Westintegration

BRD: Anfänge europäischer Integration

Politische Ziele in der Adenauer-Zeit

Konrad Adenauer wurde am 14.08.1949 nach knappem Ausgang der Wahl zum ersten deutschen Bundestag zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt. Er beeinflusste als Präsident des Parlamentarischen Rates (1948) zusammen mit Carlo Schmid von der SPD die Entstehung und Ausarbeitung des Grundgesetzes. Auch die Wahl Bonns zur provisorischen Hauptstadt ging im Wesentlichen auf Adenauer zurück. Er wollte den politischen Schwerpunkt der Bundesrepublik nach Westen gerückt sehen. Seine Politik der Westintegration vor einer risikoreichen Wiedervereinigung versprach Sicherheit und wurde bei den Bundestagswahlen bis Mitte der 60er Jahre bestätigt. Von Beginn an war die Politik Adenauers darauf ausgerichtet, die Beschränkungen der deutschen Souveränität schrittweise abzubauen. Er wollte die Bundesrepublik zum gleichberechtigten Partner an der Seite der Westmächte machen. Hierzu erbrachte er eine Menge an Vorleistungen, wozu der Beitritt der Bundesrepublik zur Ruhrbehörde (1949) und zum Europarat (1950) gehörten. Ziel Adenauers war es, die wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interessen Frankreichs anzuerkennen und zu einer Entschärfung der bilateralen Konflikte durch eine Politik der westeuropäischen Integration beizutragen. Das Konzept Adenauers zur Wiedergewinnung von politischer Handlungsfreiheit durch die Anerkennung freiwilliger vertraglicher Bindungen führte auch zu größerer Handlungsfreiheit in Wirtschaftsfragen und zu dem Recht, mit anderen Ländern konsularische Beziehungen aufzunehmen.

Der stabilisierende Schumann-Plan

Quai d'Orsay.jpg

Von User:EU – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=423887 Der Schuman-Plan oder Schuman-Erklärung ist ein grundlegender politischer Plan für eine Zusammenlegung der deutschen und französischen Kohle- und Stahlproduktion nach dem Zweiten Weltkrieg, der am 9. Mai 1950 vom damaligen französischen Außenminister Robert Schuman (1886–1963) im Salon de l’Horloge des Quai d’Orsay vor Pressevertretern in einer Regierungserklärung bekanntgegeben wurde.

Konrad Adenauer war davon überzeugt, dass es nur zu einer Stabilisierung in Westeuropa kommen würde, wenn sich Deutschland und Frankreich aussöhnen. Es schien aber so, als ob die ungelöste „Saarfrage“ alle Bemühungen um eine deutsch-französische Verständigung zunichte machen würde. Erst als die französische Regierung bemerkte, dass die USA fest entschlossen waren, die Bundesrepublik zu einem festen Mitglied des westlichen Bündnisses zu machen, wurde von negativer Deutschlandpolitik Abstand genommen. So unterbreitete der französische Außenminister Robert Schumann am 09.05.1950 der deutschen Regierung den Plan, die französisch-deutsche Stahl- und Kohleproduktion einer europäischen Behörde zu unterstellen.

Die wirtschaftlichen und politischen Interessen beider Länder sollten durch ein System wechselseitiger Kontrollen der Montanindustrien verknüpft werden. In Paris begannen am 20.06.1950 die Verhandlungen zwischen Frankreich, Belgien, Italien, der Bundesrepublik Deutschland, den Niederlanden und Luxemburg. Am 18.04.1951 unterzeichneten die Teilnehmerstaaten den Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), der am 25.07.1952 als Vertrag über die Montanunion in Kraft trat. Außerdem wurde ein internationales Parlament, die Gemeinsame Versammlung, gegründet. Als Organ für Streitigkeiten fungierte der hierfür gebildete Gerichtshof.

Wiederbewaffnung und Westintegration

Korea-Krieg und Bundeswehr

In der Bundesrepublik wurde vor allem die Frage um die deutsche Wiederbewaffnung besonders heftig debattiert. Auf der einen Seite erinnerte man an die Beschwörungen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, dass von deutschem Boden nie wieder ein Krieg ausgehen dürfe. Auf der anderen Seite stellte der Ausbruch des Korea-Krieges am 25.06.1950 eine Bedrohung für die westliche Welt dar. Vielfach wurde ein ähnlicher Angriff auf die Bundesrepublik befürchtet. Der Korea-Krieg war der Auslöser dafür, dass die Bedenken der Einbeziehung der Bundesrepublik in das westliche Verteidigungsbündnis der Furcht vor sowjetischen Welteroberungsplänen wichen.

