Der Wechsel der Regierungen
Von Willy Brandt zu Helmut Schmidt
Die Ostpolitik der sozial-liberalen Koalition gab der Opposition immer wieder Ansatzpunkte, um gegen die Regierungspolitik vorzugehen. Hier prallten die kontroversen Grundeinstellungen mit größter Heftigkeit aufeinander. Dabei war es aber von Anfang an das angestrebte und kaum verhüllte Ziel der Opposition, die nur schwache parlamentarische Mehrheit der Regierungskoalition (254 : 242 Stimmen) zum Einsturz zu bringen. Dies schien bereits im Oktober 1970 zu gelingen, nachdem drei FDP-Abgeordnete unter Beibehaltung ihrer Mandate zur CDU/CSU gewechselt waren. Außerdem erzielte die Union bei den letzten Landtagswahlen einen deutlichen Stimmenzuwachs, was sie dazu veranlasste, das im Grundgesetz vorgesehene konstruktive Misstrauensvotum gegen Bundeskanzler Willy Brandt zu beantragen. Sie stützte diesen Schritt vor allem durch die Behauptung, dass die Bundesregierung für ihre Politik keine Mehrheit mehr im Lande besitzen würde. Der Bundestag wurde aufgefordert, den Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion Rainer Barzel zum neuen Bundeskanzler zu wählen. Gleichzeitig wurde der Bundespräsident darum gebeten, Willy Brandt zu entlassen.
Die Union glaubte sich ihrer Sache sicher, weil sie mit weiteren Stimmen aus der Koalition in der geheimen Abstimmung rechnete. Das konstruktive Misstrauensvotum scheiterte aber, da Barzel in der geheimen Abstimmung nur 247 Stimmen erhielt, während er 249 gebraucht hätte. Innerhalb der Öffentlichkeit stieß die Möglichkeit des konstruktiven Misstrauensvotum auf heftige Kritik, da damit die Entscheidung der Bundestagswahl vom September 1969 hätte revidiert werden können, ohne dass die Wähler darauf Einfluss nehmen konnten. Am 20.09.1972 stellte Willy Brandt im Bundestag die Vertrauensfrage, da die Regierung auch hier nicht mehr über die Mehrheit verfügte. In den Neuwahlen zum Bundestag vom 19.11.1972 erreichten die SPD und die FDP jedoch deutliche Stimmenzuwächse. Die SPD wurde erstmals stärkste Regierungsfraktion.
Die „Wende“ zur Ära Kohl
Die sozial-liberale Koalition konnte aufgrund der Debatten um den Kanzlerkandidaten der CDU/CSU, Franz Josef Strauß, die Bundestagswahl vom 05.10.1980 nochmals für sich entscheiden; auch die FDP konnte mit ihrem Kampf gegen Strauß ihren Stimmenanteil von 7,9% auf 10,6% steigern. Die SPD erreichte 42,9%, während die CDU/CSU mit 44,5% ihr bis dahin schlechtestes Ergebnis seit 1949 verzeichnete. Hans Dietrich Genscher und andere Mitglieder der FDP-Parteiführung vertraten aber immer mehr die Position, dass die nächste Bundestagswahl durch die SPD-FDP-Koalition nicht mehr zu gewinnen sei. Genscher befürchtete, dass damit der Untergang der FDP verbunden wäre. Seit langem in freundschaftlichen Kontakt mit dem Vorsitzenden der CDU, Helmut Kohl, bereitete der Außenminister allmählich den Boden für den Koalitionswechsel vor.
Kohl vertrat seit längerem das Konzept, dass die Union auf eine Koalition angewiesen sein würde, da es absehbar wäre, dass die Union nicht die absolute Mehrheit erreichen dürfte. Aufgrund der anhaltenden Wirtschafts- und Beschäftigungskrise in den 80er Jahren kam es in der sozial-liberalen Koalition immer häufiger zu Spannungen und Auseinandersetzungen. Die FDP wollte die staatliche Kreditaufnahme stärker begrenzen, massive Einschnitte bei den Sozialausgaben durchsetzen und lehnte die von der SPD vorgeschlagene Ergänzungsabgabe für besser Verdienende ab. Aber auch in Teilen der SPD wuchs der Unmut über die Sparpolitik des Bundeskanzlers. Bei der Beratung zum Bundeshaushalts 1983 kam es dann zum Bruch der sozial-liberalen Koalition.
Hinzu kam die Vorlage eines Thesenpapiers durch Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff, der darin härteste Einschnitte im Sozialstaat forderte. Bundeskanzler Schmidt gab deshalb bekannt, dass er an die Entlassung des Wirtschaftsministers denke. Daraufhin traten vier FDP-Minister am 17.09.1982 zurück. Schmidt war nun Kanzler einer Minderheitsregierung. Innerhalb der Koalition nahmen die Auseinandersetzungen zwischen denen, die an der Minderheitsregierung festhalten wollten, und denen, die ein Bündnis mit der Union anstrebten, zu. Die Linie Genschers setzte sich schließlich durch. Die FDP schloss mit der CDU/CSU eine Koalitionsvereinbarung.
Am 01.10.1982 wählte der Bundestag im konstruktiven Misstrauensvotum den Vorsitzenden der CDU und bisherigen Oppositionsführer Helmut Kohl zum neuen Bundeskanzler.

Gratulation von Helmut Schmidt an Helmut Kohl