Erzählweisen

Die drei Arten des Erzählens

Erzähler: Der Begriff meint zumeist den Autor in seiner Rolle als Verfasser eines erzählenden Textes. Als Erzähler bezeichnet man aber auch die in jedem erzählenden Text sozusagen abstrakt vorhandene Instanz, aus deren Perspektive die Handlung und die Personen gesehen werden und aus deren Sichtweise die Geschichte erzählt und so dem Leser vermittelt wird. Das Vorhandensein einer solchen Mittler-Instanz ist das Hauptmerkmal der erzählenden Gattungen – im Gegensatz etwa zum Drama oder zur Lyrik, wo es keine solche Instanz gibt, sondern wo das lyrische Ich seine Empfindungen vor dem Leser präsentiert bzw. die jeweils sprechende Figur den anderen Figuren und damit dem Zuschauer bzw. Leser ihre eigene Perspektive unvermittelt vorführt.

Ich-Erzähler: Eine vom Autor erfundene Person oder Figur, die als erzählendes Ich meist zurückliegende eigene Erlebnisse berichtet und damit als jetzt Erzählender und einstige Hauptperson zugleich auftritt. Neben dem traditionellen Ich-Erzähler, der zurückliegende Ereignisse berichtet – und entsprechend überwiegend in der Vergangenheit spricht (episches Präteritum), findet man in der neueren Literatur auch häufig den Typ des gleichsam noch mitten in der Handlung stehenden und erlebenden, d.h. nicht rückblickenden berichtenden und reflektierenden Ichs. Er schreibt daher meistens in der Gegenwartsform (Präsens).

Ich-Erzählsituation

Heute nacht war Radi bei mir. Er war blond wie immer und er lachte in seinem weichen breiten Gesicht. Auch seine Augen waren wie immer: etwas ängstlich und etwas unsicher. Auch die paar blonden Bartspitzen hatte er. Alles wie immer.
Du bist doch tot, Radi, sagte ich. Ja, antwortete er, lach bitte nicht. Warum soll ich lachen?
Ihr habt immer gelacht über mich, das weiß ich doch. Weil ich meine Füße so komisch setzte und auf dem Schulweg immer von allerlei Mädchen redete, die ich gar nicht kannte. Darüber habt ihr doch immer gelacht. Und weil ich immer etwas ängstlich war, das weiß ich ganz genau.

Wolfgang Borchert, Radi. In: Wolfgang Borchert, Das Gesamtwerk. Hamburg 1995 (1. Auflage 1949)

Auktoriale Erzählsituation: Der Erzähler ist beim Erzählen der Geschichte seiner Personen oder Figuren allwissend und mehr oder weniger deutlich wertend im Hintergrund präsent, tritt mitunter sogar mit kommentierenden Bemerkungen, mit Vorankündigungen späterer Ereignisse oder mit kleinen Anreden an den Leser in den Vordergrund. Man nennt ihn auch den olympischen Erzähler, da er wie ein griechischer Gott auf dem Olymp alles überblickt.

Auktoriale Erzählsituation

(…) Ich bin unserem Helden durch die fünf freudenreichen (erg. Monate) der Ehe bedächtig nachgegangen; ich komm nun mit ihm an die fünf schmerzhaften, mit denen die meisten Ehen das Gefolge ihrer Geheimnisse – beschließen. (…)
Ich stelle dies alles absichtlich her, damit ich so manchem armen Schelm von Leser aus der Angst erlöse, er bekomme jetzt einen ganzen Band voll Tränen zu durchwaten, die er teils liest, teils mitvergießt (…)
Siebenkäs schickte sogleich den Eifersucht- und Ehe-Teufel zu allen anderen Teufeln, als er am Morgen erwachte (…)

Jean Paul, Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten F. St. Siebenkäs im Reichsmarktflecken Kuhschnappel. In: Jean Paul, Werke Band I. Berlin/Darmstadt 1962

Personale Erzählsituation: Der Erzähler bleibt quasi unsichtbar, die Geschehnisse werden aus der Perspektive der jeweils handelnden oder denkenden Personen berichtet. Sehr viele Texte bieten ein Gemisch aus auktorialen und personalen Erzählsituationen, wobei im traditionellen Roman die auktoriale Erzählsituation dominiert, im sog. modernen Roman oft die personale.

