Komplexe technische Systeme – Sicherheit
Einführung
Viele Menschen fühlen sich durch Kernkraftwerke bedroht, so dass deren Akzeptanz in der Bevölkerung gering ist. Was die Risiken der Kernenergie anbelangt, so sind es zwei Aspekte, die beachtet werden müssen: Das eine ist der sichere Einschluss des Reaktorinventars während des laufenden Betriebs – auch und gerade bei Störfällen. Das andere ist die Entsorgung und Endlagerung der abgebrannten und hochradioaktiven Brennelemente, nachdem diese aus dem Reaktor entfernt worden sind.
Sicherheitsvorkehrungen
Kernkraftwerke enthalten nach einiger Betriebszeit im Reaktorkern eine erhebliche Menge verschiedener radioaktiver Spaltprodukte und giftiger Schwermetalle. Welche Katastrophe entsteht, wenn große Mengen dieses Materials in die Umwelt gelangen, hat das Reaktorunglück von Tschernobyl exemplarisch gezeigt. Selbst in Deutschland, über 1000 km Luftlinie entfernt, waren die Auswirkungen noch messbar und sorgten für erhebliche Verunsicherung in der Bevölkerung. Wesentlich gravierendere Folgen hatte das Unglück für die Bevölkerung in der Nähe des Kraftwerks und erst recht für das Kraftwerkspersonal. Erhöhte Krebsraten und Missbildungen bei Neugeborenen sind die Folge. Umsiedlungen der Anwohner in andere Gegenden mussten im großen Stile durchgeführt werden. Eine 30-km-Sperrzone ist errichtet worden. Da manche der freigesetzten radioaktiven Spaltstoffe lange Halbwertszeiten haben, wird dieses Gebiet für viele Generationen radioaktiv verseucht bleiben. Selbst heute – über 25 Jahre nach der Katastrophe – ist der Sarkophag (d.h. der zerstörte Reaktorkern) noch problematisch und muss gesichert und überwacht werden. Es muss angemerkt werden, dass es sich beim Unglücksreaktor um einen anderen Reaktortyp handelt als es die in Deutschland ausschließlich betriebenen Leichtwasserreaktoren sind. Nichtsdestoweniger sind die radioaktiven Stoffe, die ein Reaktor in Deutschland beherbergt, die gleichen wie die des Unglücksreaktors von Tschernobyl. Ein wesentlicher Sicherheitsaspekt der Kraftwerkstechnik ist deshalb der sichere Einschluss des radioaktiven Materials, das unter keinen denkbaren Umständen in die Umwelt gelangen darf.
Barrierenkonzept
Um diesen sicheren Einschluss auch im ungünstigsten Fall gewährleisten zu können, sind mehrere Barrieren zwischen den radioaktiven Stoffen und der Umwelt errichtet, so dass diese Stoffe auch dann zurückgehalten werden, wenn einzelne Barrieren versagen sollten. Die Barrieren sind:
a) Kristallgitter des Brennstoffs
b) Hüllrohre der Brennstäbe
c) Reaktordruckgefäß
d) Betonabschirmung
e) Sicherheitsbehälter
f ) Stahlbetonhülle
Zusätzlich schirmt eine dicke Stahlbetonhülle um den Reaktor, der sog. biologische Schild, die Direkt-strahlung aus dem Reaktorkern ab.
Während des ungestörten Betriebes werden von Kernkraftwerken kontrolliert geringe Mengen radioaktiver Stoffe über Abluft und Abwasser abgegeben. Diese Abgaben müssen unter den gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerten liegen; sie werden staatlich überwacht.

Beherrschung von Störfällen
Während herkömmliche Technik auch dadurch in der Sicherheit optimiert wird, indem man aufgetretene Schadensfälle analysiert und daraus neue Erkenntnisse gewinnt, ist ein solches Vorgehen bei der Kerntechnik nicht möglich. Hier muss von vornherein dafür gesorgt werden, dass Störungen, die sich trotz aller Vorsorge nicht völlig ausschließen lassen, sicher beherrscht werden können.
