4.1 Elektronenpaarbindung und Valenzstrichformel
4.1.1 Bindungsenergie und Edelgaskonfiguration
Lange war bekannt, dass sich Atome der Elemente in bestimmten Zahlenverhältnissen verbinden. Brauchbare Theorien über die Natur der chemischen Bindung entwickelten sich nur langsam. Von der Metallbindung abgesehen, ließen sich alle anderen echten chemischen Bindungen zwei Gruppen zuordnen, der Atombindung und der Ionenbindung.
Die Atombindung wird auch Kovalenzbindung (kovalente Bindung) oder Elektronenpaarbindung genannt. Die „Triebkräfte“ der Atome sich zu verbinden, sind bei Atom- und Ionenbindung im Prinzip gleich: Die entstehenden Teilchen besitzen Edelgaskonfiguration und sind energieärmer als die ursprünglichen Teilchen.
Die Atombindung kommt typischerweise zwischen Nichtmetallen vor. Am Beispiel des Wasserstoffs soll dies erläutert werden:
Wasserstoffatome bestehen aus einem Proton und einem Elektron. Letzteres hält sich im 1s-Orbital auf. Damit ist dieses Orbital nur halb besetzt. Denn jedes Orbital kann genau zwei Elektronen aufnehmen. Im Falle des Wasserstoffs wäre mit der Aufnahme eines zweiten Elektrons das 1s-Orbital (und damit die K-Schale) voll besetzt. Es wäre also die Elektronenkonfiguration des Edelgases der 1. Periode, also des Heliums, erreicht. Diesen Zustand können Wasserstoffatome auch erreichen, wenn sich zwei von ihnen annähern, wobei ihre 1s-Orbitale überlappen (bzw. sich durchdringen). Aus zwei Atomorbitalen, die mit je einem Elektron besetzt sind, entsteht ein Molekülorbital, in dem sich die beiden Elektronen aufhalten. Die Aufenthaltswahrscheinlichkeit für Elektronen wird dabei im Bereich zwischen den beiden Atomkernen besonders hoch. Die Elektronen des Molekülorbitals stehen beiden Atomkernen zur Verfügung. Aus der „Perspektive“ eines jeden der beiden Atomkerne liegt also eine Edelgaskonfiguration vor.

