Globalisierung und die Folgen: Ungleichheit
Zunahme weltweiter Ungleichheit
Die „Globalisierung“ ist heute ein stark diskutiertes Thema. Wenn sich führende Wirtschaftpolitiker auf internationaler Ebene treffen, sind in aller Regel auch die Globalisierungskritiker präsent. Demonstrationen begleiten heute regelmäßig Wirtschafts-Konferenzen. Die Globalisierungskritiker sind so selber ein Ausdruck der Globalisierung geworden, denn sie organisieren sich international – insbesondere über das Internet – und sie appellieren mit ihren kritischen Aufrufen an eine neu entstehende Weltöffentlichkeit. „Soziale Gerechtigkeit in der Weltwirtschaft“ ist eines der zentralen Themen der Globalisierungskritiker. Eine bekannte Gruppe aus diesem Kreis der Kritiker ist „Attac“. Attac ist die französische Abkürzung für “Vereinigung zur Besteuerung von Finanztransaktionen im Interesse der BürgerInnen”. Ausgangspunkt von Attac war die Forderung nach einer Steuer zur Eindämmung kurzfristiger Börsenspekulationen, die so genannte Tobin-Steuer. Heute setzt sich die Gruppe – wie auch andere Globalisierungskritiker – für eine weitreichende Reform der Weltwirtschaftsordnung ein. Zentrale Kritikpunkte, die der Globalisierung ursächlich zugewiesen werden, sind z.B:
- – Die zunehmende Kluft zwischen arm und reich
- – Die Zunahme von Hunger und Armut in der Welt
- – Der Klimawandel durch die rücksichtslose Form des Wirtschaftens
- – Der weltweite Kampf um knappe Rohstoffe
Schaut man sich die ökonomischen Fakten an, dann muss man feststellen, dass weltweit 1,2 Milliarden Menschen in absoluter Armut leben, während zugleich seit Jahren die Investitionen der Industrieländer in die Entwicklungszusammenarbeit sinken. Als absolut arm gelten Menschen, denen pro Tag weniger als ein Dollar (in lokaler Kaufkraft) zur Verfügung steht. Der Anteil der Entwicklungshilfeleistungen der OECD-Länder (Organisation for Economic Cooperation and Development, Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) an ihren Bruttosozialprodukten (BSP) ist im Jahr 2001 auf 0,2% gesunken und damit weit entfernt von den international angestrebten 0,7%.
Lässt man die Frage einmal offen, ob Armut und Unterentwicklung Folgen der Globalisierung sind oder andere Gründe haben, so ist aber ohne Zweifel festzuhalten, dass große Ungleichheiten in der Einkommensverteilung oft mit politischen Instabilitäten und Konflikten einhergehen. Deshalb sollte die Entwicklung der Ungleichheit in der Weltgesellschaft ein wichtiges Thema der Weltpolitik und im Besonderen der Entwicklungspolitik sein. Weil Weltwirtschaft und -gesellschaft immer enger miteinander vernetzt sind, muss die Politik lernen, in globalen Kontexten und Kategorien zu denken. Dass zwar die Zahl der Armen weltweit leicht sinkt, die globale Ungleichheit jedoch rasch zunimmt, ist vor diesem Hintergrund besorgniserregend. Die neuesten Studien ergeben folgendes Bild: Das Welteinkommen verteilt sich auf zwei Pole. Ein großer Teil der Weltbevölkerung lebt in Gesellschaften mit einem BSP pro Kopf (in Kaufkraftparitäten) von bis zu 1500 US-Dollar. Hierzu gehören der größte Teil Afrikas, Indien, Indonesien und die ländlichen Regionen Chinas. Am anderen Ende befinden sich die OECD-Länder mit einem BSP pro Kopf (in Kaufkraftparitäten) von etwa 12000 US-Dollar. Sehr wenige Länder (wie Russland, Mexiko und das städtische China) liegen im Mittelfeld (etwa 5000 US-Dollar pro Kopf). In der Weltgesellschaft hat sich somit nur eine sehr dünne „globale Mittelschicht“ herausgebildet. Die globale Einkommensverteilung hat sich über Jahre hinweg verschlechtert. Die ökonomischen Spitzenverdiener verzeichnen deutliche Zuwächse, die wirtschaftlich schwachen Länder verlieren. Die soziale Polarisierung in der Weltwirtschaft verschärft sich also zunehmend.
Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig: schnelleres Wachstum in den entwickelten OECD-Ländern als in der Gesamtgruppe der Entwicklungsländer; höheres Bevölkerungswachstum in den Entwicklungs- als in den Industrieländern; niedriges Wachstum in den ländlichen Regionen Chinas, Indiens sowie in Afrika; zunehmende Einkommensunterschiede in China zwischen ländlichen Räumen und den urbanen Zentren; besserer Zugang der reichen Haushalte der Welt zu den globalen Technologie-, Wissens- und Geldressourcen.
Die Auswirkungen dieser ungleichen globalen Einkommensverteilung sind gravierend. Es wird von einigen Wissenschaftlern befürchtet, dass sich die Auswirkungen der Armut grenzüberschreitend verstärken. Die weltweite mediale Vermittlung westlichen und für viele Länder unerreichbaren Wohlstandes via Fernsehen und Internet kann zudem in Entwicklungsländern Aggressionen und Migrationsbereitschaft wecken. Gelingt es in der Zukunft nicht, diese Polarisierung zu stoppen, könnte die festgestellte globale Ungleichheit zu einem Sprengsatz für das internationale System werden. Auch wenn von Armut und zunehmender Ungleichheit keine direkten Wege zu Staatenzerfall, Bürgerkriegen oder gar transnationalem Terrorismus führen, schaffen sie doch ein Klima der Frustration und Hoffnungslosigkeit, in dem unterschiedlichste Formen der Gewalt gedeihen und ihre Wirkung entfalten können.
Quelle: Informationen zur politischen Bildung, Heft 274 (bearbeitet)