Auktoriale Erzählsituation

(…) Ich bin unserem Helden durch die fünf freudenreichen (erg. Monate) der Ehe bedächtig nachgegangen; ich komm nun mit ihm an die fünf schmerzhaften, mit denen die meisten Ehen das Gefolge ihrer Geheimnisse – beschließen. (…)
Ich stelle dies alles absichtlich her, damit ich so manchem armen Schelm von Leser aus der Angst erlöse, er bekomme jetzt einen ganzen Band voll Tränen zu durchwaten, die er teils liest, teils mitvergießt (…)
Siebenkäs schickte sogleich den Eifersucht- und Ehe-Teufel zu allen anderen Teufeln, als er am Morgen erwachte (…)

Jean Paul, Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten F. St. Siebenkäs im Reichsmarktflecken Kuhschnappel. In: Jean Paul, Werke Band I. Berlin/Darmstadt 1962

Erzählweisen: Textvorlage

Inhalt

Die Scheidungswaise Jo sieht ihre Mutter nach zwölf Jahren zum ersten Mal wieder. Doch die Annäherung erweist sich als schwierig, ihre Hoffnung auf Freundschaft und Nähe wird bitter enttäuscht. Desillusioniert von den Lebenslügen der Erwachsenen vollzieht Jo die Trennung. Wie eine Schlangenhaut wirft sie ihre Kindheit ab.

Aufgaben:

1.   Fassen Sie den Inhalt des Romanauszuges knapp zusammen.

2.1 Charakterisieren Sie die Ich-Erzählerin in Form einer tabellarischen Übersicht.

2.2 Erstellen Sie eine komplette Charakterisierung der Ich-Erzählerin.

Das Blütenstaubzimmer

von Zoë Jenny

Als meine Mutter ein paar Straßen weiter in eine andere Wohnung zog, blieb ich bei Vater. Das Haus, in dem wir wohnten, roch nach feuchtem Stein. In der Waschküche stand eine Druckmaschine, auf der mein Vater tagsüber Bücher druckte. Immer, wenn ich vom Kindergarten nach Hause kam, ging ich zu ihm in die Waschküche, und wir stiegen gemeinsam in die Wohnung hinauf, wo wir unser Mittagessen kochten. Abends vor dem Einschlafen stand er neben meinem Bett und zeichnete mit einer glühenden Zigarette Figuren ins Dunkel. Nachdem er mir heiße Milch mit Honig gebracht hatte, setzte er sich an den Tisch und begann zu schreiben. Im rhythmischen Gemurmel der Schreibmaschine schlief ich ein, und wenn ich aufwachte, konnte ich durch die geöffnete Tür seinen Hinterkopf sehen, ein heller Kranz von Haaren im Licht der Taschenlampe, und die unzähligen Zigarettenstummel, die, einer neben dem anderen, wie kleine Soldaten den Tischrand säumten.

Da die Bücher, die mein Vater verlegte, nicht gekauft wurden, nahm er eine Stelle als Nachtfahrer an, damit er tagsüber weiterhin die Bücher drucken konnte, die sich erst im Keller und auf dem Dachboden und später überall in der Wohnung stapelten.

