Modellierung von exponentiellen Prozessen mit \(e\)-Funktionen \(\newcommand{\IR}{\mathrm{I\!R}} \newcommand{\curvelinks}{\style{display: inline-block; transform: rotate(0.5turn);}{\curvearrowleft}}\newcommand{\abl}[1]{{#1}^{\large\prime}}\newcommand{\abb}[1]{{#1}^{\large\prime\prime}}
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Reale Wachstums- und Zerfallsprozesse können immer auch mithilfe der natürlichen Exponentialfunktion (also mit Basis \(e\)) modelliert werden. Dies ist besonders vorteilhaft bei komplexeren Problemstellungen, bei denen später auch Ableitungen von Exponentialfunktionen benötigt werden.

Unbegrenztes exponentielles Wachstum

Merke

Unbegrenztes exponentielles Wachstum
kann durch die Funktion \(f\) mit \(f(t) = a \cdot e^{c \cdot t} \) mit \(a>0\) modelliert werden.

\(a\) ist der Anfangsbestand (Anfangswert) zum Zeitpunkt \(t=0\), also \(f(0)=a\).

\(c>0\) ist die Wachstumskonstante.

Beispiel: Exponentielles Wachstum

Im Jahr 2009 lebten in einer Stadt \(24.100\) Personen. Im Jahr \(2022\) war die Anzahl der Einwohner bereits auf \(26.350\) angewachsen.
Die Anzahl \(A(t)\) der  Personen in Abhängigkeit von der Zeit \(t\) (in Jahren seit dem 1.1.2009) wächst exponentiell und kann durch eine Funktionsgleichung der Form \(A(t)=A_0 \cdot e^{c \cdot t}\) modelliert werden.

a) Bestimmen Sie die Funktionsgleichung. Runden Sie dabei den Wert von \(c\) auf 5 Nachkommastellen.

\(\phantom{a) }\)[Teilergebnis für die folgenden Teilaufgaben: \(A(t) = 24100 \cdot e^{0{,}00687 \cdot t}\)]

b) Berechnen Sie, um wie viele Personen sich die Einwohnerzahl am 1.1.2011 erhöht hat.

c) Berechnen Sie den Zeitpunkt \(t\)  nach Beobachtungsbeginn, bei dem \(25.000\) Personen in der Stadt leben. Geben Sie auch das Jahr an, in dem dies der Fall ist.

\(A(0) = A_0 = 24100\)

Jahr 2009: \(t = 0\)

Jahr 2022: \(t = 13\)

\(\begin{array}{lrclcl}
& A(13) &=& A_0 \cdot e^{c \cdot 13}\\
\Rightarrow & 26350 &=& 24100 \cdot e^{13c} &|& : 24100\\
\Rightarrow & \frac{2635}{2410} &=& e^{13c} &|& ln(…)\\
\Rightarrow & ln\left(\frac{2635}{2410}\right) &=& 13c &|& :13\\
\Rightarrow & c &=& \dfrac{ln\left(\frac{2635}{2410}\right)}{13} \approx  0{,}00687\\
\end{array}\)

Die Funktionsgleichung lautet somit \( A(t) = 24100 \cdot e^{0{,}00687 \cdot t}\).

Jahr 2011: \(t = 2\)

\(A(2) = 24100 \cdot e^{0{,}00687 \cdot 2} \approx 24433\)

\(A(2) \,{-} A(0) = 333\)

Die Einwohnerzahl hat sich am 1.1.2011 um \(333\) Personen erhöht.

\(\begin{array}{lrclcl}
& A(t) & = & 25000 & &\\
\Rightarrow & 24100 \cdot e^{0{,}00687 \cdot t} & = & 25000 &|& : 24100\\
\Rightarrow & e^{0{,}00687 \cdot t} & = & \frac{250}{241} &|& \ln (…)\\
\Rightarrow & 0{,}00687 \cdot t & = & \ln \left(\frac{250}{241}\right) &|& : 0{,}00687\\
\Rightarrow & t & = & \dfrac{\ln\left(\frac{250}{241}\right)}{0{,}00687} \approx 5{,}34 & &\\
\end{array}\)

Ca. \(5{,}34\) Jahre nach Beobachtungsbeginn leben in der Stadt \(25.000\) Personen. Dies ist im Jahr \(2014\) der Fall.

Exponentieller Abklingvorgang / Abkühlvorgang

Merke

Ein beschänkter exponentieller Abklingvorgang bzw. Abkühlvorgang
kann durch die Funktion \(f\) mit \(f(t) = a \cdot e^{c \cdot t} +y_0 \) mit \(a>0\), \(y_0 \in \IR\) modelliert werden.