Die USA unterstützten das europäische Sicherheitsbedürfnis durch eine verstärkte amerikanische Präsenz in Europa unter der Voraussetzung, dass die europäischen Staaten selbst verstärkte Rüstungsanstrengungen unternahmen und die Wiederbewaffnung Deutschlands akzeptierten. Der Straßburger Europarat empfahl im August 1950, eine europäische Armee unter deutscher Beteiligung ins Leben zu rufen. Auch Bundeskanzler Konrad Adenauer wollte schon seit geraumer Zeit den Abbau des Besatzungsstatuts und einer alliierten Sicherheitsgarantie für die Bundesrepublik mit dem Wunsch der USA nach deutschen Truppen verknüpfen. Dieses Vorhaben stieß in den USA auf große Zustimmung, doch fanden Adenauers Pläne wenig Rückhalt in der eigenen Regierung wie in der Opposition. So trat Innenminister Gustav Heinemann zurück, der aus moralischen Gründen eine Wiederbewaffnung der Bundesrepublik auf dem historischen Hintergrund der NS-Diktatur ablehnte. Die SPD sah in der Wiederbewaffnung eine Gefährdung für die Wiedervereinigung, die ihrer Meinung nach dadurch unmöglich würde. Auch Frankreich lehnte einen deutschen Beitrag zur Verteidigung Westeuropas ab.

Wiederbewaffnung

Bundesarchiv Bild 183-34150-0001, Bonn, Theodor Blank, Bundeswehrfreiwillige.jpg

Von Bundesarchiv, Bild 183-34150-0001 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, Link Generalleutnant Adolf Heusinger und Generalleutnant Hans Speidel mit Bundesminister der Verteidigung Theodor Blank bei Überreichung der Ernennungsurkunden für die ersten 101 Freiwilligen der Bundeswehr

Bundesarchiv Bild 183-34547-0003, Bonn, Theodor Blank, Bundeswehrfreiwillige.jpg

Von Bundesarchiv, Bild 183-34547-0003 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, Link Gründung der Bundeswehr durch Verteidigungsminister Theodor Blank am 12. November 1955

Die Pariser Verträge

Am 23.10.1954 wurden die Pariser Verträge unterzeichnet. Diese Vereinbarung legte fest, dass die Bundesrepublik in die Westeuropäische Union (WEU) und in den Nordatlantikpakt (NATO) integriert wurde. Mit der Aufnahme in das nordatlantische Verteidigungsbündnis stand fest, dass die deutschen Truppen einem gemeinsamen alliierten Oberkommando unterstellt sein würden. Der Deutschlandvertrag und die damit verbundene Auflösung des Besatzungsstatus machte aus den Besatzungsstreitkräften Verbündete. Mit der Unterzeichnung der Pariser Verträge gliederte sich die Bundesrepublik in ein bestehendes Sicherheitskonzept ein, das durch die NATO und die USA bestimmt wurde. Gleichzeitig errang die Bundesrepublik im Gegenzug weitgehende Souveränität.

Moskau-Reise Adenauers

Im Herbst 1955 reiste der Bundeskanzler nach Moskau, um mit der Sowjetunion diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Im Ergebnis erreichte er die Freilassung der letzten 10000 deutschen Kriegsgefangenen. Gleichzeitig machte Chrustschow aber deutlich, dass die Westintegration der Bundesrepublik eine rasche Wiedervereinigung Deutschlands verhindere.

