Grenzwerte

Folgen von unendlich vielen Zahlen

Wenn eine Abfolge von unendlich vielen Zahlen vorliegt und ein „Muster“ erkennbar ist, wie diese Zahlen miteinander zusammenhängen, so kann von Interesse sein, wohin die Werte dieser Zahlenfolge laufen.\(\newcommand{\IR}{\mathrm{I\!R}}\newcommand{\IN}{\mathrm{I\!N}}\newcommand{\curvelinks}{\style{display: inline-block; transform: rotate(0.5turn);}{\curvearrowleft}}\newcommand{\lightning}{\Large\unicode{x21af}} \newcommand{\mylim}[3][x]{ \lim\limits_{#1\ \rightarrow\ {#2}} \!\bigl(\,{#3}\,\bigr) } \)

Es kann passieren, dass

  • sie immer weiter gegen \(+\infty\) oder \(-\infty\) laufen
    (die Folge heißt dann „bestimmt divergent„).
  • sie einem endlichen Wert unendlich nahe kommen
    (die Folge heißt dann „konvergent„).
  • kein klares Ziel dieser Werte zu erkennen ist
    (die Folge heißt dann „unbestimmt divergent„).

Ist eindeutig erkennbar, auf welchen „Wert“ die Zahlen in der Folge zulaufen, so heißt dieser Wert

  • Grenzwert der Zahlenfolge„,
    sofern es eine endliche Zahl ist.
  • uneigentlicher Grenzwert der Zahlenfolge„,
    sofern es \(+\infty\) oder \(-\infty\) ist.

Unendliche Folge

Eine Auflistung von unendlich vielen, fortlaufend nummerierten Objekten (beispielsweise Zahlen) wird in der Mathematik als „Unendliche Folge“ bezeichnet.

Beispiele:

Folge \(a\):  \(1\), \(2\), \(3\), \(4\), …

Die n-te Zahl in der Folge \(a\) kann beschrieben werden durch \(a(n) = n\)  (für \(n\in\IN\))

Folge \(b\):  \(\frac{1}{2}\), \(\frac{2}{3}\), \(\frac{3}{4}\), \(\frac{4}{5}\), …

Die n-te Zahl in der Folge \(b\) kann beschrieben werden durch \(b(n) = \frac{n}{n+1}\)  (für \(n\in\IN\))

Folge \(c\):  \(1\), \(-1\), \(1\), \(-1\), …

Die n-te Zahl in der Folge \(c\) kann beschrieben werden durch \(c(n) = (-1)^n\)  (für \(n\in\IN\))

Wird die n-te Zahl einer Folge \(z\) beschrieben durch \(z(n)\)  (für \(n\in\IN\)), und ist \(g\) der Wert, auf den Zahlen in der Folge eindeutig zulaufen, kann man das folgendermaßen mathematisch darstellen:

Vorschlag 1:

\(n \to +\infty\quad\Rightarrow\quad z(n) \to g\)

(Wenn n gegen \(+\infty\) läuft, dann läuft \(z(n)\) gegen \(g\)).

Vorschlag 2:

\(\mylim[n]{\infty}{z(n)} = g\)

(Der Grenzwert von \(z(n)\) für \(n\) gegen \(+\infty\) ist \(g\)).

Wenn eindeutig ist, von was (d.h. von welchem Term) der Grenzwert ermittelt werden soll, dürfen die Klammern um \(z(n)\) auch weggelassen werden. Man darf dann also auch schreiben:

\(\lim\limits_{n\to\infty}{z(n)}\)

Dieses Weglassen von Klammern ist in der Mathematik aber nicht grundsätzlich erlaubt. Z.B. bei einen Funktionsterm \(f(x)\) darf man nicht \(fx\) schreiben.