\(a\) ist der Anfangsbestand (Anfangstemperatur) zum Zeitpunkt \(t=0\), also \(f(0)=a\).

\(c<0\) ist die Abklingkonstante (Abkühlkonstante).

\(y_0\) ist je nach Sachzusammenhang eine langfristige untere Schranke oder die Umgebungstemperatur.

Beispiel: Exponentieller Abkühlvorgang

In ein Gefäß wird warmes Wasser mit einer Temperatur von \(50\, °C\) gefüllt. Im Folgenden wird eine Zeit lang der Temperaturverlauf des Wassers in dem Gefäß gemessen. Nach \(4\) Minuten ist es immerhin schon auf \(40\, °C\) abgekühlt.

Man kann beobachten, dass die Temperatur des Wassers exponentiell abnimmt, weshalb sie durch eine Funktionsgleichung der Form \(\vartheta (t)= a \cdot e^{c \cdot t} + 30\) modelliert werden kann. Dabei bezeichnet \(\vartheta(t)\) die Wassertemperatur in °C in Abhängigkeit von der Zeit \(t\) (in Minuten seit Beobachtungsbeginn).

a) Bestimmen Sie den Funktionsterm \(\vartheta (t)\). Runden Sie dabei den Wert von \(c\) auf 5 Nachkommastellen.

\(\phantom{a) }[Teilergebnis für die folgenden Teilaufgaben: \(\vartheta(t) = 20 \cdot e^{-0{,}17329 \cdot t} + 30\)]

b) Berechnen Sie den Zeitpunkt \(t\), bei dem die Temperatur des Wassers \(31\, °C\) beträgt.

c) Geben Sie die Bedeutung des Summanden \(30\) im Funktionsterm an und bestätigen Sie dies durch eine geeignete Berechnung.

Bestimmung des Wertes von \(a\):

\(\vartheta(0) = 50\)

\(a \cdot \underbrace{e^{c \cdot 0}}_{1} + 30 =50 \quad \Rightarrow \quad a + 30 =50 \quad \Rightarrow \quad a = 20\)

Bestimmung des Wertes von \(c\):

\(\begin{array}{lrclcl}
& \vartheta (4) &=& 40& &\\
\Rightarrow & 20 \cdot e^{c \cdot 4} +30 &=& 40 &|& -30\\
\Rightarrow & 20 \cdot e^{4c} &=& 10 &|& : 20\\
\Rightarrow & e^{4c} &=& 0{,}5 &|& \ln(…)\\
\Rightarrow & 4c &=& ln(0{,}5) &|& : 4\\
\Rightarrow & c &=& \frac{ln(0,5)}{4} \approx  -0{,}17329 & &\\
\end{array}\)

Der Funktionsterm lautet somit \( \vartheta(t) = 20 \cdot e^{-0{,}17329 \cdot t} + 30\).

Berechnung von \(t\):

\(\begin{array}{lrclcl}
& \vartheta(t) & = & 31 & &\\
\Rightarrow & 20 \cdot e^{-0{,}17329 \cdot t} + 30 &=& 31 &|& -30\\
\Rightarrow & 20 \cdot e^{-0{,}17329 \cdot t}  &=& 1 &|& :20\\
\Rightarrow & e^{-0{,}17329 \cdot t}  &=& 0{,}05 &|& ln(…)\\
\Rightarrow & -0{,}17329 \cdot t  &=& ln(0{,}05) &|& : (-0{,}17329)\\
\Rightarrow & t &=& \frac{ln(0{,}05)}{-0{,}17329} \approx 17{,}29 & &\\
\end{array}\)

Anmerkungen:

\(0{,}29\,min = 0,29 \cdot 60\,s \approx 17\,s\)
\(17{,}29\, min = 17\, min\) und \(17\, s\)

Nach hinreichend langer Zeit wird die Wassertemperatur auf die Umgebungstemperatur abkühlen.

Aus mathematischer Sicht kann man erst dann von „hinreichend lang“ sprechen, wenn \({t \to +\infty}\) geht:

\(\lim \limits_{t \to +\infty}\left(\vartheta(t)\right)\) = \(\lim \limits_{t \to +\infty} (20 \cdot \underbrace{e^{-0{,}17329 \cdot t}}_{\to 0} + 30) = 30\)

Der Wert \(30\) verrät also, dass die Umgebungstemperatur \(30\,°C\) beträgt, die das Wasser nach langer Zeit annimmt.

Verdoppelungszeit und Halbwertszeit

Die Zeit, in der sich ein Bestand bei exponentiellem Wachstum verdoppelt oder bei exponentiellem Zerfall halbiert, ist ein Maß dafür, wie schnell das Wachstum bzw. der Zerfall abläuft.

