Durchführung von Prozessen

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Der Nürnberger Hauptprozess

Obwohl die Gegensätze zwischen den Westalliierten und der Sowjetunion nach der Potsdamer Konferenz wuchsen, war man sich auch weiterhin darüber einig, dass Entnazifizierung, Entmilitarisierung und Demokratisierung die notwendige moralische Erneuerung Deutschlands einleiten und den Rahmen für die politische Erneuerung in den Besatzungszonen abstecken sollten. Den Auftakt zur Entnazifizierung sollte die Bestrafung aller deutschen Kriegsverbrecher durch die Alliierten bilden. Eine Londoner Kommission hatte seit 1943 deutsche Kriegsverbrechen zusammengestellt. Es wurde durch die Alliierten ein Internationaler Militärgerichtshof eingerichtet, der 24 bedeutende Partei- und Staatsfunktionäre sowie Organisationen der NSDAP todeswürdiger Verbrechen anklagte. Dabei ging es um drei Verbrechensarten: Kriegsverbrechen, d.h. Verstöße gegen die Haager Konvention (z.B. Tötung von Kriegsgefangenen oder Geiseln, Misshandlungen gegenüber der Zivilbevölkerung, Beschießung nicht verteidigter Orte); Verbrechen gegen die Menschlichkeit, d.h. Verstöße gegen Strafgesetze in Zusammenhang mit der Judenverfolgung und -vernichtung sowie der Euthanasie; Verbrechen gegen den Frieden, d.h. Verstoß gegen die Normen der Alliierten (Verzicht auf den Angriffskrieg).

Dieser letzte Punkt „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ verdeutlicht das Hauptproblem der Anklage und des Internationalen Gerichtshofs, denn Verbrechen gegen den Frieden setzten ein internationales Verbot des Angriffskrieges voraus, das es aber so nicht gab: Es wurde hier gegen das Verbot rückwirkender Gesetze verstoßen. Des Weiteren sah die Haager Konvention keine internationalen Strafsanktionen vor; deshalb konnte sich auch die Einsetzung des Internationalen Gerichtshofs nicht auf bestehendes Völkerrecht berufen. Auch weigerten sich die Sieger, die Anklagepunkte auf ihre eigene Kriegsführung anwenden zu lassen und schufen damit ungleiches Recht. Trotzdem haben die Anklagegründe zu einer Weiterentwicklung des Völkerrechts beigetragen.

Während der Nürnberger Prozesse, die mit sehr großer Sorgfalt geführt wurden, kam es zur Offenlegung mehrerer Geheimdokumente des Dritten Reichs, die das verbrecherische Ausmaß der Politik im Namen des deutschen Volkes bekannt machten.

Vier NS-Organisationen wurden als verbrecherisch eingestuft:

Führerkorps der NSDAP, Gestapo, SD, SS

12 von 24 Angeklagten wurden zum Tode verurteilt:

Göring, Ribbentrop, Keitel, Kaltenbrunner, Rosenberg, Frank, Frick, Streicher, Sauckel, Jodl, Seuß-Inquart und Bormann

3 Angeklagte wurden zu lebenslänglicher Haft verurteilt:

Heß, Funk und Raeder

4 Angeklagten erhielten Zeitstrafen:

Dönitz, Schirach, Speer und Neurath

3 Angeklagte wurden freigesprochen:

Schacht, von Papen und Fritzsche

Das Urteil der 12 zum Tode durch den Strang verurteilten Angeklagten wurde im Morgengrauen des 16.10.1946 vollstreckt. Hermann Göring jedoch hatte sich am Vorabend seiner Hinrichtung auf ungeklärte Weise Gift verschafft und Selbstmord begangen.

