Entnazifizierung in den Besatzungszonen

Westzonen:

Übersicht

Vorgehensweise und Bilanz

Die Amerikaner hatten das Problem der politischen Säuberung in ihrer Zone mit denkbar größtem Elan angepackt, um alle ehemaligen Nazis aus dem öffentlichen Leben und der Wirtschaft zu entfernen. Zur Ermittlung dieses Personenkreises diente ein Fragebogen. Auf 131 Fragen wurde wahrheitsgetreue Antwort verlangt, Auslassung und Unvollständigkeit waren als Delikt gegen die Militärregierung mit Strafe bedroht. Das Kernstück des sechsseitigen Fragebogens bildeten die Positionen 41 bis 95, bei denen detaillierte Auskunft über die Mitgliedschaft in allen nationalsozialistischen Organisationen gefordert war. Anfang Dezember 1945 waren bei den Dienststellen der amerikanischen Militärregierung ungefähr 900000 Fragebögen eingegangen. 140000 Personen wurden sofort aus ihren Positionen entlassen. Fast ebenso viele wurden als minder gefährliche Nazisympathisanten eingestuft.

Entnazifizierung im Alltag

Eine „Adolf-Hitler-Straße“ (im Foto Trier) erhält ihren alten Namen wieder.

Denazification-street.jpg
Von „Illustrations are from Department of Defense files, with the exception of photographs on pages 199 and 229 which are reproduced by courtesy of the National Archives.“ [1]THE U.S. ARMY IN THE OCCUPATION OF GERMANY, 1944-1946, Gemeinfrei, Link

Unter dem Adler über dem Eingang zum Robert-Piloty-Gebäude der TU Darmstadt wurde das Hakenkreuz entfernt.

Adler, Robert-Piloty-Gebäude, TU Darmstadt.jpg
Von S. KastenEigenes Werk, CC BY-SA 3.0, Link

Entlastungs-Zeugnis (Clearance Certificate) des Entnazifizierungsausschusses des Stadtkreises Wattenscheid von 1948

Amtsdokument Paul Fischer 1948 Zivilist Entlastungs-Zeugnis Clearance Certificate Entnazifizierungsausschuß Stadtkreis Wattenscheid.jpg
Von Germany – Scan vom Original: Bernd Schwabe in Hannover, CC BY-SA 3.0, Link

Durchführung

Die Durchführung der Entnazifizierung lag in der US-Zone bis zum Frühjahr 1946 in der Zuständigkeit der Militärregierung. Zunächst beschränkte sich die Säuberung darauf, die Fragebögen zu überprüfen. Die am höchsten belasteten Nationalsozialisten fielen in die Kategorie „Automatischer Arrest“, dann kamen die NS-Aktivisten, die aus ihren Stellungen entlassen werden mussten, nach ihnen die harmloseren Fälle, deren „Entlassung empfohlen“ wurde, und schließlich die Mitläufer, die ihre Stellungen behalten durften.

Die ständige Erweiterung des Säuberungsprogramms über die eigentlichen Führungspositionen hinaus schuf beträchtliche Probleme: Einerseits entstand Personalmangel in der Verwaltung wegen der zahlreichen Entlassungen – im Frühjahr 1946 waren es 300000 -, auf der anderen Seite bedeutete die Einrichtung von Internierungslagern, in denen rund 120000 Personen der Kategorie „automatischer Arrest“ inhaftiert waren, eine Belastung für den Demokratisierungsanspruch der amerikanischen Besatzungsmacht. Die in den elf Lagern der US-Zone auf ihre Entnazifizierung Wartenden sahen kaum den Zweck ihrer Festsetzung ein und die ebenso schleppende wie unsystematische Prozedur ihrer Überprüfung ließ für die Betroffenen auch keinen rechten Sinn erkennen. Nach der Aussonderung der Inhaber hoher Ränge in der NS-Hierarchie und der mutmaßlichen Straftäter blieben die mittleren Ränge der SS und der SA, die mittleren Funktionäre der NSDAP, die Apparatschiks vom Ortsgruppen-Amtsleiter bis zum Gau-Amtsleiter übrig; diese Personengruppen brauchten sich kaum schuldiger zu fühlen als die meisten anderen, denen bis zu drei Jahre Internierungslager erspart blieben.

