Geldschöpfung durch die Geschäftsbanken

Mindestreservepflicht und Kassenhaltung

Der bargeldlose Zahlungsverkehr spielt in der Bundesrepublik eine bedeutende Rolle. Privatleute und Unternehmen halten einen Großteil ihres Geldes auf Girokonten der Geschäftsbanken und verfügen durch  Überweisungen und Lastschriften darüber. Die Erfahrung zeigt, dass nur über einen geringen Teil dieser Sichteinlagen, im Durchschnitt etwa 10 %, sofort verfügt wird. Diesen Betrag halten die Geschäftsbanken als Kassenreserve.

Alle Geschäftsbanken sind über die Kassenhaltung hinaus verpflichtet, einen Teil ihrer Sichteinlagen bei den Landeszentralbanken als sog. Mindestreserve zu halten. Der Mindestreservesatz richtet sich nach der Art der Einlagen. Mit der Differenz aus den Sichteinlagen, der Kassenhaltung und der Mindestreserve – der Überschussreserve – können die Geschäftsbanken arbeiten, Kredite an andere Kunden gewähren und damit neues Geld schaffen.

Sichteinlagen
–  Kassenhaltung
–  Mindestreserve
= Überschussreserve

Mindestreservepflichtige Positionen:

· Sicht-, Termin-, und Spareinlagen
· Schuldverschreibungen
· Geldmarktpapiere

Derzeitiger Mindestreservesatz: 1 %

Geldschöpfung bei vollständigem Bargeldrückfluss

Verfolgen wir anhand eines Beispiels Geldschöpfung durch Geschäftsbanken unter folgenden Voraussetzungen:

· Kassenhaltung und Mindestreserve betragen 20 % der Sichteinlagen (Kassenhaltung 18 %, Mindestreserve 2 %).
· Das Kreditangebot der Geschäftsbanken wird in voller Höhe angenommen.
· Die erhaltenen Kredite fließen in voller Höhe ins Bankensystem zurück.

1 Ein Kunde zahlt 125.000,00 € bei der Bank A ein:

Aktiva   Bilanz der Bank A   Passiva
Kasse 125.000,00   125.000,00 Sichteinlagen

2 Nach Einzahlung der Mindestreserve bei der Landeszentralbank und Kassenhaltung ergibt sich (ÜR = Überschussreserve, KH = Kassenhaltung der Geschäftsbanken):

Aktiva   Bilanz der Bank A   Passiva
ÜR 100.000,00   125.000,00 Sichteinlagen
MR/KH 25.000,00    

3 Die Bank A vergibt den höchstmöglichen Kredit an einen Kunden:

Aktiva   Bilanz der Bank A   Passiva
Forderungen 100.000,00   125.000,00 Sichteinlagen
MR/KH 25.000,00    

4 Der Kreditnehmer aus 3) zahlt das Geld bei der Bank B ein:

Aktiva   Bilanz der Bank B   Passiva
Kasse 100.000,00   100.000,00 Sichteinlagen

5 Die Bank B leiht den höchstmöglichen Betrag aus:

Aktiva   Bilanz der Bank B   Passiva
Forderungen 80.000,00   100.000,00 Sichteinlagen
MR/KH 20.000,00    

6 Der Kreditnehmer aus 5) zahlt den Betrag bei der Bank C ein:

Aktiva   Bilanz der Bank C   Passiva
Kasse 80.000,00   80.000,00 Sichteinlagen

7 Bank C vergibt an einen Kunden den höchstmöglichen Kredit:

Aktiva   Bilanz der Bank C   Passiva
Forderungen 64.000,00   80.000,00 Sichteinlagen
MR/KH 16.000,00    
Dieser Prozess lässt sich weiter fortsetzen, bis Mindestreserve und Kassenhaltung zusammen auf die Höhe der ursprünglichen Einlagen anwachsen. Folgende Tabelle verdeutlicht den Prozess der maximalen Geldschöpfung:

Sichteinlagen Neue Kredite Mindestreserve und Kassenhaltung
 Bank A 125.000,00 100.000,00 25.000,00
 Bank B 100.000,00 80.000,00 20.000,00
 Bank C 80.000,00 64.000,00 16.000,00
 Bank D 64.000,00 51.200,00 12.800,00
 Bank E 51.200,00 40.960,00 10.240,00
       . . . .
       . . . .
 Bank n 0,00 (Grenzwert)
625.000,00 (Summe)
0,00 (Grenzwert)
500.000,00 (Summe)
0,00 (Grenzwert)
125.000,00 (Summe)


Verfolgt man zunächst die Geldschöpfung bis zur Bank E, so ist bereits ein Betrag von 420.200,00 € an Sichteinlagen und 336.160,00 € an neuen Krediten entstanden. Wenn man sich vorstellt, dass sich dieser Prozess so lange vollzieht, bis die Überschussreserve aufgebraucht ist, werden die Sichteinlagen den Betrag von 625.000,00 € und die Summe der neuen Kredite den Betrag von 500.000,00 € erreichen.