Nachts fiel ich in einen unruhigen Schlaf, in dem die Träume zerstückelt an mir vorbeischwammen wie Papierschnipsel in einem reißenden Fluss. Dann das klirrende Geräusch, und ich war hellwach. Ich blickte an die Decke zu den Spinnengeweben empor und wusste, dass mein Vater jetzt in der Küche stand und den Wasserkessel auf den Herd gesetzt hatte. Sobald das Wasser kochte, ertönte ein kurzes Pfeifen aus der Küche, und ich hörte, wie Vater den Kessel hastig vom Herd nahm. Noch während das Wasser tropfenweise durch den Filter in die Thermoskanne sickerte, zog der Geruch von Kaffee durch die Zimmer. Darauf folgten rasch gedämpfte Geräusche, ein kurzer Moment der Stille; mein Atem begann schneller zu werden und ein Kloß formte sich in meinem Hals, der seine volle Größe erreicht hatte, wenn ich vom Bett aus sah, wie Vater, in seine Lederjacke gehüllt, leise die Wohnungstür hinter sich zuzog. Ein kaum hörbares Klack, ich wühlte mich aus der Bettdecke und stürzte ans Fenster. Langsam zählte ich eins, zwei, drei; bei sieben sah ich, wie er mit schnellen Schritten die Straße entlangging, eingetaucht in das dumpfe Gelb der Straßenlaterne; bei zehn war er stets beim Restaurant an der Ecke angelangt, wo er abbog. Nach weiteren Sekunden, in denen ich den Atem anhielt, hörte ich den Motor des Lieferwagens, der laut ansprang, sich entfernend immer leiser wurde und schließlich ganz verstummte. Dann lauschte ich in die Dunkelheit, die langsam, ein ausgehungertes Tier, aus allen Ecken kroch. In der Küche knipste ich das Licht an, setzte mich an den Tisch und umklammerte die noch warme Kaffeetasse. Suchte den Rand nach den braunen, eingetrockneten Flecken ab, das letzte Lebenszeichen, wenn er nicht mehr zurückkehrte. Allmählich erkaltete die Tasse in meinen Händen, unaufhaltsam drang die Nacht herein und breitete sich in der Wohnung aus. Sorgfältig stellte ich die Tasse hin und ging durch den schmalen hohen Gang in mein Zimmer zurück.

Vor dem Fensterrechteck, aus dem ich zuvor meinen Vater beobachtet hatte, hockte jetzt das Insekt, das mich böse anglotzte. Ich setzte mich auf die äußerste Kante des Bettes und ließ es nicht aus den Augen. Jederzeit konnte es mir ins Gesicht springen und seine knotigen, pulsierenden Beine um meinen Körper schlingen. In der Mitte des Zimmers tobten Fliegen um die Glühbirne. Ich starrte in das Licht und auf die Fliegen, und aus den Augenwinkeln beobachtete ich das Insekt, das schwarz und regungslos vor dem Fenster kauerte.

Nach und nach wickelte mich Müdigkeit ein wie warmes Fell. Ich strengte mich an, zwischen den nur noch halb geöffneten Augenlidern die einzelnen Fliegen zu unterscheiden, doch sie schlossen sich mehr und mehr zu einem in der Luft schwirrenden Kreis. Das Insekt kicherte und ich spürte seine Fühler langsam über den Boden auf meine vom Bett hängenden Füße zukriechen. Ich rannte in die Küche und hielt den Kopf unter das kalte Wasser. Meine Blase war angeschwollen und schmerzte. Ich traute mich nicht, auf die Toilette zu gehen, die auf dem Zwischenstock lag, weil das Licht im Treppenhaus nach kurzer Zeit ausging. Ich spürte das Insekt, das sich in meinem Zimmer regte und nur darauf wartete, mich im dunklen Treppenhaus zu überfallen. In der Küche auf und ab gehend, begann ich die Lieder vor mich hin zu summen, die wir im Kindergarten gelernt hatten. Nur wenige Lieder konnte ich auswendig, weshalb ich sie immer wieder anders zusammensetzte. Mit dem Anschwellen des Schmerzes in der Blase wurde auch meine Stimme lauter, von der ich inständig hoffte, sie trüge mich aus meinem Körper hinaus. Schließlich blieb ich vor dem Küchenschrank stehen und pinkelte in ein Gefäß, das ich zwischen die Beine klemmte. Sobald das Morgenlicht durch das Küchenfenster schimmerte, zog sich das Insekt in seine ferne Welt zurück. Die Dunkelheit wurde langsam verschluckt. Erschöpft ging ich in mein Zimmer zurück und wühlte mich in die Bettdecke. Um sieben Uhr läutete das Telefon. Es war Vater, der mich von unterwegs anrief, um mich zu wecken.

