Eigene Sprachuntersuchungen

Das Vorgehen bei der Sprachuntersuchung am Beispiel der Glosse

Wenn man die Sprache von Texten untersucht, sollte man eine bestimmte Strategie anwenden, die es einem erleichtert, aus der Fülle der sprachlichen Mittel diejenigen auszusuchen, die für die Wirkung des Textes wichtig sind. Oft besteht nämlich die Gefahr, dass man „vor lauter Bäumen den Wald nicht sieht“ und etwas ziellos im Text „herumstochert“, ohne die Überzeugungsstrategie des Autors zu entdecken.

Daher ist es hilfreich, zunächst zu klären, welche Absicht der Verfasser mit seinem Text verfolgt, welche Meinung oder Haltung er bei seinen Lesern durchsetzen möchte.

Der Ort für diese Untersuchung ist der einleitende Vorspann der Sprachanalyse. In ihm nennt man außer Titel, Textart, Erscheinungsort und -datum auch das Thema und die Zielsetzung.

Textbeispiel  Fragen
(SZ) Der Lateinunterricht in den bayerischen Kindergärten ist zwar spielerisch, aber nicht verspielt. Er führt bereits im ersten Jahr zu Sinnsprüchen wie diesem: „Extra Bavariam non est vita, et si est vita, non est ita“ (Außerhalb Bayerns gibt es kein Leben, und wenn doch, dann kein vergleichbares), und wenn die Kindergartenkinder das analysieren, kommen sie .nicht selten zu der Erkenntnis: „Un die Ssulen draußen sin auch Sseiße!“ Da lachen die Kindergärtnerinnen, die Latein geben, sagen „Bene dixisti, Xaverl, guad gsagt!“ und schicken die Kinder in den Sandkasten zur meditativen Nacharbeit. Davon und von den Laptops, die bayerische Kinder sozusagen mit der Muttermilch einsaugen, kommt der hiesige Bildungshochstand, den man sich so vorstellen muss: Das Gefälle zur Bildung in den SPD-regierten Ländern ist so groß, dass man, wären da Kraftwerke, mit der überschießenden, zu Tal donnernden bayerischen Bildung den Strom für alle Gesamthochschulen erzeugen könnte. (…)  Welche Intention verfolgt der
Autor?
 Welche sprachlichen
Besonderheiten fallen auf?
 In welchem Bezug stehen
die sprachlichen
Besonderheiten zum Inhalt?
Süddeutsche Zeitung vom 18.06.2002

Aufbau einer Sprachanalyse

Allgemeine Charakterisierung des ganzen Textes oder Textauszugs

Arbeitsschritte Arbeitshinweise
 Inhalt (ganzer Text) Klärung der Absicht des Autors
(bezogen auf den ganzen Text)
Was will der Autor mit dem Text erreichen? Was will er verdeutlichen? Soll der Leser eher nachdenken oder handeln?
 Sprache (ganzer Text) Klärung von Auffälligkeiten in der sprachlichen Gestaltung, Besond erheiten der Machart, Schreibweise, Wortwahl
Bestimmung von Stilebene, Satzbau (Hypo-, Parataxe; Verbal-, Nominalstil), Häufung von Satzarten oder Wortarten
Häufung von rhetorischen Figuren (Bilder, Ironie, „Wir-Stil“)
In welchen Punkten unterscheidet sich der Text von anderen Ihnen bekannten Texten?
Welche sprachlichen Mittel kommen öfter vor?
Spricht der Autor eher den Verstand oder eher Gefühle an?
Will er das Publikum vereinnahmen bzw. überreden oder überzeugen?
Aufzeigen der Redestrategie In welche Einzelschritte setzt der Autor seine Absicht um?

2. Einzeluntersuchung Absatz / Sinnabschnitt 1

Arbeitsschritte Arbeitshinweise
 Inhalt
(Absatz/Sinnabschnitt)
Klärung der Absicht des Absatzes oder des Sinnabschnitts innerhalb der gesamten Argumentation Wie passt die Einzelaussage zu der Gesamtaussage des Textes?
Inwiefern ist der Absatz Teil der Argumentationsstrategie?
 Sprache
(Absatz/Sinnabschnitt)
2 – 3 sprachlich-stilistische Auffälligkeiten:
Satz-, Gedanken-, Wort-, Klangfigurenfiguren
Inwiefern verdeutlichen die Sprachmittel die Einzelabsicht besonders?
Welche Vorstellungen oder Assoziationen ruft das jeweilige Sprachmittel hervor?