Kassenhaltung und Mindestreserve zusammen ergeben im Geldschöpfungsprozess bis zur Bank E eine Summe von 84.040,00 €. Wenn der Prozess der Geldschöpfung unter den genannten Voraussetzungen weiter vollzogen wird, erreicht die Summe aus Kassenhaltung und Mindestreserve den ursprünglich eingezahlten Betrag von 125.000,00 €.

In unseren Beispielen kann das System der Geschäftsbanken aus einer Einzahlung von 125.000,00 € das Vierfache an Krediten – 500.000,00 € – schöpfen. Üblicherweise wird die maximale Summe der Geldschöpfung über die zuerst entstandene Überschussreserve definiert. Sie beträgt bei der Bank A 100.000,00 € und wächst auf das Fünffache  – 500.000,00 € – an.

  Maximale Geldschöpfung:  ÜR0    x 1 mit:  ÜR0   = erste entstandene Überschussreserve
 k   = Kassenhaltungssatz
———-
(k + m)  m   = Mindestreservesatz


Ableitung des Geldschöpfungsmultiplikators*

Im Beispiel ergibt sich der Geldschöpfungsmultiplikator:     1      =    1     =  5
(k + m) 0,2

Bedeutung der Geldschöpfung durch die Geschäftsbanken

Die Zentralbank hat die Aufgabe, die Geldmenge zu kontrollieren. Bei der Geldschöpfung durch die Zentralbank liegt es in ihrem Ermessen, wieviel Geld sie den Geschäftsbanken zur Verfügung stellen will. Da die Geschäftsbanken ebenfalls Geld schöpfen können, versucht die Zentralbank, diese Geldschöpfungsmöglichkeit zu kontrollieren. Wenn es sich um den Mindestreservesatz handelt, kann die Zentralbank direkt eingreifen: Eine Erhöhung des Mindestreservesatzes führt zu einer Verkleinerung des Geldschöpfungsmultiplikators und damit zu einer Einengung der Geldschöpfungsmöglich-keiten. In unseren Beispielen kommt es bei einer Erhöhung des Mindestreservesatzes von 2 % auf 4 % bei gleicher Kassenhaltung (18 %) zu einer maximalen Kreditschöpfungsmöglichkeit von 100.000 · 1 / 0,22 = 454.545,45 €. Eine Verringerung des Mindestreservesatzes von 2 % auf 1,5 % erweitert die maximale Geldschöpfungsmöglichkeit auf 100.000 · 1 / (0,195) = 512.820,51 €.

Je kleiner der Nenner des Geldschöpfungsmultiplikators ist, desto höher sind die Geldschöpfungsmöglichkeiten der Banken. Da diese zwar nicht den Mindestreservesatz, wohl aber den Kassenhaltungskoeffizienten beeinflussen können, sind sie bestrebt, die Kassenhaltung möglichst niedrig zu halten. Durch die vielfachen Möglichkeiten des bargeldlosen Zahlungsverkehrs ist die Bargeldneigung in der Bundesrepublik schon sehr gering, so dass auch die Kassenhaltung der Geschäftsbanken relativ klein ist.

Geldschöpfung bei teilweisem Bargeldrückfluss

Bisher wurde angenommen, dass die aufgenommenen Kredite vollständig in das Bankensystem zurückfließen. Diese Prämisse heben wir jetzt auf und nehmen an, dass 30 % des Geldes als Barreserve bei den Kreditnehmern verbleiben. Alle anderen Bedingungen sind gleich.

Sichteinlagen Neue Kredite Mindestreserve und Kassenhaltung Bargeldhaltung
 Bank A 125.000,00 100.000,00 25.000,00
 Bank B 70.000,00 56.000,00 14.000,00 30.000,00
 Bank C 39.200,00 31.360,00 7.840,00 16.800,00
 Bank D 21.952,00 17.561,60 4.390,40 9.408,00
 Bank E 12.293,12 9.834,50 2.458,62 5.268,48
       . . . .
       . . . .
 Bank Z 0,00 (Grenzwert)
352.272,73 (Summe)
0,00 (Grenzwert)
227.272,73 (Summe)
0,00 (Grenzwert)
56.818,18 (Summe)
0,00 (Grenzwert)
68.181,82 (Summe)


Die Bargeldquote wird im Geldschöpfungsmultiplikator berücksichtigt. Es ergibt sich für die Berechnung der maximalen Geldschöpfungsmöglichkeit folgende neue Formel:

  Maximale Geldschöpfung:  ÜR0   x 1 mit:  ÜR0   = erste entstandene Überschussreserve
 m   = Mindestreserve und Kassenhaltung
—————
b + m (1 – b)  b   = Bargeldquote

Ableitung des Geldschöpfungsmultiplikators*

Geldschöpfungsmultiplikator des Beispiels:

              1             =            1          

 =

       1         

=

   1   

=

2,27
0,3 + 0,2 (1 – 0,3) 0,3 + 0,2 (0,7) 0,3 + 0,14 0,44

Die Möglichkeit der maximalen Geldschöpfung verringert sich, wenn die Bargeldquote steigt. Je höher die Bargeldquote, desto geringer ist der Geldschöpfungsmultiplikator. Eine sinkende Bargeldquote, die durch Point-of-Sale-Zahlungen, Geldautomaten und andere elektronische Zahlungssysteme forciert wird, erhöht die maximale Geldschöpfungsmöglichkeit.