Nürnberger Prozesse

Auf der Anklagebank: Göring, Heß, von Ribbentrop, Keitel (vorne), Dönitz, Raeder, von Schirach und Sauckel (dahinter)

Defendants in the dock at the Nuremberg Trials.jpg
Von Work of the United States Government – Diese Datei ist im Bestand der National Archives and Records Administration verfügbar, katalogisiert unter dem National Archives Identifier (NAID) 540128., Gemeinfrei, Link

Blick in den Verhandlungssaal am 30. September 1946, links die Angeklagten. 1. Reihe v.l. Hermann Göring, Rudolf Heß, Joachim von Ribbentrop, Wilhelm Keitel, Ernst Kaltenbrunner, Alfred Rosenberg, Hans Frank, Wilhelm Frick, Julius Streicher, Walter Funk, Hjalmar Schacht. 2. Reihe: Erich Raeder, Baldur von Schirach, Fritz Sauckel

Bundesarchiv Bild 183-H27798, Nürnberger Prozess, Verhandlungssaal.jpg
Von Bundesarchiv, Bild 183-H27798 / Unbekannt / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, Link

Anklageschrift – Nürnberg – Internationaler Militärgerichtshof

+Anklageschrift -Nürnberg – Internationaler Militärgerichtshof – Öffentliches Werk ohne Urheberschutz

Von IMT – IMT, Gemeinfrei, Link

Folgeprozesse in Nürnberg

Die Absicht, dem Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof in Nürnberg weitere Prozesse unter gemeinsamer Gerichtshoheit der Alliierten folgen zu lassen, ließ sich im beginnenden Kalten Krieg nicht mehr realisieren. In allen vier Besatzungszonen (und in den von deutscher Okkupation befreiten Nationen wie Polen, den Niederlanden und Italien fanden deshalb in der Folgezeit einzelne Prozesse statt, bei denen nationalsozialistische Verbrechen von Militärgerichtshöfen der Besatzungsmächte untersucht und verurteilt wurden. Am meisten Aufsehen erregten die zwölf Verfahren, die die Amerikaner in Nürnberg unmittelbar im Anschluss an das Hauptkriegsverbrecher-Tribunal führten. Diese zwölf „Nachfolge-Prozesse“ dauerten bis Mitte 1949 und boten einen Querschnitt durch zwölf Jahre nationalsozialistischer Politik, Diplomatie und Wirtschaft:

Im Ärzteprozess ging es um Euthanasie und Menschenversuche, im Milch-Prozess – benannt nach dem Generalinspekteur der Luftwaffe, Erhard Milch – um die Kriegsrüstung, im Flick-Prozess – benannt nach Friedrich Flick, einem der prominentesten Großunternehmer im NS-Staat – um Zwangsarbeit und Raub ausländischen Eigentums, im Südost-Generäle-Prozess standen Geiselerschießungen auf dem Balkan zur Debatte, im Fall-Acht-Verfahren waren Mitarbeiter des „Rasse- und Siedlungshauptamts der SS“ wegen der Ermordung von Juden und Polen angeklagt, im Wilhelmstraßenprozess standen Diplomaten und andere Funktionäre vor Gericht, und im Einsatzgruppen-Prozess waren die Mordaktionen an Juden in den besetzten Ostgebieten Gegenstand der Anklage.

Es ist zwar nicht gelungen, mit diesen Verfahren der Gerechtigkeit zum dauernden Sieg zu verhelfen – und die Nürnberger Grundsätze wurden nicht neues Völkerrecht. Aber es war auch nicht das Tribunal der Rache der Sieger gegen die Besiegten. Die Verbrechen waren so einzigartig, so eindeutig gegen die Menschheit insgesamt begangen, dass über sie im Namen der Vereinten Nationen gerichtet werden musste. Deutsche wären nach Auffassung der Alliierten wie der Opfer nach zwölf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft allein zu einem solchen Gericht nicht fähig gewesen, und in der Mehrheit waren sie deshalb für die Übernahme der Verfahren durch die internationale Justiz auch dankbar. Denn über Schuldspruch und Strafe hinaus bildeten die Prozesse den Beginn der Aufklärung über die nationalsozialistische Diktatur. Dadurch haben die Nürnberger Verfahren – der Hauptkriegsverbrecherprozess vor dem Internationalen Militärtribunal ebenso wie die zwölf Prozesse unter amerikanischer Gerichtshoheit – auch zur Entwicklung der Demokratie und zur Wiedererrichtung des Rechtsstaats in Deutschland beigetragen.