Die Sonntage verbrachte ich bei meiner Mutter. Abends stand sie mit aufgestecktem Haar vor dem großen Spiegel und fuhrwerkte mit Stiften und Schwämmchen in ihrem Gesicht herum. Ich reichte ihr die Döschen und Fläschchen, die auf dem Fensterbrett standen und schraubte die wertvoll aussehenden Blumen und tropfenförmigen Verschlüsse von den Parfümflaschen. Sobald der Babysitter kam, löste sie ihr Haar, das sich braun und duftend über ihrem Rücken auffächerte, und verschwand in die Nacht hinaus. Später weckte mich ihr Wimmern aus dem Schlaf, und ich tastete mich im Dunkeln zu ihrem Bett. Sie lag unter der farbigen Blumendecke, geschüttelt von mir unbegreiflichen geheimnisvollen Schmerzen. Von ihrem Gesicht sah ich nur ein Dreieck aus Nasenspitze und Mund, der Rest lag unter ihren weißen Händen begraben. Nach einer Weile schlug sie die Decke zurück, und ich kroch hinein in das salzigwarme Bett.

Einmal in der Woche holte sie mich mittags von der Schule ab. Von weitem sah ich sie neben dem Eisentor stehen, und ich rannte über den Schulhof auf sie zu. Sie nahm mich an der Hand und wir gingen zusammen in die Stadt. In den Umkleidekabinen, die nach Schweiß und Plastik rochen, packte sie einige Kleider in die große Schultertasche, die anderen legte sie wieder in die Regale zurück. Sobald sie an der Kasse ein Paar Socken oder ein T-Shirt bezahlt hatte, streichelte sie meinen Kopf, wie man frischgeborene Kätzchen streichelt, und die Verkäuferinnen, die uns durchs Schaufenster nachschauten, klatschten entzückt in die Hände. Das waren Tage, an denen es haufenweise Schokoladenkuchen gab und das Gesicht meiner Mutter weich und fröhlich war. Im Restaurant, während ich aus einem Trinkhalm meinen Sirup schlürfte, griff meine Mutter immer wieder in die Tasche, nach dem Stoff, ihr Mund stand leicht offen, und die Augen waren riesengroß, als sei es kaum zu ertragen, und ich wusste, sie war glücklich. Zu Hause entfernte sie mit der Schere die Preisetiketten von den Kleidern, hängte sie sorgfältig an den Kleiderständer und rollte ihn langsam mit dem erhobenen Kopf einer Königin, die vor ihr Reich tritt, ins Zimmer.

Immer wieder wartete ich nach Schulschluss stundenlang vor dem Eisentor auf sie. Aber sie kam nicht mehr. Ich fragte Vater, ob mit ihr etwas geschehen sei, aber er schüttelte den Kopf und schwieg.

Doch nach einigen Wochen stand sie wieder da, küsste mich aufs Haar und hieß mich ins Auto steigen. Diesmal fuhren wir nicht in die Stadt, und ich freute mich. Sie parkte an einem Waldweg. Ich übersprang die Lücken zwischen den Zacken, die die Räder eines Traktors in die von der Hitze brüchige Erde gestoßen hatten. Das helle Kleid meiner Mutter bauschte sich wolkig um ihren Körper, und ich ahnte, dass sie gleich etwas Wichtiges sagen würde. Aber sie schwieg den ganzen Weg, bis die Spuren des Traktors immer undeutlicher wurden und wir auf einer Wiese standen. Meine Mutter legte sich hin, ich legte mich neben sie auf die trockene Erde und spürte neben mir ihren glatten, pochenden Hals. Sie sagte, dass sie einen Mann, Alois, getroffen habe, den sie liebe, so wie sie einmal meinen Vater geliebt habe, und dass sie mit ihm fortgehen werde, für immer. Überall, wo ich hinsah, waren diese gelben und roten Blütenköpfe, die einen Duft ausströmten, der mich schwindlig und müde machte. Ich drehte mich zur Seite, das Ohr auf den Boden gepresst, hörte ich ein Summen und Knistern, als bewege sich da etwas tief unter der Erde, während ich ihren weit entfernten Mund weiterreden sah und ihre Augen, die in den Himmel schauten, der wie eine greifbare blaue Scheibe über uns schwebte.