Nachdem eine nukleare Explosion bei Leichtwasserreaktoren aus physikalischen Gründen ausgeschlossen ist, gilt als größter anzunehmender Unfall (GAU) eines Leichtwasserreaktors der Kühlmittelverlust im Primärkreislauf. Dieser könnte beispielsweise durch einen Rohrbruch im Kühlmittelkreislauf entstehen, so dass das Wasser ausdampft. Zwar kämen damit auch die Kettenreaktion und weitere Kernspaltungen zum Erliegen, doch produzieren die radioaktiven Spaltstoffe so viel Nachwärme, dass der Reaktorkern sich immer weiter aufheizen und schließlich schmelzen (Kernschmelze) würde, wenn diese Nachwärme nicht abgeführt werden kann. Im schlimmsten Fall würden die Kernschmelze die Barrieren überwinden und die radioaktiven Spaltstoffe nach außen gelangen.
Die Sicherheitsmaßnahmen, die ergriffen werden, um die Eintrittswahrscheinlichkeit eines GAUs möglichst gering zu machen, werden auch bei anderen sicherheitssensiblen Bereichen angewandt. Die wichtigsten Punkte sind dabei:
Redundanz
Wichtige Systeme sind mehrfach vorhanden. Es steht auch dann noch ein System bereit, wenn eines ausfällt und das andere gerade in Reparatur ist. Diese Methode verwendet man auch in anderen Technikbereichen, so haben Autos Zweikreisbremssysteme. Die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Systeme oder noch mehr gleichzeitig versagen, ist wesentlich geringer als die Versagenswahrscheinlichkeit eines Systems.
Diversität
Die mehrfach vorhandenen Systeme werden mit unterschiedlichen Funktionsweisen versehen (z.B. elektrisch, mechanisch). Fällt die Stromversorgung aus, so würde es nichts nützen, doppelt ausgelegte elektrisch betriebene Kühlmittelpumpen zur Verfügung zu haben.
Räumliche Trennung
Wichtige Sicherheitssysteme werden in Kernkraftwerken räumlich getrennt ausgeführt. Dies verhindert, dass bei großen Ereignissen wie Explosionen oder einem Flugzeugabsturz alle Sicherheitssysteme zugleich beschädigt werden.
Komplexe technische Systeme – Entsorgung
Entsorgung
Die Versorgung von Kernkraftwerken mit Kernbrennstoffen, die von der bergmännischen Gewinnung über die Aufbereitung des Uranerzes und die Anreicherung des Natururans bis zur Brennelementeherstellung reicht, ist im vorherigen Abschnitt kurz dargestellt worden. Dieser Versorgung steht die Entsorgung gegenüber. Darunter versteht man alle Maßnahmen, die zur Aufbewahrung der ausgedienten Brennelemente und der radioaktiven Abfallstoffe ergriffen werden.
Die während des Betriebes eines Reaktors entstehenden Spaltprodukte wirken zum Teil als starke Neutronenabsorber; man nennt sie, wie weiter oben bereits ausgeführt, Reaktorgifte. Deshalb müssen die Brennelemente bereits ausgewechselt werden, wenn noch spaltbares U-235 enthalten ist. Zusätzlich ist in den Brennstäben weiteres spaltbares Material vorhanden, nämlich das durch Brutreaktionen entstandene Pu-239. Man bezeichnet die zur Auswechslung anstehenden Brennelemente in Anlehnung an konventionellen Brennstoff als abgebrannt.
Bei einem LWR mit 1000 MW elektrischer Leistung fallen pro Jahr ca. 20 t abgebrannter Brennelemente an, die entsorgt werden müssen. Diese hochradioaktiven Brennelemente enthalten viele radioaktive Spaltprodukte mit kurzer Halbwertszeit. Deshalb werden sie nach der Entnahme aus dem Reaktorkern zunächst in einem mit Wasser gefüllten Abklingbecken längere Zeit im Kernkraftwerk zwischengelagert. In dieser Zeit nimmt die Radioaktivität ab, die langlebigen radioaktiven Substanzen bleiben natürlich erhalten. Die radioaktiven Stoffe produzieren Wärme, die abgeführt werden muss.
