4.1 Elektronenpaarbindung und Valenzstrichformel
Molekular gebaute Stoffe entstehen durch die Reaktion von Nichtmetallen, es entstehen Moleküle als kleinste Teilchen der Stoffgruppe. Zwischen den Nichtmetallatomen entstehen Elektronenpaarbindungen, wodurch die am Molekül beteiligten Atome Edelgaskonfiguration erreichen.

© Belinda Flemming: Chlor-Molekül aus zwei Chlor-Atomen verbunden durch eine Elektronenpaarbindung (oben), Wasser-Molekül zusammengesetzt aus zwei Wasserstoff-Atomen und einem Sauerstoff-Atom (unten), CC BY-SA
Je nach Wertigkeit der Nichtmetallatome entstehen verschiedene Bindungsarten. Die Atombindungen können Einfach-, Zweifach- oder Dreifachbindungen sein. In Abhängigkeit vom Radius der Atome entstehen Elektronenpaarbindungen mit unterschiedlicher Bindungslänge. Durch die Elektronegativität der am Molekül beteiligten Elementatome wird die Polarität der Atombindungen bestimmt, sie können polar oder unpolar sein. In Stoffen die polare Moleküle enthalten, existieren aufgrund des Dipol- bzw. Nicht-Dipol-Charakters der Moleküle unterschiedliche Wechselwirkungen zwischen den Molekülen. Daher werden auch Stoffe selbst als polar und unpolar eingestuft.
Durch die am Molekül beteiligten Nichtmetallatome, der Art und Anzahl der Bindungen, der Liganden (Atomart/Molekül) am Zentalatom des Moleküls und der vorhandenen bindenden und nichtbindenden Elektronenpaare ergibt sich der räumliche Bau der Moleküle. Ausgehend von der Valenzstrichschreibweise lässt sich dieser leicht ableiten. Räumliche Strukturen mit unterschiedlichem Bindungswinkel sind zum Beispiel linear, gewinkelt, trigonal-planar, tetraedrisch und trigonal-pyramidal.
Der Bau eines Moleküls, abhängig von der Bindungsart, der Wertigkeit, der Elektronegativität und dem Radius der beteiligten Elementatome, bestimmt die Eigenschaften des molekular gebauten Stoffen. Zu solchen physikalischen Eigenschaften gehören die Siedetemperatur, die Löslichkeit und die Viskosität.
Bindungsenergie und Oktettregel (Edelgaskonfiguration)
Lange war bekannt, dass sich Atome der Elemente in bestimmten Zahlenverhältnissen verbinden. Brauchbare Theorien über die Natur der chemischen Bindung entwickelten sich nur langsam. Von der Metallbindung abgesehen, ließen sich alle anderen echten chemischen Bindungen zwei Gruppen zuordnen, der Atombindung und der Ionenbindung.
Die Atombindung wird auch Kovalenzbindung (kovalente Bindung) oder Elektronenpaarbindung genannt. Die “Triebkräfte” der Atome sich zu verbinden, sind bei Atom- und Ionenbindung im Prinzip gleich: Die entstehenden Teilchen besitzen Edelgaskonfiguration und sind energieärmer als die ursprünglichen Teilchen.
Die Atombindung kommt typischerweise zwischen Nichtmetallen vor. Am Beispiel des Wasserstoffs soll dies erläutert werden:
Wasserstoffatome bestehen aus einem Proton und einem Elektron. Das Elektron liegt auf der K-Schale der Atomhülle. Damit ist diese Schale nur halb besetzt (max. Elektronenbesetzung nach \(2n^2\) = 2). Im Falle des Wasserstoffs wäre mit der Aufnahme eines zweiten Elektrons die K-Schale voll besetzt. Es wäre also die Elektronenkonfiguration des Edelgases der 1. Periode, also von Helium, erreicht. Diesen Zustand können Wasserstoff-Atome erreichen, wenn sich zwei von ihnen annähern, wobei ihre K-Schalen überlappen (bzw. sich durchdringen). In dem überlappenden Bereich zwischen den beiden Wasserstoff-Atomen halten sich die beiden Elektronen auf und bilden ein gemeinsames Elektronenpaar. Diese Bindungselektronen stehen beiden Atomen zur Verfügung und werden von beiden Atomkernen gleichermaßen angezogen.

