Studentenproteste 1968
Überblick
Die Fotos der folgenden Bilderserie zu den Studentenprotesten 1967/68 des Fotografen Ludwig Binder finden sich auf der Seite Bilder der Revolte (Stiftung Haus der Geschichte) ausführlich dokumentiert. Auf der Seite stehen noch etwa 160 weitere Fotos (unter Creative Commons-Lizenz) zur Verfügung.
Aufgaben:
1. Verschaffen Sie sich mit dem Video einen Überblick über die Demonstrationen im Jahr 1968.
2. Betrachten Sie die folgenden Fotografien. aus den Jahren 1967/68 genau. Wähle Sie anschließend eines der Fotos aus, zu dem Sie mit Hilfe der Seite Methode | Bildquellen untersuchen eine genaue Bildanalyse durchführen sollen.
3. Gibt es in Ihrer Familie oder Ihrem Bekanntenkreis eine Person, die in den 1960er Jahren gelebt hat sich an die Jahre um 1968 selbst erinnert? Sie können sie bitten, die folgende vier Fragen zu beantworten:
- An welche Ereignisse um das Jahr 1968 kannst du / können Sie sich noch erinnern?
- Was hast du / haben Sie von den Studentenprotesten mitbekommen?
- Wie war deine / Ihre Haltung zu den Studentenprotesten damals?
- Und wie beurteilst du / beurteilen Sie die Studentenproteste heute?
Das Jahr 1968 in Bildern

Foto 1 | 2. Juni 1967 | Am Abend des 2. Juni 1967 fand vor der Deutschen Oper in Berlin eine Demonstration gegen den Besuch des persischen Schahs statt. Die Polizei ging gewaltsam gegen die Demonstration vor. Nach der Auflösung der Demonstration wurde der an den Ausschreitungen unbeteiligte Student Benno Ohnesorg von einem Polizisten erschossen. | Hinweise zum Foto auf der Seite Bilder der Revolte |
Bildnachweis (Stiftung Haus der Geschichte, Ludwig Binder Haus der Geschichte Studentenrevolte 1968 2001 03 0275.0155 (16870592987), CC BY-SA 2.0)

Foto 2 | Juli 1967 | Proteste gab es auch von Schülerinnen und Schülern. Hier verteilen Schüler vor der Schadow-Oberschule in Berlin-Zehlendorf die Schülerzeitschrift „Neuer Roter Turm“. Der 18-jährige links ist Peter Brandt, Sohn des damaligen Außenministers und späteren Bundeskanzlers Willy Brandt. | Hinweise zum Foto auf der Seite Bilder der Revolte |
Bildnachweis (CC BY SA 2.0 Stiftung Haus der Geschichte Bild 2001_03_0275.4210, Ludwig Binder)

Foto 3 | 21. Oktober 1967 | Am 21. Oktober fanden in mehreren Ländern Proteste gegen den Vietnamkrieg statt – so auch in West-Berlin auf dem Kurfürstendamm bei einer Demonstration mit etwa 7000 Teilnehmern. | Zu diesem Foto finden sich wenige Hinweise. Ein ähnliches Foto bei LeMO zeigt, dass es sich um dieselbe Demonstration handelt. |
Bildnachweis (Stiftung Haus der Geschichte, Ludwig Binder Haus der Geschichte Studentenrevolte 1968 2001 03 0275.0011 (16910985309), CC BY-SA 2.0)

Foto 4 | 17. Februar 1968 | Am 17. und 18. Februar 1968 wurde an der Technischen Universität in West-Berlin der „internationale Vietnamkongress“ mit etwa 5000 Teilnehmern ausgerichtet. Der Kongress wurde unter anderem von Rudi Dutschke initiiert, der zwei Monate später bei einem Attentat schwer verletzt wurde. Auf dem Foto spricht der Vertreter der britischen Studentenbewegung Tariq Ali. | Hinweise zum Foto auf den Seiten von LeMO |
Bildnachweis (CC BY SA 2.0Stiftung Haus der Geschichte Bild 2001_03_0275.0001, Ludwig Binder)

