Grundlegende Eigenschaften von Pfeilen und Pfeilvektoren

In der analytischen Geometrie möchte man rechnerische Verfahren anwenden, um geometrische Probleme
zu lösen.  Allerdings kann man mit Punkten, Geraden, Dreiecken und anderen geometrischen Objekten nicht direkt rechnen (man kann sie nicht addieren oder subtrahieren).

Deshalb benötigt man ein Hilfsmittel, ein Verbindungsstück zwischen den geometrischen Objekten und den bekannten Rechenmethoden.

Clevere Mathematiker haben ein Hilfsmittel erfunden, mit dem man die geometrischen Objekte beschreiben kann und mit denen man rechnen kann: Vektoren. Vektoren lassen sich im 2-Dimensionalen und im 3-Dimensionalen durch Pfeile veranschaulichen. Wir werden solche Vektoren daher als „Pfeilvektoren“ bezeichnen.

In diesem Abschnitt lernen Sie die grundlegenden Ideen zu Pfeilen und Vektoren kennen, die später ein vernünftiges „Rechnen mit Pfeilvektoren“ ermöglichen. \(\require{color}\definecolor{energy}{RGB}{114,0,172}\)

Fragen, die Sie am Ende dieses Kapitels beantworten können sollten

In der Geometrie wird ein Pfeilvektor üblicherweise als „Anweisung“ für einen bestimmten Vorgang interpretiert.

  • Um welchen Vorgang handelt es sich dabei?
  • Welche Informationen für diesen Vorgang stecken in so einem Pfeilvektor?
  • Welche Eigenschaften müssen verschiedene Pfeile haben, damit sie ein und denselben Vorgang beschreiben?
  • Wie bezeichnet man die Menge aller Pfeile, die ein und dieselben Vorgang beschreiben?

Pfeilsalat – Eigenschaften von Pfeilen

In der nebenstehenden Abbildung haben einige Pfeile jeweils etwas gemeinsam. Allerdings hängt das natürlich davon ab, welche gemeinsame Eigenschaft der Pfeile betrachtet wird.

  • Finden Sie zunächst verschiedene Eigenschaften, die als Gemeinsamkeitskriterium verwendet werden können.

Vorschläge für Gemeinsamkeitskriterien:

  • gleiche Länge
  • gleiche Richtung (haben alle Pfeile, die parallel zueinander sind)
  • gleiche Orientierung (haben alle Pfeile, die parallel zueinander sind und bei denen die Pfeilspitze in die gleiche Richtung zeigt)
  • gleiche Farbe
  • gemeinsamer Schnittpunkt
  • Geben Sie zu dann zu jeder Eigenschaft an, welche Pfeile diese gemeinsame Eigenschaft haben.
 

 

  • Erkennen Sie, welche Pfeile jeweils in dem „Pfeilsalat“ gleichsinnig parallel und welche sogar parallelgleich sind?

Charakterisierende Bezeichnungen für Pfeile

Pfeile, die

  • parallel zu einander sind und
  • die gleiche Orientierung haben,

nennt man gleichsinnig parallele Pfeile.

Pfeile, die

  • gleichsinnig parallel und
  • gleich lang sind,

nennt man auch parallelgleiche Pfeile.

Grundlegende Überlegungen zu Pfeilen

Bezeichnung eines Pfeils

Um in einem Text von einem bestimmten Pfeil berichten zu können, benötigt er einen Namen.

Üblicherweise wird ein Kleinbuchstabe verwendet, über den ein kleiner Pfeil nach rechts gesetzt wird (z.B.  \(\vec{v}\)).

Eindeutige Beschreibung eines Pfeils

Eindeutig beschrieben ist ein Pfeil, wenn sein Anfangspunkt und sein Endpunkt angegeben sind.

  • Der Anfangspunkt wird „Fußpunkt“ genannt.
  • Der Endpunkt heißt „Spitze„.

Ein Pfeil  \(\vec{v}\)  mit dem Fußpunkt  \(P\)  und der Spitze  \(Q\)  darf auch mit  \(\overrightarrow{PQ}\)  bezeichnet werden. Also gilt:  \(\vec{v}=\overrightarrow{PQ}\).

Wesentlichen Eigenschaften eines Pfeils

Von allen Eigenschaften, die ein Pfeil haben kann, werden für uns die folgenden Eigenschaften von entscheidender Bedeutung sein:

  • Länge
  • Richtung und
  • Orientierung

Im nachfolgenden Geogebra-Applet werden diese Eigenschaften veranschaulicht.

 

 

Die Rolle von Pfeilen bei Verschiebungen

Eine Verschiebung ist eine geometrische Abbildung. Unter einer geometrischen Abbildung versteht man in der Geometrie einen Vorgang, bei dem vorgegebene Punkte ihre Position nach dem gleichen Schema verändern. Dadurch können ganze Figuren ihre Form und ihre Position verändern.