© Belinda Flemming: Bildung eines Wasserstoff-Moleküls aus zwei Wasserstoff-Atomen, CC BY-SA
Bei der Bildung einer Atombindung wird Bindungsenergie frei. Der Energiegehalt der beiden H-Atome ist also größer als der Energiegehalt des Wasserstoffmoleküls. Der Differenzbetrag heißt Bindungsenergie. Bei der Annäherung der beiden Atome verläuft die Energiekurve nach unten. Es wird also Bindungsenergie frei (negatives Vorzeichen). Sie erreicht bei einem Kern-Kern-Abstand von 74 pm ein Minimum (Prinzip des Energieminimums). Bei diesem Abstand sind Anziehungskräfte (Protonen – Elektronen) und Abstoßungskräfte (Proton – Proton und Elektron – Elektron) in einem Gleichgewicht. Das entstandene H2-Molekül besitzt hier ein Maximum an Stabilität. Freiwillig nähern sich die beiden Protonen also nicht weiter an. Wollte man ihren Abstand gegen ihre Abstoßungskräfte dennoch verkleinern, müsste man dafür sehr viel Energie aufwenden. Will man ein Wasserstoffmolekül wieder in seine H-Atome zerlegen, muss der bei seiner Bildung freigewordene Energiebetrag wieder aufgewendet werden, also die Bindungsenergie.
Die Bindungslänge ist definiert als der Kern-Kern-Abstand zweier durch eine Atombindung verbundener Atome.
Die Valenzstrichschreibweise
Bei der Darstellung von Molekülen oder anderen Teilchen, die Atombindungen enthalten, hat sich die Valenzstrichschreibweise bewährt. Man spricht auch von Elektronenstrukturformeln. Hierbei ist immer die Oktettregel zu beachten.
Beachtung der OKTETTREGEL: Alle Atome in einem Molekül sind von vier Valenzelektronenpaaren umgeben. Mit Ausnahme des Wasserstoff-Atoms, welches von einem Valenzelektronenpaar umgeben ist.
Regeln:
- Elementsymbol = Atomrumpf (Atomkern + innere Atomschalen)
- Punkt am Elementsymbol = 1 Valenzelektron, zur Bindung befähigt
- Strich am Elementsymbol = freies Elektronenpaar, nicht zur Bindung befähigt
- Strich zwischen zwei Elementsymbolen = bindendes Elektronenpaar einer Atombindung
- Anordnung der Valenzelektronen: zunächst Einzelelektronen als Punkte um das Elementsymbol, das fünfte bis achte Elektron bildet mit einem schon vorhandenen Punkt ein Punktepaar
Zwischen den Atomen in Molekülen werden so viele bindende Elektronenpaare gebildet, bis für alle Atome die Oktettregel erfüllt ist. Dabei sind Einfachbindungen und Mehrfachbindungen möglich. H-Atome gehen nur Einfachbindungen ein.