Foto 5 | 18. Februar 1968 | Die Studentenproteste der Jahre 1967/68 wurden in der Öffentlichkeit kontrovers beurteilt und diskutiert. Das Foto zeigt Demonstranten, die gegen den Vietnamkongress protestieren, indem sie eine rote Fahne – Symbol für die Arbeiterbewegung – öffentlich verbrennen. | Hinweise zum Foto auf der Seite Bilder der Revolte |
Bildnachweis (Stiftung Haus der Geschichte, Ludwig Binder Haus der Geschichte Studentenrevolte 1968 2001 03 0275.4248 (17086238215), CC BY-SA 2.0)

Foto 6 | Nacht vom 11. auf den 12. April 1968 | Nach dem Attentat auf Rudi Dutschke richteten sich gewaltsame Proteste der Studentenbewegung gegen die Bild-Zeitung. Das Boulevardblatt des Springer-Verlags hatte zuvor entschieden Stimmung gegen die Studentenproteste und auch gegen die Person Dutschkes gemacht. | Hinweise zum Foto auf der Seite Bilder der Revolte |
Bildnachweis (Stiftung Haus der Geschichte, Ludwig Binder Haus der Geschichte Studentenrevolte 1968 2001 03 0275.4252 (16466146463), CC BY-SA 2.0)

