3.1.2 Reaktionsgeschwindigkeit

Geschwindigkeit chemischer Reaktionen

Aus dem Alltag sind zahlreiche Reaktionen mit höchst unterschiedlicher Reaktionsgeschwindigkeit bekannt. So verlaufen Explosionen mit rasantem Tempo. Beispiele sind etwa die Explosion von Sprengstoff oder die Verbrennung von Benzin in einem Otto-Motor. Das Rosten von Eisen nimmt dagegen sehr viel mehr Zeit in Anspruch. Vergleichsweise langsam verlaufen auch viele biochemische Reaktionen, etwa Verdauungsvorgänge, Gärungen etc.

Bei der Suche nach einer sinnvollen Definition des Begriffs Reaktionsgeschwindigkeit muss man eine Größe finden, die sich im zeitlichen Verlauf der Reaktion ändert. Geht man von einem Reaktionsgefäß mit definiertem Volumen aus, so ändert sich die Zahl der darin befindlichen Teilchen. Dies betrifft Ausgangs- wie Endstoffe gleichermaßen. Die Zahl der Teilchen aber lässt sich auch als Stoffmenge n (in mol) angeben. Die Stoffmenge bezogen auf ein bestimmtes Volumen wird als Stoffmengenkonzentration bezeichnet: c = n/V.

Als sinnvolle Definition der Reaktionsgeschwindigkeit bietet sich daher die Konzentrationsänderung in einem bestimmten Zeitabschnitt an.

Für eine allgemeine Reaktion A + B → AB verändern sich die Konzentrationen von Ausgangs- und Endstoffen folgendermaßen:

© Belinda Flemming: Konzentrationsveränderung der Ausgangsstoffe und Endprodukte während des Ablaufes einer chemischen Reaktion, CC BY-SA

Die Reaktionsgeschwindigkeit RG ist demnach:

\(R G = \frac { c _ { 2 } – c _ { 1 } } { t _ { 2 } – t _ { 1 } } = \frac { \Delta c } { \Delta t }\)

Es handelt sich aber um die Durchschnittsgeschwindigkeit in Zeitintervall Dt. Will man die Momentangeschwindigkeit zum Zeitpunkt t (Dt0) ausdrücken, so muss man von Differenzen- zum Differenzialquotienten übergehen:

\(R G = \frac { d c } { d t }\)

Voraussetzungen für eine Reaktion

Damit Teilchen erfolgreich miteinander reagieren können, müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein:

Die Orientierung der zusammenstoßenden Teilchen

Legt man eine Reaktion in der Gasphase zugrunde, etwa die zwischen Wasserstoff und Ioddampf, so kommt nur dann eine Reaktion zustande, wenn die Wasserstoff- und Iodmoleküle in geeigneter Weise zusammenstoßen. Nur so können sich aus einem Übergangszustand heraus Iodwasserstoffmoleküle bilden.

© 2018 Chemgaroo Chempedia: Schema der Iod-Wasserstoff-Reaktion, http://www.chemgapedia.de/vsengine/media/vsc/de/ch/13/pc/kinetik/grundlagen/images/kinetik_18.gif

Mindestenergie für die Reaktion

Wie man sieht, müssen die reagierenden Teilchen in einer ganz bestimmten Weise zusammenstoßen, um zu reagieren. Sie benötigen aber auch eine bestimmte Mindestenergie für die Reaktion. Dies bedeutet, dass sie eine Mindestgeschwindigkeit besitzen müssen, da sie sonst ohne zu reagieren aneinander abprallen (elastischer Stoß).

© Belinda Flemming: Mindestenergie für den Ablauf einer chemischen Reaktion, CC BY-SA

Das Diagramm zeigt, dass die Mehrzahl der Moleküle nicht die erforderliche Energie besitzt. Erhöht man jedoch die Temperatur, so nimmt die Zahl der Teilchen im System zu, die in der Lage ist zu reagieren. Wie groß die Geschwindigkeit von Gasmolekülen tatsächlich ist, zeigt das folgende Diagramm:

© Belinda Flemming: Temperaturabhängigkeit der Geschwindigkeit von Sauerstoffmolekülen, CC BY-SA

Selbst bei Raumtemperatur haben zahlreiche Gasmoleküle einfache bis dreifache Schallgeschwindigkeit.

Die Abhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit

Die Reaktionsgeschwindigkeit hängt von verschiedenen Faktoren ab:

Stoffart

Ein einfacher Versuch kann dies belegen: Unedle Metalle lösen sich in Säuren unter Wasserstoffentwicklung auf. Versetzt man ein Stück Magnesium mit verdünnter Salzsäure, so ist eine heftige Gasentwicklung zu beobachten. Wiederholt man den Versuch mit einem Stück Zink, so ist die Gasentwicklung nur gering. Es dauert wesentlich länger, bis sich das Zink vollständig aufgelöst hat.

