Beschreibung von Wachstumsvorgängen durch geeignete Funktionen

Monotonieverhalten als Kennzeichen für positives oder negatives Wachstum

Lässt sich in einem bestimmten Zeitraum \([x_{\text{Anfang}}; x_{\text{Ende}}]\)\(\newcommand{\IR}{\mathrm{I\!R}} \newcommand{\curvelinks}{\style{display: inline-block; transform: rotate(0.5turn);}{\curvearrowleft}}\newcommand{\abl}[1]{{#1}^{\large\prime}}\newcommand{\abb}[1]{{#1}^{\large\prime \prime}}\newcommand{\dx}{\Delta{x}}\newcommand{\dy}{\Delta{y}}\)

  • der Zustand einer bestimmten Größe (z.B. Kapital auf dem Konto) beobachten und
  • zu verschiedenen Zeitpunkten \(x\) jeweils durch einen eindeutigen Zahlenwert \(g(x)\) beschreiben,

so kann man aus mathematischer Sicht den Zusammenhang zwischen

  • Zeitpunkt \(x\) und
  • Wert der Größe \(g(x)\)

als eine Funktion interpretieren: \(g: x\mapsto g(x)\) mit der Definitionsmenge \(D_g = [x_{\text{Anfang}};x_{\text{Ende}}]\).

Wenn \(g\) eine ableitbare Funktion ist, so wird ihre Ableitung zum Zeitpunkt \(x\) mit \(\abl{g}(x)\) bezeichnet.

Die beobachtete Größe weist „positives Wachstum“ auf,

  • wenn \(g\) streng monoton zunehmend ist bzw.
  • wenn \(g\) sogar ableitbar ist
    und \(\abl{g}(x)>0\) für alle Werte von \(x\in D_g\) ist.

Eine Funktion \(g\) ist streng monoton zunehmend,

  • wenn zu jeweils zwei verschiedenen Zeitpunkten \(x_1, x_2 \in D_g\) mit \(x_1 < x_2\) gilt:
    \(g(x_1) < g(x_2)\)
  • wenn \(g\) ableitbar ist und
    \(\abl{g}(x)>0\) für alle Werte von \(x\in D_g\) ist.

Die beobachtete Größe weist „negatives Wachstum“ auf,

  • wenn \(g\) streng monoton abnehmend ist bzw.
  • wenn \(g\) ableitbar ist
    und \(\abl{g}(x)<0\) für alle Werte von \(x\in D_g\) ist.

Eine Funktion \(g\) ist streng monoton abnehmend,

  • wenn zu jeweils 2 verschiedenen Zeitpunkten \(x_1, x_2 \in D_g\) mit \(x_1 < x_2\) gilt:
    \(g(x_1) > g(x_2)\)
  • wenn \(g\) ableitbar ist und
    \(\abl{g}(x)<0\) für alle Werte von \(x\in D_g\) ist.

Lineare Wachstumsvorgänge

Um die Art eines Wachstumsvorgangs genauer zu charakterisieren, beobachtet man den „Bestand“ der beobachteten Größe nach jeweils konstanten Zeitabschnitten \(\dx\).

Als Nebeneffekt werden wir geeignete Funktionsgleichungen erhalten, mit denen der „Bestand“ zum Zeitpunkt \(x\) berechnet werden kann.

Im folgenden verwendete Bezeichnungen

  • \(x\) = verstrichene Zeit seit Beginn der Beobachtung des Vorgangs
  • \(x + 1\) = Zeitpunkt, der genau eine Zeiteinheit nach der Zeit \(x\) liegt
  • \(\dx\) = konstanter Zeitabschnitt zwischen je zwei Beobachtungen des Bestands
  • \(k\cdot\dx\) = Zeit nach dem Verstreichen von \(k\) gleichen Zeitabschnitten
  • \(y(x)\) = Bestand zu einem bestimmten Zeitpunkt \(x\)
  • \(y(0)\) = Bestand zu Beginn der Beobachtung
  • \(y(x + \dx)\) = Bestand, gemessen nach einen Zeitabschnitt \(\dx\) nach dem Zeitpunkt \(x\)
  • \(y(x + k\cdot\dx)\) = Bestand, gemessen nach \(k\) gleichen Zeitabschnitten \(\dx\) nach dem Zeitpunkt \(x\)