3. Einzeluntersuchung Absatz / Sinnabschnitt 2 (Identisches Verfahren wie unter 2)

Arbeitsschritte Arbeitshinweise
 Inhalt
(Absatz/Sinnabschnitt)
Klärung der Absicht des Absatzes oder des Sinnabschnitts innerhalb der gesamten Argumentation Wie passt die Einzelaussage zu der Gesamtaussage des Textes?
Inwiefern ist der Absatz Teil der Argumentationsstrategie?
 Sprache
(Absatz/Sinnabschnitt)
2 – 3 sprachlich-stilistische Auffälligkeiten:
Satz-, Gedanken-, Wort-, Klangfigurenfiguren
Inwiefern verdeutlichen die Sprachmittel die Einzelabsicht besonders?
Welche Vorstellungen oder Assoziationen ruft das jeweilige Sprachmittel hervor?

Eigene Sprachuntersuchungen: Beispiel

Anwendung des Schemas

Aufgaben:

Arbeitsauftrag 1: Lesen Sie zunächst den Text sorgfältig durch und ergründen Sie, wovor Art Buchwald die Raucher schützen will. Klären Sie anschließend, was Buchwald mit dem Text bewirken möchte und vergleichen Sie Ihre Ergebnisse mit dem Lösungsvorschlag 1.

Arbeitsauftrag 2: Untersuchen Sie, welche Zielsetzung Art Buchwald in den Abschnitten 1-3, 4-5 und 6 verfolgt. Finden Sie die auffälligen sprachlichen Gestaltungsmittel heraus und klären Sie, warum er sie vermutlich gewählt hat, also welche Wirkungsabsicht hinter ihnen steckt. Vergleichen Sie Ihre Ergebnisse mit dem Lösungsvorschlag 2.

Arbeitsauftrag 3: Führen Sie die schematische Darstellung für die nächsten Absätze fort.

Schützt die Raucher

von Art Buchwald

Gegen das anhaltende Trommelfeuer der Anti-Zigaretten-Propaganda schlägt die Tabakindustrie jetzt zurück.

Laut „Wall Street Journal“ hat „Philip Morris“ eine machtvolle Kampagne gegen die Diskriminierung der Raucher gestartet. Eiferer der Anti-Raucher-Front, so erklärt die Firma, belästigten in zunehmendem Maße die Raucher und verletzten deren Bürgerrechte.

Außerdem behauptet ein Firmensprecher, die Berichterstattung der Medien zum Thema Rauchen sei grob unfair und unterstütze „Randgruppen, die eine Veränderung amerikanischer Verhaltensweisen anstreben, um sie ihrer eigenen Vorstellung von Utopia anzugleichen“.

Mir wäre es lieber gewesen, der Sprecher hätte von „einigen Medien“ gesprochen. Ich nämlich glaube, dass in diesem Land jeder, der rauchen möchte, das auch dürfen soll. Ich lehne es ab, mit Eiferern oder Mitgliedern von Randgruppen in einen Topf geworfen zu werden. Als wiedergeborener ehemaliger Zigarrenraucher würde ich niemals zwischen den tapferen Menschen, die das Rauchen aufgegeben haben, und den schwachen, erbärmlichen Wichten, die dieser schmutzigen Gewohnheit immer noch frönen, Partei ergreifen.

Aufgabe des Journalisten ist es, jede politische Frage fair und unparteiisch zu behandeln, sei es Tabak oder Oberst Gaddafi.

Deshalb will ich mich zuerst den Argumenten für das Rauchen zuwenden. Die meisten Menschen, die rauchen, sind wandelnde Zeitbomben kurz vor dem Losgehen, und die Zigarette ist das einzige, was sie vor der Selbstzerstörung bewahrt. Unser Land besitzt nicht genug Kliniken, um all die Neurotiker zu versorgen, die eingeliefert werden müssten, wenn sie nicht rauchen dürften.

Raucher gehören zu unseren größten Steuerzahlern. Mit der Tabaksteuer subventionieren sie Schulen, Kläranlagen und die Krankenhäuser, in die sie kommen, wenn sie vom Rauchen krank werden. Rauchen fördert die US-Volkswirtschaft. Zigarettensüchtige werden eher ihren letzten Dollar für ein Päckchen Glimmstängel ausgeben, als ihn wegzuwerfen für Brot oder Milch.

