Eigene Sprachuntersuchungen: Anwendung 1

Sprachuntersuchung in Aufsatzform

Aufgaben

1 Bestimmen Sie das Thema des Kommentars, der am Montag nach dem Unfall am Kitzsteinhorn, bei dem 155 Menschen in einem Skilift umkamen, erschien. Klären Sie die auffälligen Besonderheiten des Textes wie Stilebene, Satzbau, Wortwahl sowie Häufungen von bestimmten Wörtern und rhetorischen Figuren. Verfassen Sie den Vorspann der Sprachanalyse.

2 Untersuchen Sie die ersten vier Absätze und den letzten Absatz im Detail. Formulieren Sie anschließend mit Hilfe ihrer Notizen eine komplette Sprachanalyse.

Alles im Griff?
Die Technik, die Machbarkeit und deren Grenzen

von Felix Hartlieb

Der Mensch ist ein intelligentes Wesen. Er lernt dazu, erkennt Zusammenhänge, durchschaut das Spiel von Ursache und Wirkung. Was Wunder, wenn er daraus folgert, er verfüge über das Recht, sich Natur und Kreatur dieses schönen blauen Planeten zu unterwerfen.

Wir glauben uns darin bestätigt und bestärkt durch unsere eigene Geistesgeschichte. Haben wir etwa nicht binnen weniger Jahrhunderte gelernt, die Schwerkraft zu überwinden, die Elemente in einem Periodensystem sauber einzuordnen, die atomare Kraft zu entfesseln und zugleich zu bändigen, den Mond zu betreten, das Werden individuellen Lebens zu entschlüsseln? Im Neudeutschen kennen wir ein Wort, das dieses strotzende Bewusstsein fokussiert: Machbarkeit.

Der Lehrsatz des Pythagoras

Aber ja doch, wir kennen die Gesetze, die unsere Erde zusammenhalten. Wir kennen und definieren, was Kraft ist und was Leistung, was Reibung und was Spannung, was Reduktion, Diffusion, Art, Gattung. Und wer besonders gut aufgepasst hat in der Schule, der kennt noch den Lehrsatz des Pythagoras, vielleicht sogar die Loschmidtsche Zahl.

Was wir verstehen, das nennen wir Wissenschaft, und was wir daraus machen, heißen wir Technik, und mit der, haben wir erfahren, ist schier alles machbar. Ist es das wirklich?

Die Nachrichtenagenturen melden vom Kitzsteinhorn, die von einem Stahlseil auf Schienen gezogene Gletscher-U-Bahn bestehe „fast vollständig aus Materialien, die nicht brennbar sind“. Und sie melden, den Widerspruch einfach so stehen lassend, etwas später, bis auf das Fahrgestell aus Metall sei der Zug vollständig ausgebrannt.

Wir lesen weiter, dass der sehr steil nach oben führende, über drei Kilometer lange Tunnel die giftigen Brandschwaden wie ein Kamin nach oben gezogen hat, so rabiat und intensiv, dass selbst vor der oberen Mündung noch Menschen den Erstickungstod erlitten haben. Dass es, gesetzt den Brandfall, so kommen .musste, ist logisch. Die Logik der Konstrukteure und Betreiber aber, so etwas könne nicht geschehen, weil der Zug nie und nimmer brenne – diese Logik trog. Sie war tödlich.

Machbar, alles im Griff: trügerische Floskeln. Risikominimierung: Das klingt zwar ähnlich selbstsicher , aber es kommt der Realität näher. Vermindern können wir die Risiken, die wir eingehen. Aber beseitigen können wir sie nicht. Zum einen, weil der Mensch selbst ein unkalkulierbares Risiko ist, und zum anderen, weil die gleichen Naturgesetze, derer wir uns bedienen, sich gegen uns wenden, wenn sie uns diesen Dienst versagen.

Es ist der Mensch, der sich trügerische Sicherheit suggeriert („Der Zug kann gar nicht brennen“). Der sich, als Autofahrer beispielsweise, mit Knautschzone, Airbag, ABS und was nicht sonst noch allem zu schützen meint und dann umso sorgloser aufs Gaspedal tritt.