Lineares Wachstum (Charakteristisches Kennzeichen)

Ein Bestand \(y(x)\) wächst linear,
wenn er jeweils in gleichen Zeitabschnitten \(\dx\)
stets um den konstanten Wert \(\dy\) zunimmt.

Beispiel:

\(x\) \(1\) \(4\) \(7\) \(10\)
\(y(x)\) \(-6\) \(-1\) \(4\) \(9\)

Misst man also

  • zu einem beliebigen Zeitpunkt \(x\)
    den Bestand  \(y(x)\)
  • und einen Zeitabschnitt \(\dx\) nach Zeitpunkt \(x\)
    den Bestand \(y(x + \dx)\),

so gilt: \(y(x + \dx) = y(x) + \dy\).

Oder mit anderen Worten
(charakteristisch für lineares Wachstum):

Die Differenz \(y(x + \dx)-y(x)\)
hat stets den gleichen Wert \(\dy\).

Die verschiedenen Beobachtungszeitpunkte \(x\) haben alle den Abstand \(\dx=3\).

Wir bilden die Differenzen von je zwei „benachbarten“ Bestandswerten, also von \(y(x+3)\) und \(y(x)\):

\(y(1+3)-y(1)\)  =  \(y(4)-y(1)\)  =  \(-1-(-6)=5\)
\(y(4+3)-y(4)\)  =  \(y(7)-y(4)\)  =  \(4-(-1)=5\)
\(y(7+3)-y(7)\)  =  \(y(10)-y(7)\)  =  \(9-4=5\)

Weil die Differenzen \(y(x+3)-y(x)\) hier stets den gleichen Wert \(\dy=5\) haben, deuten die vier beobachteten Werte darauf hin, dass lineares Wachstum vorliegt.

Lineares Wachstum (Herleitung der Funktionsgleichung)

Der Bestand zum Zeitpunkt \(x=0\) ist \(y(0)\). Also ist der Bestand

  • nach dem ersten Zeitabschnitt: \(y(\dx) = y(0) + \dy\)
  • nach zwei gleichen Zeitabschnitten: \(y(2\cdot\dx) = y(0) + 2\cdot\dy\)
  • nach \(k\) gleichen Zeitabschnitten: \(y(k\cdot\dx) = y(0) + k\cdot\dy\)

Bezeichnet man den Zeitpunkt \(k\cdot\dx\) einfach nur mit \(x\),
(d.h. man schreibt \(x = k\cdot\dx\)), so folgt: \(k = \dfrac{x}{\dx}\).

Anstelle von \(y(\underbrace{k\cdot\dx}_{x}) = y(0) + k\cdot\dy\)
kann man nun \(y(x) = y(0) + \dfrac{x}{\dx}\cdot\dy\) schreiben,
oder auch \(y(x) = y(0) + \dfrac{\dy}{\dx}\cdot x\).

Aufgabe

Erläutern Sie die Bedeutung der Aussage \(y(x+1)\ -\ y(x) = \dfrac{\dy}{\dx}\)
und weisen Sie nach, dass sie bei linearem Wachstum stets zutrifft.

Erläuterung der einzelnen Terme

  • \(x+1\) ist der Zeitpunkt, der eine Zeiteinheit nach dem Zeitpunkt \(x\) liegt.
  •  \(y(x+1)\ -\ y(x)\) gibt den Unterschied an, um den sich die beobachtete Größe nach einer Zeiteinheit verändert hat.
  • \(\dfrac{\dy}{\dx}\) gibt an, wie stark sich die beobachtete Größe pro Zeitintervall \(\dx\) verändert.