© Belinda Flemming: Bildung eines Wasserstoffmoleküls aus zwei Wasserstoffatomen, CC BY-SA
Bei der Bildung einer Atombindung wird Bindungsenergie frei. Der Energiegehalt der beiden H-Atome ist also größer als der Energiegehalt des Wasserstoffmoleküls. Der Differenzbetrag heißt Bindungsenergie. Bei der Annäherung der beiden Atome verläuft die Energiekurve nach unten. Es wird also Bindungsenergie frei (negatives Vorzeichen). Sie erreicht bei einem Kern-Kern-Abstand von 74 pm ein Minimum (Prinzip des Energieminimums). Bei diesem Abstand sind Anziehungskräfte (Protonen – Elektronen) und Abstoßungskräfte (Proton – Proton und Elektron – Elektron) in einem Gleichgewicht. Das entstandene H2-Molekül besitzt hier ein Maximum an Stabilität. Freiwillig nähern sich die beiden Protonen also nicht weiter an. Wollte man ihren Abstand gegen ihre Abstoßungskräfte dennoch verkleinern, müsste man dafür sehr viel Energie aufwenden. Dies zeigt der Verlauf der Energiekurve bei einem Kern-Kern-Abstand < 74 pm. Will man ein Wasserstoffmolekül wieder in seine H-Atome zerlegen, muss der Energiebetrag, der bei seiner Bildung frei wurde, wieder aufgewendet werden, also die Bindungsenergie.
Die Bindungslänge ist definiert als der Kern-Kern-Abstand zweier durch eine Atombindung verbundener Atome.
4.1.2 Die Valenzstrichschreibweise
Bei der Darstellung von Molekülen oder anderen Teilchen, die Atombindungen enthalten, hat sich die Valenzstrichschreibweise bewährt. Man spricht auch von Elektronenstrukturformeln. Es werden nur die Valenzelektronen unter Verwendung dreierlei Symbole dargestellt:
Punkt am Elementsymbol: Bindungsfähiges Atomorbital (also mit einem Elektron besetzt)
Strich am Elementsymbol: Nichtbindungsfähiges Atomorbital (mit zwei Elektronen besetzt) oder freies Elektronenpaar
Strich zwischen zwei Elementsymbolen (Valenzstrich): Molekülorbital (mit zwei Elektronen besetzt; Elektronenpaar einer Atombindung)
Folgende Abkürzungen sind gebräuchlich: Atomorbital (AO), Molekülorbital (MO)
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Wasserstoff besitzt nur ein bindungsfähiges Atomorbital, kann daher auch nur einbindig (einwertig) sein.
Chlor als 7. Element der 3. Periode besitzt 7 Valenzelektronen. Diese sind (vgl. Zellenschreibweise!) im 3s- und in den drei 3p-Orbitalen untergebracht, also insgesamt in vier Orbitalen. Es werden daher vier Symbole verwendet, drei Striche und ein Punkt. Aus dieser Darstellung ergibt sich unmittelbar die Einbindigkeit des Chlors. |
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Sauerstoff besitzt wie Chlor vier Orbitale in seiner Valenzschale (L-Schale), jedoch nur 6 Valenzelektronen. Diese müssen aber, eine Folge der Hund’schen Regel, auf alle vier Orbitale verteilt vorliegen. Daher sind die Valenzelektronen von Sauerstoffatomen durch zwei Striche und zwei Punkte darzustellen. Sauerstoff weist daher im Molekül eine Doppelbindung auf.
Beim Stickstoff ändert sich gegenüber dem Sauerstoff lediglich die Valenzelektronenzahl. Hier müssen 5 Elektronen auf vier Orbitale verteilt werden. Im Stickstoffmolekül liegt eine Dreifachbindung vor.
Während für die Halogene Fluor, Chlor, Brom und Iod die Valenzstrichschreibweise jeweils gleich aussieht, können die Verhältnisse, wie für Sauerstoff und Stickstoff angegeben, nicht auf Elemente der 3. oder höherer Perioden übertragen werden. Die Elemente Schwefel und Phosphor z.B. gehen keine Doppel- oder Dreifachbindungen ein. Dies liegt an den größeren Atomradien und den veränderten Überlappungsmöglichkeiten von Orbitalen.
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Das einbindige Chlor verbindet sich zu HCl (Chlorwasserstoff), ein stechend riechendes, farbloses Gas, das zusammen mit Wasser Salzsäure bildet. Sauerstoff verbindet sich mit zwei H-Atomen zum Wassermolekül. Stickstoff reagiert mit Wasserstoff zu Ammoniak, das einen sehr charakteristischen Geruch besitzt und als wässrige Lösung alkalisch reagiert. |
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4.1.3 Bindungsenergie und Bindungslänge
Zwischen der Bindungsart, der Bindungsenergie, der Bindungslänge und der Reaktionsfähigkeit eines Stoffes besteht ein Zusammenhang, der sich an Hand folgender Tabelle zeigen lässt:
| Stoff | Bindungsart | Bindungsenergie (10 –19 J pro Molekül) | Bindungslänge (10 –10 m) |
Reaktions- fähigkeit |
| Fluor: F2 |
Einfachbindung | – 2,64 | 1,42 | sehr groß |
| Sauerstoff: O2 |
Doppelbindung | – 8,27 | 1,21 | mittel |
| Stickstoff: N2 |
Dreifachbindung | – 15,70 | 1,10 | sehr gering |
Bindungsart = Anzahl der Atombindungen zwischen zwei Nichtmetallatomen (Einfach-, Doppel- und Dreifachbindung)
Bindungsenergie = Energie die aufgebracht werden muss um eine Bindung zu lösen
Bindungslänge = Kern-Kern-Abstand zweier durch eine Atombindung verbundener Atome
Fluor ist ein schwach gelbliches Gas, das extrem reaktiv ist. Sein Bestreben Elektronen aufzunehmen ist sehr groß (vgl. Stellung im Periodensystem oben rechts). Bei jeder Reaktion mit einem anderen Stoff muss zunächst die Atombindung im Fluormolekül geöffnet werden, was aber angesichts des geringen Betrages kein Problem darstellt.
Etwas weniger reaktiv zeigt sich der farblose Sauerstoff (Volumenanteil in Luft: 20,95%), bei dem immerhin während einer Reaktion eine Doppelbindung geöffnet werden muss. Die aufzubringende Bindungsenergie ist deutlich größer.
Als extrem unreaktiv zeigt sich der farblose Stickstoff (Volumenanteil in Luft: 78,09%). Seine stabile Dreifachbindung macht ihn chemisch weitgehend inert (unreaktiv).
Je höher die Anzahl der Atombindungen, umso kleiner ist der Kern-Kern-Abstand und umso höher ist die aufzubringende Bindungsenergie.

Je kleiner der Atomradius, umso kleiner ist der Kern-Kern-Abstand und umso kürzer ist die Bindung.

© Belinda Flemming: Bindungsarten und Bindungslängen von Molekülen im Vergleich, CC BY-SA