So lässt sich die Natur anscheinend engelsgeduldig an die Kandare unserer Technik nehmen, gibt sie ihre Gesetze preis. Aber sie ist unerbittlich in der Erfüllung ihrer Gesetze, so, wie der Mensch zu Fehlern neigt. Dann bringt ein Stück Metall auf einer französischen Rollbahn die Concorde zu Fall, und wenn wir hinterher die tödliche Kausalität erkennen, bewahrt uns das nicht einmal vor der Möglichkeit, das so wenig wahrscheinlich Gewesene könnte sich wiederholen.

Nur dürftige Früchte

Eine Lektion, die nur dürftige Früchte reifen lässt. Gilt dies schon, wenn wir uns die Naturkraft mit unserer Technik behutsam nutzbar machen, so gilt es noch mehr, wenn wir der Natur Gewalt antun. So wenig wir ungestraft die Alpen zum Vergnügungspark denaturieren, so sehr wird uns noch die Vergiftung der Atmosphäre mit Treibhausgasen treffen. Der bevorstehende Weltklimagipfel lässt uns da von menschlicher Intelligenz nichts erhoffen.

Nürnberger Nachrichten vom 13.11.2000

Lösungen

Hinweis zur Farbgebung:

Sprachlich-rhetorische Gestaltungsmittel   Textbeleg   Wirkungsabsicht 

Aufgabe 1: Allgemeiner Vorspann

In seinem Kommentar „Alles im Griff“, der am 13.11.2000 in den Nürnberger Nachrichten erschien, nimmt Felix Hartlieb den Brand am Kitzsteinhorn zum Anlass, um die Selbsttäuschung des Menschen im Umgang mit der Technik zu kritisieren. Damit sein kognitiv-appellativer Text dem Ernst der Katastrophe gerecht wird, wählt Felix Hartlieb vorwiegend die gewählt-gehobene Stilebene. Sie passt außerdem zu dem argumentierenden Charakter des Textes. Nicht anders verhält es sich mit dem häufigen Gebrauch von Hypotaxen. Da der Verfasser sich mit Technik und Wissenschaft befassen will, benutzt er viele Fachbegriffe und Fremdwörter aus der Physik, die zudem seinen Äußerungen Glaubwürdigkeit verleihen, weil er offensichtlich über technische und wissenschaftliche Kompetenz verfügt. Das emphatische Personalpronomen „Wir“, das er in seiner Stellungnahme an vielen Stellen einsetzt, soll seine Meinung zugleich als die Ansicht der Leser erscheinen lassen und drückt aus, dass er das Kollektiv „Menschheit“ in der Verantwortung sieht –  nicht aber Einzelne wie z.B. die Ingenieure, von denen die Vorgaben für den Bau der Kitzsteinhornbahn stammen. Dass der Verfasser außer der Repetitio des Personalpronomens in der 1. Person Plural auch die rhetorische Frage so oft verwendet, zeigt ferner seine Absicht, den Leser für die Fehlentwicklungen im Umgang mit der Natur mitverantwortlich zu machen. Felix Hartlieb legt  dem Adressaten seine Antworten in den Mund – und erleichtert ihm damit zugleich Einsichten, da er mit dieser Methode auch sich selbst für schuldig erklärt.

Aufgabe 2: Detailuntersuchung

(Absätze 1 – 5)

Bereits in der Überschrift „Alles im Griff?“ setzt Hartlieb eine fast höhnisch klingende rhetorische Frage ein, die dem Leser keine andere Wahl lassen will als dem Autor zuzustimmen, dass die Technik eben nicht beherrscht wird. Auch der Untertitel präsentiert sich überschaubar als Dreierfigur.

Zur Charakterisierung des Menschen als „intelligentes Wesen“ (Z. 1 f) benutzt der Verfasser an drei Stellen eine Akkumulation (Z. 2 – 4; Z. 11 ff. sowie Z. 25 ff.), mit der er die immense Fülle der menschlichen Erkenntnisse unterstreicht. Im ersten Beispiel ordnet er sie in Form einer Klimax an, die in der Gentechnologie (Z. 18 f.) gipfelt. Er verzichtet in seinen Aufzählungen teilweise auf Bindewörter, was den Eindruck der ungeheuren Menge menschlichen Wissens noch verstärkt, da es so aussieht, als könnte man die Reihe der Erkenntnisse endlos fortsetzen. Ein andermal verwendet er physikalische Begriffe paarweise, die zusätzlich noch durch die Repetitio des Fragewortes „was“ zusammengehalten werden. Leicht ironisch mutet sein Wortspiel an, wenn er dem Menschen den Glauben bestreitet, sich „Natur und Kreatur“ (Z. 7) unterwerfen zu können: lächerlicherweise alles, was es auf dieser Erde gibt.

