wird.

Exemplifikation

Herr Reißer weiß das er als Geschäftsmann auftreten soll und an seiner Interaktion mit beruflichen Partnern arbeiten soll. Doch er ist eher der praktische Arbeiter, der sich im Austausch mit höheren Vorgesetzten oder fremden Geschäftspartnern schwer tut. Die Diskrepanz zwischen Ansprüchen an seine Berufsrolle, sowie seinen tatsächlichen Fähigkeiten stehen in starken Widerspruch, sodass Herr Reißer sich im Moment am Arbeitsplatz sehr unwohl fühlt. Seit einiger Zeit verspürt er auch ein starkes Druckgefühl im Oberbauch und Übelkeit, wenn er nach einem Wochenende wieder die Arbeit antritt.

Es entsteht also innerhalb der Person eine Inkongruenz zwischen den tatsächlichen Gegebenheiten des Selbst und idellen Wunschvorstellungen, der eigenen Person oder anderer Personen.