Zoë Jenny, Das Blütenstaubzimmer, Frankfurt 1999

Lösungen

Inhaltsangabe

„Das Blütenstaubzimmer“ von Zoë Jenny

In dem Textausschnitt aus dem Roman „Das Blütenstaubzimmer“ von Zoë Jenny, der 1999 in Frankfurt am Main veröffentlicht wurde, beschreibt die Hauptfigur, ein kleines Mädchen, ihr Leben als Kind geschiedener bzw. getrennt lebender Eltern. Sie erzählt vom Zusammenleben mit ihrem Vater, bei dem sie nach der Trennung der Eltern lebt, beschreibt ihre Gefühle der Angst und des Alleinseins, während der Zeit, in der der Vater aus dem Haus ist, um seiner Beschäftigung als Nachtfahrer nachzugehen. Des Weiteren gibt sie einen kleinen Einblick in ihre Beziehung zur Mutter, die sie nur sonntags und einmal in der Woche sieht, wenn diese sie von der Schule abholt, um mit ihr in die Stadt zu gehen. Man erfährt, dass die Mutter weit weniger um die Tochter bemüht ist als der Vater. So geht sie abends aus, wenn ihre Tochter zu Besuch ist. Bei gemeinsamen Unternehmungen in der Stadt benutzt sie ihre ahnungslose Tochter sogar zur Ablenkung der Verkäufer bei ihren Beutezügen.

Charakterisierung der Ich-Erzählerin

Äußere Merkmale  keine Angaben – das Äußere muss
erschlossen werden, bleibt aber
bruchstückhaft
 Körper  – ebenso: Alter –  zu erschließen über
Besuch des Kindergartens und Schulzeit
– Geschlecht aus Urinierhaltung zu
erschließen
 Kleidung  ———————
 Gewohnheiten  – Entwicklung fantasievoller Vorstellungen
(Zigarettenstummel, Insekt)
– Suche nach Halt an Dingen, die den Vater
symbolisieren
 Innere Merkmale
 Verhaltensweisen,
Haltungen
 – Tendenz zu Abschottung: keine
Beziehung zu anderen Kindern erwähnt
– enge Bindung an den Vater
–  Entwicklung von fantastischen Trugbildern
– Neigung zur Verdrängung bzw.
Verlagerung von Belastendem
 Beziehungen  – Bedürfnis nach Geborgenheit erkennbar
am  intensiven Verlangen nach
Anwesenheit des Vaters
– kaum befriedigter Wunsch nach
Beziehung zu Mutter
– Bewunderung der Mutter (duftende Haare)
– Fähigkeit zu Mitleid mit der Mutter
 Gedanken,
Vorstellungen
und Fantasie
 – Neigung zu fantasievollen Vorstellungen:
Zigarettenstummel als Soldaten
– intensives Traumleben
– Suche nach Hinterlassenschaften des
Vaters (Kaffeeflecken)
– Entwicklung bedrohlicher Fantasiebilder
(Insekt) bei Einsamkeit
– intensive Wahrnehmung der Umgebung
bei Ankündigung der Trennung
 Gefühle  – Gefühle der Sicherheit und Geborgenheit
beim Vater, wenn anwesend
– Ängste bei seinem nächtlichen Weggang
und seiner Abwesenheit während der Arbeit
(traut sich nicht zur Toilette)
– Glücksgefühle beim Zusammentreffen
und -sein mit der Mutter
– Angst und Verzweiflung beim Ausbleiben
der Mutter
– Versuche die traurige Realität zu
verdrängen nach der angekündigten
endgültigen Trennung von der Mutter
 Soziale Merkmale
 Stand  Eltern geschieden und getrennt lebend
 Milieu
und Herkunft
 Intellektuellenmilieu: Vater erfolgloser
Schriftsteller
 Beruf  Schülerin

