Grundsätzliches im Überblick

Warum Sprache analysieren?

Wenn Sie zu Ihrer Großmutter gehen, um ihre Unterstützung für einen Autokauf zu erbitten; wenn Sie in einer Bank vorstellig werden und Ihre Kreditwürdigkeit zeigen wollen; wenn Sie schließlich Ihren Arbeitgeber davon überzeugen wollen, dass eine spürbare Gehaltserhöhung die unausweichliche Konsequenz Ihres Daseins ist – in all diesen Fällen überlegen Sie sich vorher gute Argumente, die Ihre Forderungen stützen. Sie wählen eine Kleidung, von der Sie glauben, dass sie Ihr Gegenüber beeindruckt oder dass Ihr Partner sie zumindest akzeptiert, und wenden darüber hinaus verschiedene Tricks an, die Ihre Person ins rechte Licht rücken. Eine dieser Methoden besteht darin, Ihren sprachlichen Ausdruck der jeweiligen Situation anzupassen. So werden Sie Ihre Großmutter vermutlich in einer anderen Kleidung als Ihre Bank besuchen und werden sie auch mit anderen Worten begrüßen. Im Fall 1 machen Sie wahrscheinlich Komplimente, werten Ihre Gesprächspartnerin auf, so dass Sie gar nicht anders kann, als Ihren Wünschen zu entsprechen. Die gleichen Komplimente wären dem Bankbeamten gegenüber vielleicht nicht ganz angebracht.

Sie setzten also – z.T. durchaus unbewusst – verschiedenste Mittel auch sprachlicher Art ein, um bestimmte Wirkungen zu erzielen. Gleiches versuchen die kommerzielle und die politische Werbung, die Redekunst, jeder Kommentator und jeder Staatsmann.

Mit diesen Methoden beschäftigt sich die Sprachuntersuchung.

Löwenbräu. Ein Bier wie Bayern.
Abb. 1

Er läuft und läuft und läuft und läuft.
Abb. 2

Abb. 3

Texte wirken nicht nur auf den Verstand und wollen nicht nur mit Argumenten überzeugen, sondern beeinflussen den Rezipienten, indem sie – absichtlich oder unabsichtlich – seine Gefühle ansprechen. Dieser zweite Kanal eröffnet also eine weitere Ebene des Zugangs zum Adressaten.

So benutzt das Löwenbräu-Plakat (Abb. 1) die positiv besetzten Gefühlswerte Freizeit und Bergwelt – obwohl man Bier auch an anderen Orten und bei anderen Gelegenheiten trinken kann. Volkswagen kokettiert mit der damals schon veralteten Form des Käfers (Abb. 2, hier auf einem Museumsfoto). Die CDU setzt ein Feindbild im Kampf gegen den politischen Gegner ein (Abb. 3) und appelliert an weit verbreitete Ängste des Wählers.

Darüber hinaus benutzen alle drei Beispiele auch sprachliche Mittel. Die Brauerei vergleicht ihr Getränk mit einem Volksstamm, um mit dem Konsumenten das eigene Produkt aufzuwerten. VW verwendet eine Vielzahl von Bindewörtern („und“), um die schier unbegrenzte Zuverlässigkeit des Käfers hervorzuheben. Die CDU möchte die Unausweichlichkeit einer Entscheidung („Darum CDU“) lancieren und verzichtet auf eigentlich nötige Wörter.

Da die emotionalen Wirkungen universell nutzbar sind, setzt man sprachlich-rhetorische Gestaltungsmittel nicht nur ein, um Kaufentscheidungen zu beeinflussen. Auch Journalisten, die eine Zeitungskommentar verfassen oder Politiker, die mit einer Rede ihre Wahlchancen zu verbessern suchen, wenden diese Mittel an.

Um Texten gerecht zu werden muss man daher außer der inhaltlichen Seite, mit der sich die Textwiedergabe befasst, auch ihre sprachliche Seite untersuchen. Sie gibt u.a. Aufschluss über die gesellschaftliche Rolle des Autors, über den historischen Kontext, in dem der Text entstanden bzw. veröffentlicht wird, und über seine Wertvorstellungen.

Werbung – Beispiel 1

Alkoholwerbung

Wie alltäglich diese Methoden der Beeinflussung sind, sieht man an der Werbung. Zigaretten empfehlen sich nicht einfach über ihren Geschmack, Katzenfutter will nicht seines Nährstoffgehalts wegen gekauft werden. Dem ins Visier genommenen Konsumenten versuchen die Werbeagenturen vielmehr über den stofflichen Nutzwert hinaus ein Gefühl der Freiheit oder die Illusion von Luxus und Überfluss inmitten beengter Verhältnisse zu versprechen.

