Gleichmäßig beschleunigte Bewegung
Einführung
Bei einem Autorennen auf einer kurvenreichen Strecke, bei der die Fahrer vor den Kurven ihre Geschwindigkeit stark drosseln müssen, spielt die Höchstgeschwindigkeit der Fahrzeuge nur eine untergeordnete Rolle. Wichtig ist vielmehr, wie schnell die Rennautos ihre Geschwindigkeit nach den Kurven steigern können. Eine Bewegung, bei der sich die Geschwindigkeit verändert, bezeichnet man als beschleunigte Bewegung.
In diesem Kapitel sollen beschleunigte Bewegungen untersucht werden, bei denen eine konstante Kraft die Geschwindigkeitsänderung bewirkt.
Versuch 1: Zurückgelegter Weg bei gleichmäßiger Beschleunigung
Ein kleines Gewichtststück G ist an einem Faden befestigt und über eine Umlenkrolle mit einem Luftkissengleiter verbunden. Durch die konstante Gewichtskraft von G wird die Geschwindigkeit des Luftkissengleiters beständig erhöht. Der Zeitmarkengeber wird in dem Moment aktiviert, in dem der Haltemagnet über den Schalter S ausgeschaltet wird. Die erste Brandspur entsteht so zum Zeitpunkt t = 0. Anschließend wird durch Spannungsstöße alle 0,20 s ein Punkt auf dem Thermopapier erzeugt. Erreicht das Gewichtsstück G den Boden, wird der Zeitmarkengeber abgeschaltet, da die Bewegung ab dann gleichförmig verläuft.
Versuchsdurchführung
Versuchsauswertung
Um aus den Messwerten eine Vorstellung von der Beziehung zwischen dem Ort s des Gleiters und dem zugehörigen Zeitpunkt t zu erhalten, werden sie in ein t-s-Koordinatensystem übernommen. Mit einem Lineal wird jeweils der Ort s gemessen und in eine Tabelle eingetragen:
Anschließend werden die Punkte in ein Koordinatensystem übernommen, und die Kurve wird wieder so gelegt, dass die Messpunkte zu beiden Seiten der Kurve einen möglichst kleinen Abstand von ihr besitzen. Der gezeichnete Graph scheint eine Parabel zu sein. Daher vermuten wir folgende Beziehung:
\( s=k \cdot t^2\) mit dem konstanten Vorfaktor \(k\).
Der Wert von k lässt sich bestimmen aus:
\(k=\frac{s}{t^2}\)
Soll unsere Vermutung stimmen, muss der Quotient \(\frac{s}{t^2}\) für alle gemessenen Wertepaare denselben Wert besitzen. Zur Überprüfung werden für alle Wertepaare die Quotienten \(\frac{s}{t^2}\) berechnet und in die Tabelle eingetragen.
Im Rahmen der Messgenauigkeit kann dieser Quotient als konstant betrachtet werden. Als Mittelwert ergibt sich: \( k=0{,}143\frac{m}{s^2}\)
Beachte: Die tatsächliche Formel für die zurückgelegte Strecke bei einer beschleunigten Bewegung ist:
\(s(t)=\frac{1}{2}a\cdot t^2\).
Die im Versuch gewonnene Konstante \(k\) ist also genau die Hälfte der in der Physik häufig verwendeten Größe Beschleunigung \(a\) (engl.: acceleration).
Graphische Auswertung im Abitur
Im Abitur wird erwartet, dass man die Abhängigkeit zweier Größen graphisch untersuchen kann.
Im obigen Versuch sind es die beiden Größen Ort \(s\) und Zeit \(t\). Wir untersuchen nun die Abhängigkeit des Fahrbahngleiter-Ortes von der Zeit (Je nach Zeitpunkt \(t\) befindet sich der Fahrbahngleiter an einem anderen Ort \(s\)). Mit dieser Formulierung wird deutlich, dass der Ort \(s\) an die \(y\)-Achse (abhängige Größe) und die Zeit \(t\) an die \(x\)-Achse (unabhängige Größe) gesetzt werden soll.
Wird der Graph wie eben beschrieben gezeichnet, so erhält man die oben dargestellte Parabel. Dies ist für eine einfache Auswertung nicht sinnvoll. Es ist im Abitur vorzuziehen, dass die Abhängigkeit zweier Größen als Gerade dargestellt wird. Anders gesagt: Kann man die Beziehung zweier Größen mathematisch als Gerade darstellen, so hat man die Abhängigkeit dieser beiden Größen voneinander gezeigt.
Dies geschieht durch einen Vergleich \(y\rightarrow s\) und \(x\rightarrow t^2\):
Geradengleichung (Mathematik): \(y = k \cdot x\)
Aus dem Versuch (Physik): \(s = k \cdot t^2\)
Durch Vergleichen der beiden Zeilen ist einsichtig, dass der Ort \(s\) an die Hoch-Achse und das Quadrat der Zeit \(t^2\) an die waagrechte Achse geschrieben werden muss.