© Belinda Flemming: VES – Bildung von Molekülen der Reinelemente, CC BY-SA
Wasserstoff besitzt nur ein bindungsfähiges Elektron, kann daher auch nur eine Bindung eingehen (einbindig, einwertig).
Chlor steht in der VII. Hauptgruppe und besitzt daher 7 Valenzelektronen. Diese sind in der 3. Schale der Atomhülle (M-Schale) lokalisiert. Zum Erreichen der Edelgaskonfiguration von 8 Elektronen benötigt das Chlor-Atom nur 1 Valenzelektron. Neben 3 freien Elektronenpaaren besitzt das Chlor-Atom nur ein bindungsfähiges Elektron. Es werden daher vier Symbole verwendet, drei Striche und ein Punkt. Aus dieser Darstellung ergibt sich unmittelbar die Einbindigkeit des Chlors.
Chlor steht in der VII. Hauptgruppe und besitzt daher 7 Valenzelektronen. Diese sind in der 3. Schale der Atomhülle (M-Schale) lokalisiert. Zum Erreichen der Edelgaskonfiguration von 8 Elektronen benötigt das Chlor-Atom nur 1 Valenzelektron. Neben 3 freien Elektronenpaaren besitzt das Chlor-Atom nur ein bindungsfähiges Elektron. Es werden daher vier Symbole verwendet, drei Striche und ein Punkt. Aus dieser Darstellung ergibt sich unmittelbar die Einbindigkeit des Chlors.
Sauerstoff steht in der VI. Hauptgruppe und besitzt daher 6 Valenzelektronen, welche in der 2. Schale (L-Schale) liegen. Davon sind 2 freie Elektronenpaare und 2 bindungsfähige Elektronen. Die Valenzelektronen eines Sauerstoff-Atoms werden also durch zwei Striche und zwei Punkte um das Elementsymbol dargestellt. Ein Sauerstoff-Atom kann daher zwei Elektronenpaarbindungen eingehen. Im Sauerstoff-Molekül weist jedes Atom eine Doppelbindung auf.
Übertragen auf Stickstoff (V. Hauptgruppe), in dem 5 Valenzelektronen auf der äußersten Schale liegen, ergeben sich 1 freies Elektronenpaar und 3 bindungsfähige Elektronen. (1 Strich, 3 Punkte um das Elementsymbol) Ein Stickstoff-Atom kann drei Elektronenpaarbindungen ausbilden. Im Stickstoffmolekül liegt eine Dreifachbindung vor.
Während für die Halogene Fluor, Chlor, Brom und Iod die Valenzstrichschreibweise jeweils gleich aussieht, können die Verhältnisse, wie für Sauerstoff und Stickstoff angegeben, nicht auf Elemente der 3. oder höherer Perioden übertragen werden. Zum Beispiel gehen die Elemente Schwefel und Phosphor keine Doppel- oder Dreifachbindungen ein. Ursächlich dafür sind die größeren Atomradien und die veränderten Überlappungsmöglichkeiten der Elektronenschalen.

© Belinda Flemming: VES – Bildung von Molekülen aus verschiedenen Elementen zu Verbindungen, CC BY-SA
Das einbindige Chlor-Atom verbindet sich mit dem einbindigen Wasserstoff-Atom zu einem HCl-Molekül. Der Stoff Chlorwasserstoff ist ein stechend riechendes, farbloses Gas, das zusammen mit Wasser Salzsäure bildet. Ein Sauerstoff-Atom verbindet sich mit zwei Wasserstoff-Atomen zu einem Wasser-Molekül. Aus der Reaktion eines Stickstoff-Atoms mit drei Wasserstoff-Atomen entsteht ein Ammoniak-Molekül. Ammoniak besitzt einen sehr charakteristischen Geruch und reagiert als wässrige Lösung alkalisch.
Aufstellen der Summenformel
Die Summenformel eines Moleküls beschreibt das Zahlenverhältnis der am Molekül beteiligten Nichtmetallatome.
Aus der Reaktion von Nichtmetallen entstehen molekular gebaute Stoffe, die aus Nichtmetallatomen in einem bestimmten Zahlenverhältnis zusammengesetzt sind. Zunächst notiert man die Valenzstrichformeln der am Molekül beteiligten Atome nebeneinander (siehe 4.1). An der Hauptgruppe im Periodensystem liest man die Anzahl an Valenzelektronen ab. Die Anzahl der bindungsfähigen Elektronen bestimmt die Anzahl der möglichen Bindungen die ein Atom eines bestimmten Elements eingehen kann. Nun kombiniert man Bindungselektronen der Elementatome zu Elektronenpaaren zwischen den Elementsymbolen, bis jedes Atom von 4 Elektronenpaaren (= Striche) umgeben ist. Betrachtet man den Atombau, befinden sich auf der Außenschale der am Molekül beteiligen Nichtmetallatome nun jeweils 8 Elektronen (Edelgaskonfiguration).
Wenn Kohlenstoff mit Wasserstoff reagiert entsteht Methan. Wasserstoff steht in der I. Hauptgruppe des Periodensystems, das heißt es besitzt 1 Valenzelektron. Dieses ist zur Bindung befähigt. In der äußersten Elektronenschale des Kohlenstoff-Atoms stehen 4 Valenzelektronen, da es in der IV. Hauptgruppe steht. Auch diese 4 Valenzelektronen sind bindungsfähige Elektronen. Folglich kann 1 Kohlenstoff-Atom vier Bindungen zu insgesamt 4 Wasserstoff-Atomen ausbilden. Jedes Wasserstoff-Atom dementsprechend nur eine Bindung zum Kohlenstoff-Atom. Aus der Anzahl der jeweils beteiligten Elementatome ergibt sich das Methan-Molekül mit der Summenformel \(CH_4\).