Verdoppelungszeit

Der Bestand \(N(t)\) einer exponentiell wachsenden Größe in Abhängigkeit von der Zeit \(t\) kann durch die Funktionsgleichung \(N(t)=N_0 \cdot e^{c \cdot t}\) mit \(t \geq 0\) und \(c>0\) beschrieben werden.

Die Dauer, nach der sich aktuelle Bestand jeweils verdoppelt hat, nennt man Verdoppelungszeit \(t_V\) .

Geht man zum Beispiel vom Anfangsbestand \(N_0\) aus, so ist der Bestand nach dem Verstreichen der Verdoppelungszeit \(t_V\) auf \(2 \cdot N_0\) angewachsen.

Es gilt also:

\(\begin{array}{lrclcl}
& N(t_V) &=& 2 \cdot N_0 & &\\
\Rightarrow & N_0 \cdot e^{c \cdot t_V } &=& 2 \cdot N_0 &|& : N_0\\
\Rightarrow & e^{c \cdot t_V } &=& 2   &|&  ln(…)\\
\Rightarrow & c \cdot t_V  &=& ln(2)   &|& : c\\
\Rightarrow & t_V  &=& \frac{ln(2)}{c} & &\\
\end{array}\)

Die Besonderheit der Verdoppelungszeit \(t_V  = \frac{ln(2)}{c}\):

\(N(t) = N_0 \cdot e^{c \cdot t}\) = Bestand zum Zeitpunkt \(t\)

\(N(t+t_V) = N_0 \cdot e^{c \cdot (t+t_V)}\) = Bestand zum Zeitpunkt \(t + t_V\)

Es lohnt sich, weiter zu rechnen:

\(N(t+t_V) = N_0 \cdot e^{c \cdot (t + t_V)}\) \(= N_0 \cdot e^{c \cdot t\ +\ c \cdot t_V}\) \(= \underbrace{N_0 \cdot e^{c \cdot t}}_{=\ N(t)} \cdot e^{c \cdot t_V}\) \(= N(t) \cdot e^{c\ \cdot\ \frac{ln(2)}{c}}\) \(= N(t) \cdot e^{ln(2)}\) \(= N(t) \cdot 2\)

Interpretation:

  • Zum Zeitpunkt \(t + t_V\) hat sich der Bestand im Vergleich zum Zeitpunkt \(t\) verdoppelt.
  • Jeweils nach Verstreichen der Zeit \(t_V\) verdoppelt sich der Bestand.

Beispiel zur Verdoppelungszeit

Die Anzahl \(B\) der Bakterien einer Bakterienkultur wächst exponentiell. Das Wachstum kann durch die Funktionsgleichung \(B(t) = 1100 \cdot e^{0{,}12783 \cdot t} \) mit \(t \geq 0\) (\(t\) in Stunden seit Beobachtungsbeginn) modelliert werden.

Berechnen Sie die Zeit \(t_V\), nach der sich die Bakterienanzahl verdoppelt hat.

\(\begin{array}{lrclcl}
& A(t_V) &=& 0{,}5 \cdot 1100 & &\\
\Rightarrow & 1100 \cdot e^{0{,}12783 \cdot t_H } &=& 2 \cdot 1100 &|& : 1100\\
\Rightarrow & e^{0{,}12783 \cdot t_V } &=& 2   &|&  ln(…)\\
\Rightarrow & 0{,}12783 \cdot t_H  &=& ln(2)   &|& : 0{,}12783\\
\Rightarrow & t_H  &=& \frac{ln(2)}{0{,}12783} \approx  5{,}42\\
\end{array}\)

oder einfach so:

\(t_H  = \frac{ln(2)}{c} = \frac{ln(2)}{0{,}12783} \approx  5{,}42 \)

Nach ca. \(5{,}42\) Stunden hat sich die Bakterienanzahl verdoppelt.

Halbwertszeit

Der Bestand \(N(t)\) einer exponentiell abnehmenden Größe in Abhängigkeit von der Zeit \(t\) kann durch die Funktionsgleichung \(N(t)=N_0 \cdot e^{c \cdot t}\) mit \(t \geq 0\) und \(c < 0\) beschrieben werden.

Die Dauer, nach der sich aktuelle Bestand jeweils halbiert hat, nennt man Halbwertszeit \(t_H\) .

Geht man zum Beispiel vom Anfangsbestand \(N_0\) aus, so ist der Bestand nach dem Verstreichen der Halbwertszeit \(t_H\) auf \(0{,}5 \cdot N_0\) abgesunken.

