Bedeutung der \(e\)-Funktion für beliebige Exponentialfunktionen

Im vorherigen Abschnitt haben wir gesehen, \(\newcommand{\IR}{\mathrm{I\!R}} \newcommand{\curvelinks}{\style{display: inline-block; transform: rotate(0.5turn);}{\curvearrowleft}}\newcommand{\abl}[1]{{#1}^{\large\prime}}\newcommand{\abb}[1]{{#1}^{\large\prime \prime}}
\newcommand{\fs}[1]{{#1}^{\large\prime}}\newcommand{\fss}[1]{{#1}^{\large\prime \prime}}\)

a) dass für die Exponentialfunktion zur Basis \(e\) (kurz: \(e\)-Funktion) gilt:

  • \(f(x) = e^x\)  und \(\fs{f}(x) = e^x\),
  • wobei \(e\) die sog. Euler’sche Zahl ist und \(e \approx 2{,}72\) ist.

b) dass der Logarithmus zur Basis \(e\) auch logarithmus naturalis genannt wird:

  • Anstelle von \(\log_e\) schreibt man kürzer einfach nur \(\ln\).
    Also gilt: \(e^\color{magenta}{x} = y \ \ \Leftrightarrow\ \ \color{magenta}{x} = \color{magenta}{\log_e}(y) = \ \ \Leftrightarrow\ \ \color{magenta}{x} = \color{magenta}{\ln}(y)\).
  • Außerdem kann man den Logarithmus zu jeder beliebigen Basis \(\color{brown}{b}\) allein mithilfe des \(\color{magenta}{\ln}\) berechnen:
    \(\log_\color{brown}{b}(y) = \dfrac{\color{magenta}{\ln}(y)}{\color{magenta}{\ln}(\color{brown}{b})}\)   („Basis-Wechsel-Formel„)

In diesem Abschnitt werden wir sehen, wie mächtig diese beiden Konzepte sind! Denn man kann

  • jede andere Exponentialfunktion mithilfe der \(e\)-Funktion darstellen,
  • die Ableitung von jeder anderen Exponentialfunktion mithilfe der \(e\)-Funktion berechnen.

Darstellung von Exponentialfunktionen mithilfe der \(e\)-Funktion

Interaktive Untersuchungen

Aufgabe 1

Sofern das Häkchen bei der Option „f(x)“ gesetzt ist, entfernen Sie das Häkchen (damit der Graph von \(f\) ausgeblendet wird).

Variieren Sie den Wert von \(d\) und beobachten Sie, wie sich

  • der Graph von \(u:x\mapsto e^{d\,\cdot\, x}\)
  • im Vergleich zum Graphen der \(e\)-Funktion

verändert.

Streckt man den Graphen der \(e\)-Funktion

  • in \(x\)-Richtung
  • um den Kehrwert von \(d\),

so erhält man den Graphen von \(u:x\mapsto e^{d\cdot x}\).

Z.B.: Ist \(d=0{,}5\), so ist \(G_u\) 2-mal so „breit“ wie der Graph der \(e\)-Funktion.

Aufgabe 2

Setzen Sie Häkchen bei der Option „f(x)
(damit der Graph von \(f\) sichtbar wird).

Beobachten Sie, bei welchem Wert von \(d\)

  • der Graph von \(u:x\mapsto e^{d\,\cdot\, x}\)
  • mit dem Graphen von \(f:x\mapsto b^x\)

übereinstimmt.

Nur, wenn man man für \(d\) den Wert \(\ln(b)\) einstellt,
stimmt

  • der Graph von \(u:x\mapsto e^{d\,\cdot\, x}\)
  • mit dem Graphen von \(f:x\mapsto b^x\)

überein.

Diese Beobachtung legt den Verdacht nahe, dass gilt:

\(b^x = e^{\ln(b)\,\cdot\, x}\)

 

 

Zusammenhang zwischen der \(e\)-Funktion und einer Exponentialfunktion zur Basis \(b\)

Gegeben sei die Funktion

  • \(f:x \mapsto b^x\)  (Exponentialfunktion zur Basis \(b\))

mit der Definitionsmenge \(D_f=\IR\)
und \(b\in\IR^+\setminus\{1\}\).

Dann gilt: \(f(x) = b^x = e^{\ln(b)\cdot x}\)

1. Dem 4. \(ln\)-Rechengesetz zufolge gilt:

\(b = e^{ln(b)}\).

