4.4 Physikalische Eigenschaften von molekularen Stoffen

Molekülbau und Stoffeigenschaften

  • Schmelz- und Siedetemperaturen

Der Dipolcharakter von Molekülen wirkt sich auf Stoffeigenschaften wie Schmelz- und Siedepunkte, Löslichkeit und Mischbarkeit von Flüssigkeiten aus.

Vergleich der Siedetemperaturen von unpolaren und polaren Stoffen:

Tabelle I

Stoff Elektronenzahl Teilchenart Schmelz- und
Siedetemperatur (°C)
Ne 10 Atom (unpolar) – 249  – 246
CH4 10 Molekül (unpolar) – 183  – 162
NH3 10 Molekül (polar)   – 78    – 33
H2O 10 Molekül (polar)       0 + 100
HF 10 Molekül (polar)   – 83   + 19


Aus Gründen ver Vergleichbarkeit sind Teilchen mit gleicher Gesamtelektronenzahl gewählt. Es zeigt sich, dass Stoffe, die aus Dipol-Molekülen bestehen, höhere Schmelz- und Siedetemperaturen aufweisen.

Tabelle II

Stoff Elektronenzahl Teilchenart Schmelz- und
Siedetemperatur (°C)
F2 18 Molekül (unpolar) – 220 – 188
Ar 18 Atom (unpolar) – 189 – 186
SiH4 18 Molekül (unpolar) – 186 – 111
PH3 18 Molekül (unpolar) – 134   – 88
HCl 18 Molekül (polar) – 114   – 85
H2S 18 Molekül (polar)     – 85,5   – 61


Analoges zeigt sich in Tabelle II, wenngleich hier keine Siedetemperaturen über 0°C auftreten. Auffällig hohe Siedetemperaturen weisen Wasser, Fluorwasserstoff und in gewissem Umfange auch Ammoniak auf.

  • Wasserstoffbrückenbindungen

Dies wird noch deutlicher, vergleicht man die Hydride der Elemente der 6. und 7. Hauptgruppe (Gruppe 16 und 17).

Tabelle III

Stoff Elektronegativitätsdifferenz Schmelz- und
Siedetemperatur (°C)
H2O 1,4     0 + 100
H2S 0,4 – 86    – 62
H2Se 0,3 – 60    – 41
H2Te 0,0 – 51      – 2
HF 1,9   – 83   + 19
HCl 0,9 – 114    – 85
HBr 0,7   – 89    – 67
HI 0,4   – 51    – 35


Es wird deutlich, dass große Elektronegativitätsdifferenzen zu hohen Schmelz- und Siedetemperaturen führen. Innerhalb der aufgeführten Hydridgruppen ragen die Verbindungen Wasser und Fluorwasserstoff deutlich heraus. Die hohen Siedetemperaturen beruhen auf sehr starken Dipol-Dipol-Wechselwirkungen, die hier als Wasserstoffbrückenbindungen bezeichnet werden. Ursache ist neben den stark polaren Atombindungen die geringe Molekülgröße. Die winzigen Teilchen können sehr eng zusammenrücken. (Auch wenn sich die Moleküle berühren, sind sich bei großen Teilchen die Molekülschwerpunkte weniger nah als bei kleinen). Nach dem Coulomb’schen Gesetz steigt damit auch die Anziehungskraft zwischen ihnen (siehe: Ionenbindung). Auch bei NH3 treten Wasserstoffbrückenbindungen auf.

Der Verlauf der Siedetemperaturen der übrigen Verbindungen in Tabelle III kann mit den Elektronegativitätsdifferenzen alleine nicht erklärt werden. Hier spielen auch Van-der-Waals-Kräfte eine Rolle, worauf hier nicht weiter eingegangen werden soll.