Es gilt also:

\(\begin{array}{lrclcl}
& N(t_H) &=& 0{,}5 \cdot N_0 & &\\
\Rightarrow & N_0 \cdot e^{c \cdot t_H } &=& 0{,}5 \cdot N_0 &|& : N_0\\
\Rightarrow & e^{c \cdot t_H } &=& 0{,}5   &|&  ln(…)\\
\Rightarrow & c \cdot t_H  &=& ln(0{,}5)   &|& : c\\
\Rightarrow & t_H  &=& \frac{ln(0{,}5)}{c} = \frac{ln\left(\frac{1}{2}\right)}{c}  = \frac{ln(1)\ -\ ln(2)}{c} = {-}\frac{ln(2)}{c}&|& (ln(1)=0)\\
\end{array}\)

Die Besonderheit der Halbwertszeit \(t_H  = \frac{ln(0{,}5)}{c}\):

\(N(t) = N_0 \cdot e^{c \cdot t}\) = Bestand zum Zeitpunkt \(t\)

\(N(t+t_H) = N_0 \cdot e^{c \cdot (t+t_H)}\) = Bestand zum Zeitpunkt \(t + t_H\)

Es lohnt sich, weiter zu rechnen:

\(N(t+t_H) = N_0 \cdot e^{c \cdot (t + t_H)}\) \(= N_0 \cdot e^{c \cdot t\ +\ c \cdot t_H}\) \(= \underbrace{N_0 \cdot e^{c \cdot t}}_{=\ N(t)} \cdot e^{c \cdot t_H}\) \(= N(t) \cdot e^{c\ \cdot\ \frac{ln(0{,}5)}{c}}\) \(= N(t) \cdot e^{ln(0{,}5)}\) \(= N(t) \cdot 0{,}5\)

Interpretation:

  • Zum Zeitpunkt \(t + t_H\) hat sich der Bestand im Vergleich zum Zeitpunkt \(t\) halbiert.
  • Jeweils nach Verstreichen der Zeit \(t_H\) halbiert sich der Bestand.

Beispiel zur Halbwertszeit

In einem bestimmen großen See nimmt der Flächeninhalt \(A(t)\) (in \(cm^2\)) der von Algen bedeckten Fläche durch Zugabe einer Chemikalie exponentiell ab. Die Abnahme kann durch die Funktionsgleichung \(A(t) = 2600 \cdot e^{{-}0{,}08612 \cdot t} \) mit \(t \geq 0\) modelliert werden, wobei \(t\) in Tagen seit Beobachtungsbeginn angegeben wird.

Berechnen Sie die Zeit \(t_H\), nach der sich die von den Algen bedeckte Fläche jeweils halbiert.

\(\begin{array}{lrclcl}
& A(t_H) &=& 0{,}5 \cdot 2600 & &\\
\Rightarrow & 2600 \cdot e^{{-}0{,}08612 \cdot t_H } &=& 0{,}5 \cdot 2600 &|& : 2600\\
\Rightarrow & e^{{-}0{,}08612 \cdot t_H } &=& 0{,}5   &|&  ln(…)\\
\Rightarrow & {-}0{,}08612 \cdot t_H  &=& ln(0{,}5)   &|& : ({-}0{,}08612)\\
\Rightarrow & t_H  &=& \frac{ln(0{,}5)}{{-}0{,}08612} \approx  8{,}05\\
\end{array}\)

oder einfach so:

\(t_H  = \frac{ln(0{,}5)}{c} = \frac{ln(0{,}5)}{{-}0{,}08612} \approx  8{,}05 \)

Nach ca. \(8{,}05 \) Tagen hat sich die von den Algen bedeckte Fläche halbiert.

Dauer für die Ver-n-fachung des Bestandes

Die Zeit \(t\) für eine beliebige, vorgegebene exponentielle Bestandsänderung kann ausgehend von einem ähnlichen Ansatz wie bei der Ermittlung der Verdopplungs- bzw. der Halbwertszeit berechnet werden.

Beispiele

1) Berechnen Sie die Zeit \(t\), nach der sich der Bestand \(N(t)\) verdreifacht hat.

Lösungsansatz: \(N(t) = 3 \cdot N_0\)

2) Berechnen Sie die Zeit \(t\), nach der sich der Bestand \(N(t)\) geviertelt hat.

Lösungsansatz: \(N(t) = \frac{1}{4} \cdot N_0\)

3) Berechnen Sie die Zeit \(t\), nach der der Bestand \(N(t)\) noch \(70 \, \%\) (des Anfangsbestandes) beträgt.

Lösungsansatz: \(N(t) = 0{,}7 \cdot N_0\)