Mit einem Parallelismus verdeutlicht Felix Hartlieb im vierten Absatz (Z. 34 ff.) den Unterschied zwischen Wissenschaft und Technik. Das Stilmittel der Wiederholung setzt der Autor auch  ein, um die Naivität im Umgang mit der Technik zu unterstreichen. Die abschließende rhetorische Frage „Ist es das wirklich?“ (Z. 38) bezweifelt den Glauben daran, dass alles machbar ist, und gibt dem Leser die passende Antwort vor.

Fast schon sarkastisch zitiert Hartlieb, die „Gletscher-U-Bahn bestehe ‚fast vollständig aus Materialien, die nicht brennbar sind‘ „, um diese Behauptung durch ihren Widerspruch zur Realität lächerlich zu machen.

(Letzter Absatz)

Im letzten Absatz nennt Hartlieb die jüngsten Großkatastrophen eine „Lektion“ (Z. 99) und vergleicht sie mit einer Lehre, die den Menschen erteilt wurde. Diese Vorstellung einer Strafe für den fehlerhaften Menschen unterstützt die Metapher von den wenig verlockenden „dürftige(n) Früchten“ (Z. 99 f.), mit der er seinen Unglauben in die Lernfähigkeit des Menschen ausdrückt. Mit der Repetitio des Verbs „gilt“ und dem Parallelismus in den folgenden Sätze betont er die Gültigkeit der Naturgesetze. Hartlieb äußert ihre Überlegenheit ebenso in der Personifikation der „unerbittlichen“ (Z. 87 f.) Natur als Gegner, der dem Menschen bei weitem überlegen ist. Es zeigt die Machtlosigkeit des Menschen gegenüber der Natur, wenn, eine weitere Personifikation, „ein Stück Metall“ das europäische Prestigeobjekt Concorde „zu Fall“ (Z. 90 ff.) bringt.

Den Neologismus „Vergnügungspark“ (Z. 106), eine Übertreibung des alpinen Tourismus, wählt Hartlieb, um klarzumachen, wie unangemessen ein derartig eigensüchtiger Umgang mit der Natur ist, in der sie „denaturiert“ (ein Fachbegriff, Z. 106) wird.

In seinem Schlusssatz vereinnahmt Hartlieb den Leser wieder mittels des Personalpronomens „uns“ (Z. 110)  für sein Resümee, für seine fatalistische Sicht der menschlichen „Intelligenz“ (Z.111).

Sprachanalyse: Hinweis zur Farbgebung

Sprachlich-rhetorische Gestaltungsmittel Textbeleg Wirkungsabsicht

Aufsatz:

In seinem Kommentar „Alles im Griff“, der am 13.11.2000 in den Nürnberger Nachrichten erschien, nimmt Felix Hartlieb den Brand am Kitzsteinhorn zum Anlass, um die Selbsttäuschung des Menschen im Umgang mit der Technik zu kritisieren. Damit sein kognitiv-appellativer Text dem Ernst der Katastrophe gerecht wird, wählt Felix Hartlieb vorwiegend die gewählt-gehobene Stilebene. Sie passt außerdem zu dem argumentierenden Charakter des Textes. Nicht anders verhält es sich mit dem häufigen Gebrauch von Hypotaxen. Da der Verfasser sich mit Technik und Wissenschaft befassen will, benutzt er viele Fachbegriffe und Fremdwörter aus der Physik, die zudem seinen Äußerungen Glaubwürdigkeit verleihen, weil er offensichtlich über technische und wissenschaftliche Kompetenz verfügt. Das emphatische Personalpronomen „Wir“, das er in seiner Stellungnahme an vielen Stellen einsetzt, soll seine Meinung zugleich als die Ansicht der Leser erscheinen lassen und drückt aus, dass er das Kollektiv „Menschheit“ in der Verantwortung sieht –  nicht aber Einzelne wie z.B. die Ingenieure, von denen die Vorgaben für den Bau der Kitzsteinhornbahn stammen. Dass der Verfasser außer der Repetitio des Personalpronomens in der 1. Person Plural auch die rhetorische Frage so oft verwendet, zeigt ferner seine Absicht, den Leser für die Fehlentwicklungen im Umgang mit der Natur mitverantwortlich zu machen. Felix Hartlieb legt  dem Adressaten seine Antworten in den Mund – und erleichtert ihm damit zugleich Einsichten, da er mit dieser Methode auch sich selbst für schuldig erklärt.

