2.6 Stammbaumanalyse

2.6.1 Autosomal-dominante Erbkrankheiten

Beispiele für Autosomal-dominante Erbgänge: Chorea Huntington, Marfan-Syndrom, Neurofibromatose, Polydaktylie (Vielfingerigkeit)

Bsp.: Chorea Huntington, „Veitstanz“

Bei diesem Nervenleiden, das durch ein verändertes Protein verursacht wird, können die folgenden klinischen Symptome auftreten: Unkontrollierte Bewegungen, Schmatzen, Schluckbeschwerden, psychische Störungen, Intelligenzausfälle. Die Krankheit bricht meist zwischen dem 30. und dem 60. Lebensjahr aus und führt innerhalb von 15 Jahren zur völligen Hilflosigkeit und zum Tod. Chorea Huntington ist eine der häufigsten dominant vererbten Krankheiten. Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens beträgt ca. 1:20000, kann aber in verschiedenen Erdteilen deutlich schwanken.

Diese Erbkrankheit wird durch ein dominantes Allel vererbt, das auf einem Körperchromosom (Nr. 4) liegt. Deswegen wird die Art der Vererbung als autosomal-dominant bezeichnet. Aus dem Stammbaum ist ersichtlich, dass jede Generation betroffen ist.

Symbolik für Stammbäume:

Stammbaum für autosoma-dominant vererbte Krankheiten

Anhand des Stammbaumes wird deutlich, dass Chorea dominant vererbt wird. Das betroffene Elternpaar hat gesunde Kinder. Das ist nur möglich, wenn beide Eltern ein gesundes Gen weitergeben.

Die Krankeit wird autosomal vererbt. Es sind Männer und Frau gleichmäßig betroffen. Außerdem hat der kranke Vater eine gesunde Tochter. Das wäre nicht der Fall, wenn das Gen auf dem X-Chromosom des Vaters liegen würde. Das Huntingtin-Gen liegt somit nicht auf dem X-Chromosom.

Wahrscheinlichkeit der Vererbung an die Kinder: Bei Erkrankung eines Elternteils, z.B. Mutter Aa, Vater aa beträgt die Wahrscheinlichkeit für die Weitergabe des defekten Allels (A) und die Erkrankung des Kindes 50%.

Im Zusammenhang mit Erbkrankheiten sind folgende Definitionen wichtig:

Hier: Ausbruch der Krankheit in 100% der Fälle, d.h. 100%-ige Penetranz.

Besonderheit:

Menschen mit dem dominanten Allel können Kinder bekommen, ehe die Krankheit ausbricht. Stirbt der Mensch vor Ausbruch der Krankheit, so können die Kinder trotzdem krank sein. Es scheint, als habe der Gendefekt eine Generation übersprungen.

Allgemein gilt:

Autosomal-dominante Erbkrankheiten sind häufig Letalfaktoren, d.h. die Kinder sterben im frühen Kindesalter oder kommen nicht zur Fortpflanzung. Homozygote Fälle sind in der Regel nicht bekannt, weil sie nicht lebensfähig sind. Neue Fälle können durch Spontanmutationen entstehen.

2.6.2 Autosomal-rezessive Erbkrankheiten

Beispiele für Autosomal-rezessive Erbgänge: Albinismus, Mukoviszidose, Kretinismus, Sichelzellanämie

Bsp.: Mukoviszidose, Cystische Fibrose (CF)

Bei dieser autosomal-rezessiven Erbkrankheit haben die Sekrete der exokrinen Drüsen (nach außen absondernd) eine zu hohe Viskosität, d.h. sie sind zu zähflüssig. Dadurch entstehen Atemnot und Husten. Die Verdickung des Gallensaftes kann eine Gallenstauung hervorrufen.  Leberschäden können die Folge sein. Auch schon als Kleinkind treten Wachstumsstörungen auf, da bestimmte Enzyme der Bauchspeicheldrüse fehlen. Bei Männern liegt in der Regel Unfruchtbarkeit vor. CF ist das häufigste monogene Erbleiden in Europa. Die Häufigkeit liegt bei ca. 1 pro 2000 Neugeborenen. Trotz verbesserter Behandlungsmethoden ist die Lebenserwartung deutlich reduziert. Der Nachweis der Krankheit erfolgt durch den NaCl-Schweißtest, da bei den Betroffenen die Kochsalzmenge im Schweiß erhöht ist.

