Erzählfiguren

Die wichtigen Bereiche der Charakterisierung

Der Autor stattet jede seiner Figuren – sie kommen in Romanausschnitten, Kurzprosa, Drama oder Lyrik vor – mit einer bestimmten Zahl von Merkmalen aus. Diese Eigenschaften müssen Sie bei der Analyse des Textes erkennen und abstrahierend darstellen.

Die Merkmale lassen sich in drei Gruppen einordnen:

Äußere Merkmale

  • Körper
  • Kleidung
  • Gewohnheiten etc. verweisen u.U. auf charakterliche Merkmale

Innere Merkmale

  • Verhaltensweisen
  • Haltungen
  • Beziehungen
  • Auffassungen
  • Gedanken
  • Gefühle etc.

Soziale Merkmale

  • Stand
  • Milieu
  • Beruf etc.verweisen ebenfalls u.U. auf innere Merkmale

 Text links: „Heute hat wohl jeder eine Home Page“

Einschränkungen in Bezug auf die Eigenschaften, die man an einer Person charakterisieren soll, gibt in den meisten Fällen die Aufgabenstellung vor.

Die Charakterisierung literarischer Figuren

In der literarischen Charakteristik wird eine Figur und ihre Rolle im Text umfassend untersucht und gedeutet. Dabei kommt es auf das Wesen und die Eigenschaften an, die diese Figur vermutlich dauerhaft kennzeichnen, also nicht auf einmalige Verhaltensweisen oder solche, die nur in einer bestimmten Situation deutlich werden. Zu bedenken ist, dass manche Figuren eine Wandlung durchmachen. Von einer Wandlung wird nur gesprochen, wenn diese grundlegende Charaktereigenschaften betrifft. Das Geschehen im Text findet bei der Charakterisierung nur eine geringere Berücksichtigung.

Die Charakterisierung setzt drei Untersuchungsbereiche voraus:

  • Eine genaue Beschreibung der Figur (Aussehen, Verhalten, psychische Disposition, soziale Lage);

Dazu gehört auch, wie andere Figuren auf die zu charakterisierende Figur reagieren, wie sie sie behandeln, was sie über sie sagen.

  • Für die literarische Charakterisierung ist außerdem wichtig, welche Rolle eine Figur in einem literarischen Text einnimmt (ist sie der positive Held, die Hauptfigur, eher eine Nebenfigur, der Gegenspieler einer anderen wichtigen Figur, wird sie vom Erzähler besonders hervorgehoben oder eher am Rande erwähnt usw.)
  • Eine Interpretation dieser Beobachtungen (Was sagen diese beschreibbaren Besonderheiten über Charakter und Wesen der Figur aus?)

Charaktereigenschaften einer Figur richtig deuten

Wie argumentiert man in einer Charakterisierung richtig?

… Stellungnahme/ Erörterung   … Charakterisierung
Die Tätigkeit bei einer Zeitarbeitsfirma kann einem Arbeitslosen den Weg zu einer normalen Anstellung ebnen,…

These

Entgegen der ersten Einschätzung des Ich-Erzählers ist Sonja eine selbstbewusste, direkte junge Frau, die weiß, was sie will.
…weil er mit neuen Branchen in Kontakt kommt…

Begründung I

Dies zeigt sich, als beide den Zug verlassen und sie es ist, die die Initiative ergreift.
So hat Paul Mayer seinen ersten Kontakt mit der Eventgastronomie über einen Auftrag seiner Zeitarbeitsfirma…

Beleg I. a

Kaum bleibt der Ich-Erzähler an einem Kiosk stehen, bietet ihm Sonja an, dass sie auf ihn warten könne (vgl. Z. 50). Dabei stellt er erstaunt fest, dass sie „[nicht fragt], sie [sagt] es einfach und […] ihre Stimme [ist] überhaupt nicht verlegen, sondern fest und ein wenig rau“ (Z. 51-52).

Beleg I. b

…weil so Lücken im Lebenslauf vermieden werden, die einen möglichen künftigen Arbeitgeber abschrecken könnten…

Begründung II

Auch die Szene im ICE interpretiert der Erzähler im Rückblick anders: Er stellt fest, dass Sonja bereits hier eine klare Taktik hat…
Beleg II. a So deutet er ihre verkrampfte Haltung nun anders: „[Sie zieht] die Schultern nach vorn, weil sie begonnen [hat] zu handeln“ (Z. 65-66).

Zitieren aus dem Originaltext

Vergleichen Sie das Verhalten der Eltern.

Bei Analysen und Interpretationen von Texten ist es unerlässlich, aus dem Primärtext zu zitieren. Je treffender Sie die Thesen einer Sprachanalyse oder einer Charakteristik durch Belege aus dem Text stützen, umso überzeugender wirken Ihre Ausführungen.