„Das Wirtschaftswunder“

Entwicklungen in der Industrie und bei der sozialen Versorgung

In den 50er Jahren erlebte die Bundesrepublik einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung, der als das sog. „Wirtschaftswunder“ in die Geschichte einging. Hauptschwerpunkte der wirtschaftlichen Entwicklung waren der Wohnungsbau, die Elektrotechnik und Elektronik sowie die Chemie- und Autoindustrie. Zahlreiche Faktoren begünstigten die Reintegration der Bundesrepublik in die Weltwirtschaft: Gut ausgebildete Flüchtlinge und Vertriebene kompensierten den Arbeitskräfteverlust, der durch den Krieg entstanden war und zu einem Anstieg der Erwerbstätigen von 20 auf 25 Millionen Arbeitnehmer führte; die Gewerkschaften hielten sich bei Lohnforderungen zurück; es existierten gute Außenhandelsbedingungen aufgrund der niedrigen Preise und der Unterbewertung der Deutschen Mark (DM); die Nachfrage nach Konsumgütern stieg rapide an. Ab 1950 betrugen die Wachstumsraten der deutschen Wirtschaft in einem Zeitraum von fünf Jahren fast 9%. Bis 1960 verzeichnete man eine Verdopplung des Bruttosozialprodukts. Seit 1952 exportierte die Bundesrepublik wieder mehr als sie importierte. Der Wert der deutschen Ausfuhren stieg zwischen 1950 und 1957 von 8,4 auf 30,9 Milliarden. Besonders der Korea-Krieg begünstigte den enormen wirtschaftlichen Aufschwung. Westdeutsche Unternehmen, durch alliierte Verbote an der Rüstungsproduktion gehindert, konnten sich auf die Deckung des ausländischen Bedarfs an Investitions- und Konsumgütern konzentrieren. Dank einer auf die Weltmarktbedürfnisse zugeschnittenen Industriestruktur, großer Kapazitätsreserven und qualifizierter Arbeitskräfte war es möglich, die günstigen Umstände zu nutzen. Die enorme Nachfrage nach Exportgütern heizte auch die Binnenkonjunktur an. Zusätzlich schaffte der Staat durch Steuervergünstigungen und niedrige Steuersätze große Investitionsanreize.

Wirtschaftswunder

1000000th Beetle.jpg
Von Mewtu – Eigenes Werk, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4141345

Der einmillionste VW-Käfer am 5. August 1955: ein Exportschlager der deutschen Nachkriegswirtschaft und ein Symbol des sogenannten Wirtschaftswunders.

Produktivitätswachstum.png
Von own work – Own work based on data from Ludger Lindlar, Das mißverstandene Wirtschaftswunder: Westdeutschland und die westeuropäische Nachkriegsprosperität, 1997, ISBN 978-3161466939, p. 17, Gemeinfrei, Link

Durchschnittliches Produktivitätswachstum Deutschlands, Frankreichs, Italiens, Österreichs, Japans und Westeuropas während des Goldenen Zeitalters im Vergleich zu den Perioden davor und danach.

Bedienungsanweisung „Handle the LEICA“

In den ersten Nachkriegsjahren dienten meist Fahrrad, Bus und Bahn als Verkehrsmittel. Die wenigen vorhandenen Autos stammten größtenteils aus der Vorkriegszeit. Die Motorisierung breiter Massen begann meist mit der Anschaffung eines Motorrads der Marken DKW, NSU, Zündapp oder BMW. Zum frühen Kultfahrzeug avancierte der Vespa Roller aus Italien, den deutsche Firmen schon 1949 in Lizenz nachbauen durften. 1953 waren rund 2 Millionen Krafträder auf westdeutschen Straßen zugelassen, an Kraftwagen nur gut die Hälfte. Nur 2% der Deutschen besaßen 1953 ein Auto, in den USA schon jeder Vierte. Dagegen stieg der Lastkraftwagenverkehr nach der Währungsreform rasch an. 1950 rollten 358000 Lastwagen über deutsche Straßen, 1957 waren es fast 600000. Langsam avancierte auch das Statussymbol Auto zum wichtigsten Verkehrsmittel. 1957 überstieg die Zahl der zugelassenen PKWs erstmals die der Motorräder: 2,3 Millionen Krafträdern standen 2,4 Millionen Autos gegenüber. Kleinstautos wie der Messerschmidt-Kabinenroller und das Goggomobil schafften Mobilität auch mit geringen Finanzmitteln. Zu den populärsten Kleinstwagen gehörte die dreirädrige BMW Isetta, der verbesserte Nachbau eines Kabinenrollers der Mailänder Iso-Werke.