2. Beide Seiten dieser Gleichung werden
mit \(x\) potenziert:

\(b^x = \left(e^{ln(b)}\right)^x\)

3. Nun wird das 3. \(ln\)-Rechengesetz angewendet:

\(b^x = \left(e^{ln(b)}\right)^x = e^{ln(b)\cdot x}\)

Also kann \(f(x) = b^x\) auch in
der Form \(f(x) = e^{ln(b)\cdot x}\) geschrieben werden.

Beispiele:

\(f(x) = 2^x\),  \(g(x) = e^{\ln(2)\cdot x}\) \(\quad\Rightarrow\ f(x) = g(x)\)

\(\Rightarrow\ f(0) = 2^0 = 1\),
\(\phantom{\Rightarrow\ } g(0) = e^{\ln(2)\cdot 0} = e^0 = 1\)

\(\Rightarrow\ f(1) = 2^1 = 2\),
\(\phantom{\Rightarrow\ } g(1) = e^{\ln(2)\cdot 1} = e^{\ln(2)} = 2\)

\(\Rightarrow\ f(3) = 2^3 = 8\),
\(\phantom{\Rightarrow\ } g(3) = e^{\ln(2)\cdot 3} = e^{\ln(2^3)} = 2^3 =8\)

\(v(x) = 4^x\),  \(w(x) = e^{\ln(4)\cdot x}\) \(\quad\Rightarrow\ v(x) = w(x)\)

\(\Rightarrow\ v(1{,}5) = 4^{1{,}5}=8\),
\(\phantom{\Rightarrow\ } w(1{,}5) = e^{\ln(4)\cdot 1{,}5} = 8\)

Herleitung der Ableitung der Exponentialfunktion zur Basis \(b\)

Mithilfe der Erkenntnis, dass \(b^x = e^{ln(b)\cdot x}\) gilt, wird es uns nun endlich gelingen, auch die Ableitung einer Exponentialfunktion zu einer beliebigen Basis \(b\) zu bestimmen.

Wir benötigen dafür allerdings noch zwei „Zutaten“:

  • die Darstellung einer Funktion \(f\) als Verkettung einer Funktion \(g\) mit einer Funktion \(h\).

Eine Funktion \(g\) wird mit einer Funktion \(h\) „verkettet„,

  • indem man den vollständigen Term \(h(x)\)
  • für \(x\) in \(g(x)\) einsetzt.

Der dadurch entstehende Term kann als Funktionsterm einer weiteren Funktion \(f\) verwendet werden.

D.h.: \(f(x) = g\big(\ h(x)\ \big)\)

  • \(g\) heißt dann
    äußere Funktion der Verkettung.
  • \(h\) heißt dann
    innere Funktion der Verkettung.

Achtung:

Die Reihenfolge, in der verkettet wird,
ist nicht egal!

z.B. \(g(x) = x^2\),  \(h(x) = 3x-4\)

Verkettung von \(g\) mit \(h\):
\(f_1(x) = g\big(\ h(x)\ \big) = g\big(\ 3x-4\ \big) = (3x-4)^2\)

Verkettung von \(h\) mit \(g\):
\(f_2(x) = h\big(\ g(x)\ ) = h\big(\ x^2\ \big) = 3x^2-4\)

  • die Ableitungsregel für eine solche Funktion \(f\),
    die eine Verkettung von \(g\) und \(h\) ist
    (die sog. „Kettenregel„).

Gegeben sei eine Funktion \(f\),
die durch die Verkettung einer Funktion \(g\)
mit einer Funktion \(h\) definiert ist,
d.h.: \(f(x) = g\big(\ h(x)\ \big)\)

Dann gilt für die Ableitung von \(f\):
\(\fs{f}(x) = \fs{g}\big( h(x) \big) \cdot \fs{h}(x)\)

Beispiel:

\(g(x) = x^2\),   \(h(x) = 3x-4\)
\(\fs{g}(x) =  2x\),  \(\fs{h}(x) = 3\)

Verkettung von \(g\) mit \(h\):
\(f(x) = g\big(\ h(x)\ \big) = g\big(\ 3x-4\ \big) = (3x-4)^2\)

\(\Rightarrow \ \ \fs{f}(x) = \fs{g}\big( h(x) \big) \cdot \fs{h}(x)\)
\(\Rightarrow \ \ \fs{f}(x) = 2\cdot (3x-4) \cdot 3\)

1. Schritt: Ermittelung des Differenzenquotienten (Term für die Sekantensteigung)

Wir ermitteln zunächst den Differenzenquotienten für \(f(x) = g\big(h(x)\big)\) bzgl. der \(x\)-Koordinaten \(x\) und \(x_0\).