Anschließend wird die Zeile für \(t^2\) in die Tabelle eingefügt:

Diese Punkte werden nun in das neue Koordinatensystem eingetragen und die entstehende Gerade ausgewertet:

Versuch 2: Messung der Beschleunigung durch Momentangeschwindigkeiten
In diesem Versuch soll untersucht werden, welche Geschwindigkeit \(v\) der Luftkissengleiter nach einer bestimmten Fahrzeit \(t\) besitzt.
Im Kapitel über die gleichförmige geradlinige Bewegung haben wir die Geschwindigkeit definiert als Quotient aus \(\Delta s\) und \(\Delta t\). In der Tabelle von Versuch 1 können wir ablesen, dass der Luftkissengleiter für das Erreichen des Ortes \(s = 0{,}143 \;m\) die Fahrzeit 1,00 s benötigte. Berechnen wir nun die Geschwindigkeit des Gleiters, erhalten wir \(v = \frac{0{,}143\; m}{1{,}00\; s} = 0{,}143\frac{m}{s}\). Besitzt der Luftkissengleiter tatsächlich während der gesamten ersten Sekunde seiner Fahrt die Geschwindigkeit 0,143 m/s? Das ist offensichtlich nicht der Fall. Wie wir schon in unseren Überlegungen zu Versuch 1 herausgefunden haben, steigert der Gleiter während der Fahrt seine Geschwindigkeit. Bei unserer Berechnung tun wir so, als ob der Luftkissengleiter eine konstante Geschwindigkeit eingehalten hätte. Die erhaltene Geschwindigkeit entspricht damit der Geschwindigkeit, die der Luftkissengleiter benötigen würde, wenn er den Ort \(s = 0{,}143 \;m\) in 1,00 s bei gleichförmiger Fahrt erreichen sollte. Man bezeichnet diese Geschwindigkeit als Durchschnittsgeschwindigkeit oder mittlere Geschwindigkeit. Sprechen wir nun aber von der Geschwindigkeit des Luftkissengleiters nach einer bestimmten Fahrzeit (zu einem bestimmten Zeitpunkt, nicht in einem Zeitintervall), dann meinen wir die sogenannte Momentangeschwindigkeit. Die Momentangeschwindigkeit kann näherungsweise aus der Durchschnittsgeschwindigkeit gewonnen werden. Man wählt einfach das Zeitintervall \(\Delta t\) sehr klein, der Gleiter kann seine Geschwindigkeit dann kaum noch ändern. Momentangeschwindigkeit und Durchschnittsgeschwindigkeit stimmen um so besser überein, je kleiner das Zeitintervall \(\Delta t\) gewählt wird. Man lässt \(\Delta t\) gegen Null gehen. Mathematisch formuliert man diesen Zusammenhang, indem man von einem Grenzwert (limes; lat.: Grenze) spricht.
Die Momentangeschwindigkeit ist definiert als der Grenzwert aus \(\frac{\Delta s}{\Delta t}\) für \(\Delta t\rightarrow 0\).
Definitonen:
Unter der Durchschnittsgeschwindigkeit versteht man den Quotient aus zurückgelegtem Weg \(\Delta s\) und der dazu benötigten Zeit \(\Delta t\):
\(\bar{v}=\frac{\Delta s}{\Delta t}\) bzw. \(\bar{v}=\frac{s_2 – s_1}{t_2 – t_1}\)
Unter der Momentangeschwindigkeit versteht man den Grenzwert aus dem Quotienten \(\frac{\Delta s}{\Delta t}\) für \(\Delta t\rightarrow 0\):
\(v=\lim\limits_{\Delta t \to 0}\frac{\Delta s}{\Delta t}\)
Messung der Momentangeschwindigkeit
Für die Messung der Momentangeschwindigkeit wird in der Mitte des Luftkissengleiters ein schmaler vertikaler Streifen der Breite \(\Delta s =1{,}00\;cm\) befestigt. Er unterbricht während der Fahrt einen Lichtstrahl und erzeugt so eine „Dunkelzeit“ \(\Delta t\). Die Momentangeschwindigkeit ergibt sich somit näherungsweise, aber doch recht genau, aus \(\frac{\Delta s}{\Delta t}\).
Versuchsbeschreibung
Gleiter und Gewichtsstück sind die gleichen wie in Versuch 1. Mit Lichtschranken wird die Geschwindigkeit des Gleiters zu den Zeitpunkten 0,50 s, 1,00 s, 1,50 s, 2,00 s und 2,50 s gemessen. Die Orte, an denen die Lichtschranken zu befestigen sind, werden mit der Gleichung \(s = 0{,}143 \frac{m}{s^2} \cdot t_2\) aus Versuch 1 berechnet. Kurzzeitmesser erfassen die Dunkelzeit, die ein 1,00 cm schmaler Streifen erzeugt.