Weitere Prozesse

Auf dem Gelände des KZ Dachau tagte ein amerikanisches Militärgericht. In mehreren Prozessen standen die Verbrechen der Wachmannschaften und Kommandanten einzelner Konzentrationslager zur Anklage; die Verfahren hatten die Konzentrationslager Dachau, Flossenbürg, Mauthausen und Ebensee zum Gegenstand. Wie bei den großen Prozessen in Nürnberg war nie von einer Kollektivschuld die Rede. In keinem Fall wurde pauschal geurteilt. Die individuelle Schuld eines jeden Angeklagten wurde genau untersucht, Beweise wurden sorgfältig erhoben und Zeugen gehört. Nach dem Urteilsspruch bestand Gelegenheit für Gnadengesuche und nicht alle Urteile wurden anschließend bestätigt und vollstreckt. Am 13.05.1946 ging in Dachau nach 37 Verhandlungstagen ein Prozess gegen das Personal des KZ Mauthausen zu Ende, bei dem alle 61 Angeklagten für schuldig befunden, 58 zum Tode, die übrigen zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt wurden. Rechtskraft erhielten die Schuldsprüche nach sorgfältiger Prüfung der Einsprüche und Gnadengesuche am 30.04.1947. In vielen Fällen waren die Strafen gemildert worden. Gegen 49 Angeklagte wurden die Todesurteile bestätigt und Ende Mai 1947 vollstreckt.

In der britischen Besatzungszone führten Militärgerichte in Lüneburg Strafverfahren gegen SS-Personal von Bergen-Belsen und Auschwitz, in Hamburg stand Generalfeldmarschall Erich von Manstein vor Gericht. Ihm wurde vorgeworfen, bei der Kriegsführung nicht auf die Zivilbevölkerung geachtet zu haben, während er vom Vorwurf, für Massenmorde an Juden mitverantwortlich zu sein, freigesprochen wurde. Im Dezember 1949 wurde er zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt, die später auf zwölf Jahre herabgesetzt wurden; in Freiheit kam er jedoch schon im Mai 1953.

In der sowjetischen Besatzungszone standen Schergen des NS-Regimes ebenso vor Gericht wie in der französischen Zone. In Straßburg musste sich der ehemalige Gauleiter Robert Wagner vor einem französischen Gericht verantworten. In Belgien, Dänemark und Luxemburg, in der Tschechoslowakei und Jugoslawien, in Norwegen und in den Niederlanden wurden Deutsche zur Rechenschaft gezogen, die sich als Funktionäre des NS-Staates, als Besatzungsoffiziere oder als SS-Schergen schuldig gemacht hatten. In Krakau wurde im März 1947 der Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß zum Tode verurteilt. Viele hatten sich durch Selbstmord, durch Flucht nach Südamerika oder durch Untertauchen der irdischen Gerechtigkeit entzogen. Einigen wurde später der Prozess gemacht, wie Adolf Eichmann 1961 in Israel oder SS-Angehörigen in den sechs Frankfurter Auschwitz-Prozessen zwischen 1965 und 1981 und in anderen Verfahren wegen nationalsozialistischer Gewaltverbrechen.

Aufgabe

  1. Nennen Sie die lt. Statut für den Internationalen Militärgerichtshof vom 08.08.1945 geltenden Anklagegründe im Nürnberger Hauptprozess vom 20.11.1945 bis 01.10.1946 und bezeichnen Sie die Kreise der Betroffenen!
  2. Welche Rechtsnormen sind hier ein Novum? Wo liegt deren Problematik und wo die positive Bedeutung für den zukünftigen Umgang mit Kriegsverbrechern?