Bereits in der Überschrift „Alles im Griff?“ setzt Hartlieb eine fast höhnisch klingende rhetorische Frage ein, die dem Leser keine andere Wahl lassen will als dem Autor zuzustimmen, dass die Technik eben nicht beherrscht wird. Auch der Untertitel präsentiert sich überschaubar als Dreierfigur.

Zur Charakterisierung des Menschen als „intelligentes Wesen“ (Z. 1 f) benutzt der Verfasser an drei Stellen eine Akkumulation (Z. 2 – 4; Z. 11 ff. sowie Z. 25 ff.), mit der er die immense Fülle der menschlichen Erkenntnisse unterstreicht. Im ersten Beispiel ordnet er sie in Form einer Klimax an, die in der Gentechnologie (Z. 18 f.) gipfelt. Er verzichtet in seinen Aufzählungen teilweise auf Bindewörter, was den Eindruck der ungeheuren Menge menschlichen Wissens noch verstärkt, da es so aussieht, als könnte man die Reihe der Erkenntnisse endlos fortsetzen. Ein andermal verwendet er physikalische Begriffe paarweise, die zusätzlich noch durch die Repetitio des Fragewortes „was“ zusammengehalten werden. Leicht ironisch mutet sein Wortspiel an, wenn er dem Menschen den Glauben bestreitet, sich „Natur und Kreatur“ (Z. 7) unterwerfen zu können: lächerlicherweise alles, was es auf dieser Erde gibt.

Mit einem Parallelismus verdeutlicht Felix Hartlieb im vierten Absatz (Z. 34 ff.) den Unterschied zwischen Wissenschaft und Technik. Das Stilmittel der Wiederholung setzt der Autor auch  ein, um die Naivität im Umgang mit der Technik zu unterstreichen. Die abschließende rhetorische Frage „Ist es das wirklich?“ (Z. 38) bezweifelt den Glauben daran, dass alles machbar ist, und gibt dem Leser die passende Antwort vor.

Fast schon sarkastisch zitiert Hartlieb, die „Gletscher-U-Bahn bestehe ‚fast vollständig aus Materialien, die nicht brennbar sind‘ „, um diese Behauptung durch ihren Widerspruch zur Realität lächerlich zu machen. (Absätze 1 – 5)

Im letzten Absatz nennt Hartlieb die jüngsten Großkatastrophen eine „Lektion“ (Z. 99) und vergleicht sie mit einer Lehre, die den Menschen erteilt wurde. Diese Vorstellung einer Strafe für den fehlerhaften Menschen unterstützt die Metapher von den wenig verlockenden „dürftige(n) Früchten“ (Z. 99 f.), mit der er seinen Unglauben in die Lernfähigkeit des Menschen ausdrückt. Mit der Repetitio des Verbs „gilt“ und dem Parallelismus in den folgenden Sätze betont er die Gültigkeit der Naturgesetze. Hartlieb äußert ihre Überlegenheit ebenso in der Personifikation der „unerbittlichen“ (Z. 87 f.) Natur als Gegner, der dem Menschen bei weitem überlegen ist. Es zeigt die Machtlosigkeit des Menschen gegenüber der Natur, wenn, eine weitere Personifikation, „ein Stück Metall“ das europäische Prestigeobjekt Concorde „zu Fall“ (Z. 90 ff.) bringt.

Den Neologismus „Vergnügungspark“ (Z. 106), eine Übertreibung des alpinen Tourismus, wählt Hartlieb, um klarzumachen, wie unangemessen ein derartig eigensüchtiger Umgang mit der Natur ist, in der sie „denaturiert“ (ein Fachbegriff, Z. 106) wird.

In seinem Schlusssatz vereinnahmt Hartlieb den Leser wieder mittels des Personalpronomens „uns“ (Z. 110)  für sein Resümee, für seine fatalistische Sicht der menschlichen „Intelligenz“ (Z.111).(Letzter Absatz)