\(\dfrac{f(x)-f(x_0)}{x-x_0}\) \(= \dfrac{g\big(\color{magenta}{h(x)}\big)-g\big(\color{magenta}{h(x_0)}\big)}{x-x_0} = …\)

Zur einfacheren Lesbarkeit ersetzen wir \(z = h(x)\) und \(z_0 = h(x_0)\).

\(…= \dfrac{g\big(\color{magenta}{z}\big)-g\big(\color{magenta}{z_0}\big)}{x-x_0} = …\)

Wir erweitern mit \((z-z_0)\), und schreiben den Quotienten als Produkt von zwei „brauchbareren“ Quotienten.

\(…= \dfrac{(g\big(z\big)-g\big(z_0\big))\cdot \color{red}{(z-z_0)}}{(x-x_0)\cdot \color{red}{(z-z_0)}}\) \(= \dfrac{g\big(z\big)-g\big(z_0\big)}{\color{red}{z-z_0} }\cdot \dfrac{\color{red}{z-z_0}}{x-x_0} = …\)

Im hinteren Quotienten machen wir die Ersetzungen wieder rückgängig,
schreiben also \(h(x)\) statt \(z\) und \(h(x_0)\) statt \(z_0\).

\(… = \dfrac{g\big(z\big)-g\big(z_0\big)}{z-z_0} \cdot \dfrac{\color{magenta}{h(x)}-\color{magenta}{h(x_0)}}{x-x_0}\)

2. Schritt: Ermittelung des Differenzialquotienten (Term für die Ableitung)

Jetzt endlich schieben wir die Stelle \(x_0\) unendlich nah an die Stelle \(x\) heran, berechnen also

  • nicht länger die Sekantensteigung von \(G_f\) bzgl. \(x\) und \(x_0\),
  • sondern die Steigung der Tangente an \(G_f\) an der Stelle \(x\).
  • Mit anderen Worten: wir berechnen nun \(\fs{f}(x)\).

\(\fs{f}(x) = \lim \limits_{x_0 \to x}\left(\dfrac{g\big(z\big)-g\big(z_0\big)}{z-z_0} \cdot \dfrac{h(x)-h(x_0)}{x-x_0}\right) = …\)

Wenn der Graph der Funktion \(h\) keine Sprünge macht (d.h. wenn \(h\) stetig ist),
dann nähert sich mit \(x_0 \rightarrow x\) auch die Stelle \(z_0\) automatisch unendlich nah an die Stelle \(z\).

\(… = \underbrace{\lim \limits_{z_0 \to z}\left(\dfrac{g\big(z\big)-g\big(z_0\big)}{z-z_0}\right)}_{\large\fs{g}(z)} \cdot \underbrace{\lim \limits_{x_0 \to x}\left(\dfrac{h(x)-h(x_0)}{x-x_0}\right)}_{\large\fs{h}(x)}\) \(= \fs{g}(\color{magenta}{z}) \cdot \fs{h}(x)\)

Wir machen die Ersetzung wieder rückgängig, schreiben also \(h(x)\) statt \(z\), und erhalten somit einen Term, der verrät, wie man eine Funktion \(f\) ableitet, die eine Verkettung der Funktionen \(g\) und \(h\) ist.

\(\fs{f}(x) =\fs{g}\big( \color{magenta}{h(x)} \big) \cdot \fs{h}(x)\)

Schritt 1: Darstellung von \(f\) als „Verkettung“

Gegeben seien die Funktionen

♦ \(f:x \mapsto b^x\)  (Exponentialfunktion zur Basis \(b\))
♦ \(g:x \mapsto e^x\)  (\(e\)-Funktion)
♦ \(h:x\mapsto \ln(b) \cdot x\)

mit den Definitionsmengen \(D_f=D_g=D_h=\IR\)
und \(b\in\IR^+\setminus\{1\}\).