Zerteilungsgrad

Man wiegt ein Stück Zink und die gleiche Menge Zinkpulver ab. Nun versetzt man beides mit jeweils der gleichen Menge Salzsäure. Die Gasentwicklung im Falle des Zinkpulvers ist deutlich höher, da hier die Zinkkörnchen insgesamt eine viel größere Oberfläche besitzen als ein massives Stück Zink. Die Säure findet also eine größere Angriffsfläche. Die Reaktion läuft schneller ab.

Temperatur

Diese Abhängigkeit lässt sich ebenfalls leicht zeigen. Eine Lösung des Salzes Natriumthiosulfat (Na2S2O3 . 5 H2O) wird hergestellt und ein bestimmtes Volumen davon in einer Petrischale auf einen Tageslichtprojektor gestellt. Nun wird die farblose Lösung mit einigen Millilitern verdünnter Salzsäure versetzt. Es kommt eine Reaktion in Gang, bei der elementarer Schwefel ausfällt. Schwefel ist in Wasser unlöslich und trübt daher die Lösung. Nach einiger Zeit wird der Inhalt der Petrischale vollkommen undurchsichtig. In der Projektion erscheint dies als Schwärzung. Man erwärmt jetzt in einem zweiten Versuch die Lösung um ca. 10°C, arbeitet aber ansonsten mit gleichen Stoffmengen. Es zeigt sich, dass jetzt die Trübung viel rascher einsetzt. Genaue Messungen zeigen, dass sich die Reaktionsdauer etwa halbiert. Die Reaktionsgeschwindigkeit hat sich also nahezu verdoppelt.

Dieser Zusammenhang tritt bei vielen Reaktionen auf und ist als RGT-Regel (Reaktionsgeschwindigkeit-Temperatur-Regel) bekannt:

Erhöht man die Temperatur um 10°C, so verdoppelt sich die Reaktionsgeschwindigkeit.

Es handelt sich um eine Regel und nicht um ein streng geltendes Gesetz. Dieser Zusammenhang zeigt sich auch in vielen biochemischen Reaktionen, an denen Mikroorganismen beteiligt sind. Innerhalb bestimmter Toleranzen verlaufen Gärungen bei höheren Temperaturen schneller als unter kühlen Bedingungen. Lebensmittel werden im Kühlschrank aufbewahrt, um das Verderben zu verlangsamen. Auch daran sind Mikroorganismen beteiligt. Wechselwarme Tiere reduzieren ihren Stoffwechsel in der kalten Jahreszeit, z.B. Fische.

Konzentration

Konzentrationen lassen sich für Gase angeben und für Lösungen. Den Zusammenhang zwischen Reaktionsgeschwindigkeit und Konzentration kann man mit der Landoltschen Zeitreaktion zeigen. Zwei farblose Lösungen A und B werden zusammengegossen. Lösung A enthält im wesentlichen Natriumsulfit (Na2SO3) und Stärke. Lösung B enthält Kaliumiodat (KIO3). Die Chemie dieser Reaktion ist verwickelt. Es greifen drei Reaktionen ineinander. Sobald alles Sulfit aufgebraucht ist, reichert sich Iod in der Lösung an. Dies reagiert mit der Stärke, und es bildet sich der tiefblaue Iod-Stärke-Komplex. Die Lösung wird nach einer gewissen Zeit schlagartig blau. Wiederholt man den Versuch mit einer Kaliumiodatlösung doppelter Konzentration, so verringert sich die Reaktionszeit, also die Zeit bis zur Blaufärbung, auf die Hälfte.

Für eine Reaktion A + B → C + D zeigt sich eine direkte Proportionalität zwischen Reaktionsgeschwindigkeit und der Konzentration der Ausgangsstoffe: RG ~ c(A) . c(B) oder RG = k . c(A) . c(B)  (k wird als Geschwindigkeitskonstante bezeichnet).

Die Zahl der Teilchen in einem bestimmten Volumen entspricht der Stoffkonzentration. Je größer diese wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit für Zusammenstöße der Teilchen. Teilchenkollisionen sind jedoch die Voraussetzung für erfolgreiche Reaktionen. Je mehr Zusammenstöße also pro Zeiteinheit stattfinden, desto größer ist die Reaktionsgeschwindigkeit. Man erkennt, dass sowohl die Erhöhung der Konzentration einesAusgangsstoffes als auch beider zu einer Zunahme der Kollisionen führt.