Eines der beredtesten Gesundheitsargumente für das Rauchen ist, dass heute mehr Frauen rauchen denn je. Sie würden´s nicht tun, wenn es nicht gefahrlos wäre, denn rauchende Frauen sind ja nicht dumm.

Je mehr die Leute Angst haben, sich eine anzustecken, desto mehr werden sie von Nichtrauchern tyrannisiert. Die eifernden Nichtraucher rechtfertigen ihre Rohheit mit der Behauptung, der Qualm mache sie schwindlig. Das ist ein Witz. Es ist ein bekanntes medizinisches Faktum, dass Tabakrauch für Nichtraucher nicht schädlicher sein kann als ein Glas warmes Wasser aus dem East River.

Dies ist die größte Befürchtung der Tabakindustrie: Wenn man dem Anti-Raucher heute die Verfolgung des Rauchers erlaubt, wird er morgen Lastwagen verfolgen und nächste Woche die Schornsteine der Stahlindustrie. Also kämpft jeder Raucher nicht nur für seine eigenen Rechte, sondern für die Rechte von allem, was raucht in Amerika.

Nun wollen wir aber auch zu der anderen Seite fair sein. Die Nichtraucher sind Waschlappen, die den ganzen Tag herumsitzen und auf einen Raucher warten, der eine Zigarette herausholt. Sie sind intolerante, selbstsüchtige Leute. Fragt man sie, warum sie gegen jemanden protestieren, der ein paar Züge aus seiner Filterzigarette genießen will, ist alles, was sie vorbringen können, ein lahmes „Ich habe Asthma“, was nun wirklich kein vernünftiger Grund ist.

Außer den Waschlappen gibt es unter den Nichtrauchern eine große Zahl bekehrter Paffer, die das Kraut aufgegeben haben und jetzt alle anderen dazu bringen wollen, es ihnen gleichzutun. Diese Typen sind unerträglich, weil sie die Raucher nicht nur zum Auslöschen ihrer Zigaretten auffordern, sondern ihnen auch stundenlang klarmachen, warum Zigaretten schädlich sind.

Da haben Sie sie also, die beiden Parteien, jede mit ihrer eigenen Wahrheit: Die eine besteht aus Rauchanbetern, die andere betet ständig, um frische Luft.

Wir sollten beide Parteien tolerieren – die. die an ein langes Leben glaubt, und die, der das wurscht ist. Keine hat die Wahrheit gepachtet. Es gibt nur eines. worin wir alle übereinstimmen können: Aufgabe der Tabakindustrie kann es nicht sein, für unsere Gesundheit zu sorgen.

Der Spiegel vom 07.10.1980

Lösungen

Allgemeine Charakterisierung

Zielsetzung Der Autor kritisiert die emotional geführten Auseinandersetzungen zwischen Rauchern und Nichtrauchern sowie falsche Erwartungen gegenüber der Tabakindustrie. Er plädiert für Toleranz zwischen den beiden Parteien, nicht ohne das Rauchen für unvernünftig zu erklären.
Mittel Ironie und Übertreibungen
Scheinbarer Aufbau des Kommentars in Form eines Erörterungsaufsatzes
Wirkungsabsicht Lächerlichmachen der Auseinandersetzung um das Rauchen, aber auch  der Raucher

Einzeluntersuchung

Sprachliche Mittel Textbeleg Wirkungsabsicht
 Einzelabsicht 1 (Absatz 1 ff.)  Kritik an der Kampagne der Tabakindustrie
 Metaphern aus dem Militär  „Trommelfeuer“
„… schlägt … zurück“
 Assoziation eines
kriegerischen Feldzugs
 Hyperbel (Übertreibung)  „…Veränderung amerikanischer
Verhaltensweisen anstreben“
 Unglaubwürdigkeit der Be-
hauptung durch Überzeichnung
 Einzelabsicht 2 (Absatz 4 f.)  Bekenntnis zu Toleranz und journalistischer Neutralität
 Repetitio des
Personalpronomens
 „ich“
„mir“
 persönlicher Stil erzeugt
Glaubwürdigkeit
 Einzelabsicht 3 (Absatz 6)  Kritik an den Rauchern
 Hyperbel (Übertreibung)  Raucher = „wandelnde
Zeitbomben kurz vor dem
Losgehen“
 Raucher lächerlich machen
 Ironie  Raucher = „größte Steuerzahler
… subventionieren die
Krankenhäuser …“