Auch liest man in der Mathematik

  • \(f(x)\) als „f von x“ und nicht als „fx“
    und konsequenterweise dann
  • \(\mylim[n]{\infty}{z(x)}\) als „Grenzwert von \(z(x)\)…“

Daher werden in diesem Lehrwerk diese Klammern in den meisten Fällen mitgeführt.

Beispiele für die Beschreibung von Grenzwerten

a) \(a(n) = n\)  (für \(n\in\IN\))

  • \(n \to +\infty\quad\Rightarrow\quad a(n) \to +\infty\)
  • \(\mylim[n]{\infty}{a(n)} = +\infty\)

D.h. die Werte der Folge \(a\) laufen ins Unendliche.

b) \(b(n) = \frac{n}{n+1}\)  (für \(n\in\IN\))

  • \(n \to +\infty\quad\Rightarrow\quad b(n) \to 1\)
  • \(\mylim[n]{\infty}{b(n)} = 1\)

D.h. die Werte der Folge \(b\) kommen der 1 unendlich nahe.

c) \(c(n) = (-1)^n\)  (für \(n\in\IN\))

  • \(\mylim[n]{\infty}{c(n)}\) ist nicht definiert, da die Werte \(c(n)\) auf keinen eindeutigen Zielwert zulaufen.

Was haben Zahlenfolgen mit Funktionen zu tun?

In der Mathematik übernimmt man die Idee

  • von unendlichen Zahlenfolgen mit den Werten \(z(n)\) für \(n\in\IN\)
  • und verallgemeinert sie für Funktionen mit den Funktionswerten \(f(x)\) für \(x\in D_f\).

Das ist nötig, wenn man sich an eine evtl. problematische Stelle „annähern“ muss, wobei man der problematischen Stelle „unendlich nah“ kommen will. Man lässt dann nicht \(n\) gegen \(+\infty\) laufen, sonden \(x\) unendlich nah an die problematische Stelle auf der x-Achse.

Solche problematischen Stellen liegen z.B bei abschnittsweise definierten Funktionen an den Nahtstellen vor.

Der Graph einer abschnittsweise definierten Funktion kann an den Nahtstellen innerhalb der Definitionsmenge offenbar wesentliche Besonderheiten besitzen:

  • Er kann bei den Nahtstellen Sprünge machen
    oder sprungfrei verlaufen.
  • Wenn er an einer Nahtstelle sprungfrei verläuft,
    kann er dort dennoch einen Knick haben
    oder glatt verlaufen.

Diese Besonderheiten sind optisch meist schnell zu erkennen, wenn der Funktionsgraph vorliegt. Was aber tun, wenn kein Funktionsgraph von einer Funktion vorliegt und auch keine Möglichkeit besteht, sich den Funktionsgraphen zeichnen zu lassen?

Die Mathematik bietet rechnerische Methoden, um abschnittsweise definierte Funktionen auf Besonderheiten an den Nahtstellen zu untersuchen.

Beispiel

\(f(x) = \left\{\begin{array}{ll}
-(x+1)^2+1 & \text{für } x<-1 \\
\frac{1}{4}(x+1)^2-1 & \text{für } -1\leq x<2 \\
\frac{3}{2}(x-2)+\frac{5}{4} & \text{für } 2\leq x<3 \\
-\frac{1}{4}(x-4)^2+3 & \text{für } x\geq 3\end{array}\right.\)

 

 

Das „unendliche nahe“ Annähern an eine besondere Stelle auf der x-Achse

Hilfreich für die folgenden Überlegungen ist die Vorstellung,

  • eine Ameise auf dem Funktionsgraphen entlang krabbeln zu lassen,
  • und dabei jeweils die y-Koordinate (Höhe über der x-Achse) der Ameise zu beobachten.

Offenbar ist es sinnvoll, dabei auch

  • die Richtung aus Sicht der x-Achse (von links oder von rechts kommend) und die x-Koordinate des Ziels,
    im Folgenden mit \(x_0\) bezeichnet.

anzugeben.

