Techniken zur Verhaltensänderung/ Grundlagen der Verhaltensmodifikation

Aufgaben:

1. Informieren Sie sich über das „Shaping of behaviour“ und die „Tokensysteme“ als konkrete Techniken zur Verhaltensänderung i.S.d. operanten Konditionierens/ Lernens durch Verstärkung.

2. Fassen Sie die zentralen Erkenntnisse schriftlich zusammen.

3. Überlegen Sie, welche Probleme und Schwierigkeiten bei der Umsetzung der aufgezeigten Techniken auftreten können.

4. Verdeutlichen Sie das Shaping of behavior an einem selbstgewählten Beispiel. Beziehen Sie in Ihre Ausarbeitung alle relevanten Fachbegriffe mit.

Informationstext 

Ausgangssituation „Emma soll aufs Töpfchen gehen!“

Die kleine Emma (3,1 Jahre) hat im letzten Monat die Kinderkrippe verlassen und besucht seit drei Wochen die Kindergartengruppe „Blaue Blume“. Da noch keine Ambitionen zeigt, aufs Töpfchen zu gehen, macht sich die Mutter langsam Sorgen. Sie möchte, dass Emma endlich „sauber wird“. Die ErzieherInnen der Gruppe haben ihr zugesichert, dass sie Emma genau beobachten und das Mädchen bei diesem Entwicklungsschritt begleiten und unterstützen werden.

Quelle: https://pixabay.com/de/t%C3%B6pfchen-training-t%C3%B6pfchen-baby-153278/

Überlegen Sie, inwiefern das Fachpersonal die kleine Emma unterstützen kann. Fertigen Sie Notizen an!

Grundlagen der Verhaltensmodifikation und Verhaltenstherapie

Die Begriffe Verhaltensmodifikation und Verhaltenstherapie sind nicht eindeutig voneinander zu trennen. Verhaltenstherapie meint, dass professionelle Therapeuten im klinischen Bereich schwerwiegende Störungen behandeln. Von Verhaltensmodifikation ist dann zu sprechen, wenn LehrerInnnen, ErzieherInnen oder SozialpädagogenInnen mit guten Kenntnissen über entsprechende Methoden und Techniken in sozialen Institutionen (Schule, Kindertagesstätten, Heim, Fördereinrichtungen) unerwünschte bzw. problematische Verhaltensweisen in den Blick nehmen und versuchen, diese zu mindern bzw. abzuschwächen.

Die nachfolgend beschriebenen Techniken können allgemein im Rahmen der Verhaltensmodifikation in der Erziehung eingesetzt werden. Sofern Fachkräfte zu diesen Möglichkeiten greifen, ist es ratsam, dass ein Austausch mit Erziehungs- bzw. Sorgeberechtigten erfolgt, um „an einem Strang“ zu ziehen.

Grundlegend gilt gemäß der Denkweise der Behavioristen, dass Verhaltensaufbau durch Verstärkung nur erfolgen kann, wenn beim Lernenden die Bereitschaft gegeben ist, das erwünschte Verhalten auch zu zeigen (= Gesetz der Bereitschaft). Stößt man hier nur auf Widerstand und Gegenwehr, so ist der passende Zeitpunkt noch nicht erreicht und es müssen vorab andere Maßnahmen ergriffen werden, um bei der zu behandelnden Person die erforderliche grundlegende Bereitschaft herzustellen. Vor allem in der Erziehung stehen Erziehende nicht selten vor die Aufgabe, die Lernenden zu motivieren, indem Sie entsprechende Bedürfnisse wecken und Lernanreize schaffen.

