Die Bedeutung der personenzentrierten Theorie für die Entwicklung und Erziehung
Lernsituation „Arbeiten im Jugendzentrum“
Als freiwillige/-r Mitarbeiter/-in in einem Jugendzentrum im Problemviertel fällt Ihnen auf, dass viele Jugendliche nicht nur mit der Pubertät zu kämpfen haben, sondern auch alltägliche Erlebnisse und familiäre Hintergründe entscheidend für das Selbstwertgefühl und die Persönlichkeitsentwicklung sind. Problematisches Verhalten, wie der Konsum von Alkohol oder Rauschmitteln, kompensiert dabei nur die Unsicherheit und Ängste.
In einem Teamgespräch Clustern sie die Jugendlichen, die regelmäßig in die Einrichtung kommen, nach verschieden Kriterien. Diese zeigte sich, welche Vorrausetzungen und EInflussfaktoren die Jugendlichen mitbringen. Dies sind u.a.:
– geringe Bildung: häufig nicht qualifizierten Hauptschulabschluss.
– Beruf: Lehrstellenmangel, Arbeitslosigkeit
– Familie: häufig alleinerziehende Mutter/ Vater bzw. Großfamilien
– Wohnsituation: sehr beengt, kaum Privatsphäre
In den Gesprächen mit den Pädagogen gewähren die Jugendlichen diesen einen Einblick in ihr persönliches Erleben. Dabei äußern sie beispielsweise , dass sie sich oft nutzlos vorkommen. Sie sehen sich als Versager und begeben sich deswegen auf den gleichen Lebensweg, wie deren Eltern.
In einer Teamsitzung besprechen die Mitarbeiter/-innen des Jugendzentrums das weitere Vorgehen mit den Jugendlichen. Aus dem Fachunterricht Pädagogik/ Psychologie wissen Sie bereits, dass sich ein gesundes Selbstkonzept und damit auch eine hohe Selbstachtung nur durch einem wertschätzenden Umgang miteinander herausbilden kann. Sie möchten deswegen unter Einbezug der theoretischen Annahmen der Personenzentrierten Theorie erzieherische Möglichkeit den Pädagogen der Einrichtung verständlich erläutern können. Machen Sie sich deshalb zum Experten, um der aufgezeigten Problematik entgegenzuwirken.
Aufgaben:
1. Lesen Sie den Informationstext und fassen Sie die zentralen Aussagen des Textes in aussagekräftige Schlüsselbegriffe zusammen.
2. Zeigen Sie auf der Grundlage der personenzentrierten Theorie, wie die Erzieher und Sozialpädagogen des Jugendzentrums das Selbstkonzept von den Jugendlichen stärken und deren Persönlichkeitsentwicklung fördern können. Formulieren Sie hierzu 3 Tipps an die Erzieher und Sozialpädagogen.
3. Erweitern Sie das Fallbeispiel und stellen Sie ein förderliches Erzieherverhalten anhand des Handelns eines Sozialpädagogen in Bezug auf die Jugendlichen in der Einrichtung dar.
4. Reflektieren Sie anschließend, wie Sie sich sich in der Rolle als Jugendlicher bzw. als Sozialpädagoge wahrnehmen würden (z.B.: Welche Gefühle und Empfindungen lösen das andere Verhalten aus?).
Informationstext
Besonders der Eltern-Kind-Beziehung kommt also im Rahmen einer gesunden Selbstverwirklichung des Kindes und damit der Herausbildung eines flexiblen Selbstkonzeptes eine große Bedeutung zu:
Durch bedingungslose positive Anerkennung und Zuwendung kommt es dazu, dass
Erfahrungen in die bestehende Selbstwahrnehmung integriert werden:
- Durch die elterliche, bedingungslose Liebe, Zuwendung, Fürsorge, Akzeptanz,
Wertschätzung und den respektvollen Umgang erhält das Kind ein Gefühl des
Angenommenseins und von anderen geschätzt zu werden.
Diese äußere Anerkennung und Wertschätzung überträgt es auf sein Selbst. - Durch das Aufstellen und Einhalten einer festen Regelordnung, die die Rechte und
Freiheiten des Kindes klar definiert und anerkennt, lernt es die Eltern allgemein positiv wahrzunehmen, auch wenn manchmal seine eigenen mit den elterlichen Interessen kollidieren.
Das Kind wird so fähig, ein inneres Wertesystem zu errichten, das auf den eigenen Vorstellungen des Selbst sowie der eigenen Wertschätzung und Selbstachtung basiert, und es kann dieses Selbstkonzept mit seinem Verhalten in Einklang bringen. Somit erlangt es den Zustand von Selbstkonsistenz und Kongruenz zwischen seinen Wahrnehmungen vom Selbst und seinen Erfahrungen sowie seinem Organismus.