Der große Traum des kleinen Mannes war der Volkswagen. Seine 24,5 PS erbrachten 1950 eine Höchstgeschwindigkeit von 105 Kilometern pro Stunde. Dank kräftiger Einkommenssteigerungen wurde der „Käfer“ in den 50er Jahren allmählich erschwinglich und zum Symbol des Wirtschaftsaufschwungs. Westdeutschland stand jedoch mit rund 4 Millionen Fahrzeugen im Jahr 1960 erst am Beginn eines Autobooms. Die Nachteile der zunehmenden Motorisierung wie Staus, steigende Unfallzahlen, Lärm und Abgasbelastungen wurden ebenfalls allmählich spürbar.

Wohnungsbau

Die katastrophale Wohnungsnot bei Kriegsende verschärfte sich noch in den ersten Nachkriegsjahren durch den millionenfachen Zustrom von Vertriebenen. Bei Gründung der Bundesrepublik standen 14,6 Millionen Haushalten nur 9,4 Millionen Wohnungen einschließlich aller Behelfsunterkünfte zur Verfügung. Um der drängenden Wohnungsnot abzuhelfen, beschloss der Bundestag am 28.03.1950 das Erste Wohnungsbaugesetz. Mit Hilfe von Zuschüssen und Steuervergünstigungen an Bauherren wurde vor allem der soziale Wohnungsbau, der breiten Bevölkerungsschichten preisgünstigen Wohnraum verschaffen sollte, staatlich gefördert. Die Sozialwohnungen waren anfangs sehr klein, ihre Vergabe war an bestimmte Einkommensgrenzen gebunden. Die Zuteilung erfolgte durch die kommunalen Wohnungsämter nach dem Bedürftigkeitsprinzip. Bis 1960 entstanden mit Hilfe staatlicher Fördermittel mehr als 4 Millionen Wohnungen, davon rund 60% als staatlich subventionierte Sozialwohnungen. Seit 1953 und besonders durch das Zweite Wohnungsbaugesetz vom 27.06.1956 wurde zunehmend auch der private Eigenheimbau gefördert. Zusätzlich boten Bausparkassen, Banken und Versicherungen günstige Finanzierungsmodelle an. Zwangswirtschaft und Mietpreisbindung blieben jedoch bis 1960 bestehen. Die Kriegszerstörung gab auch eine Chance zu moderner Städteplanung. Beim Wiederaufbau der Städte wurde die alte Bausubstanz und das gewachsene Straßennetz deshalb nur teilweise wiederhergestellt. Das bestimmende Architekturkonzept war die „gegliederte, aufgelockerte Stadt“ mit getrennten Wohn- und Gewerbebereichen, Grünflächen und Versorgungseinrichtungen in näherer Umgebung. Großzügige Bauweise ließ den Verkehr ungehindert fließen. Sennestadt bei Bielefeld steht als Beispiel für dieses Konzept.

Lastenausgleich

Fragebogen zur Ermittlung des Lastenausgleiches .jpg
Von Wolf1949 – <span class=“int-own-work“ lang=“de“>Eigenes Werk</span>, CC0, Link

Fragebogen zur Ermittlung des Lastenausgleiches (Vorderseite)

Als Vorstufe zum Lastenausgleich trat im August 1949 das Gesetz zur Milderung sozialer Notstände in Kraft, das die Soforthilfe für Vertriebene und Flüchtlinge, Kriegssach- und Währungsgeschädigte sowie politisch Verfolgte regelte. Insgesamt wurden fast 6,4 Milliarden für Unterhalt, Wohnungsbau, Ausbildung und Existenzaufbau bereitgestellt. Ehemalige Kriegsgefangene erhielten durch das Heimkehrergesetz vom 19.06.1950 besondere Rechte und Vergünstigungen. Das Bundesversorgungsgesetz vom 20.12.1950 sicherte den Kriegsbeschädigten und Hinterbliebenen Heilbehandlung und Renten zu. Jährlich wurden hierfür 3,2 Milliarden ausgegeben. Von größter Bedeutung war das „Gesetz über den allgemeinen Lastenausgleich“ vom 14.08.1952, das die Schäden und Verluste der Vertriebenen und Flüchtlinge auszugleichen versuchte. Zur Feststellung der erlittenen Verluste und zur Bemessung der Ausgleichsabgaben, die die weniger betroffenen Bevölkerungsteile entrichten mussten, wurden in der Folgezeit zahlreiche Gesetze erlassen und auf allen staatlichen Ebenen Ausgleichsämter eingerichtet. Mit staatlichen Zuschüsse wurden bis Dezember 1980 rund 104 Milliarden Entschädigungshilfen gezahlt.