Beispiele für solche geometrischen Abbildungen:

  • Drehungen
  • Spiegelungen
  • Streckungen
  • Verschiebungen

Im nebenstehenden Geogebra-Applet können Sie sich diese Abbildungen vorführen lassen.

 

 

Aufgaben

a) Beobachten Sie in dem Geogebra-Applet die Verschiebung des Dreiecks ABC. Beschreiben Sie anschließend mit Worten, auf welche Weise der Pfeil  \(\color{red}{\overrightarrow{v}}\)  dabei zum Einsatz kommt.

Man zeichnet an jeden Punkt der Figur einen Pfeil, der

  • parallel zu  \(\color{red}{\overrightarrow{v}}\)  ist und
  • die Länge und die Orientierung von  \(\color{red}{\overrightarrow{v}}\)  hat.

Die Pfeilspitzen aller gezeichneten Pfeile zeigen nun auf die Punkte der neuen Figur.

b) Lassen Sie sich in dem Geogebra-Applet bei der Verschiebung des Dreiecks ABC weitere Repräsentanten der Verschiebung  \(\color{red}{\overrightarrow{v}}\)  anzeigen. Erläutern Sie, welche Objekte damit gemeint sind, und inwiefern sie die Verschiebung  \(\color{red}{\overrightarrow{v}}\)  repräsentieren.

Da beim Anklicken der Auswahlbox für „weitere Repräsentanten der Verschiebung“ zusätzlich die Pfeile  \(\color{red}{\overrightarrow{u}}\),  \(\color{red}{\overrightarrow{w}}\)  und 3 schwarz gestrichelte Pfeile erscheinen, handelt es sich dabei offenbar um die „weiteren Repräsentanten der Verschiebung“.

Alle diese Repräsentanten sind

  • parallel zum Pfeil  \(\color{red}{\overrightarrow{v}}\)  ist und
  • haben die Länge und Orientierung von  \(\color{red}{\overrightarrow{v}}\).

Somit kann jeder Pfeil, der diese Eigenschaften hat, verwendet werden, um die Verschiebung des Dreiecks durchzuführen. Insofern kann man jeden Pfeil mit diesen Eigenschaften als „Repräsentanten der Verschiebung“ bezeichnen.

Die Rolle von Pfeilvektoren bei Verschiebungen

Wenn verschiedene (aber parallelgleiche) Pfeile ein und dieselbe Verschiebungsanweisung beschreiben, ist es naheliegend, alle diese Pfeile jeweils zu einem „Paket“ zusammenzuschnüren.

Ein solches „Pfeil-Paket“ beschreibt dann eine bestimmte Verschiebungsanweisung. Es genügt dann auch, sich einen einzigen Pfeil aus diesem Paket anzuschauen, um diese Verschiebungsanweisung zu durchschauen.

Der Begriff „Pfeil-Paket“ hat sich nicht durchgesetzt! Statt dessen verwendet man den Begriff „Pfeilvektor„.

Eine Menge, die aus sämtlichen Pfeilen besteht, die alle

  • parallel sind,
  • die gleiche Länge und
  • die gleiche Orientierung

haben, wird als „Pfeilvektor“ bezeichnet (oder etwas allgemeiner auch einfach nur als „Vektor„).

Ein Pfeilvektor kann als „Verschiebungsanweisung“ interpretiert werden.

Jeder einzelne Pfeil aus dieser Menge für sich genommen ist ein „Repräsentant“ dieses Pfeilvektors.

Bezeichnung von Pfeilvektoren

Damit keine neue Schreibweise erfunden werden muss, hat man folgende Konventionen festgelegt:

  • Will man mit  \(\overrightarrow{a}\)  einen einzigen konkreten Pfeil beschreiben, muss man das ausdrücklich dazusagen!
  • Schreibt man nur  \(\overrightarrow{a}\),  meint man damit automatisch den Pfeilvektor, der vom Pfeil  \(\overrightarrow{a}\)  repräsentiert wird.
  • Das bedeutet: Ein Pfeilvektor darf genauso genannt werden wie JEDER SEINER REPRÄSENTANTEN!

Beispiel

Wie ist die Aussage  \(\overrightarrow{AB} = \overrightarrow{DC} = \overrightarrow{EF}\)  zu verstehen?

  • Die Pfeile  \(\overrightarrow{AB}\),  \(\overrightarrow{DC}\)  und  \(\overrightarrow{EF}\)  sind alle parallelgleich. Ob sie identisch sind, ist hier nicht zu erkennen.
  • Der Pfeilvektor, der vom Pfeil  \(\overrightarrow{AB}\)  repräsentiert wird,  wird auch vom Pfeil  \(\overrightarrow{DC}\)  und auch vom Pfeil  \(\overrightarrow{EF}\)  repräsentiert.
  • Der Pfeilvektor  \(\overrightarrow{AB}\)  darf auch  \(\overrightarrow{DC}\)  oder auch  \(\overrightarrow{EF}\)  genannt werden.