Förderliche Haltungen in der Erziehung, Beratung und Therapie
Tausch/Tausch benennen vier förderliche Dimensionen, die – wenn sie dauerhaft und gleichzeitig im Umgang mit Kindern gelebt werden – insbesondere Selbstachtung und ein günstiges Selbstkonzept fördern. In Anlehnung an Carl Rogers sehen sie diese erzieherischen Haltungen als notwendige Bedingung für die Förderung der konstruktiven Persönlichkeitsentwicklung in zwischenmenschlichen Beziehungen an. Sie sehen den Grund für eine beeinträchtigte Persönlichkeitsentwicklung und das unbefriedigende Zusammenleben darin, dass viele erziehende Erwachsene, Eltern, Lehrer und Erzieher diese vier Dimensionen in zu geringem Ausmaß leben.
Quelle: Tausch, R. & Tausch, Erziehungspsychologie. Begegnung von Person zu Person, Göttingen – Toronto – Zürich, 1991
Folgende Beispiele für erzieherische Handlungen sollen die vier Dimensionen veranschaulichen:
Achtung und Wärme
Der Vater ist stolz auf die Schulleistungen seiner Kinder, auch wenn die Schulnoten nur im mittleren oder unteren Bereich liegen. Er lobt die Anstrengung mit der sich die Kinder die besseren Noten erarbeitet haben und zeigt das dem Kind mit einen wertschätzenden Schulterklopfer.
einfühlendes Verstehen bzw. Empathie
Der Vater möchte herausfinden, weshalb der Sohn seine Mathematikhausaufgaben seit Wochen nicht mehr erledigt. In einem Gespräch stellt sich heraus, dass die Aufgaben für den Jungen zu schwer sind und er sich mittlerweile abgehängt fühlt. Der Vater kann die Ängste seines Kindes nachvollziehen und bietet ihm Hilfe an, in dem er das Kind bei der Schülernachhilfe anmeldet und selbst zwei Mal die Woche intensiv mit ihn übt.
förderndes und nicht-dirigierendes Handeln
Der Vater ist in seiner Freizeit ein leidenschaftlicher Fußballspieler, jedoch bietet er seinen Kindern an sich in vielen anderen Bereichen auszuprobieren. So besuchen sie gemeinsam die Schnupperstunden eines Judo-Kurses, eines Handballvereins und eines Zeichenzirkels. Jedes seiner Kinder konnte nun nach eigenen Interesse entscheiden, welcher Freizeitaktivität es nachgehen möchte.
Echtheit
Der Vater erwartet von seinen Kindern, dass sie sorgfältig mit ihren Spielsachen umgehen und pünktlich, zu ausgemachten Zeiten, zu Hause sind. Er selbst lebt diese Eigenschaften den Kindern vor. Er verhält sich damit echt, da seine Äußerungen mit seinem Verhalten übereinstimmen. Er bringt durchaus auch Wut und Trauer zum Ausdruck bringen, wenn die Kinder sich verspäten. Dies erzeugt eine Übereinstimmung zwischen dem Erleben der Person – das Verhalten hat mich enttäuscht und der Mimik und Gestik – der Vater sendet den Kindern einen strengen Blick und verschränkt die Arme.
Hemmende erzieherische Verhaltensweisen
Wird die positive Anerkennung aber an Bedingungen geknüpft,
- müssen Erfahrungen unterdrückt werden, um nicht in Konflikt mit dem Selbstkonzept zu kommen,
- ist das Resultat Angst und Wahrnehmungsselektion.
Die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes kann dadurch nachhaltig gestört werden. Entziehen Eltern ihrem Kind Liebe, Wärme, Zuneigung und Akzeptanz oder knüpfen sie diese an bestimmte Bedingungen, so gerät das Kind im Kampf um positive Anerkennung in einen ständigen Zustand der Inkongruenz und Inkonsistenz, einen Zustand des inneren Zwiespalts.
Exemplifikation
Der Vater fordert von seinen Kindern gute bis hervorragende Schulnoten. Er lässt dies die Kinder auch deutlich spüren und zeigt seine Zuwendung und Bewunderung zu den Kindern in Abhängigkeit davon. Das Kind kann hier in den Konflikt mit seinen tatsächlichen Bild: „Ich bin schlecht im Fach Deutsch“ und dem idellen Bild der Umwelt: „Du bist nur ein gutes Kind, wenn du auch gute Noten nach Hause bringst!“, geraten.
Es entsteht eine Diskrepanz zwischen seinem Verhalten und seinem eigenen Erleben, d.h. es beginnt eigene Erfahrungsprozesse zu leugnen und zu verzerren und sein Selbst-Konzept auf die Erfüllung der Bedingungen auszurichten.
Exemplifikation
Das Kind zeigt seine schlechten Noten nicht mehr den Eltern bzw. ist es der Auffassung, dass der Leistungstest nicht in die Zeugnisnote einfließt, so werden negative Erfahrungen umgangen.