Der Tag geht – Johnnie Walker kommt

Der Slogan enthält eine Fülle sprachlicher Mittel – und hält sich wohl auch aus diesem Grund als Dauerläufer der Werbung. Das Grundmuster des Spruchs besteht in dem Gegensatz zwischen dem Tag und der nicht mehr genannten, aber vom Leser automatisch ergänzten dunklen Nacht, zu der Kälte, Einsamkeit, aber auch Feierabend, Freizeit assoziiert wird. Wenn der Tag geht (eine Personifikation), kommt als Ersatz der alkoholische Trostspender (ebenfalls eine Personifikation), der zudem auf sehr menschliche Art und Weise benannt ist, um das entstandene Vakuum auszufüllen. Den Slogan bilden zwei Hauptsätze, die gleich gebaut sind und daher in Form eines Parallelismus aneinandergereiht sind. Sie stehen einander gegenüber (Antithese) und werden nicht miteinander durch die Konjunktion „und“ verbunden, so dass der zweite Vorgang zwangsläufig auf den ersten folgt.

Wenn also die Dunkelheit hereinbricht, hat der geneigte Konsument gleich einen neuen Gefährten, der ihm hilft, die Widrigkeiten des Abends zu bewältigen, aber auch es erlaubt, einen erholsamen Feierabend zu verbringen.

Werbung – Beispiel 2

Auch dieser Slogan enthält als beherrschendes rhetorisches Mittel eine Personifikation. Der Produktname „Bauknecht“ wird als Name eines Mannes eingesetzt, der die unausgesprochenen Wünsche der Frauen kennt. Auch dieses Beispiel prägt eine Antithese: Der Mann steht wissend als einzelnes Wesen (Singular) einer bedürftigen Mehrzahl von Frauen (Plural) gegenüber. Der Inhalt ihrer Wünsche bleibt durch das unbestimmte Relativpronomen „was“ im dunkeln. Die Wiederholung der gleichen Anlaute in den Wörtern „weiß was (…) wünschen“ verknüpft die Satzbestandteile in Form einer Alliteration.

Rhetorik – Politische Rede

Rede von Joseph Goebbels  

Vorbemerkungen:

Diese Rede gilt als eines der übelsten Beispiele politischer Rhetorik, da die Zuhörer der Frage Goebbels: „Wollt Ihr den totalen Krieg?“ völlig fanatisiert zustimmen (Intention).

Zum Anlass der Rede:

Die Schlacht von Stalingrad gilt als eine der kriegsentscheidenden Schlachten des 2. Weltkrieges und bedeutet nicht nur das Ende der bis dahin erfolgreichen Blitzkriege, sondern  markiert darüber hinaus die Wende des Krieges. Die 6. Armee verlor in Stalingrad  ca. 146.000 Soldaten. Ca. 90.000 Gefangene kamen in Kriegsgefangenschaft. Seit  November 1942 stand zudem Rommels Afrikakorps in einem Zweifrontenkampf, dessen Ausgang in Berlin kaum Zweifel zuließ.

„Du bist nichts – dein Volk ist alles“ (NS-Plakat)

Im Zentrum des Fotos: Joseph Goebbels

Der Redner
Joseph Goebbels, seit Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft „Minister für Volksaufklärung und Propaganda“, hielt die Rede am 18.02.1943, knapp drei Wochen, nachdem General Paulus trotz des Verbotes durch Hitler für das Gros seiner Truppen in Stalingrad kapituliert hatte.

In dieser Situation prägte Goebbels das Schlagwort vom totalen Krieg.  Er wollte mit seiner Rede die Bevölkerung zu weiteren Opfern sowie zur Steigerung ihres Arbeitseinsatzes motivieren und verzichtete daher auf die bis dahin üblichen Beschönigungen der Kriegslage, was man auch daran erkennen kann, dass er die Opfer der Kriegspolitik nicht verschweigt, sondern pathetisch mit den Worten: „Vor mir sitzen reihenweise deutsche Verwundete von der Ostfront, Bein- und Armamputierte mit zerschossenen Gliedern, Kriegsblinde (…)“ begrüßt. Auch darf man nicht vergessen, dass zu diesem Zeitpunkt kaum eine Familie von Kriegsopfern verschont geblieben war und sich ein gewisses „Stimmungstief“ bemerkbar machte. So sollte die Rede jeden Zweifel am Kriegswillen der Führung zerstreuen und die Einheit von Staat und Volk demonstrieren.
Zur Beurteilung der Reaktionen der 15.000 Zuhörer ist es nicht unwichtig zu wissen, dass sie von den örtlichen Gauleitungen ausgewählt waren, um als „repräsentativer Querschnitt“ zu wirken.

Aufgabe:

Lesen Sie den kleinen Ausschnitt aus der Rede und überlegen Sie, mit welchen Mitteln der Redner die Kriegsbegeisterung anzustacheln versucht. Überprüfen Sie anschließend Ihre Ergebnisse anhand des Lösungsvorschlags. Anschließend sollten Sie es in gleicher Weise mit dem zweiten Teil versuchen.