Quellenarbeit: Aus dem Statut für den Internationalen Militärgerichtshof:

Artikel 6

Der durch das in Artikel 1 genannte Abkommen eingesetzte Gerichtshof zur Aburteilung der Hauptkriegsverbrecher der der europäischen Achse angehörigen Staaten hat das Recht, alle Personen abzuurteilen, die im Interesse der der europäischen Achse angehörenden Staaten als Einzelpersonen oder als Mitglieder einer Organisation oder Gruppe eines der folgenden Verbrechen begangen haben: Die folgenden Handlungen, oder jede einzelne von ihnen, stellen Verbrechen dar, für deren Aburteilung der Gerichtshof zuständig ist. Der Täter solcher Verbrechen ist persönlich verantwortlich:

(a) Verbrechen gegen den Frieden:
Nämlich: Planen, Vorbereitung, Einleitung oder Durchführung eines Angriffskrieges oder eines Krieges unter Verletzung internationaler Verträge, Abkommen oder Zusicherungen oder Beteiligung an einem gemeinsamen Plan oder an einer Verschwörung zur Ausführung einer der vorgenannten Handlungen;

(b) Kriegsverbrechen:
Nämlich: Verletzungen der Kriegsgesetze oder -gebräuche. Solche Verletzungen umfassen, ohne jedoch darauf beschränkt zu sein, Mord, Misshandlungen, oder Deportation zur Sklavenarbeit oder für irgendeinen anderen Zweck, von Angehörigen der Zivilbevölkerung von oder in besetzten Gebieten, Mord oder Misshandlungen von Kriegsgefangenen oder Personen auf hoher See, Töten von Geiseln, Plünderung öffentlichen oder privaten Eigentums, die mutwillige Zerstörung von Städten, Märkten oder Dörfern oder jede durch militärische Notwendigkeit nicht gerechtfertigte Verwüstung;

(c) Verbrechen gegen die Menschlichkeit:
Nämlich: Mord, Ausrottung, Versklavung, Deportation oder andere unmenschliche Handlungen, begangen an irgendeiner Zivilbevölkerung vor oder während des Krieges, Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen, begangen in Ausführung eines Verbrechens oder in Verbindung mit einem Verbrechen, für das der Gerichtshof zuständig ist, und zwar unabhängig davon, ob die Handlung gegen das Recht des Landes verstieß, in dem sie begangen wurde, oder nicht.

Anführer, Organisatoren, Anstifter und Teilnehmer, die am Entwurf oder der Ausführung eines gemeinsamen Planes oder einer Verschwörung zur Begehung eines der vorgenannten Verbrechen teilgenommen haben, sind für alle Handlungen verantwortlich, die von irgendeiner Person in Ausführung eines solchen Planes begangen worden sind.

Artikel 7

Die amtliche Stellung eines Angeklagten, sei es als Oberhaupt eines Staates oder als verantwortlicher Beamter in einer Regierungsabteilung, soll weder als Strafausschließungsgrund noch als Strafmilderungsgrund gelten. Die Tatsache, dass ein Angeklagter auf Befehl seiner Regierung oder eines Vorgesetzten gehandelt hat, gilt nicht als Strafausschließungsgrund, kann aber als Strafmilderungsgrund berücksichtigt werden, wenn dies nach Ansicht des Gerichtshofes gerechtfertigt erscheint. […]

Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Amtl. Wortlaut in deutscher Sprache, Bd. 1, Nürnberg 1947, S. 10f.

Lösung zu Arbeitsauftrag 1:

  • Verbrechen gegen den Frieden
  • Kriegsverbrechen
  • Verbrechen gegen die Menschlichkeit
  • Betroffen:
    • NSDAP-Führung
    • SS, SS-Einheiten, KZ-Wachmannschaften, SD, Gestapo
    • Luftwaffe
    • Einzelne Soldaten

Lösung zu Arbeitsauftrag 2:

Die Verbrechen gegen den Frieden und die Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurden nachträglich eingeführt. Sie verstoßen damit gegen das Verbot rückwirkender Gesetze, bedeuten aber an sich eine wünschenswerte Weiterentwicklung des Völkerrechtes und gelten als Vorbild für spätere Prozesse gegen Kriegsverbrecher.

Übung Entnazifizierung