Die Ameise (dargestellt durch den Punkt \(A\left(x|f(x)\right)\)
soll

  • auf dem Graphen \(G_f\) entlang krabbeln
  • ohne die Richtung zu ändern,
  • bis ihre x-Koordinate \(x\) der „interessanten“ (oder „problematischen“) Ziel-x-Koordinate \(x_0\) unendlich nahkommt.

(WICHTIG: \(x_0\) kann, muss aber nicht zwingend in der Definitionsmenge von \(f\) liegen – siehe Beispiele 3 und 4 im nebenstehenden Geogebra-Applet)

  • Wenn die Ameise von links kommt
    (dann ist \(x < x_0\) bzw.
    „\(x = x_0\) minus ein bisschen was“),
    schreibt man kurz: \(x \rightarrow {x_0}^{\color{red}{–}} \)
  • Wenn die Ameise von rechts kommt
    (dann ist \(x > x_0\) bzw.
    „\(x = x_0\) plus ein bisschen was“),
    schreibt man kurz: \(x \rightarrow {x_0}^{\color{forestgreen}{+}}\)
 

 

Linksseitiger Grenzwert, rechtsseitiger Grenzwert und (eindeutiger) Grenzwert einer Funktion an einer konkreten Stelle

Während die Ameise auf dem Graphen \(G_f\) der „problematischen“ x-Koordinate \(x_0\) immer näher kommt, beobachten wir die y-Koordinate der Ameise
(die y-Koordinate der Ameise ist der Funktionswert \(f(x)\), wobei \(x\) die x-Koordinate der Ameise ist).

Der y-Wert \(y_G\), dem die Ameise im „letzten Moment“ unendlich nahekommt, wenn sie der „problematischen“
x-Koordinate \(x_0\) bereits unendlich nahgekommen ist,
wird als

  • linksseitiger Grenzwert“ bezeichnet,
    wenn die Annäherung von links stattfand.
  • rechtsseitger Grenzwert“ bezeichnet,
    wenn die Annäherung von rechts stattfand.

Definition: linksseitiger Grenzwert

Wenn \(x \rightarrow {x_0}^{\color{red}{–}} \) und dabei gilt: \(f(x) \rightarrow {y_{G}} \),
so heißt \(y_{G}\)
linksseitiger Grenzwert von \(f(x)\) für \(x \rightarrow {x_0}^{\color{red}{–}}\).

Schreibweise: \(y_{G} = \mylim{  {x_0}^{\color{red}-}  }{ f(x) } \)

Definition: rechtsseitiger Grenzwert

Wenn \(x \rightarrow {x_0}^{\color{forestgreen}{+}}\) und dabei gilt: \(f(x) \rightarrow {y_{G}}\),
so heißt \(y_{G}\)
rechtsseitiger Grenzwert von \(f(x)\) für \(x \rightarrow {x_0}^{\color{forestgreen}{+}}\).

Schreibweise: \(y_{G} = \mylim{ {x_0}^{\color{forestgreen}{+}} }{ f(x) }\)

Definition: Grenzwert

Wenn \(y_{G} = \mylim{ {x_0}^{\color{red}-}} {f(x)} = \mylim{{x_0}^{\color{forestgreen}{+}}} {f(x)}\),
heißt \(y_{G}\) Grenzwert von \(f(x)\) für \(x \rightarrow {x_0}\).

Schreibweise: \(y_{G} = \mylim{x_0}{f(x)}\)

Genauer:

  • Nur dann, wenn \(y_G\) endlich ist, sagt man:
    „Der Grenzwert von \(f\) bei \(x_0\) existiert.“
  • Nur dann, wenn \(y_G=-\infty\) oder \(y_G=+\infty\) ist,
    heißt \(y_G\) „uneigentlicher Grenzwert“.