Text (Teil 1):

Die „Sportpalast-Rede“* vom 18.02.1943

„(…) Ihr also, meine Zuhörer, repräsentiert in diesem Augenblick die Nation. Und an euch möchte ich zehn Fragen richten, die ihr mir mit dem deutschen Volke vor der ganzen Welt, insbesondere aber vor unseren Feinden, die uns auch an ihrem Rundfunk zuhören, beantworten sollt. (Nur mit Mühe kann sich der Minister für die nun folgenden Fragen Gehör verschaffen. Die Masse befindet sich in einem Zustand äußerster Hochstimmung. Messerscharf fallen die einzelnen Fragen. Jeder einzelne fühlt sich persönlich angesprochen. Mit letzter Anteilnahme und Begeisterung gibt die Masse auf jede einzelne Frage die Antwort. Der Sportpalast hallt wider von einem einzigen Schrei der Zustimmung.) (…)“

Klicken Sie auf Lösung 1 und überprüfen Sie Ihre Ergebnisse.

Text (Teil 2):

„(…) Die Engländer behaupten, das deutsche Volk habe den Glauben an den Sieg verloren. Ich frage euch: Glaubt ihr mit dem Führer und mit uns an den endgültigen totalen Sieg des deutschen Volkes? Ich frage euch. Seid ihr entschlossen, dem Führer in der Erkämpfung des Sieges durch dick und dünn und unter Aufnahme auch der schwersten persönlichen Belastungen zu folgen?

Zweitens: Die Engländer behaupten, das deutsche Volk ist des Kampfes müde. (…)“

Klicken Sie auf Lösung 2 und überprüfen Sie Ihre Ergebnisse.

Die Rede wurde von der Reichspropagandaleitung der NSDAP Berlin ohne Jahresangabe veröffentlicht.

* Der Veranstaltungsort
Auch der Veranstaltungsort spielt für die gewünschten Reaktionen eine Rolle. Mit dem Sportpalast war eine Vergnügungsstätte der Berliner Bevölkerung ausgewählt worden, in der ekstatische Ausbrüche und Beifallsstürme normal sind. Der Sportpalast war mit Fahnen und Spruchbändern („Totaler Krieg = kürzester Krieg“) dekoriert.

Lösungen

Es fällt auf, dass der Redeausschnitt mit einer direkten Anrede der Zuhörer: „Ihr also (…)“ beginnt. Goebbels duzt die Anwesenden und spricht sie als „meine Zuhörer“ an. Beide Mittel dienen dazu, eine Art Vertraulichkeit zu erzeugen, indem der Minister sich auf eine Stufe mit den Adressaten stellt und die Distanz zu ihnen abbaut. Dazu passt, dass er mit dem Bild, die Zuhörerschaft „(…) repräsentiert in diesem Augenblick das Volk“, den Anschein erweckt, sie seien so etwas wie Volksvertreter, von deren Entscheidung er das weitere Vorgehen der Regierung im Krieg abhängig mache.  Der folgende Satz: „Und an euch möchte ich zehn Fragen richten, die ihr mir mit dem deutschen Volk (…) beantworten sollt“ wiederholt das Bild einer Volksbefragung, versehen mit deutlich religiösen Elementen. Goebbels übertreibt, wenn er eine in der damaligen Zeit technisch unmögliche Live-Übertragung fingiert und so tut, als geschähe dies „vor der ganzen Welt, insbesondere aber vor unseren Feinden, die uns auch an ihrem Rundfunk zuhören.“, um die Bedeutung des Publikums aufzuwerten. Durch das Schlüsselwort von „unseren Feinden“ ruft er vorhandene Feindbilder ab.

Im Folgenden wiederholt er die Aussage: „Die Engländer behaupten (…)“ sowie seine rhetorische Frage „Ich frage euch (…)“, die den Zuhörer manipuliert, da sie nur eine Antwort zulässt. Die durchgesetzte Haltung gegenüber England erleichtert es ihm, die jeweiligen Forderungen in seiner Rede unterzubringen – er muss nur an den Feind erinnern. Ferner bedient er sich wieder offensichtlich religiöser Formeln, die an ein Eheversprechen erinnern und die schon erwähnte Fiktion einer persönlichen Beziehung zwischen Obrigkeit und Untertanen unterstreichen. Auch an anderen Stellen benutzt er religiöse Schlüsselwörter, um seine Zuhörer in die gewünschte Richtung zu lenken. So wiederholt er des Öfteren das Wort „Glauben“, den das Publikum dem Führer entgegenbringen soll, um es einzuprägen.
Es fällt ferner auf, dass er die Deutschen als „deutsches Volk“ bezeichnet, das englische Volk hingegen als „die Engländer“. Auf diese Weise stellt er sie dem „deutschen Volk“ abwertend als voneinander isolierte Einzelwesen gegenüber und spricht ihnen die Qualität ab, zu einer Gemeinschaft zu gehören.