4.2 Nomenklatur und räumlicher Bau organischer Verbindungen
4.2.1 Einführung in die Kohlenwasserstoffe
Allgemeines
Die organische Chemie beschäftigt sich mit den Strukturen und Reaktionen organischer Verbindungen. Darunter versteht man die Verbindungen des Kohlenstoffs mit Ausnahme der Chalkogenide wie z.B. Kohlenstoffmonooxid (CO) oder Kohlenstoffdioxid (CO2), der Carbide, der Kohlensäure (H2CO3) und ihrer Salze, sowie der Metallcarbonyle (M[CO]x). Diese werden der Anorganischen Chemie zugeordnet.
Die grundlegenden Verbindungen der organischen Chemie stellen die Kohlenwasserstoffe dar, bei denen neben Kohlenstoff noch Wasserstoff enthalten ist. Darüberhinaus können organische Verbindungen auch andere Atome wie Sauerstoff oder Stickstoff, seltener auch Schwefel, Phosphor oder Halogene enthalten.
Obwohl am Aufbau der organischen Moleküle nur so wenige Atomsorten beteiligt sind, überwiegt die Anzahl der bekannten organischen Verbindungen (heute etwa 15 Millionen) die der anorganischen Verbindungen (etwa 300000) erheblich. Dies liegt vor allem an der Fähigkeit der Kohlenstoffatome, auch untereinander Einfach- oder auch Mehrfachbindungen eingehen zu können. Dadurch können kettenartige Moleküle entstehen mit praktisch unbegrenzter Anzahl an Kohlenstoffeinheiten. Durch Verzweigung dieser Ketten oder Ringschlüsse kann eine große Vielfalt unterschiedlicher Strukturen entstehen. Diese Vielzahl an organischen Verbindungen unterteilt man in bestimmte Stoffklassen, die nach dem Vorliegen bestimmter Atomsorten oder nach funktionellen Gruppen bezeichnet werden.
Alkane
Gesättigte Kohlenwasserstoffe, in denen nur Einfachbindungen von den C-Atomen ausgehen, werden als Alkane bezeichnet. Mit der Endsilbe -an im Stoffnamen wird auf den gesättigten Charakter der Verbindung hingewiesen.
Ausgehend vom einfachsten Alkan, dem Methan, lässt sich formal durch Einschub jeweils einer CH2-Gruppe die homologe Reihe der Alkane aufbauen.
CnH2n+2 Homologe Reihe der Alkane:
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Isomerie
Die Kohlenstoff-Ketten der Alkane können verzweigt oder unverzweigt sein. Für die Summenformel C4H10 lassen sich daher zwei Strukturformeln entwickeln. Dies ist einerseits eine unverzweigte Kohlenstoff-Kette aus vier C-Atomen. Dieses Molekül wird als n-Butan („Normalbutan“) bezeichnet. Andererseits kann eine Kette von drei C-Atomen gebildet werden, wobei das mittlere mit einem weiteren C-Atom verbunden ist. Diese verzweigte Form wird als Isobutan bezeichnet. n-Butan und Isobutan sind Konstitutionsisomere, sie besitzen dieselbe Summenformel, unterscheiden sich jedoch in ihrer Struktur.
Nomenklatur
Die Anzahl der möglichen Isomere nimmt mit der Anzahl der Kohlenstoffatome sehr rasch zu. Zur klaren Unterscheidung dieser Moleküle mit unterschiedlicher Struktur ist eine exakte Bezeichnung nötig. Die IUPAC (International Union of Pure and Applied Chemistry) hat hierfür Regeln festgesetzt, nach denen eine systematische Benennung möglich ist.
| 1. | Ermitteln und Benennen der längsten Kohlenstoffkette (Hauptkette) |
| 2. | Benennen der Seitenketten, die alphabetisch geordnet werden; die Seitenketten erhalten anstelle der Endung -an die Endsilbe -yl |
| 3. | Ermitteln der Anzahl der gleichen Seitenketten; diese werden durch das entsprechende griechische Zahlwort gekennzeichnet (di-, tri-, tetra-,…) |
| 4. | Ermitteln der Verknüpfungsstellen zwischen Haupt- und Seitenketten; dabei wird die Hauptkette so durchnummeriert, dass die Verknüpfungsstellen kleinstmögliche Zahlen erhalten |
Beispiel:
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3-Ethyl-2,4-Dimethylhexan |
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| Alkene
Ungesättigte Kohlenwasserstoffe mit C=C-Doppelbindungen werden nach der Genfer Nomenklatur als Alkene bezeichnet. Die Bezeichnung ungesättigt deutet darauf hin, dass jedes der an der Doppelbindung beteiligten Kohlenstoffatomen ein Wasserstoffatom weniger bindet. Im Namen wird dies durch die Endung -en ausgedrückt. Durch Aufnahme von Wasserstoff können die Alkene in die gesättigten Alkane übergehen. Liegt nur eine Doppelbindung vor, so kann folgende allgemeine Summenformel formuliert werden: CnH2n Beispiele:
Diese ungesättigten Verbindungen unterscheiden sich von den Alkanen dadurch, dass sie 4 Wasserstoffatome weniger als die Alkane aufweisen und damit eine Dreifachbindung enthalten. Die Bezeichnung schließt mit der Endsilbe -in. Die Monoalkine, Alkine also mit nur einer Dreifachbindung, bilden demnach eine homologe Reihe mit folgender allgemeiner Summenformel: CnH2n-2 Beispiele:
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4.2.2 Hybridisierung der Orbitale und räumlicher Bau
Die Hybridisierung beim Kohlenstoff
Kohlenstoff tritt typischerweise vierbindig auf. Die einfachste Verbindung mit Wasserstoff ist das Methanmolekül CH4. Die vier Valenzelektronen müssen dazu aber auf die vier Orbitale der Valenzschale (2. Schale) verteilt sein. Betrachtet man sich jedoch den Grundzustand für das Kohlenstoffatom im Energieniveauschema, so ergibt sich ein anderes Bild:

© Belinda Flemming: Energieniveausschema des Kohlenstoffatoms, CC BY-SA
Man erkennt, dass nur die zwei Elektronen in den 2p-Orbitalen bindungsfähig sind. Dies widerspricht der Beobachtung eines vierbindiges Kohlenstoffs. Um die Verhältnisse zu erklären, stellt man sich vor, dass durch Anregung ein Elektron aus dem 2s-Orbital in das geringfügig energiereichere leere 2p-Orbital wechselt. Damit wäre ein vierbindiger Kohlenstoff erreicht. Seine vier Bindungen würden also durch Überlappung der vier bindungsfähigen (einfach besetzten) Orbitale mit Orbitalen der Bindungspartner zustande kommen. Im Falle des Methans wären dies die 1s-Orbitale des Wasserstoffs. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass die vier Bindungen nicht gleichartig wären. Außerdem ergäbe sich zwischen den Atombindungen, an denen p-Orbitale beteiligt sind, ein Bindungswinkel von 90°. Der tatsächlich beobachtete Bindungswinkel im Methan beträgt jedoch 109,5°, der sog. Tetraederwinkel. Alle C-H-Bindungen nehmen dabei untereinander denselben Winkel ein. Dies erfordert jedoch vier gleichartige Orbitale, die man durch Hybridisierung erhält: Aus dem 2s- und den drei 2p-Orbitalen entstehen vier neue „Mischorbitale“, die als sp3-Hybridorbitale bezeichnet werden. Ihre Form stellt einen Übergang zwischen dem kugelförmigen s-Obital und den hantelförmigen p-Obitalen dar.

© Belinda Flemming: Hybridisierung der s- und p-Orbitale, CC BY-SA
Die vier sp3-Hybridorbitale sind mit je einem Elektron besetzt. Durch die Elektron-Elektron-Abstoßung nehmen sie untereinander den größtmöglichen Winkel ein. Dies ist der Tetraederwinkel mit 109,5°. Dabei weisen die Orbitallappen von der Raummitte in die Ecken eines Tetraeders.

© Belinda Flemming: Tetraeder-Struktur des Methan-Moleküls, CC BY-SA
Durch Überlappung dieser vier Hybridorbitale mit den 1s-Orbitalen von vier Wasserstoffatomen entsteht das Methanmolekül.

Das Kohlenstoffdioxidmolekül (CO2) lässt sich folgendermaßen entstanden denken: Zwei sp3-hybridisierte Kohlenstoffatome nähern sich an. Ihre Orbitallappen durchdringen sich und bilden eine Doppelbindung. Die beiden anderen Orbitallappen gehen mit entsprechenden Orbitalen der Sauerstoffatome Bindungen ein. Das Kohlenstoffatom bildet zu jedem der beiden Sauerstoffatome eine δ-Bindung und eine π-Bindung aus (= Doppelbindung). Auch die Anordnung der Orbitale der Sauerstoffatome ist tetraederförmig. Für das Molekül ergibt sich insgesamt eine lineare Struktur, alle Atome sind also in einer Reihe angeordnet.


