5.3 Reaktionen mit Protonenübergang
5.3.1 Der Säure/Base-Begriff
In der Chemie sind im Laufe der Geschichte eine ganze Reihe von Säure-Base-Theorien entwickelt worden, wobei jeweils ganz eigene Begriffsdefinitionen zugrunde liegen (Grundbegriffe).
Der Säure-Begriff nach Arrhenius
| Arrhenius definierte 1883 Säuren als Nichtmetallverbindungen, die in wässriger Lösung in positiv geladene Wasserstoff-Ionen (H+-Ionen) und negativ geladene Säurerest-Anionen zerfallen (dissoziieren). |
Diese Definition ist auf das Medium Wasser beschränkt. In Anlehnung an den Säurebegriff von Arrhenius definierte man Hydroxide als Stoffe, die in wässriger Lösung Hydroxid-Ionen (OH–-Ionen) abgeben.

Der Säure-Base-Begriff nach Brönsted
Umfassender ist der Säure-Base-Begriff nach Brönsted, da sich die Begriffe auch auf andere Lösungsmittel als Wasser anwenden lassen.
| Nach Brönsted ist eine Säure ein Protonendonator. Eine Base ist ein Protonenakzeptor. |

Der Begriff Protonendonator meint, dass ein Teilchen, das Wasserstoff besitzt, ein H+ auf ein anderes Teilchen überträgt. H+ ist jedoch ein Wasserstoffatom ohne sein Elektron, also ein Proton. Ein Proton kann aber nur abgegeben werden, wenn gleichzeitig ein Teilchen anwesend ist, das Protonen aufzunehmen in der Lage ist.
| Die Reaktion heißt Protolysereaktion. Dabei gibt die Brönsted-Säure ein Proton ab, das von der Brönsted-Base aufgenommen wird. |
HCl + H2O ⟶ H3O+ + Cl–
HCl ist dabei die Brönsted-Säure, H2O die Brönsted-Base.
Der Vorgang kann in zwei Teilschritte zerlegt werden:
Protonenabgabe: HCl ⟶ H+ + Cl–
Protonenaufnahme: H2O + H+ ⟶ H3O+
Voraussetzungen für eine Protolysereaktion
Seitens der reagierenden Teilchen müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein, damit eine Protolysereaktion stattfinden kann.
1. Das Protonen abgebende Teilchen (die Brönsted-Säure) muss Wasserstoff besitzen, der an ein stark elektronegatives Teilchen gebunden ist. (Zwischen Wasserstoff und Chlor liegt eine Elektronegativitätsdifferenz von 0,9 vor. Die Bindung ist also stark polar.)
2. Das Protonen aufnehmende Teilchen (die Brönsted-Base) muss mindestens ein nichtbindungsfähiges Elektronenpaar besitzen, um das H+ binden zu können.

Es findet ein Protonenübergang von HCl auf H2O statt. Diese Reaktion spielt sich ab, wenn man Chlorwasserstoffgas (HCl) in Wasser einleitet. Es entsteht Salzsäure. Saure, wässrige Lösungen enthalten das Oxonium-Ion (In hydratisierter Form wird es auch Hydronium-Ion genannt) und das Säurerest-Anion.
Ein weiteres Beispiel ist die Reaktion von Ammoniak mit Wasser. Leitet man Ammoniak in Wasser ein, so löst sich dieser in großen Mengen und protolysiert zum Teil:
NH3 + H2O ⟶ NH4+ + OH–
Dabei entstehen Ammonium-Ionen und Hydroxid-Ionen. Die Protonenübertragung findet vom Wasser zum Ammoniak hin statt. Demnach ist Ammoniak die Brönsted-Base und Wasser die Brönsted-Säure.

Die Reaktion ist aber, wie jede Reaktion, unter bestimmten Bedingungen reversibel, also umkehrbar. Deshalb kann man sie mit dem Doppelpfeil versehen. Liest man sie jedoch rückwärts, dann wird NH4+ zur Brönsted-Säure und OH– zur Brönsted-Base.
Konjugierte und korrespondierende Säure-Base-Paare
Die Reaktion lässt sich wieder in zwei Teilschritte zerlegen:
H2O ⟶ H+ + OH– (Protonenabgabe)
Nach der Protonenabgabe wird aus der Brönsted-Säure die konjugierte Brönsted-Base.
NH3 + H+ ⟶ NH4+ (Protonenaufnahme)
Nach der Protonenaufnahme wird aus der Brönsted-Base die konjugierte Brönsted-Säure.
Schreibt man eine Protolysereaktion also mit Doppelpfeil, liest sie also als Hin- und als Rückreaktion, so enthält sie zwei konjugierte Säure-Base-Paare:

Die beiden konjugierten Säure-Base-Paare werden als B1-S1 und als S2-B2 bezeichnet. B1 und S1 unterscheiden sich genau um eine Proton (H+). Das Gleiche gilt für S2 und B2.
Jede Protolysereaktion besteht also aus zwei konjugierten Säure-Base-Paaren. Diese tauschen untereinander ein Proton (H+) aus: Im Beispiel gibt S2 in der Hinreaktion ein Proton an B1 ab.
| Solche Säure-Base-Paare, die untereinander ein Proton austauschen, heißen korrespondierende Säure-Base-Paare. |
B1-S1, also NH3/NH4+, und S2-B2, also H2O/OH– sind solche korrespondierenden Säure-Base-Paare.
Ampholyte
Das eben Besprochene soll noch einmal am Beispiel einer mehrprotonigen Säure dargestellt werden:

Es fällt auf, dass das Hydrogensulfat-Ion in der ersten Gleichung als Base auftritt, in der zweiten jedoch als Säure.
| Teilchen, die sowohl als Brönsted-Säure als auch als Brönsted-Base in Erscheinung treten können, heißen Ampholyte. |
Lässt man also mehrprotonige Säuren in mehreren Stufen protolysieren, so treten Ampholyte auf: Hydrogensulfit, Hydrogensulfat, Dihydrogenphosphat, Hydrogenphosphat, Hydrogencarbonat usw.
Ein wichtiger Ampholyt ist Wasser. Gegenüber typischen Säuren verhält es sich als Brönsted-Base, gegenüber Basen (wie Ammoniak) verhält es sich als Brönsted-Säure.
5.3.2 Säuren
Säuren
Man unterscheidet sauerstofffreie Säuren, wie die Halogenwasserstoffsäuren (HF, HCl, HBr, HI) oder HCN (Blausäure), und sauerstoffhaltige Säuren, wie H2SO4 oder HNO3. Sauer im Sinne von Arrhenius reagieren sie jedoch erst, nachdem man sie in Wasser gelöst hat.
Sauerstoffhaltige Säuren lassen sich aus einem Nichtmetalloxid und Wasser herstellen. Das Nichtmetalloxid wird auch als sauerstofffreier Bestandteil der Säure oder als Säureanhydrid bezeichnet.
| Säureanhydrid + Wasser | ⟶ | sauerstoffhaltige Säure |
| SO2 + H2O | ⟶ | H2SO3 |
| SO3 + H2O | ⟶ | H2SO4 |
| N2O5 + H2O | ⟶ | 2 HNO3 |
| P4O10 + 6 H2O | ⟶ | 4 H3PO4 |
| CO2 + H2O | ⟶ | H2CO3 |
Eine andere wichtige Gruppe von Säuren sind die Carbonsäuren. Sie sind durch eine oder mehrere Carboxylgruppen gekennzeichnet: -COOH.
Einfache Carbonsäuren sind die Methansäure (Ameisensäure) HCOOH oder die Ethansäure (Essigsäure) CH3COOH

Die Protonigkeit einer Säure
Die Protonigkeit einer Säure gibt die Anzahl der H-Atome eines Säuremoleküls an, die als H+ abgespalten werden können.

© Belinda Flemming: Protolysereaktionen von Säuren, Zwischenprodukte sind Ampholyte, CC BY-SA
Die zuletzt genannten Carbonsäuren Methansäure und Ethansäure sind einprotonige Säuren. Nur der rot gekennzeichnete Wasserstoff ist azid, kann also als Proton übertragen werden. Die Ursache liegt darin, dass nur die Bindung zum Sauerstoff hinreichend polar ist. Die Bindung zwischen Wasserstoff und Kohlenstoff ist nicht ausreichend polar.
H2SO4 ist zweiprotonig, H3PO4 dreiprotonig. Es gibt aber auch mehrprotonige Carbonsäuren. Die Dicarbonsäure Oxalsäure ist zweiprotonig: HOOCCOOH, die Citronensäure ist dreiprotonig: HOOCCH2C(OH)(COOH)CH2COOH

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Beispiele bekannter Säuren
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