Foto 7 | 27. Mai 1968 | Im Mai 1968 besetzten Studierende das Germanistische Seminar der Freien Universität Berlin und benannten es um in „Rosa-Luxemburg-Institut“. Das Foto zeigt die besetzte Bibliothek. | Hinweise zum Foto auf der Seite Bilder der Revolte |
Bildnachweis (Stiftung Haus der Geschichte, Ludwig Binder Haus der Geschichte Studentenrevolte 1968 2001 03 0275.4155 (17084544682), CC BY-SA 2.0)
Das Jahr 1968 – eine Biografie
Aufgaben:
2. Erarbeiten Sie anhand von Gerhards Biographie (M2), was seine Kindheit, seine Schulzeit und seine Studienzeit geprägt haben?
3. Stellen Sie die Entwicklung Gerhards dar.
4. Vergleichen Sie Gerhards Erfahrungen mit den Erfahrungen Ihrer eigenen Lebenswelt.
M2: Eine Nachkriegs-Biographie in der Bundesrepublik
Gerhard wurde 1945 geboren und wächst in einer kleinbürgerlichen Familie auf, Vater Mutter, eine Schwester und er. Sein Vater ist 1949 aus dem Krieg heimgekommen. Er ist Finanzbeamter und versucht, dass die Familie wieder finanziell über die Runden kommt. „Wiederaufbau“ hieß die Losung, „alles wieder in Ordnung bringen.“ Er arbeitete viel und am Abend will er seine Ruhe haben, besonders wenn es über die Nazi-Zeit geht. In der Familie hat er das Sagen und bestimmt auch, dass Mutter nicht arbeiten gehen darf, sie soll daheim die Kinder betreuen.
Der „Tag der Heimat“ ist in Gerhards Familie sehr wichtig. Dabei wird der „guten alten Zeit“ gedacht – vor der Nazi-Zeit. Wenn der Vater von Ordnung spricht, so schwingt immer ein wenig „Preußisches“ mit: Pünktlichkeit, Ordnung, Sauberkeit. „Du könntest dir mal wieder die Haare schneiden lassen!“, wie oft musste er das hören?
Zur moralischen „Sauberkeit“ gehörte auch, dass über Sexualität überhaupt nicht gesprochen wird. Sie findet offiziell einfach nicht statt. Gerhard traut sich noch nicht einmal danach zu fragen. Am Sonntag besucht er die Kinder-, später die Erwachsenenkirche.
„Aus dem Jungen soll mal etwas besseres werden!“, so besteht Gerhard 1955 die Aufnahmeprüfung für das
Gymnasium. In seiner Klasse ist kein einziges Arbeiterkind. Neben schulischen und familiären Pflichten, die u.a. aus Schuhe putzen, Geschirr abtrocknen, die Ölofen befüllen und aus Aufpassen auf die kleine Schwester besteht, bleibt Freizeit. Gerhard besucht die Jungschar, er betreibt im Sommer Leichtathletik, im Winter Turnen. Die restliche Zeit vertreibt er sich mit den Klassenkameraden in der Milchbar, die als besondere Attraktion eine Musicbox betreibt, die neben den deutschen Schlagern auch einige amerikanische Titel spielt. Musik wird immer wichtiger für Gerhard.
Ein ganz wichtiges Ereignis im Leben von Gerhard ist 1962 die erste Tanzstunde, doch der Weg, mit dem Mädchen seiner Wahl eine weitere Verabredung zu treffen ist kompliziert: nur im Anzug ist er korrekt bekleidet, er darf die „Angebetete“ heimbegleiten, aber nicht mit aufs Zimmer. Für den gemeinsamen Abschlussball muss er sich bei den Eltern vorstellen – mit Anzug, Krawatte und Blumen für die Mutter.
Vom Schüleraustausch in England hat Gerhard neue Musik mitgebracht: von den langhaarigen Beatles und den „bad boys“ der Rockmusik, den Rolling Stones, mit ihren aufrührerischen Texten. Zu Hause kommt es dadurch zum großen Streit. „Harte“ Beats und lange Haare entsprechen nicht den Vorstellungen seiner Eltern. Schnell wird aus dem Kampf um die Lautstärke der Musik viel mehr. Es geht um jeden Zentimeter Haarlänge. Was seine Eltern ungehörig und schmutzig finden, findet er erstrebenswert. Eine ganz neue Welt tut sich auf.
1965 besteht Gerhard das Abitur, gefolgt vom Wehrdienst. Kaum einer in der Klasse verweigert und wenn, dann geht er nach Berlin oder studiert Theologie. 1967 beginnt Gerhard in Tübingen das Jura-Studium.
§ 180 Kuppelei
(1) Wer gewohnheitsmäßig oder aus Eigennutz durch seine Vermittlung oder durch Gewährung oder Beschaffung von Gelegenheit der Unzucht Vorschub leistet, wird wegen Kuppelei mit Gefängnis von nicht unter einem Monate bestraft; auch kann zugleich auf Geldstrafe, auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte sowie auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden.
(Fassung des StGB vom 25. Juni 1969)
§ 175 Unzucht zwischen Männern
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren wird bestraft:
1. ein Mann über achtzehn Jahre, der mit einem anderen Mann unter einundzwanzig Jahren Unzucht treibt oder sich von ihm zur Unzucht missbrauchen läßt,
2. ein Mann, der einen anderen Mann unter Missbrauch einer durch ein Dienst-, Arbeits- oder Unterordnungsverhältnis begründeten Abhängigkeit bestimmt, mit ihm Unzucht zu treiben oder sich von ihm zur Unzucht mißbrauchen zu lassen,
3. ein Mann, der gewerbsmäßig mit Männern Unzucht treibt oder von Männern zur Unzucht mißbrauchen lässt oder sich dazu anbietet,
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist der Versuch strafbar.
(3) bei allen Beteiligten, der zur Zeit der Tat noch nicht 21 Jahre alt war, kann das Gericht von Strafe absehen.
(Fassung des StGB vom 25. Juni 1969)
In den Straßen von Tübingen hört Gerhard Demonstranten und ihre Sprechchöre: „Willst du Krieg im Frieden führen, musst den Notstand du probieren!“ Im Bundestag stehen die heftig umstrittenen Notstandsgesetze zur Abstimmung, die Studenten gehen auf die Straße.
Noch immer herrscht Krieg in Vietnam. Seit 1963 sehen sich die USA einen immer intensiver geführten Krieg in Südostasien gegenüber, dessen moralische Berechtigung bei der amerikanischen und europäischen Jugend in Frage gestellt wird. Gerhard besucht das erste Mal in seinem Leben eine politische Veranstaltung, organisiert von Kommilitonen. Da plötzlich bricht die Nachricht in die Tübinger Idylle ein: „Benno Ohnsorg während einer Demonstration gegen den Schah von Polizisten mit Kopfschuss getötet.“
Der Student Benno Ohnesorg wird bei Protesten gegen den Besuch des persischen Schahs erschossen.
Das Bild des Sterbenden geht durch die Medien. Es kommt zu ersten Straßenschlachten zwischen Studierenden und Polizei. Gerhard begreift, dass hier etwas Ungeheuerliches geschehen ist, er mischt sich ein und interessiert sich auf einmal für Politik. Er besucht Protestveranstaltungen, er boykottiert die verstaubten Vorlesungen und nimmt lieber an von Studenten selbst organisierten Teach-ins teil.
Gerhard wird ein politischer Mensch.