Die Belege entnimmt man dem Originaltext in Form von Zitaten (wörtliche Wiedergabe) oder Paraphrasen (sinngemäße Wiedergabe).

1. Wörtliches Zitieren

1. Wörtliche Zitate sind nur dann notwendig und sinnvoll, wenn damit wichtige Aussagen belegt werden und es auf den Wortlaut des Zitierten ankommt.

2. Wörtliche Zitate stehen immer in doppelten Anführungszeichen. (Im Deutschen wird das öffnende Anführungszeichen unten, das schließende Anführungszeichen oben gesetzt.)

3. Enthält der zitierte Text selbst bereits Anführungszeichen, werden diese als einfache Anführungszeichen übernommen.

4. Im Zitat muss der Sinn des Zitierten erhalten bleiben. Ohne Kennzeichnung darf in keinem Fall etwas weggelassen oder hinzugefügt werden.

5. Kürzungen müssen so gestaltet sein, dass der Sinn des Zitats – und damit auch seine Beweiskraft- erkennbar wird.

6. Wenn das Zitat eine syntaktische Einheit darstellt, steht davor ein Doppelpunkt.

7. Syntaktisch unvollständige Zitate müssen grammatikalisch korrekt in den eigenen Satz eingebaut werden.

8. Bei syntaktisch unvollständigen Zitaten werden Auslassungen zu Beginn und am Ende nicht kenntlich gemacht.

9. Auslassungen innerhalb des Zitats sind durch drei Punkte in eckigen Klammern zu kennzeichnen.

10. Einfügungen und Veränderungen sind in eckige Klammern zu setzen. (Als Veränderung gelten z. B. notwendige grammatikalische Anpassungen.)

11. Treffen Punkt, Frage- oder Ausrufezeichen mit Anführungszeichen zusammen, so stehen sie vor dem Schlusszeichen, wenn sie zum Zitat gehören, z.B.: Sie fragte: „Wie geht es dir?“.

Sie stehen nach dem Schlusszeichen, wenn sie zu dem übergeordneten Satz gehören, z.B.: Wer kennt das Theaterstück „Der Stellvertreter“?.

12. Wenn nach dem Zitat der übergeordnete Satz weitergeführt wird, setzt man ein Komma. Das Satzzeichen am Ende eines Zitats entfällt, mit Ausnahme des Frage- und Ausrufezeichens (z.B.: „Sie fahren sofort nach Hause!“, befahl er.).

13. Steht das Anfangswort eines zitierten Satzes durch die Verschmelzung mit dem eigenen Satz nicht mehr am Satzanfang, so ist es klein zu schreiben.

14. Die Fundstelle wird unmittelbar nach dem Zitat in runden Klammern angegeben.

15. Die Zeilenangaben müssen so gestaltet werden, dass sie nicht wie Orts- oder Zeitangaben auf der Inhaltsebene formuliert sind.

 

2. Sinngemäßes Zitieren (Paraphrasieren)

1. Beim sinngemäßen Zitieren (Paraphrasieren) darf der Inhalt des Originals in keinem Fall verfälscht werden.

2. Paraphrasen sind dann sinnvoll, wenn längere Textpassagen mit eigenen Worten zusammengefasst werden müssen oder wenn es nicht auf den genauen Wortlaut des Textes ankommt.

3. Paraphrasen stehen nicht in Anführungszeichen.

4. Die Paraphrase steht in der Regel im Konjunktiv.

5. Vor der Fundstelle in der runden Klammer steht „vgl.“.

 

3. Zitateinfügung

  • Zitateinbindung vorneweg:

„Das Wort tut den Privatsendern weh“ (Z. 28), schreibt der Autor metaphorisch und veranschaulicht damit, wie stark sich die Programmmacher durch die Diskussion belastet fühlen.

  • Zitateinbindung nachträglich:

Um dies zu verdeutlichen, bezeichnet er die Kündigung euphemistisch als „eine Art verlängerten Erholungsurlaub der verdienten Altersruhe“ (Z. 3).

  • Zitateinbindung als Unterbrechung:

Auch die Akkumulation „Arbeitslosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Bier am Nachmittag und leere Kassen“ (Z. 34), mit der Amend den Eindruck der absoluten Chancenlosigkeit der Bewohner dieses Stadtviertels erweckt, kann in diesem Zusammenhang genannt werden.

Lösungen

Das Verhalten der Eltern

Die Ängste der Ich-Erzählerin dürften durch die Trennung der Eltern ausgelöst worden sein. Das Kindergartenkind wohnte plötzlich alleine mit seinem Vater und sah die Mutter nur gelegentlich. Selbstverständlich versteht ein Kind in diesem Alter nicht, was genau es bedeutet, wenn die Eltern sich trennen. Die Erzählerin merkte nur, dass die Mutter nicht mehr bei ihnen wohnte. In dieser für ein kleines Kind sehr schwierigen Situation verhalten sich die beiden Elternteile sehr unterschiedlich gegenüber ihrer Tochter.