Dann lässt sich \(f\) als Verkettung
der Funktionen \(g\) und \(h\) darstellen:

\(f(x) = b^x = e^{\overbrace{\ln(b)\cdot x}^{= h(x)}} = e^{h(x)} =  g\big(h(x)\big)\).

Schritt 2: Anwendung der „Kettenregel“

Die Kettenregel lautet:

\(f(x) = g\big(h(x)\big)\) \(\implies \fs{f}(x) = \fs{g}\big( h(x) \big) \cdot \fs{h}(x)\)

Laut der Kettenregel benötigen wir die Ableitung von \(g\) und die Ableitung von \(h\):

  • \(g(x) =e^x \quad\quad\ \ \implies \fs{g}(x) = e^x\)
  • \(h(x)=\ln(b) \cdot x \implies \fs{h}(x) = \ln(b)\)

Diese Terme setzen wir an den richtigen Stellen in die Kettenregel ein:

\(\fs{f}(x) = \fs{g}\big( h(x) \big) \cdot \fs{h}(x)\)
\(\phantom{\fs{f}(x)} = e^{h(x)} \cdot \ln(b)\)
\(\phantom{\fs{f}(x)} = e^{\ln(b) \cdot x} \cdot \ln(b)\)
\(\phantom{\fs{f}(x)} = b^x \cdot \ln(b)\)

Ableitung der Exponentialfunktion zur Basis \(b\)

Für die Ableitung der Funktion \(f: x\mapsto b^x\)  (Exponentialfunktion zur Basis \(b\)) mit der Definitionsmenge \(D=\IR\)  gilt:

\(\fs{f}(x) = b^x \cdot \ln(b)\).

Achtung:

\(\ln(b)\) ist ein konstanter Wert!

Interpretation:

Den Graphen von \(\fs{f}\) erhält man
durch Streckung des Graphen von \(f\)
in \(y\)-Richtung mit dem Streckungsfaktor \(\ln(b)\).

 

 

1. und 2. Ableitung der Exponentialfunktion zur Basis \(b\)

Wir haben zuletzt hergeleitet:

  • \(f(x) = b^x \implies \fs{f}(x) = b^x \cdot \ln(b)\)

Da \(\ln(b)\) hier ein konstanter Faktor ist (der beim Ableiten bekanntlich erhalten bleibt), können wir auch die 2. Ableitung der Exponentialfunktion zur Basis \(b\) bestimmen:

  • \(\fs{f}(x) = b^x \cdot \ln(b) \implies \fss{f}(x) = b^x \cdot \big((\ln(b)\big)^2\)

Folgerungen:

  • \(G_f\) ist streng monoton steigend,
    wenn \(\fs{f}(x) = \underbrace{b^x}_{>\,0} \cdot \ln(b) > 0\),
    also wenn \(\ln(b)>0\), was für \(b>1\) der Fall ist.
  • \(G_f\) ist streng monoton fallend,
    wenn \(\fs{f}(x) = \underbrace{b^x}_{>\,0} \cdot \ln(b) < 0\),
    wenn \(\ln(b)<0\), was für \(0<b<1\) der Fall ist.
  • \(G_f\) ist stets linksgekrümmt,
    da \(\fss{f}(x) =\underbrace{b^x}_{>\,0}\cdot \big((\ln(b)\big)^2\) stets positiv ist.

Zusammenfassung

1) Exponentialfunktion zur Basis \(e\) (auch \(e\)-Funktion genannt)

  • \(g(x) = e^x \implies \fs{g}(x) = e^x\)
  • \(e\approx 2{,}71828 18284 59045 …\)

2) Logarithmus zur Basis \(e\) (auch Logarithmus naturalis genannt)

  • \(\color{blue}{\ln}(x) = \color{blue}{\log}_\color{red}{e}(x)\)
  • \(\color{blue}{\ln}(\color{magenta}{w}) = \color{blue}{h} \,\Longleftrightarrow\,  \color{red}{e}^\color{blue}{h} = \color{magenta}{w}\)
  • \(\log_b(w) = \dfrac{\ln(w)}{\ln(b)}\)   („Basis-Wechsel-Formel„)

3) Exponentialfunktion zur Basis \(b\)

  • \(f(x) = b^x \quad\Leftrightarrow\quad f(x) = e^{\ln(b)\cdot x}\)
  • \(\fs{f}(x) = b^x \cdot \ln(b)\)
  • \(\fss{f}(x) = b^x \cdot \left(\ln(b)\right)^2\)