© Belinda Flemming: Bildung eines Kohlenstoffdioxid-Moleküls, CC BY-SA
Die Hybridisierung beim Stickstoff
Um die Frage zu beantworten, ob auch bei Stickstoffverbindungen eine Hybridisierung auftritt, betrachtet man zunächst wieder das Energieniveauschema für den Stickstoff:

© Belinda Flemming: Energieniveausschema des Stickstoffatoms, CC BY-SA
Am Grundzustand ist erkennbar, dass drei bindungsfähige Atomorbitale vorliegen. Die Bindigkeit des Stickstoffs deckt sich also mit der seiner Verbindungen, etwa im Ammoniak, wo er mit drei H-Atomen verbunden vorliegt. Diese bindungsfähigen AOs sind jedoch p-Orbitale, die zueinander im rechten Winkel stehen. Es müsste also im Ammoniak ein H-N-H-Bindungswinkel von 90° vorliegen. Der tatsächlich gemessene Winkel beträgt jedoch 107,5°. Er ist damit dem Tetraederwinkel näher als dem rechten Winkel. Die Verhältnisse deuten also auch hier auf eine Hybridisierung hin. Eines der sp3-Hybridorbitale ist dabei doppelt mit Elektronen besetzt (nichtbindungsfähig), die drei anderen einfach besetzten AOs gehen die Bindungen zu H-Atomen ein. Der abweichende Bindungswinkel erklärt sich so: Das nichtbindungsfähige Elektronenpaar ist voluminöser als die Molekülorbitale der Atombindungen. Damit ist die Abstoßung zwischen dem nichtbindungsfähigen Elektronenpaar und den MOs größer als zwischen den MOs. Es kommt zur Winkeldeformation.
Die Hybridisierung beim Sauerstoff
Ähnlich liegen die Verhältnisse beim Sauerstoff. Auch hier weist bereits der Grundzustand die beobachtete Zweibindigkeit auf (siehe Wasser).

© Belinda Flemming: Energieniveausschema des Sauerstoffatoms, CC BY-SA
Die Hybridisierung muss auch hier nur angenommen werden, um den Bindungswinkel von 104,5° im Wasser zu erklären, der auch eher einen deformierten Tetraederwinkel darstellt, als dass er vom rechten Winkel abgeleitet werden könnte. Die größere Winkeldeformation im Vergleich zum Ammoniakmolekül begründet sich im Vorhandensein von zwei nichtbindungsfähigen Orbitalen.
4.2.3 VSEPR-Modell (Elektronenpaar-Abstoßungsmodell)
Von der Valenzstrichformel lassen sich Rückschlüsse auf die räumliche Gestalt von Molekülen ziehen. Das VSEPR-Modell (valence shell electron pair repulsion) auch EPA-Modell (Elektronenpaarabstoßungs-Modell) führt die räumliche Gestalt eines Moleküls auf die abstoßenden Kräfte zwischen den bindenden und nichtbindenden Elektronenpaaren der Valenzschale der Atomhülle zurück.

© Belinda Flemming: Anordnung gleich geladener Partikel mit maximalem Abstand aufgrund der Abstoßungkräfte, CC BY-SA
Das bedeutet, dass sich fünf gleich geladene Partikel (Elektronenpaare) auf einer neutralen Sphäre aufgrund ihrer gegenseitigen Abstoßung von verschiedenen Startpositionen zu optimalen Positionen mit maximalem Abstand voneinander und geringster Abstoßung zueinander bewegen.
Das bedeutet, dass fünf gleich geladene Partikel (Elektronenpaare) sich auf einer neutralen Sphäre aufgrund ihrer gegenseitigen Abstoßung von verschiedenen Startpositionen zu optimalen Positionen mit maximalem Abstand voneinander und geringster Abstoßung zueinander bewegen.
Aus dem VSEPR-Modell ergeben sich folgende Regeln für Moleküle:
- die Elektronenpaare der Valenzschale des Zentralatoms (A), ordnen sich mit dem größtmöglichen Abstand zueinander an
- freien Elektronenpaare (E) beanspruchen mehr Raum als die bindenden Elektronenpaare mit Liganden (X) und führen somit zu einer Vergrößerung der Winkel X-A-E und einer Verkleinerung der Winkel X-A-X
- freie Elektronenpaare werden wie Pseudoliganden behandelt
- einzelne freie Elektronen in Radikalen nehmen weniger Raum ein als freie Elektronenpaare
- größere Elektronegativitätsdifferenzen zwischen Zentralatom (A) und Liganden (X) vermindern den Raumbedarf der entsprechenden Bindung
- Mehrfachbindungen beanspruchen mehr Raum als Einfachbindungen (Platzbedarf steigt mit der Bindungsordnung)
Für die Bestimmung der groben Molekülstruktur werden hier die Mehrfachbindungen wie Einfachbind-ungen behandelt.
- kleinere Zentralatome oder größere negativ polarisierte Liganden bewirken eine starke sterische und elektronische Abstoßungskraft, welche die eines freien Elektronenpaares übersteigen kann
Übersicht über wichtige räumliche Strukturen von Molekülen:


© Belinda Flemming: Wichtige räumliche Strukturen von Molekülen, CC BY-SA


