Herleitung der Behauptung \(y(x+1)\ -\ y(x)  = \dfrac{\dy}{\dx}\)

\(\ \ (I)\ y(x) \quad\ \ \ = y(0) + \dfrac{\dy}{\dx}\cdot x\)
\((II)\ y(x+1) = y(0) + \dfrac{\dy}{\dx}\cdot (x+1)\)

Gleichung \((I)\) von Gleichung \((II)\) abziehen:

\(\implies\quad y(x+1)\ -\ y(x) = \left(y(0) + \dfrac{\dy}{\dx}\cdot (x+1)\right)\ -\ \left(y(0) + \dfrac{\dy}{\dx}\cdot x\right)\)

\(\phantom{\implies\quad y(x+1)\ -\ y(x)} = \dfrac{\dy}{\dx}\cdot \left( (x+1)\ -\ x\right) = \dfrac{\dy}{\dx}\cdot 1\)

\(\implies\quad y(x+1)\ -\ y(x) = \dfrac{\dy}{\dx}\)

Exponentielle Wachstumsvorgänge

Auch bei exponentiellen Wachstumsvorgängen beobachten wir zunächst den „Bestand“ der beobachteten Größe nach jeweils konstanten Zeitabschnitten \(\dx\).

Im folgenden verwendete Bezeichnungen (die selben wie oben)

  • \(x\) = verstrichene Zeit seit Beginn der Beobachtung des Vorgangs
  • \(x + 1\) = Zeitpunkt, der genau eine Zeiteinheit nach der Zeit \(x\) liegt
  • \(\dx\) = konstanter Zeitabschnitt zwischen je zwei Beobachtungen des Bestands
  • \(k\cdot\dx\) = Zeit nach dem Verstreichen von \(k\) gleichen Zeitabschnitten
  • \(y(x)\) = Bestand zu einem bestimmten Zeitpunkt \(x\)
  • \(y(0)\) = Bestand zu Beginn der Beobachtung
  • \(y(x + \dx)\) = Bestand, gemessen nach einen Zeitabschnitt \(\dx\) nach dem Zeitpunkt \(x\)
  • \(y(x + k\cdot\dx)\) = Bestand, gemessen nach \(k\) gleichen Zeitabschnitten \(\dx\) nach dem Zeitpunkt \(x\)

Exponentielles Wachstum (Charakteristisches Kennzeichen)

Ein Bestand \(y(x)\) wächst exponentiell,
wenn er jeweils in gleichen Zeitabschnitten \(\dx\)
stets um den konstanten Faktor \(c\) anwächst.

Beispiel:

\(x\) \(3\) \(5\) \(7\) \(9\)
\(y(x)\) \(\frac{16}{9}\) \(4\) \(9\) \(\frac{81}{4}\)

Misst man also zu einem beliebigen Zeitpunkt \(x\)
den Bestand \(y(x)\)

und einen Zeitabschnitt \(\dx\) nach Zeitpunkt \(x\)
den Bestand \(y(x + \dx)\),

so gilt: \(y(x + \dx) = y(x)\cdot c\).

Oder mit anderen Worten
(Charakteristisches Kennzeichen):

Der Quotient \(\dfrac{y(x + \dx)}{y(x)}\)
hat stets den gleichen Wert \(c\).

Die verschiedenen Beobachtungszeitpunkte \(x\) haben alle den Abstand \(\dx=2\).