Versuchsdurchführung
Versuchsauswertung
Aus den Dunkelzeiten werden die Momentangeschwindigkeiten nach der Gleichung \(v = \frac{\Delta s}{\Delta t} = \frac{1,00\; cm}{\Delta t} \)berechnet und in ein t-v-Diagramm übernommen.
Beim gezeichneten Graphen handelt es sich offensichtlich um eine Ursprungsgerade. Bei n-facher Fahrzeit \(t\) besitzt der Gleiter die n-fache Geschwindigkeit. Die Geschwindigkeit \(v\) ist also proportional zur Fahrzeit \( t (v \sim t )\). Es lässt sich folgende Beziehung angeben:
\( v=k \cdot t \) wobei k eine Konstante (konstante Steigung) ist.
Der Wert von \( k \) läßt sich bestimmen aus:
\( k=\frac{v}{t}\)
Wie die Berechnung der einzelnen Wertepaare in der Tabelle zeigt, ist dieser Quotient im Rahmen der Messgenauigkeit tatsächlich konstant. Als Mittelwert ergibt sich: \( k \approx 0{,}29 \frac{m}{s^2}\), welche jetzt auch der tatsächlichen Beschleunigung \( a = 0{,}29 \frac{m}{s^2}\) entspricht.
Versuchsergebnis
Bei einer beschleunigten Bewegung, bei der eine konstante Kraft die Geschwindigkeitsänderung bewirkt, ist der Quotient aus der Geschwindigkeit \(v\) und der Fahrzeit \(t\) konstant \( (v \sim t) \). Es gilt die Gleichung:
\(v=k \cdot t = a \cdot t\)
Gesamtergebnis aus Versuch 1 und Versuch 2:
Die in Versuch 2 gewonnene Konstante \(k\) gibt die Geschwindigkeitszunahme je Sekunde an und wird als Beschleunigung \(a\) (acceleration) bezeichnet. Die Einheit ist:
\( [a]=1 \frac{\frac{m}{s}}{s}=1 \frac{m}{s^2} \)
Beispiel: Auf der Erde besitzt man nach einer Sekunde Fallzeit mit der Beschleunigung \(g=9{,}81\frac{m}{s^2}\) genau den Geschwindigkeitsbetrag \(9{,}81 \frac{m}{s}\), wenn man die Luftreibung vernachlässigt.
Merke: Die Änderungsrate der Geschwindigkeit nennt man Beschleunigung und wird durch die Steigung im t-v-Diagramm repräsentiert:

Bewirkt eine konstante Kraft die Geschwindigkeitsänderung, wie das bei unseren Versuchen der Fall war, dann ist die Beschleunigung konstant. Bewegungen mit konstanter Beschleunigung bezeichnet man als gleichmäßig beschleunigte Bewegungen.
Definition:
Unter der konstanten Beschleunigung \(a\) versteht man den Quotienten aus der Geschwindigkeitsänderung \( \Delta v\) und der dazu benötigten Zeitspanne \( \Delta t\):
\( a=\frac{\Delta v}{\Delta t} \)
Mit der neu eingeführten Größe der Beschleunigung kann die Gleichung \( v = k \cdot t\) folgendermaßen formuliert werden:
1.) \( \boxed{v=a \cdot t} \;\;\;\;\; Geschwindigkeits-Zeit-Gesetz\)
Und weiterhin gilt für die den zurückgelegten Weg in derselben Zeit t:
2.) \( \boxed{s=\frac{1}{2} \cdot a \cdot t^2} \;\;\;\;\; Orts-Zeit-Gesetz \)
Aus den beiden obigen Gleichungen kann \(t\) eliminiert werden:
\(t=\frac{v}{a}\) einsetzen in 2.) ergibt \(s=\frac{1}{2}\cdot a \cdot \left( \frac{v}{a} \right)^2 \)
Man erhält so eine Gleichung, die die Beziehung zwischen der Geschwindigkeit v und dem Ort s zeitunabhängig wiedergibt:
3.) \( \boxed{v^2=2 \cdot a \cdot s \;\;\; bzw. \;\;\; v=\sqrt{2 \cdot a \cdot s}} \;\;\;\;\; Geschwindigkeits-Orts-Gesetz \)
Die Gleichungen 1.) bis 3.) werden in der Physik als Bewegungsgleichungen für die Bewegung mit konstanter Beschleunigung bezeichnet. Es ist wichtig zu beachten, dass die Gleichungen nur unter der Bedingung gelten, dass der Körper zum Zeitpunkt \(t_0= 0\) die Geschwindigkeit \(v_0=0\) besitzt und sich am Ort \(s_0 = 0\) befindet (\(v_0 = 0; s_0 = 0\)), so wie das bei unseren Versuchen der Fall war.
Wichtig: An späterer Stelle, wenn diese Bedingungen nicht mehr gelten, werden wir die Gleichungen ergänzen.