Wiederaufarbeitung
Da die abgebrannten Brennelemente einen höheren Anteil spaltbaren Materials enthalten als beispielsweise Natururan, liegt der Gedanke nahe, die Brennelemente nicht sofort endzulagern, sondern die enthaltenen Spaltstoffe wieder zu verwenden. Der Prozess, der aus den abgebrannten Brennelementen die Spaltstoffe extrahiert und sie wieder der Brennelementeherstellung zugänglich macht, wird als Wiederaufarbeitung bezeichnet. In Wiederaufarbeitungsanlagen (WAA) wird chemische Verfahrenstechnik mit konzentrierten Säuren eingesetzt, wie sie auch in der Großchemie angewandt wird, hinzu kommt allerdings, dass es sich um hochradioaktive Stoffe handelt; man spricht deshalb auch von heißer Chemie. WAAs sind ebenso wie Brüter im militärischen Bereich seit langer Zeit in Betrieb. Frankreich und England betreiben die zivile Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente in großem Stil, in diesen Ländern lassen auch deutsche Kernkraftwerksbetreiber Brennelemente wiederaufarbeiten.
Deutschland selbst hat sich aus der Wiederaufarbeitung verabschiedet. Zwar ist sie in einer Versuchsanlage in Karlsruhe erfolgreich erprobt worden. Der Bau der in Wackersdorf (Bayern) geplanten nationalen WAA ist jedoch nicht zuletzt wegen anhaltender massiver Proteste eingestellt worden.
Als Vorteile der Wiederaufarbeitung können angeführt werden:
a) Bessere Ausnutzung der Spaltstoffressourcen; Einsparung von ca. 30 % neuer Spaltstoffe
b) Vernichtung des gefährlichen und langlebigen Plutoniums durch Spaltung
c) Komprimierung der endzulagernden hochradioaktiven Abfälle
Endlagerung
Ob mit oder ohne Wiederaufarbeitung: Bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie bleiben hochradioaktive Stoffe zurück, die für viele Generationen (mehrere Jahrhunderte lang) absolut sicher aus der Biosphäre ferngehalten werden müssen; man nennt dies Endlagerung. Werden die Brennelemente ohne zwischengeschaltete Wiederaufarbeitung endgelagert, so spricht man von direkter Endlagerung.
Während schwach- und mittelradioaktive Abfälle in Deutschland routinemäßig in stillgelegten Bergwerken eingelagert werden, ist die Endlagerung der hochradioaktiven Abfälle erst in der Erprobung. Vorgesehen ist die Einlagerung in Salzstöcken oder in Granitformationen. Um die sichere Endlagerung für derart lange Zeiträume zu gewährleisten, müssen die Endlagerstätten eine Reihe von Anforderungen erfüllen:
a) Geologische Stabilität
b) Keine Verbindung zum Grundwasser
c) Ausreichende Tiefe
d) Gute Wärmeleitfähigkeit
Derzeit werden Salzstöcke in Norddeutschland, beispielsweise in Gorleben, für die Endlagerung des radioaktiven Atommülls favorisiert, da sie die oben genannten Anforderungen am besten erfüllen: Die Salzstöcke sind seit vielen Millionen Jahren stabil, sie haben keine Verbindung zum Grundwasser und besitzen ausreichende Tiefe. Da die hochradioaktiven Abfälle Wärme produzieren, muss diese Wärme abgeleitet werden, um Überhitzungen der Ummantelung zu vermeiden. Salzstöcke weisen eine gute Wärmeleitfähigkeit auf.
Nachfolgende Abbildung gibt eine Übersicht über die einzelnen Schritte der verschiedenen Verfahren der Versorgung und Entsorgung von Kernkraftwerken.

Obwohl im Zusammenhang mit der Kernenergie oft von einem Brennstoffkreislauf gesprochen wird, ist beim Weg der direkten Endlagerung keinerlei Kreislauf mehr vorhanden: Die Rohstoffe werden der Erde entnommen und die Abfallstoffe wieder in der Erde vergraben, eine Wiederverwendung im Sinne einer Kreislaufwirtschaft existiert ebenso wenig wie bei den fossilen Brennstoffe.