Wir bilden die Quotienten von je zwei „benachbarten“ Bestandswerten, also von \(y(x+2)\) und \(y(x)\):

\(\dfrac{y(3+2)}{y(3)}\) = \(\dfrac{y(5)}{y(3)}\) = \(\dfrac{4}{\frac{16}{9}} =\dfrac{9}{4}\)
\(\dfrac{y(5+2)}{y(5)}\) = \(\dfrac{y(7)}{y(5)}\) = \(\dfrac{9}{4}\)
\(\dfrac{y(7+2)}{y(7)}\) = \(\dfrac{y(9)}{y(7)}\) = \(\dfrac{\frac{81}{4}}{9} =\dfrac{9}{4}\)

Weil die Quotienten \(\dfrac{y(x + 2)}{y(x)}\) hier stets den gleichen Wert \(c=\dfrac{9}{4}\) haben, deuten die vier beobachteten Werte darauf hin, dass exponentielles Wachstum vorliegt.

Exponentielles Wachstum (Herleitung der Funktionsgleichung)

Der Bestand zum Zeitpunkt \(x=0\) ist \(y(0)\). Also ist der Bestand

  • nach dem ersten Zeitabschnitt: \(y(\dx) = y(0)\cdot c\)
  • nach zwei gleichen Zeitabschnitten: \(y(2\cdot\dx) = y(0)\cdot c\cdot c\)
  • nach \(k\) gleichen Zeitabschnitten: \(y(k\cdot\dx) = y(0)\cdot c^k\)

Bezeichnet man den Zeitpunkt \(k\cdot\dx\) einfach nur mit \(x\),
(d.h. man schreibt \(x = k\cdot\dx\)), so folgt: \(k = \dfrac{x}{\dx}\).

Anstelle von \(y(\underbrace{k\cdot\dx}_{x}) = y(0)\cdot c^k\)
kann man nun \(y(x) = y(0)\cdot c^\tfrac{x}{\dx}\) schreiben.

Nach den Potenzgesetzen gilt: \(c^\tfrac{x}{\dx} = \left(c^\tfrac{1}{\dx}\right)^x\).

Da \(c\) und \(\dx\) konstant sind,
kann man eine neue Konstante \(b = c^\tfrac{1}{\dx}\) definieren.

Anstelle von \(y(x) = y(0)\cdot c^\tfrac{x}{\dx}\)
kann man nun \(y(x) = y(0)\cdot b^x\) schreiben.

Aufgabe

Erläutern Sie die Bedeutung der Aussage \(\dfrac{y(x+1)}{y(x)} = c^\tfrac{1}{\dx}\)
und weisen Sie nach, dass sie bei exponentiellem Wachstum stets zutrifft.

Erläuterung der einzelnen Terme

  • \(x+1\) ist der Zeitpunkt, der eine Zeiteinheit nach dem Zeitpunkt \(x\) liegt.
  •  \(\dfrac{y(x+1)}{y(x)}\) gibt den Faktor an, um den sich die beobachtete Größe nach einer Zeiteinheit verändert hat.
  • \( c^\tfrac{1}{\dx}\) ist die Konstante \(b\).
  • Anstelle von \(\dfrac{y(x+1)}{y(x)} = c^\tfrac{1}{\dx}\)  kann man also auch schreiben: \(\dfrac{y(x+1)}{y(x)} = b\) .

Herleitung der Behauptung \(\dfrac{y(x+1)}{y(x)} = b\)

\(\ \ (I)\ y(x) \quad\ \ = y(0)\cdot  b^x\)
\((II)\ y(x+1) = y(0)\cdot  b^{x+1}\)

Gleichung \((II)\) durch Gleichung \((I)\) dividieren:

\(\implies\quad \dfrac{y(x+1)}{y(x)} = \dfrac{y(0)\cdot  b^{x+1}}{y(0)\cdot  b^x}\)

\(\phantom{\implies\quad \dfrac{y(x+1)}{y(x)}} = \dfrac{b^{x+1}}{b^x} = b \)

\(\implies\quad \dfrac{y(x+1)}{y(x)} = b\)

\(b\)  ist folglich der Faktor, um den die beobachtete Größe nach jeweils einer Zeiteinheit angewachsen oder geschrumpft ist.