*Ableitung des Geldschöpfungsmultiplikators:

G = 100.000 + 100.000 (1 – 0,2) (1 – 0,3) + 100.000 (1 – 0,2) (1 – 0,3) (1 – 0,2) (1 – 0,3) + … + 100.000 (1 – 0,2)n (1 – 0,3)n                             

mit G = maximale Geldschöpfung durch die Geschäftsbanken

G = 100.000 + 100.000 (1 – 0,2) (1 – 0,3) + 100.000 (1 – 0,2)2 (1 – 0,3)2 + … + 100.000 (1 – 0,2)n (1 – 0,3)n

100.000 ausklammern:

G = 100.000 · [1 + (1 – 0,2) (1 – 0,3) + (1 – 0,2)2 (1 – 0,3)2 + (1 – 0,2)3 + … + (1 – 0,2)n (1 – 0,3)n]

Innerhalb der eckigen Klammer, dem Geldschöpfungsmultiplikator, handelt es sich um eine unendlich geometrische Reihe der Form: [1 + p · q + p2 · q2 + p3 · q3 + … + pn · qn]

Für diese gilt die Formel: lim sn mit n = a1 / (1 – q) mit q = p · q

a1 entspricht dem ersten Glied in der Reihe (bei uns 1).

q entspricht (1 – 0,2) (1 – 0,3).

G = 100.000 · [1 / (1- (1 – 0,2) (1 – 0,3))]

G = 100.000 · [1 / (1 – 0,8 · 0,7)]

G = 100.000 · [1 / (1 – 28/50)]

G = 100.000 · [50/22]

G = 227.272,73

Allgemeine Herleitung:

G = ÜR0 ·           1              
1 – (1-m) (1-b)               Nenner ausmultiplizieren
G = ÜR0 ·                   1                
1 – (1 – b – m + m · b)    Klammer im Nenner auflösen
G = ÜR0 ·                   1                     
1 – 1 + b + m – m · b     Nenner vereinfachen
G = ÜR0 ·           1              
b + m – m · b                 m ausklammern
G = ÜR0 ·          1            
b + m (1 – b)

Geldschöpfung durch die Geschäftsbanken: Übung

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Geldschöpfung durch die Geschäftsbanken: Aufgaben

Testen Sie Ihr Wissen an folgenden Beispielen:

Aufgaben:

1 Das Bankensystem eines Landes besitzt in Periode 1 Sichteinlagen in Höhe von 400.000,00 GE. Der Mindestreservesatz und die Kassenhaltung der Geschäftsbanken betragen insgesamt 12 %. Stellen Sie den Geldschöpfungsvorgang bis einschließlich der dritten Periode tabellarisch dar.

2 Ermitteln Sie die maximale Geldschöpfungsmöglichkeit und den Geldschöpfungsmultiplikator des Bankensystems aus Aufgabe 1.

3 Jemand behauptet: „Mit der Möglichkeit der Geldschöpfung durch die Geschäftsbanken kann das System der Geldmengensteuerung durch die EZB lahm gelegt werden.“ Nehmen Sie Stellung zu dieser Aussage.

4 Ermitteln Sie die maximale Geldschöpfungsmöglichkeit für Aufgabe 1, wenn unter sonst gleichen Bedingungen eine Bargeldquote von 20 % vorausgesetzt wird.

5 Ermitteln Sie für Aufgabe 1, auf wieviel Prozent die Kassenhaltung und die Mindestreserve steigen müssten, damit nur noch die vierfache Menge der ersten Überschussreserve als maximale Geldschöpfung möglich ist.

Lösungen

Periode Sichteinlagen Neue Kredite MR/KH
     1 400.000,00 352.000,00 48.000,00
     2 352.000,00 309.760,00 42.240,00
     3 309.760,00 272.588,80 37.171,20

G = 352.000 · 1 / 0,12 = 2.933.333,33 GE
Geldschöpfungsmultiplikator: 1 / 0,12 = 8 1/3

Diese Aussage ist wohl etwas übertrieben.
Die EZB behält die Kontrolle über die Geldschöpfungsmöglichkeiten der Geschäftsbanken dadurch, dass sie den Mindestreservesatz festlegen kann.
Die maximale Geldschöpfung von fast 3 Mio. GE in Aufgabe 1 wird in der Realität nicht in dieser Höhe erreicht, weil nicht das gesamte Kreditangebot in Anspruch genommen wird und nicht das gesamte Geld in das Bankensystem zurückfließt.

G = 352.000 · 1 / [(0,2 + 0,12( 1 – 0,2)] = 352.000 · 1 / [0,296] = 352.000 · 3,3783784 = 1.189.189,20 GE

1.408.000 = 352.000 · 1 / m
1 / m = 4
m = 25 %
Kassenhaltung und Mindestreserve müssten auf 25 % ansteigen, damit nur noch die vierfache Menge der Geldschöpfung möglich ist.