Die Reform der Europäischen Union

Die Integration der EU-Staaten schreitet voran

Die Erweiterung der EU nach Ost- und Südeuropa wird in vielen Staaten der Gemeinschaft kritisch gesehen, die Zustimmung in der Bevölkerung zur Erweiterung geht zurück. In der EU befürworten inzwischen weniger als 50% die Erweiterung (in Deutschland nur etwa 35%) und auch in den Beitrittskandidatenländern wächst die Skepsis. Viele befürchteten hohe Kosten und Nachteile. Das schafft für die Regierungen auf allen Seiten erhebliche Legitimationsprobleme. Hinzu kommen Zweifel an der Funktionsfähigkeit einer Union mit 28 Mitgliedern. Deutliche Reformen bei den Institutionen, die eine effektivere Arbeitsweise ermöglichen sollen, erscheinen unverzichtbar. Die Anläufe zu einer neuen und angepassten Verfassung, die auch einfache Mehrheitsentscheidungen ermöglicht, sind nach den ablehnenden Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden 2005 gescheitert. Zu viele Fragen können in der größeren Union vom Rat nicht mehr einstimmig entschieden werden. Und für eine Kommission mit 28 Mitgliedern ist eine sachgerechte Verteilung der Aufgaben nahezu unmöglich. Die EU ist in den Augen der Öffentlichkeit und der Medien vor dem Hintergrund dieser komplizierten Abläufe eine weitgehend technokratische und demokratisch schwach kontrollierte Organisation.

Deutschland machte die Fortentwicklung der Verfassung zu einem Schwerpunktthema seiner Außenpolitik. Ein hauptamtlicher EU-Präsident und eine Ausweitung der Mehrheitsbeschlüsse in der EU sollten dafür sorgen, dass die Union schneller und effizienter zu Entscheidungen gelangt. Im Kern geht es dabei um die alte Debatte der europäischen Einigung, ob die Union eher ein Bundesstaat oder eine Union von Staaten werden soll. Zur Diskussion steht dabei, inwieweit die Mitgliedstaaten betreffende Entscheidungen „von Brüssel“ getroffen werden sollen und in welchem Umfang die einzelnen Mitgliedstaaten letztlich ihre Entscheidungsbefugnis behalten sollen. Auf einem EU-Gipfel im Juni 2007 erzielte die deutsche Präsidentschaft unter Bundeskanzlerin Merkel einen Durchbruch. Die Änderungen, auf die man sich hier einigte, tragen zwar nicht mehr den Begriff Verfassung, aber der neue EU-Grundlagenvertrag hat weitreichende Konsequenzen, die die Handlungsfähigkeit der EU sicherstellen wird.

Unter der Ratspräsidentschaft von Portugal wurde dann Ende 2007 dieser neue Grundlagenvertrag der EU in Lissabon unterzeichnet. Als „Vertrag von Lissabon“ ging er als ein Meilenstein in der Geschichte der EU ein. Dieser Vertrag sollte die Handlungsfähigkeit der Gemeinschaft nach innen und außen stärken.

Die Bedingung dafür, dass der Vertrag von Lissabon in Kraft treten konnte, war die Zustimmung aller EU-Mitgliedsstaaten. Nach einem Nein der Iren zum Vertrag im Juni 2008, lag der Vertrag vorläufig auf Eis. Nach einer neuen Abstimmung in Irland und der Zustimmung von Polen und Tschechien konnte der Vertrag Ende 2009 in Kraft treten. Die Neuerungen in der EU, die der Vertrag von Lissabon mit sich brachte, sehen Sie in der folgenden Grafik.

Der Vertrag von Lissabon: Die Reform der Europäischen Union

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Einen ganz neuen Impuls für sehr weitreichende Reformen in der EU hat die Finanz- und Schuldenkrise mit sich gebracht. Nur Krisenzeiten, das zeigt die Geschichte der EU, sind Reformzeiten; die Europäische Union hat das in den vergangenen 60 Jahren oft bewiesen. Sind die Krisen ausgestanden, erlahmt schnell jede Veränderungsbereitschaft. Wohl aus diesem Grund hat der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble eine sehr weitreichende Reform der EU im Herbst 2012 auf dem Höhepunkt der Schuldenkrise in der EU vorgeschlagen. Mit diesem Reformvorschlag sollen die Ursachen der Schuldenkrise bekämpft werden. Schäubles Plan für die neue Euro-Zone geht sehr weit. In Gestalt eines Währungskommissars bekäme sie einen mächtigen Wächter. Dieser dürfte zwar nicht einzelne Haushaltsposten streichen, wohl aber den nationalen Parlamenten die Budgets außer Kraft setzen, wenn sie die EU-Regeln nicht erfüllen. Die Etatverantwortung bliebe zwar bei den Parlamenten, nur wäre der EU-Kommissar künftig der oberste Kontrolleur.