Im Frühjahr 1946 wurde für die Länder der US-Zone das „Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus“ verabschiedet. Es bildete fortan die Rechtsgrundlage der Säuberung, die damit in deutsche Hände gelegt war. Das Befreiungsgesetz war formal in den Rahmen der Kontrollratsdirektiven eingepasst und suchte den Kompromiss zwischen dem Diskriminierungs- und Strafgedanken und der als notwendig empfundenen Rehabilitierung; wie in den anderen Zonen setzte sich die Idee der Rehabilitierung dann nachhaltiger durch. Infolge des größeren Rigorismus, mit dem in der US-Zone das Problem anfänglich in Angriff genommen worden war, erschien die zunehmend betriebene Umwidmung von Schuldigen in Unschuldige – die Entlastung ursprünglich schwer Beschuldigter zu „Mitläufern“ – als eklatanter Fehlschlag des ganzen Unternehmens.

Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit, die sich in der amerikanischen Zone im Laufe der Entnazifizierung ergab, war gewaltig. Dreizehn Millionen Menschen vom vollendeten 18. Lebensjahr an hatten ihre Fragebogen ausgefüllt, knapp ein Drittel der Bevölkerung war vom Befreiungsgesetz betroffen. Etwa 10% wurden dann schließlich verurteilt; tatsächliche Strafen oder Nachteile von Dauer erlitt weniger als 1% der zu Entnazifizierenden überhaupt. Die Prozedur der Entnazifizierung in der amerikanischen Zone, die mit einer gewissen Zeitverzögerung auch in den beiden anderen Westzonen angewendet wurde, erfolgte vor Spruchkammern. Die Spruchkammern, deren es insgesamt über 545 in der US-Zone gab, waren Laiengerichte mit öffentlichen Klägern. Oberste deutsche Instanz waren die Befreiungsministerien der Länder Bayern, Württemberg-Baden, Hessen und Bremen, beaufsichtigt wurde die Entnazifizierung von der amerikanischen Militärregierung. Jeder Fall war individuell zu würdigen. Etwas Entlastung brachte die Jugendamnestie vom August 1946, die ab Jahrgang 1919 galt, und die Weihnachtsamnestie von 1946, die Kriegsbeschädigte und sozial Schwache begünstigte. Für die Spruchkammern blieben weiterhin 930000 Einzelfälle zu entscheiden.

Der Elan, die Reste des Nationalsozialismus zu beseitigen und die politische Säuberung zu vollziehen, war spätestens ab Frühjahr 1948 verschwunden. Die Besatzungsmacht lockerte die Kontrollen. Um die Sache abzuschließen, wurden sogar Schnellverfahren eingerichtet. Im Zeichen des Kalten Krieges hatte sich der Straf- und Diskriminierungsgedanke verflüchtigt. Davon profitierten nicht wenige Belastete, die glimpflicher davonkamen als die minder schweren Fälle, die zu Beginn der Entnazifizierung behandelt worden waren. Ein anderer Vorwurf richtete sich gegen das grassierende Denunziantentum und gegen Korruption, Scheinheiligkeit und die Jagd nach „Persilscheinen“ – Bestätigungen von Unbelasteten, mit denen ehemalige NSDAP-Mitglieder ihre Harmlosigkeit dokumentierten. Schließlich war die Spruchkammer als Instanz zur Gesinnungsprüfung – vom rechtsstaatlichen Standpunkt aus gesehen – ein zweifelhaftes Instrument. General Clay, der amerikanische Militärgouverneur, der einer der Protagonisten des Säuberungsgedankens gewesen war, begründete im Rückblick den Abbruch der Unternehmung mit einem Argument, das nicht weniger einleuchtend war als der Gedanke der politischen Säuberung: „Hätten die nominellen Parteimitglieder nicht ihre vollen bürgerlichen Rechte und die Möglichkeiten zurückerhalten, wieder ein normales Leben zu führen, dann hätte sich bestimmt früher oder später ein ernsthafter politischer Unruheherd entwickelt.“