© Belinda Flemming: Bildung des Methan-Moleküls – VES und Summenformel, CC BY-SA
Von der Valenzstrichformel lässt sich nun ganz leicht die Summenformel eines Moleküls ableiten. Mann schreibt die Elementsymbole nebeneinander und ergänzt die Anzahl des am Molekül beteiligten Elementatoms als Index (tiefer gestellte Zahl) dahinter. Der Index ist eine Mengenangabe für die Atome.
Achtung: Die Zahl 1 wird in der Summenformel nicht geschrieben. In der Summenformel steht das Elementsymbol für 1 Atom dieses Elementes.
Bindungsarten und Bindungslänge
Zwischen der Bindungsart, der Bindungsenergie, der Bindungslänge und der Reaktionsfähigkeit eines Stoffes besteht ein Zusammenhang, der sich an Hand folgender Tabelle zeigen lässt:

© Belinda Flemming: Vergleich der Moleküle von Fluor, Sauerstoff und Stickstoff, CC BY-SA
Bindungsart = Anzahl der Atombindungen zwischen zwei Nichtmetallatomen (Einfach-, Doppel- und Dreifachbindung)
Bindungsenergie = Energie die aufgebracht werden muss um eine Bindung zu lösen
Bindungslänge = Kern-Kern-Abstand zweier durch eine Atombindung verbundener Atome
Fluor ist ein schwach gelbliches Gas, das extrem reaktiv ist. Sein Bestreben Elektronen aufzunehmen ist sehr groß (PSE oben rechts, hohe EN). Bei jeder Reaktion mit einem anderen Stoff muss zunächst die Einfachbindung im Fluormolekül geöffnet werden. Da nur eine Bindung geöffnet werden muss, muss einmal Energie aufgewendet werden, was im Vergleich als geringer Energiebetrag gesehen wird.
Etwas weniger reaktiv zeigt sich der farblose Sauerstoff (Volumenanteil in Luft: 20,95%), bei dem immerhin während einer Reaktion eine Doppelbindung geöffnet werden muss. Die aufzubringende Bindungsenergie ist deutlich größer.
Als extrem unreaktiv zeigt sich der farblose Stickstoff (Volumenanteil in Luft: 78,09%). Seine stabile Dreifachbindung macht ihn chemisch weitgehend inert (unreaktiv). Um die Dreifachbindung zu öffnen muss dreimal Energie aufgebracht werden.
Je höher die Anzahl der Atombindungen, umso stärker ziehen die gegenüberliegenden Kerne die Bindungselektronen an sich heran. Dadurch nimmt der Kern-Kern-Abstand ab und die aufzubringende Bindungsenergie zur Bindungsöffnung steigt.

© Belinda Flemming: Bindungsarten von Molekülen im Vergleich (Fluor, Sauerstoff, Stickstoff), CC BY-SA
Mit abnehmender Schalenanzahl eines Atoms, die für die Abschirmung der Valenzelektronen vor den Anziehungskräften des Atomkerns zur Verfügung stehen, sinken die Atomradien . Je kleiner der Atomradius zweier Atome ist, umso stärker ziehen die Atomkerne auch die Elektronen des gegenüberliegenden Atoms an, wodurch der Kern-Kern-Abstand zweier Atome abnimmt und die Bindungslänge kürzer wird.

© Belinda Flemming: Bindungslängen der Halogen-Moleküle im Vergleich, CC BY-SA