4.3 Bindungspolarität und Wechselwirkungen zwischen Molekülen
Elektronegativität und polare Atombindung
In einer Atombindung zwischen gleichen Atomen sind auch die Bindungselektronen im MO symmetrisch zwischen den Bindungspartnern verteilt. Die Bindung wird unpolar genannt. Dies ist nicht mehr der Fall bei Atombindungen zwischen unterschiedlichen Elementen.
Im Chlorwasserstoffmolekül beobachtet man eine Verschiebung der Bindungselektronen zum Chloratom hin. Dies hat zur Folge, dass die Kernladung des Chlors die zusätzliche negative Ladung nicht mehr vollständig kompensiert. Es tritt am Chlor eine negative Teilladung (auch Partialladung genannt) auf. Umgekehrt wird der Wasserstoff in HCl schwach positiv geladen sein. Die Partialladungen sind wesentlich kleiner als eine Elementarladung. Man kennzeichnet dies durch das kleine griechische Delta.
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Eine derartige Atombindung wird als polare Atombindung bezeichnet. Der amerikanische Chemiker Linus Pauling (1901 – 1994) führte den Begriff der Elektronegativität ein. Es handelt sich um Zahlen ohne Einheit. |
Die Elektronegativität ist ein Maß für die Fähigkeit der Atome, Bindungselektronen in einer chemischen Bindung an sich zu ziehen.
Sie nehmen in den Perioden nach rechts und in den Gruppen nach oben hin zu. Damit findet man die elektronegativsten Elemente im Periodensystem oben rechts. Dies ist in der Tabelle durch zunehmende Farbintensität angedeutet. Die Edelgase bleiben natürlich unberücksichtigt. Die elektropositivsten Elemente findet man unten links. Dies sind Metalle, die bereitwillig Valenzelektronen in Bindungen abgeben. In Reaktionen mit Nichtmetallen führt die Elektronenabgabe zur Bildung von Kationen. Auf diese Weise entsteht die Ionenbindung. Die Metalle weisen übrigens nicht nur geringe Elektronegativitäten auf, auch ihre Ionisierungsenergien sind sehr gering, während bei Nichtmetallen hohe Ionisierungsenergien und hohe Elektronenaffinitäten anzutreffen sind.
Beschränkt man sich auf die Nichtmetalle, die untereinander Atombindungen eingehen, so erhält jeweils das elektronegativere Element in einer Atombindung die negative Partialladung. Im Beispiel HCl ergibt sich eine Elektronegativitätsdifferenz von 0,9. Je größer die Elektronegativitätsdifferenz desto polarer ist die Atombindung.
Dipolmoleküle – ja oder nein?
Da HCl eine leicht positiv und eine leicht negativ geladene Seite besitzt, wird es als Dipolmolekül bezeichnet.
Will man die Frage klären, ob auch Wasser ein Dipolmolekül ist, so müssen erst die einzelnen Bindungen untersucht werden. Zwischen H und O ergibt sich laut Tabelle eine Elektronegativitätsdifferenz von 1,4. Die beiden H-O-Bindungen sind also stark polar.
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Das Molekül ist als Ganzes natürlich ungeladen, d.h. die Summe der positiven Partialladungen ist gleich der negativen Partialladung am Sauerstoffatom. Die räumliche Verteilung der Partialladungen zeigt jedoch, dass das Molekül zwei entgegengesetzt geladene Seiten besitzt. Es ist “oben” schwach negativ und “unten” schwach positiv geladen. Damit liegt ein Dipolmolekül vor. |
Ein alternatives Konzept untersucht die Lage der “Partialladungsschwerpunkte”. Man sucht dabei nach dem negativen und den positiven “Partialladungsschwerpunkt”. Der negative liegt im Sauerstoffatom (blauer Punkt), der positive zwischen den beiden H-Atomen (roter Punkt). Es gilt: Fallen positiver und negativer Partialladungsschwerpunkt nicht ein einem Punkt zusammen, so liegt ein Dipolmolekül vor, fallen sie in einem Punkt zusammen, so ist das Teilchen ein Nicht-Dipolmolekül.
Entscheidend für die Frage, ob ein Dipolmolekül vorliegt, ist also neben den Elektronegativitätsdifferenzen die räumliche Struktur des Teilchens.
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Beim Ammoniakmolekül beträgt die Elektronegativitätsdifferenz für jede N-H-Bindung 0,9. Es liegen also polare Atombindungen vor. Entscheidend ist wieder die Frage des räumlichen Baus. Der Bindungswinkel von 107,5° führt dazu, dass die H-Atome in der “unteren” Molekülhälfte zu finden sind. Es gibt also auch hier eine schwach negative und eine schwach positive Molekülseite, bzw. die beiden Partialladungsschwerpunkte fallen nicht in einem Punkt zusammen. Während der negative im N-Atom liegt, fällt der positive in die Mitte des Dreiecks, das die H-Atome bilden. Ammoniak besteht also wie Wasser und Chlorwasserstoff aus Dipolmolekülen. |
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Die Verhältnisse im Methan unterscheiden sich insofern, als hier nur sehr schwach polare Atombindungen auftreten (Elektronegativitätsdifferenz von 0,4). Der tetraedrische Bau führt dazu, dass im Molekül keine Polarität auftritt. Positive und negative Partialladungen gleichen sich völlig aus. Die beiden Partialladungsschwerpunkte fallen beide im C-Atom zusammen. Methan ist daher kein Dipolmolekül. |
Zwischenmolekulare Wechselwirkungen
Stoffe, die aus Dipolmolekülen bestehen, werden auch als polare Stoffe bezeichnet. Solche, die aus Nichtdipolmolekülen bestehen, heißen unpolare Stoffe. (Der Begriff “polar” bzw. “unpolar” wird also einerseits zur Charakterisierung einer Atombindung verwendet, andererseits beschreibt er den Charakter von Molekülen als Dipol- bzw. Nicht-Dipolmolekülen).
Während zwischen unpolaren Molekülen nur sehr schwache Anziehungskräfte wirken, die sog. Van-der-Waals-Kräfte, treten zwischen polaren Molekülen stärkere elektrostatische Kräfte auf, sog. Dipol-Dipol-Wechselwirkungen.

Extrem starke Dipol-Dipol-Wechselwirkungen heißen Wasserstoffbrückenbindungen. Sie treten bei den Hydriden der Elemente Fluor, Sauerstoff und Stickstoff auf, also bei den Verbindungen HF, H2O und NH3.
Zusammenfassung – polar oder unpolar?

© Belinda Flemming: Übersicht zur Polarität der Moleküle und Stoffe, CC BY-SA