Beispiel

Gegeben ist ein Quader mit den Eckpunkten A, B, C, D, E, F, G und H. Je 2 verschiedene Eckpunkte des Quaders kann man durch einen Pfeil miteinander verbinden.

a) Bestimmen Sie die Anzahl aller möglichen Pfeile, die auf diese Weise gebildet werden können.

b) Ermittlen Sie die Anzahl der verschiedenen Vektoren, die durch diese Pfeile repräsentiert werden.

Die Pfeile  \(\overrightarrow{AB}\),  \(\overrightarrow{DC}\),  \(\overrightarrow{HG}\)  und  \(\overrightarrow{EF}\)  sind alle parallelgleich, also repräsentieren sie alle denselben Pfeilvektor.

Es gilt also:  \(\overrightarrow{AB} = \overrightarrow{DC} =\overrightarrow{HG} = \overrightarrow{EF}\).

Somit haben wir einen Pfeilvektor gefunden, den wir z.B. mit  \(\overrightarrow{AB}\)  bezeichnen dürfen.

Die jeweils entgegengesetzt orientierten Pfeile repräsentieren den Pfeilvektor  \(\overrightarrow{BA}\)  (den sog. Gegenvektor von \(\overrightarrow{AB}\) ).

Auf dieser Weise finden wir jeweils 4 Pfeile auf den Quaderkanten als Repräsentanten der Pfeilvektoren

\(\overrightarrow{AB}\),  \(\overrightarrow{BA}\),  \(\overrightarrow{AD}\),  \(\overrightarrow{DA}\),  \(\overrightarrow{AE}\),  \(\overrightarrow{EA}\).

Wir finden jeweils 2 Pfeile auf den Quader-Seitenflächendiagonalen als Repräsentanten der Pfeilvektoren

\(\overrightarrow{AC}\),  \(\overrightarrow{CA}\),  \(\overrightarrow{BD}\),  \(\overrightarrow{DB}\),  \(\overrightarrow{AF}\),  \(\overrightarrow{FA}\),  \(\overrightarrow{BE}\),  \(\overrightarrow{EB}\),   \(\overrightarrow{AH}\),  \(\overrightarrow{HA}\),   \(\overrightarrow{DE}\),  \(\overrightarrow{ED}\).

Und wir finden jeweils einen Pfeil auf den Quader-Raumdiagonalen als Repräsentanten der Pfeilvektoren

\(\overrightarrow{AG}\),  \(\overrightarrow{GA}\),  \(\overrightarrow{BH}\),  \(\overrightarrow{HB}\),  \(\overrightarrow{CE}\),  \(\overrightarrow{EC}\),  \(\overrightarrow{DF}\),  \(\overrightarrow{FD}\).

Insgesamt sind das  \(4\cdot 6+2\cdot 12+8=56\)  verschiedene Pfeile, durch die  \(6+12+8=26\)  verschiedene Pfeilvektoren festegelegt werden.

 

 

Wichtige Bemerkungen

Bei einem Pfeilvektor  \(\overrightarrow{a}\)  handelt es sich um den Pfeilvektor  \(\overrightarrow{b}\), wenn

  • es einen Repräsentanten von  \(\overrightarrow{a}\)  gibt,
  • der auch ein Repräsentant von  \(\overrightarrow{b}\)  ist.

Man schreibt dann kurz:  \(\overrightarrow{a} = \overrightarrow{b}\)

Fasst man sämtliche Pfeilvektoren selbst auch wieder zu einer Menge zusammen, so bezeichnet man diese Menge als „Pfeilvektorraum„. (Tatsächlich wird das Wort „Raum“ in der Mathematik oft anstelle des Wortes „Menge“ verwendet, bedeutet aber genau das gleiche)

Etwas genauer:

Damit man die Menge wirklich als Pfeilvektorraum bezeichnen darf, muss man dazu noch angeben, wie man mit den Pfeilvektoren rechnen kann.

Das Wort „Vektor“ stammt aus dem Lateinischen:

vector“ heißt Träger, Passagier, Seefahrer, Reiter.

  • Jede dieser Bedeutungen hat ewas mit „Unterwegssein“ zu tun.
  • Offenbar hat man sich früher unter einem Vektor einen sich bewegenden Punkt während einer Verschiebung vorgestellt, während man heute damit die Verschiebungsanweisung (z.B. für einen Punkt) meint.

Die Mathematiker haben längst festgestellt, dass es außer Verschiebungsanweisungen noch ganz andere Objekte gibt, die sich aber sehr ähnlich wie Verschiebungsanweisungen verhalten. Anhand von Pfeilvektoren bzw. Verschiebungsanweisungen kann man viele dieser Eigenschaften von andersartigen Vektoren anschaulich nachvollziehen.

Inzwischen wird der Begriff „Vektor“ als allgemeiner Oberbegriff für ein solches Objekt verwendet, das sich ähnlich wie Verschiebungsanweisungen verhält.

Mathematiker definieren sehr abstrakt einen Vektor als Element eines Vektorraums, zu dem noch angegeben sein muss, wie man mit Vektoren nach bestimmten Regeln „rechnen“ kann.