Die vergleichsweise hohen Schmelz- und Siedetemperaturen von Stoffen, die aus Dipolmolekülen bestehen, lassen sich so deuten: Um z.B. eine Flüssigkeit zu verdampfen, müssen ihre Moleküle voneinander getrennt werden. Denn im gasförmigen Zustand sind die zwischenmolekularen Abstände hoch. Trennt man aber Moleküle voneinander, zwischen denen Kräfte wirken, so müssen diese Kräfte überwunden werden. Dazu ist Energie notwendig. Ausreichend Energie besitzen die Teilchen aber, wenn die Temperatur hoch ist. (Bewegungsenergie der Teilchen, Rotation). Es gilt also: Je stärker die zwischenmolekularen Kräfte, desto mehr Energie ist zur Trennung der Teilchen notwendig, desto höher liegen Schmelz- und Siedetemperatur.

  • Lösungsverhalten und Mischbarkeit

Die Löslichkeit von Stoffen in Lösungsmitteln und Mischbarkeit von Flüssigkeiten hängen entscheidend vom polaren bzw. unpolaren Charakter der Stoffe ab. So zeigt sich etwa, dass festes Iod nur in sehr geringem Maße in Wasser gelöst werden kann (schwache Braunfärbung nach mehreren Stunden; 0,33g Iod lösen sich bei 20°C in einem Liter Wasser), während es sich in der farblosen Flüssigkeit Tetrachlormethan (CCl4) rasch auflöst. Die Lösung ist violett. Die Erklärung liegt in der Tatsache, dass Iod (I2) und CCl4 unpolar sind, also aus Nicht-Dipolmolekülen bestehen, während Wasser ein polarer Stoff ist. Ein unpolarer Stoff wie Iod löst sich also gut in einem unpolaren Lösungsmittel. Umgekehrt lösen sich polare Stoffe gut in polaren Lösungsmittel. Beispiele dafür wären die extrem guten Löslichkeiten von HCl und NH3 in Wasser.

Dieser Zusammenhang wurde früh erkannt und so formuliert: „Ähnliches löst sich in Ähnlichem“.

Lösungsmittel Formel
Tetrachlorkohlenstoff
(Tetrachlormethan)
CCl4
Schwefelkohlenstoff CS2
Kohlenwasserstoffe CnH2n+2
Benzol C6H6
Toluol C6H5CH3

Für die Mischbarkeit von Flüssigkeiten gilt Analoges. Die unpolaren Lösungsmittel lassen sich untereinander mischen, Wasser mischt sich mit keiner dieser Flüssigkeiten. Es bilden sich vielmehr zwei Phasen, wie dies etwa von Öl und Wasser her bekannt ist.

 

Schülerexperiment: Destillation von Rotwein (Ethanol/Wasser-Gemisch)
In einen Destillierkolben werden 200 ml Rotwein gefüllt und anschließend bis zum Sieden des Alkohols auf eine Temperatur von 78 ºC erhitzt. Die Flüssigkeit, die man unter 78 ºC auffängt, wird entsorgt, da diese giftiges Methanol enthalten kann, was eine niedrigere Siedetemperatur besitzt als Ethanol. Es muss nun darauf geachtet werden die Temperatur möglichst konstant zu halten, sodass eine möglichst hohe Reinheit des leichter flüchtigen Bestandteiles des Rotweingemisches gewonnen werden kann. Zur Rückgewinnung des flüchtigen Ethanols wird der entstehende Alkoholdampf durch einen Liebig-Kühler geleitet, wodurch dieser an der Kühlerwand kondensiert, bergab läuft und im Erlenmeyerkolben aufgefangen werden kann. Um die Brennbarkeit von Ethanol darzustellen, kann das Destillat nach Ablauf der Destillation entzündet werden.


© Belinda Flemming: Versuchsapparatur zur Destillation von Rotwein, CC BY-SA

Bei der Destillation nutz man den Effekt der temperaturabhängigen Aggregatzustandsänderung, die für jeden Stoff spezifisch ist. Durch Destillation können die Rotweinbestandteile Ethanol (Siedetemperatur 78 ºC) und Wasser (Siedetemperatur 100 ºC) voneinander getrennte werden.