Anmerkungen:

  • Die Abkürzung \(\textrm{lim}\) steht hier für „limes“ (Lateinisch für „Grenze“) oder „limit“ (Englisch für „Grenze“).
  • Unter \(\textrm{lim}\) wird notiert, was sich hier wohin bewegt.
  • In Klammern hinter \(\textrm{lim}\) steht, was während der Annäherung beobachtet wird.

Aufgabe:

Geben Sie zu jedem der 5 Beispiele aus dem nebenstehenden Geogebra-Applet jeweils für die Funktion \(f\) den Funktionswert, den linksseitigen und rechtsseitigen Grenzwert an der Nahtstelle an, und entscheiden Sie jeweils, ob es einen eindeutigen Grenzwert an der Nahtstelle gibt,

Funktionswert bei \(x_0 = 3\):  \(f(3) = 1\)

Linksseitiger Grenzwert: \(\mylim{{3}^{\color{red}-}}{f(x)} = 2\)

Rechtsseitiger Grenzwert: \(\mylim{{3}^{\color{forestgreen}+}}{f(x)} = 0\)

Grenzwert: \(\mylim{3}{f(x)}\)    existiert hier nicht,
denn \(\mylim{{3}^{\color{red}-}}{f(x)} \neq \mylim{{3}^{\color{forestgreen}+}}{f(x)}\).

Funktionswert bei \(x_0 = -1\):  \(f(-1) = 0\)

Linksseitiger Grenzwert: \(\mylim{{-1}^{\color{red}-}}{f(x)} = 0\)

Rechtsseitiger Grenzwert: \(\mylim{{-1}^{\color{forestgreen}+}}{f(x)} = 0\)

Grenzwert: \(\mylim{-1}{f(x)} = 0\)  existiert hier,
denn \(\mylim{{-1}^{\color{red}-}}{f(x)} = \mylim{{-1}^{\color{forestgreen}+}}{f(x)} = 0\).

Funktionswert bei \(x_0 = 2\):  \(f(2)\) ist hier nicht definiert!

Linksseitiger Grenzwert: \(\mylim{{2}^{\color{red}-}}{f(x)} = -\infty\)

Rechtsseitiger Grenzwert: \(\mylim{{2}^{\color{forestgreen}+}}{f(x)} = +\infty\)

Grenzwert: \(\mylim{2}{f(x)}\)  existiert hier nicht,
denn \(\mylim{{2}^{\color{red}-}}{f(x)} \neq \mylim{{2}^{\color{forestgreen}+}}{f(x)}\).

Funktionswert bei \(x_0 = 0\):  \(f(0)\) ist hier nicht definiert!

Linksseitiger Grenzwert: \(\mylim{{0}^{\color{red}-}}{f(x)} = 1\)

Rechtsseitiger Grenzwert: \(\mylim{{0}^{\color{forestgreen}+}}{f(x)} = 1\)

Grenzwert: \(\mylim{0}{f(x)}=1\)  existiert hier,
denn \(\mylim{{0}^{\color{red}-}}{f(x)} = \mylim{{0}^{\color{forestgreen}+}}{f(x)}\).

Funktionswert bei \(x_0 = -2\):  \(f(-2) = -1\)

Linksseitiger Grenzwert: \(\mylim{{-2}^{\color{red}-}}{f(x)} = 2\)

Rechtsseitiger Grenzwert: \(\mylim{{-2}^{\color{forestgreen}+}}{f(x)} = 2\)

Grenzwert: \(\mylim{-2}{f(x)} = 2\)  existiert hier,
denn \(\mylim{{-2}^{\color{red}-}}{f(x)} = \mylim{{-2}^{\color{forestgreen}+}}{f(x)}\).

 

 

Achtung:

Es gibt Funktionen, bei denen man bei Annäherung von \(x\) an \(x_0\) keinen eindeutigen Wert \(y_G\) finden kann, dem \(f(x)\) unendlich nahe kommt. In solchen Fällen kann man folglich auch keinen Grenzwert angeben!