1) Shaping of behaviour (Verhaltensformung)

Insbesondere bei komplexen Verhaltensweisen gelingt es dem Kind nicht gleich auf Anhieb, ein angestrebtes Verhalten auszuführen. Daher soll jede gezeigte Verhaltensweise in die gewünschte Richtung kontinuierlich verstärkt werden. Das erwünschte Endverhalten wird so schrittweise aufgebaut. In der Literatur wird die Verhaltensformung so verstanden, dass Verstärkung und Löschung gezielt kombiniert werden (vgl. Schermer, S. 66), um ein vorher definiertes, klar abgegrenztes Verhalten aufzubauen. Dies wird im weiteren Verlauf mit Shaping of behaviour bezeichnet. Dabei ist entscheidend, dass sich dieses in mehrere Teilschritte gliedert und nicht „in einem Zug“ durchzuführen ist. Gezielte Beobachtung und eine klare Dokumentation sind Voraussetzung für diese Variante der Verhaltensformung.

Folgende Teilschritte sollen bei der Durchführung Anwendung finden:

1. Zuerst erfolgt die kontinuierliche Verstärkung von Verhaltensweisen, die dem gewünschten Zielverhalten ähneln, d.h. in etwa entsprechen. Das bedeutet, dass eine Verstärkung immer erfolgt, sobald ein dem Zielverhalten ähnliches Verhalten gezeigt wird.

Exemplifikation: Emma wird also immer verstärkt, wenn sie in irgendeiner Form Verhaltensweisen zeigt, die in Richtung des Sauberwerdens gehen. Sie erhält beispielsweise schon Zuwendung/Aufmerksamkeit oder ein Lob, wenn sie nur in Richtung des Töpfchens blickt oder das Wort sagt.

2. In einem nächsten Schritt erfolgt eine allmähliche Verstärkung von Verhaltensweisen, die in der Verhaltenssequenz einen Fortschritt bedeuten. Auch hier empfiehlt es sich, das gezeigte Verhalten noch kontinuierlich zu verstärken, um einen schnelleren Verhaltensaufbau zu gewährleisten.

Exemplifikation: Emma wird verstärkt, wenn sie das Töpfchen holt und neben sich stellt bzw. wird sie verstärkt, wenn sie zum Töpfchen geht.

3. Nachfolgend erfolgt eine weitere Differenzierung im Hinblick auf das Verstärkungsverhalten. Es erscheint sinnvoll, dass nun nur noch die Verhaltensweisen verstärkt werden, die dem Zielverhalten fast entsprechen, bis letztendlich das angestrebte Verhalten gezeigt wird. Auch hier wird zu Beginn noch kontinuierlich verstärkt.

Exemplifikation: Emma wird zunächst noch immer verstärkt, wenn sie sich auf das Töpfchen setzt, da dies einen weiteren Schritt in Richtung des Zielverhaltens darstellt. Ebenso wird sie verstärkt, wenn sie sich beispielsweise die Windel abnimmt und dann auf das Töpfchen setzt, da auch dies einen weiteren Schritt bedeutet. Im weiteren Verlauf erfolgt ein Wechsel von der kontinuierlichen zur intermittierenden Verstärkung. (s. Schritt 4)

4. Im weiteren Verlauf der Verhaltensformung erfolgt nun ein Übergang von der kontinuierlichen zur intermittierenden Verstärkung. Dies ist wichtig, um einen sogenannten „Gewöhnungseffekt“ zu minimieren und den Verhaltensaufbau auch langfristig zu sichern.

Exemplifikation: Emma wird zunächst noch immer verstärkt, wenn sie auf das Töpfchen geht (=kontinuierliche Verstärkung). Je nach Fortschritt und pädagogischer Einschätzung erfolgt der Wechsel zur intermittierenden, also gelegentlichen Verstärkung, d.h. Emma erhält nicht für jeden Gang aufs Töpfchen ein Lob, sondern nur noch ab und zu.

Alle bisherigen Schritte lassen sich mit dem Gesetz des Effektes nach E.L. Thorndike begründen.

5. Der abschließende Schritt des Shaping of behaviour kann mit der Verfestigung des erworbenen Verhaltens durch Wiederholung und Übung bestimmt werden. „Nur Übung macht den Meister!“, gilt auch in diesem Fall (= Gesetz der Frequenz).