Der Vater, offenbar ein leidenschaftlicher Schriftsteller, übernimmt nach der Trennung von seiner Frau die Verantwortung für das gemeinsame Kind. Er kümmert sich intensiv um die Kleine und versucht ihr das Gefühl von Geborgenheit zu geben. Dies kommt schon allein dadurch zum Ausdruck, dass er seine Arbeit in der Waschküche, wo er seine eigenen Bücher druckt, unterbricht, um mit der soeben vom Kindergarten heimgekommenen Tochter gemeinsam ein Mittagessen zu kochen. Der Vater nimmt sich auch Zeit dafür, sein Kind ins Bett zu bringen, es mit Figuren, welche er „mit einer glühenden Zigarette ins Dunkel“ zeichnet, zu unterhalten und damit, dass er „heiße Milch und Honig“ ans Bett des Kindes bringt, auch für das leibliche Wohl sorgt. Erst danach widmet er sich wieder seiner Schriftstellerei. Die Tatsache, dass sich seine Bücher nicht verkaufen und er damit keinen Beitrag zum Unterhalt der Familie leisten kann, veranlassen den Vater dazu, seine Schriftstellerei einzuschränken und eine Stelle als Nachtfahrer anzunehmen. Dies tat er in dem Bestreben, für sich und seine Tochter wenigstens soviel zu verdienen, damit es dem Kind an nichts fehlt. Auch verhält sich der Vater sehr rücksichtsvoll, indem er versucht, möglichst leise das Haus zu verlassen („… wie Vater … leise die Wohnungstür hinter sich zuzog.“) und den Lieferwagen, mit dem er zur Arbeit fährt, eine Straßenecke weiter entfernt parkt um die Schlafende nicht zu stören. Von unterwegs aus weckt er die Tochter am Morgen sogar telefonisch, was zeigt, dass er auch während seiner Arbeit das Mädchen nicht vergisst.

Ganz anders dagegen verhält sich die Mutter gegenüber ihrer Tochter. Selbst an den Sonntagen, an denen das Kind bei ihr ist, ignoriert sie das Mädchen förmlich. Während das Kind mit allen Mitteln versucht, die Aufmerksamkeit der Mutter zu erlangen, lässt sich diese beim Zurechtmachen vor dem Spiegel nicht sonderlich stören und verschwindet sofort nach dem Eintreffen des Babysitters.

Jedoch scheint die Mutter mit ihrem Leben nicht sehr zufrieden zu sein, was sich daran bemerkbar macht, dass sie nachts im Bett „wimmert“. In diesem Moment sucht auch sie den Kontakt zu ihrer anwesenden Tochter, die sie zu sich ins Bett kommen lässt. Die Beziehung der Mutter zu ihrer Tochter erweckt fast den Eindruck einer bloßen Pflichterfüllung, wenn sie die Kleine „einmal in der Woche“ von der Schule abholt  und mit ihr „in die Stadt“ geht. Sie nützt ihre Tochter, die sich über den Ausflug mit der Mutter sehr freut, sogar aus, um mit Hilfe der kleinen Tochter die Verkäuferinnen in den Geschäften abzulenken, damit sie „einige Kleider in die große Schultertasche“ packen kann.

Als „Belohnung“ für die „Mithilfe“ bekommt das Kind „haufenweise Schokoladenkuchen“, und während sich das Mädchen darüber freut, dass die Mutter glücklich ist, freut sich diese über ihren gelungenen Beutezug. Die gestohlenen Kleidungsstücke präsentiert die Mutter zu Hause in kindlichem Stolz „mit dem erhobenen Kopf einer Königin“.

Nachdem sie sich „einige Wochen“ nicht um das Mädchen gekümmert hat, holt die Mutter das Kind wieder einmal von der Schule ab und fährt mit ihm, anders als sonst, aufs Land. Die Freude der Tochter über das Wiedererscheinen der Mutter und über den unerwarteten Ausflug aufs Land ignoriert die Mutter fast ebenso wie die aufkeimende Hoffnung des Mädchens („… ich ahnte, dass sie gleich etwas Wichtiges sagen würde.“) auf eine besondere Überraschung. Vielmehr kann sie es nicht erwarten, dem Kind von ihrer neuen großen Liebe zu erzählen und dem Mädchen ganz unvorbereitet zu offenbaren, dass sie „für immer“ weggeht. Dies zeigt zwar, dass die Mutter es schon als ihre Verpflichtung ansieht, ihrem Kind mitzuteilen, dass sie weggehen wird und sie sich wohl nicht mehr wieder sehen werden, die Art und Weise veranschaulicht aber den großen Egoismus der Frau und das mangelnde Verantwortungsgefühl gegenüber der eigenen Tochter, die sie ohne Weiteres im Stich lassen will.