Einsatz eines Katalysators

Für zahlreiche Reaktionen ist die Aktivierungsenergie zu hoch, als dass sie mit einer merklichen Reaktionsgeschwindigkeit ablaufen könnten. Katalysatoren senken die Aktivierungsenergie und beschleunigen bzw. ermöglichen dadurch oft erst den Ablauf chemischer Reaktionen.

Brennbare Stoffe, wie Papier oder Benzin, können im Kontakt mit Sauerstoff aufbewahrt werden, ohne zu reagieren. Die Aktivierungsenergie schützt vor Selbstentzündung.

Das als Knallgas bekannte Gemisch aus Wasserstoff und Sauerstoff lässt sich ebenfalls gefahrlos herstellen, solange kein als Katalysator wirkender Stoff anwesend ist. Platin in fein verteilter Form wirkt auf diese Reaktion katalytisch, d.h., das Gemisch entzündet sich in Anwesenheit von z.B. Platinasbest und verbrennt explosionsartig zu Wasser:

H2 + 1/2 O2→ H2O

In den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts nutzte Johann Wolfgang Döbereiner die Entdeckung und baute das Döbereiner-Feuerzeug. Ausströmender Wasserstoff entzündete sich an einem Platinschwamm.

Döbereiner fire gadget.png

Public Domain, Link

Döbereiner Feuerzeug in der nach 1826 allgemein üblichen Form (a. Glaszylinder, b. unten offene Flasche, c. Draht, d. Zinkstück, e. Hahn, f. Düse, g. Platinschwamm)

Ein weiteres Beispiel für eine Katalyse ist die Zersetzung von Wasserstoffperoxid (H2O2) durch Braunstein (MnO2). Versetzt man einige Milliliter konzentrierter Wasserstoffperoxidlösung mit einer Spatelspitze Braunstein (schwarzes Pulver), so kommt es zu einer kräftigen Dampfentwicklung. Die Reaktion ist exotherm, weshalb die Lösung zu sieden beginnt. Gleichzeitig wird Sauerstoff freigesetzt, der durch die Glimmspanprobe nachgewiesen werden kann.

2 H2O→ 2 H2O + O2        DHm = – 196,3 kJ/mol

Braunstein wird bei der Reaktion nicht verbraucht.

Ebenfalls katalytisch aktiv wirkt ein frischen Stück Kartoffel oder Blut. Da Wasserstoffperoxid auch als unerwünschtes Stoffwechselprodukt in lebenden Zellen auftritt, enthalten diese ein Enzym, das den gefährlichen Stoff zersetzt.

Kennzeichen eines Katalysators

1. Ein Katalysator erhöht die Reaktionsgeschwindigkeit, beschleunigt also eine Reaktion.

2. Er setzt die Aktivierungsenergie herab.

3. Er liegt am Ende der Reaktion in unveränderter Form vor, wird also nicht verbraucht.

© Belinda Flemming: Verlauf einer exothermen Reaktion vor (schwarze Kurve) und nach (rote Kurve) Kat-Einsatz, CC BY-SA

Schließlich sei noch auf die große Bedeutung von Katalysatoren im Zusammenhang mit der Reinigung von Autoabgasen und bei zahlreichen chemischen Prozessen hingewiesen. Bei Kraftfahrzeugen werden mit Hilfe von Edelmetallen (Platin, Palladium, Rhodium) schädliche Gase, wie Kohlenmonoxid, Stickoxide und unverbrannte Kohlenwasserstoffe, an der Katalysatoroberfläche umgewandelt.

Weitere Beispiele

Unverbrannter Kohlenwasserstoff + Sauerstoff           Kohlenstoffdioxid + Wasser

2 CO + O2 → 2 CO2
2 CO + 2 NO → N2 + 2 CO2

In der Natur (in lebenden Zellen) wird die Katalyse von Enzymen übernommen. Dabei handelt es sich überwiegend um Eiweißverbindungen.

Lotus pedunculatus11 ies.jpg

By Frank Vincentz – Own work, CC BY-SA 3.0, Link

Wurzelknöllchen an den Wurzeln des Sumpf-Hornklees (Lotus pedunculatus)

Ein Beispiel sind die stickstofffixierenden Bakterien in den Wurzelknöllchen von Leguminosen (z.B. Klee). Diesen Organismen gelingt es, die hohe Aktivierungsenergie bei Reaktionen des Stickstoffs durch den Einsatz eines Enzyms zu senken und damit eine Reaktion überhaupt erst zu ermöglichen.