Exemplifikation: Emma lernt nicht nach einmaliger Durchführung, dass und wie sie aufs Töpfchen geht. Erst durch eine Vielzahl an Übung und Wiederholung gelingt ihr dies. Das bedeutet, dass sie regelmäßig in das Töpfchen machen muss, damit davon gesprochen werden kann, dass sie dies gelernt hat und „sauber“ ist.

So zeigt sich also insgesamt, dass bei der Verhaltensformung eine schrittweise Annäherung an das Zielverhalten erfolgt und dabei mehrere Teilschritte betrachtet werden müssen. Es gibt kein Erfolgsrezept und keine standardisierte Vorgabe dafür, nach welchem Maß ein Wechsel erfolgen muss. Hier sind die Einschätzung des pädagogischen Personals und der Austausch mit ggf. dem Elternhaus von großer Bedeutung. Ehrenamtliche, die sich in ihrer Freizeit engagieren (z.B. bei der Wasserwacht, Feuerwehr) und Kindern und Jugendlichen ihren Fachbereich näher bringen (z.B. auch Tanzlehrer, Sportlehrer,…) „zergliedern“ Lernprozesse ebenfalls in Teilschritte, um das gewünschte Zielverhalten (z.B. Kraulen, Tauchen, Legen einer Schlauchverbindung, Einstudieren einer Choreographie,…) erfahrbarer und greifbarer zu machen.

2) Token-Systeme (Münzverstärkungssysteme)

Die Methode der Token-Systeme versucht erwünschtes Verhalten durch die Vergabe von Tokens aufzubauen. Das sind Objekte mit Tauschwert, wie z.B. bunte Plastikchips, Murmeln, Sticker, Punkte oder Sternchen etc.. Diese können dann später gegen konkretere Verstärker (Süßigkeiten, Kinobesuch, etc.) eingetauscht werden. Der Vorteil eines solchen Systems besteht darin, dass kaum eine Sättigung beim Lernenden erzeugt wird, d.h. er lange motiviert bleibt, um diese Verstärker zu erlangen. Wichtig ist, dass das Token-System durchdacht und an den Bedürfnissen der Lernenden ausgerichtet ist. Murmeln sind u.U. für ein Kindergartenkind sehr reizvoll, für ein Hortkind aber weniger. Hier muss vorab eine genaue individuelle Analyse erfolgen.

Begründet wurde die Methode von Ayllo und Azrn (1965), die die folgende vier Schritte vorschlagen:

1. Das gewünschte Verhalten wird festgelegt (Exemplifikation: z.B. selbstständiges „Aufs-Töpfchen-gehen“).

2. Festlegung der Endbelohnung (Exemplifikation: z.B. Besuch im Zoo) und Anzahl der Tokens, die dafür benötigt werden (Exemplifikation: z.B. pro Töpfchengang erhält das Kind eine Murmel, für den Zoobesuch werden 10 Murmeln benötigt).

3. Kontinuierliche Verstärkung des Zielverhaltens.

4. Eintausch der Endbelohnung nach Erreichung der abgemachten Anzahl an Tokens.

Quelle: https://pixabay.com/de/murmeln-glas-spielzeug-3070512/

Auch hier ist es für einen langfristigen Verhaltensaufbau unerlässlich, mehrere Durchgänge einzuplanen und die Anzahl der erforderlichen Token für die vereinbarte Endbelohnung systematisch mit den sich steigenden Fertigkeiten des Lernenden zu steigern. Hat sich das Zielverhalten stabilisiert, sollte das Token-Programm ausgeblendet werden (fading out).

Eine ausführliche Darstellung der Methode des Tokens-Systems einschließlich mehreren Beispielen aus der Praxis finden Sie beispielsweise hier: https://www.adhspedia.de/wiki/Token-System