In den Westzonen wurden bis zum Jahr 1949 3660648 Fälle bearbeitet, wobei nachstehende Zuordnung erfolgte:

Ostzone

Übersicht:

Speziallager auch für Regimegegner

In der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) wurde die Entnazifizierung am konsequentesten durchgeführt und am schnellsten abgeschlossen. Die Entnazifizierung erfolgte hier im Zusammenhang mit der „antifaschistisch- demokratischen Umwälzung“. Die Entfernung der ehemaligen NSDAP-Mitglieder aus allen wichtigen Stellungen war Bestandteil dieser politischen und sozialen Neustrukturierung, die unter dem Schlagwort „Auseinandersetzung zwischen der Arbeiterklasse und der Monopolbourgeoisie“ die Sozialistische Deutsche Einheitspartei (SED) als bestimmende Kraft durchsetzen sollte.

Ende Oktober 1946 standen in der sowjetischen Zone eigene „Richtlinien für die Bestrafung der Naziverbrecher und die Sühnemaßnahmen gegen die aktivistischen Nazis“ zur Verfügung. Sie waren von einem gemeinsamen Ausschuss der im „Demokratischen Block“ unter Dominanz der SED zusammengefassten Parteien verfasst worden. Der Katalog der Sühnemaßnahmen beinhaltete: Entlassung aus öffentlichen Verwaltungsämtern und Ausschluss von Tätigkeiten, die öffentliches Vertrauen erfordern; zusätzliche Arbeits-, Sach- und Geldleistungen; Kürzung der Versorgungsbezüge und Einschränkung bei der allgemeinen Versorgung, solange Mangel besteht; Nichtgewährung der politischen Rechte einschließlich des Rechts auf Mitgliedschaft in Gewerkschafts- oder anderen Berufsvertretungen und in den antifaschistisch-demokratischen Parteien.

Wie in den Westzonen wurde auch in der Ostzone bei der Entnazifizierung Rücksicht genommen auf Fachleute wie Techniker, Spezialisten und Experten, die für das Funktionieren bestimmter Einrichtungen oder für den Wiederaufbau unentbehrlich waren. Ende 1946 waren in der sowjetischen Besatzungszone trotzdem insgesamt 390478 ehemalige NSDAP-Mitglieder entlassen bzw. nicht wieder eingestellt worden. Zu diesem Zeitpunkt wurde das Säuberungsverfahren neu organisiert.

Unter direkter Regie des sowjetischen Geheimdienstes waren in der sowjetischen Besatzungszone Internierungslager eingerichtet worden, in denen – wie in den Westzonen – ehemalige Nazis arretiert waren, um sie zur Rechenschaft ziehen zu können. Die Speziallager unterschieden sich freilich in einem Punkt grundlegend von den Internierungslagern der Westzonen: Sie dienten neben der Inhaftierung von Nationalsozialisten auch dazu, Gegner der gesellschaftlichen Umwälzung (Sozialdemokraten, Liberale und Konservative) aus dem Verkehr zu ziehen und mundtot zu machen. Schlechte Behandlung war ebenso charakteristisch wie die Willkür, mit der man inhaftiert wurde. Das ehemalige KZ Buchenwald wurde zum Speziallager Nr. 2; Sachsenhausen diente ab August 1945 als Speziallager Nr. 7 und war bis 1950 die größte Haftstätte in der SBZ und späteren Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Etwa 50000 Menschen waren im Laufe dieser Jahre in den Lagern inhaftiert; etwa 12000 kamen dabei um ihr Leben und wurden in Massengräbern beerdigt. Diese Vorgänge waren bis zum Ende der DDR tabuisiert.