Stammbaum für autosoma-rezessiv vererbte Krankheiten

Wahrscheinlichkeit der Vererbung an die Kinder: Wenn ein Elternteil von der Krankheit betroffen ist und der andere Elternteil reinerbig gesund ist (Mutter aa, Vater AA) werden die Kinder nicht erkranken. Sie tragen aber alle das defekte Allel in sich. Wenn beide Elternteile Träger des defekten Allels sind, erkranken 25% der Kinder (aa) und 50% sind heterozygote Träger der Allels (Aa).

Bsp.: Albinismus

Der totale Albinismus wird meist autosomal-rezessiv vererbt. Ein Gendefekt hat zur Folge, dass das Enzym Tyrosinase nicht gebildet wird. Deswegen kann der Farbstoff Melanin nicht gebildet werden. Die Haut erscheint hellrosa, die Haare weiß. Albinos sind besonders empfindlich gegenüber Licht. Albinismus tritt bei allen menschlichen Rassen auf und kommt auch häufig bei Tieren vor, z.B. weiße Mäuse, weiße Kaninchen, weiße Tauben.

2.6.3 Gonosomal-rezessive Erbkrankheiten

Beispiele für X-gonosomal-rezessive Erbgänge: Hämophilie (Bluterkrankheit), Rot-Grün-Blindheit

Bsp.: Hämophilie A (Bluterkrankheit)

Bei dieser gonosomal-rezessiv vererbten Krankheit liegt eine mehr oder weniger starke Neigung zu unstillbaren Blutungen vor. Ein bestimmtes Protein, der Gerinnungsfaktor VIII, kann vom Körper nicht hergestellt werden. Betroffene sterben unbehandelt oft im Jugendalter. Heute kann der Gerinnungsfaktor VIII gentechnisch hergestellt und als Medikament verabreicht werden. Das für die  Bluterkrankheit verantwortliche Gen liegt auf dem X-Chromosom. Daraus ergibt sich, dass die Krankheit sehr selten bei Frauen auftritt, weil ein Defekt in der Regel von dem zweiten X-Chromosom kompensiert werden kann. Männer sind dagegen relativ häufig betroffen, da sie nur ein X-Chromosom besitzen.

Erbgang Bluterkrankheit.svg
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Wahrscheinlichkeit der Vererbung an die Kinder: Heterozygote Frauen (Konduktorinnen) übertragen das defekte Allel auf 50% ihrer Kinder. Töchter von kranken Männern sind alle Konduktorinnen, alle Söhne sind gesund, wenn die Mutter reinerbig gesund sind.

Bsp.: Rot-Grün-Blindheit

Die Rot-Grün-Sehschwäche wird nach dem gleichen Schema wie die Bluterkrankheit vererbt. Ca. 8% aller Männer sind mehr oder weniger stark betroffen. Die extreme Form dieser Sehschwäche ist die Rot-Grün-Blindheit.

Stammbaum für X-gonosomal-rezessiv vererbte Krankheiten

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2.6.4 Veränderung der Chromosomenanzahl

Veränderung der Autosomenzahl

Ist eines der Autosomen mehr als einmal in den Zellen eines entstehenden Menschen vorhanden, so ist das Individuum meist nicht lebensfähig. Nur bei genarmen, d.h. kleinen Chromosomen sind die Embryonen mit einer Trisomie (Chromosom dreimal vorhanden) lebensfähig. Monosomien (Chromosom einmal vorhanden) führen zum Absterben der Embryonen.