Charakterisierung der Ich-Erzählerin

Der gesamte Text macht deutlich, dass die Ich-Erzählerin, das kleine Mädchen, enorm unter der Trennung der Eltern leidet. Jedoch scheint es die Bedeutung des Wortes „Trennung“ noch nicht richtig zu kennen. Dies ist auch kaum verwunderlich, denn beide Elternteile sind nicht zeitlich unbegrenzt für sie da. Aber dennoch hat die Hauptfigur ein sehr inniges Verhältnis zum Vater, bei dem sie lebt und der sich in seiner wenig vorhandenen freien Zeit auch sehr rührend um das Mädchen bemüht. Die enge Vater-Tochter-Beziehung wird dadurch beschrieben, dass die Tochter vom Kindergarten aus direkt zum Vater „in die Waschküche“ und von dort aus mit ihm „gemeinsam in die Wohnung“ geht, wo sie miteinander ihr Mittagessen kochen. Dabei wird deutlich, dass das Kind nicht alleine in die Wohnung geht, sondern dass es die Gesellschaft des Vaters sucht. Auch fühlt sich die Erzählerin durch ein gewisses Einschlafritual, dass nämlich der Vater am Bett „mit einer glühenden Zigarette Figuren ins Dunkel“ zeichnet und ihr „heiße Milch mit Honig“ ans Bett bringt, geborgen und schläft mit der Gewissheit, dass der Vater anwesend ist, „im rhythmischen Gemurmel der Schreibmaschine“ ein.

Jedoch wird das Kind von vielen Ängsten geplagt. Aus diesem Grund schläft es auch unruhig und wacht schon durch ein „klirrendes Geräusch“ auf. Diese Merkmale beschreiben in erster Linie die Angst des Verlassenwerdens und das Alleinseins. Das „klirrende Geräusch“ stellt den Auftakt einer Handlung dar („… wusste, dass mein Vater jetzt in der Küche stand und den Wasserkessel auf den Herd gesetzt hatte, (…) hörte, wie Vater den Kessel hastig vom Herd nahm, (…) während das Wasser tropfenweise durch den Filter in die Thermoskanne sickerte (…) Darauf folgten rasch gedämpfte Geräusche (…)“), an deren Ende der Vater das Haus verlässt um zu seiner Beschäftigung, die zum Unterhalt der Familie beiträgt, nachzugehen. Genau in diesem Moment befällt das kleine Mädchen Panik. Dem „Kloß im Hals“ folgt der Blick aus dem Fenster, das langsame Zählen bis zehn und das Anhalten des Atems um dem sich entfernenden Lieferwagen des Vaters zu lauschen.

Die nun vorhandene Dunkelheit, welche das Kind umgibt, empfindet es als „ausgehungertes Tier“, das „aus allen Ecken kriecht“. Um dem Gefühl des Alleinseins zu entfliehen, begibt sich die Kleine in die Küche, wo sie „die noch warme Kaffeetasse“ des Vaters umklammert und „den Rand nach den braunen, eingetrockneten Flecken“ absucht, welche für sie ein Lebenszeichen des Vaters, nämlich das letzte Lebenszeichen, wenn er nicht mehr zurückkehrt“ darstellen. Diese Handlungsweise veranschaulicht ganz deutlich, dass das Kind nicht nur das gegenwärtige Alleinsein fürchtet, sondern dass es eine noch viel größere Angst davor hat, den Vater für immer zu verlieren und damit auch in der Zukunft alleine und auf sich gestellt zu sein.

Doch die warme Kaffeetasse bietet auch keinen dauerhaften Schutz gegen die Dunkelheit, Stille und Kälte, welche das Mädchen umgeben. Und so begibt es sich wieder in sein Schlafzimmer, in dem es auf ein „Insekt“ trifft, welches die Kleine „böse anglotzt“. Dieses Insekt, welches „schwarz und regungslos vor dem Fenster kauert“ ist jedoch nur in der Fantasie des Kindes vorhanden. Die Hauptfigur personifiziert damit alle Ängste , von denen sie umgeben ist, um sozusagen einen direkten Feind und somit auch ein „Gesicht“ für das zu haben, wovor sie Angst hat. Die Hauptaufgabe, um gegen die Panik anzugehen, sieht die Erzählerin nun darin, möglichst nicht einzuschlafen und das Insekt „nicht aus den Augen“ zu lassen. Doch die Müdigkeit fordert ihren Tribut, und so fallen dem Kind letztendlich doch die Augen zu. Aber anstatt nun friedlich schlafen zu können, wird die Kleine von ihren Ängsten bis in den Schlaf hinein verfolgt und sie empfindet es so, als ob „das Insekt kichert“ und „seine Fühler langsam über den Boden „auf ihre vom Bett hängenden Füße zukriecht“. Um sich wach zu halten, greift das Kind zum, aus seiner Sicht, letzten Mittel und hält sich „den Kopf unter das kalte Wasser“. Auch dem Drang auf die Toilette gehen zu müssen, versucht sich die Icherzählerin zu entziehen, weil sie der Meinung ist, dass das Insekt nur darauf wartet, sie „im dunklen Treppenhaus zu überfallen“. Schließlich lenkt sich die Kleine von ihren Ängsten ab, indem sie in der vermeintlich sicheren Küche „auf und ab“ geht und auswendig gelernte Lieder vor sich hin summt.