Bsp.: Trisomie 21 (Down-Syndrom)

Die häufigste Trisomie ist die Trisomie 21. Dieses Syndrom tritt bei einem von 700 Kindern auf. Symptome sind kleine Körperhöhe bis ca. 1,50 m, kurzer Hals, abgeflachter Hinterkopf, verdickte Zunge, Herzfehler, schmale, schräg gestellte Liedfalte und mehr oder weniger starke geistige Retardierung (IQ von 0 bis 80). Jungen sind wahrscheinlich immer steril, Mädchen durchlaufen eine normale Pubertät und sind fruchtbar.

Entstehung: Die Eltern sind gesund, bei der Keimzellenbildung (1. oder 2. Reifeteilung) findet jedoch eine Nondisjunktion (Nichttrennung) der homologen Chromosomen bzw. der Chromatiden statt, d.h. in der Keimzelle befinden sich zwei anstatt eines der homologen Chromosomen. Nach der Befruchtung mit einer normal gebildeten Keimzelle befinden sich das betreffende Chromosom dreimal in der Zelle. 95 % der überzähligen Chromosomen stammen von der Mutter.

Belinda Flemming: Meiose des homologen Chromosomenpaares 21, Entstehung von Trisomie 21, CC BY-SA 3.0

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Das Auftreten der Trisomie 21 ist vom Alter der Mutter abhängig: Bei 25-jährigen Müttern sind ca. 0,1% der Kinder betroffen, ab einem Alter von 35 Jahren steigt die Häufigkeit merklich. 45-jährige Mütter gebären mit einer Wahrscheinlichkeit von über 2% ein Kind mit Trisomie 21. Der Einfluss des Alters der Väter ist noch ungeklärt.

Das Auftreten der Trisomie 21 ist vom Alter der Mutter abhängig: Bei 25-jährigen Müttern sind ca. 0,1% der Kinder betroffen, ab einem Alter von 35 Jahren steigt die Häufigkeit merklich. 45-jährige Mütter gebären mit einer Wahrscheinlichkeit von über 2% ein Kind mit Trisomie 21. Der Einfluss des Alters der Väter ist noch ungeklärt.

Veränderung der Gonosomenzahl

Bei den Gonosomen können ebenfalls Abweichungen der Chromosomenzahl auftreten. Die Entstehung der Abweichungen entspricht der bei den Autosomen.

Bsp.: Turner-Syndrom

Das X-Chromosom ist hier nur einmal vorhanden, d.h. der Genotyp ist 45, XO. Das Turner-Syndrom ist die einzige lebensfähige Monosomie beim Menschen. Sie tritt mit einer geschätzten Häufigkeit von 1:2.500 auf.

Die betroffenen Frauen zeigen normales weibliches Aussehen. Sie sind jedoch relativ klein und haben nur kindlich ausgeprägte Eierstöcke. Eine Pubertät findet nicht statt. Außerdem treten Organfehlbildungen auf.

97% der XO-Föten sterben vor oder kurz nach der Geburt. Bei den Überlebenden ist die Lebenserwartung normal. Die körperliche und geistige Entwicklung der Personen ist unauffällig. Die Diagnose erfolgt häufig erst in der Pubertät.

Durch Hormongaben findet ein verstärktes Wachstum der Eierstöcke statt. Die Menstruation tritt ein, die Sterilität kann jedoch nicht rückgängig gemacht werden.

Bsp.: Klinefelter-Syndrom

In diesem Fall tritt der Genotyp 47, XXY auf.

Die betroffenen Männer zeigen relativ normales Aussehen. Sie sind jedoch sehr groß und haben schwach oder nicht ausgeprägte sekundäre Geschlechtsmerkmale. Die Hoden sind unterentwickelt, Spermien werden nicht gebildet. Der Intelligenzquotient ist meist normal.

Durch Testosterongabe können Potenzstörungen verhindert werden, die Sterilität bleibt meist erhalten. Sekundäre Geschlechtsmerkmale können ausgebildet werden.