Der Gemütszustand der Hauptfigur bessert sich, „sobald das Morgenlicht durch das Küchenfenster“ schimmert und sich „das Insekt in seine ferne Welt“ zurückzieht. Erst jetzt traut sie sich wieder in ihr Zimmer zurück, wo sie versucht Schlaf zu finden, bis der Vater sie telefonisch weckt.

Zur Mutter, die die Ich-Erzählerin nur sonntags und einmal unter der Woche sieht, hat sie keine so enge Beziehung, wie zum Vater. Die Mutter ist der Tochter eher entfremdet. Da das Kind jedoch die Mutter liebt und sie auch nicht verlieren möchte, ist sie bemüht eine Beziehung zur Mutter aufzubauen. Die Erzählerin versucht dadurch, dass sie der „Mama“ beim Zurechtmachen „vor dem großen Spiegel“ zusieht und ihr auch zur Hand geht („Ich reichte ihr die Döschen und Fläschchen … und schraubte die wertvoll aussehenden Blumen und tropfenförmigen Verschlüsse von den Parfümflaschen.“, der Mutter nahe zu sein und auch deren Aufmerksamkeit zu erlangen. Dies klappt allerdings nur solange, bis „der Babysitter kommt“. Eine erneute Initiative, ihr nahe zu kommen, unternimmt das Kind nachts, indem es versucht die Mutter, welche von „unbegreiflichen geheimnisvollen Schmerzen“ geschüttelt wird, zu trösten. Dies gelingt „nach einer Weile“, als die Mutter die Tochter “ in das salzigwarme Bett“ hineinkriechen lässt.

Besonders glücklich ist die Hauptfigur darüber, wenn sie von der Schule abgeholt wird und sie mit der Mama „zusammen in die Stadt“ gehen darf. Die Tatsache, dass die Mutter mit ihr in Geschäfte geht und es „haufenweise Schokoladenkuchen“ gibt, erfreut das Kind sehr. Doch am glücklichsten ist sie darüber, dass ihre Mutter „weich und fröhlich“ und auch „glücklich“ ist. Diese Momente bereichern den Alltag der Icherzählerin so sehr, dass sie sich wahnsinnig darauf freut, wieder einmal von der Schule abgeholt zu werden und somit immer wieder „nach Schulschluss stundenlang vor dem Eisentor“ wartet. Umso enttäuschter jedoch ist das Mädchen, als die Mutter eines Tages ausbleibt.

Als diese „nach einigen Wochen“ ihr Kind aber wieder einmal abholt, ist dieses natürlich umso mehr begeistert. Noch glücklicher ist das Mädchen darüber, dass der gemeinsame Weg diesmal nicht in die Stadt, sondern aufs Land geht. Die Hoffnung des Kindes auf eine besondere angenehme Überraschung wird von der Mutter jäh zerstört, als sie ihrer Tochter offenbart, „dass sie einen Mann, Alois, getroffen hat“, dass sie diesen Mann liebt und mit ihm für immer weggehen wird. Diese Offenbarung sorgt bei dem Kind dafür, dass es gewissermaßen den Boden unter den Füßen verliert, die Wirklichkeit in weite Ferne rückt und es alles, was die Mutter noch erzählt, nicht mehr hört. In diesem Moment brechen die größten Ängste über es herein: Die Kleine will die Perspektive, die Mutter wahrscheinlich für immer zu verlieren, am liebsten gar nicht wahrhaben.