Linearkombinationen und lineare Abhängigkeit von Pfeilvektoren
Im letzten Kapitel haben wir gesehen, dass es gelingt, mehrere Pfeilvektoren zu einem einzigen Pfeilvektor zusammenzufassen, und zwar mithilfe der Pfeilvektor-Addition, der Pfeilvektorsubtraktion und der Skalar-Vektor-Multiplikation.
Die Idee, nun umgekehrt zu untersuchen, ob und auf welche Weise sich ein Pfeilvektor aus anderen Pfeilvektoren zusammensetzen lässt, hat verschiedenen Gründe.
- Zum Beispiel möchte man mit möglichst wenigen Pfeilvektoren auskommen, um mit ihnen sämtliche anderen Pfeilvektoren darzustellen. Wie das funktioiert und warum das äußerst wertvoll sein kann, zeigt sich in diesem Kapitel.
- Wenn zu beobachten ist, dass ein Objekt schneller oder langsamer wird, dann bezeichnen die Physiker die Ursache dafür als „Kraft“. Wenn tatsächlich verschiedenene Kräfte gleichzeitig an einem Objekt (am selben Punkt) angreifen, dann ist trotzdem „nur“ das Zusammenwirken aller dieser angreifenden Kräfte zu beobachten. Den beobachtbaren Effekt dieses Zusammenwirkens bezeichnet man in der Physik als „resultierende Kraft“. Natürlich möchte man aber auch wissen, aus welchen angreifenden Kräften sich diese resultierende Kraft zusammensetzt.
\(\require{color}\definecolor{energy}{RGB}{114,0,172}\newcommand{\R}{{\rm I\!R}} \newcommand{\vvv}[3]{\left(\begin{array}{c} {#1}\\[-1em]{#2}\\[-1em]{#3} \end {array}\right) }\newcommand{\vv}[2]{\left(\begin{array}{c} {#1}\\[-1em] {#2} \end {array}\right) }\renewcommand{\vec}[2][black]{{\color{#1}{\overrightarrow{#2}}}}\newcommand{\MMM}[3]{\left(\begin{array}{rrr|r} #1\\ #2\\ #3\end{array}\right)}\)
Linearkombinationen von Pfeilvektoren
Interaktive Untersuchung zur Eindeutigkeit
Im nebenstehenden Geogebra-Applet sollen Sie untersuchen, unter welchen Umständen sich ein Vektor \(\vec[blue]{u}\) als Linearkombination der Vektoren \(\vec[green]{v_1}\), \(\vec[green]{v_2}\) und evtl. \(\vec[green]{v_3}\)
- jeweils auf nur eine einzige Weise
- oder aber auf verschiedene Weisen
darstellen lässt. Lassen Sie sich dazu auch die Lösung, die Vektorkette und die Beschriftung anzeigen, außerdem evtl. die Hilfslinien.
Setzen Sie nun das Häkchen im Auswahlkästchen „änderbar“, so dass Sie die Vektoren \(\vec[blue]{u}\), \(\vec[green]{v_1}\), \(\vec[green]{v_2}\) (und \(\vec[green]{v_3}\) ) verändern können. Versuchen Sie herauszufinden, unter welchen Umständen \(\vec[blue]{u}\) sich nicht mehr als Linearkombination von \(\vec[green]{v_1}\), \(\vec[green]{v_2}\) (und \(\vec[green]{v_3}\) ) darstellen lässt.
Aufgaben zur Ermittlung von Linearkombinationen
Aufgabe 1
Im nachfolgenden Geogebra-Applet sollen Sie versuchen, eine Darstellung eines Vektors \(\vec{c}\) als Linearkombination der Vektoren \(\vec{a}\) und \(\vec{b}\) zu finden, sofern möglich.
Es kann sein, dass es
- gar keine Möglichkeit,
- genau eine Möglichkeit, oder
- unendlich viele Möglichkeiten
gibt.
Hinweis:
Das für die Lösung benötigte Gleichungssystem können Sie im Geogebra-Applet, das sich rechts neben der Aufgabe befindet, mithilfe des Gauß-Verfahrens umformen, bis Sie die Lösung erkennen.
Es wird automatisch an die Aufgabe angepasst.
Aufgabe 2
Im nachfolgenden Geogebra-Applet sollen Sie versuchen, eine Darstellung eines Vektors \(\vec{d}\) als Linearkombination der Vektoren \(\vec{a}\), \(\vec{b}\) und \(\vec{c}\) zu finden, sofern möglich.
Es kann sein, dass es
- gar keine Möglichkeit,
- genau eine Möglichkeit, oder
- unendlich viele Möglichkeiten
gibt.
Hinweis:
Das für die Lösung benötigte Gleichungssystem können Sie im Geogebra-Applet, das sich rechts neben der Aufgabe befindet, mithilfe des Gauß-Verfahrens umformen, bis Sie die Lösung erkennen.
Es wird automatisch an die Aufgabe angepasst.
Vektoren, die voneinander abhängen
Lässt sich ein Vektor \(\vec[blue]{u}\) durch andere Vektoren \(\vec{v_1}, …, \vec{v_n}\) darstellen, sokann man diesen Zusammenhang zwischen \(\vec[blue]{u}\) und \(\vec{v_1}, …, \vec{v_n}\) auch dadurch beschreiben, dass man sagt: “ \(\vec[blue]{u}\) hängt von \(\vec{v_1}, …, \vec{v_n}\) ab.“
Beispiel 1:
Gilt für 2 Vektoren \(\vec[blue]{u}\) und \(\vec[green]{a}\) der Zusammenhang \(\vec[blue]{u} = k\cdot\vec[green]{a}\), so kann man folgern:
- \(\vec[blue]{u}\) hängt von \(\vec[green]{a}\) ab.
- \(\vec[blue]{u}\) ist ein Vielfaches von \(\vec[green]{a}\).
- \(\vec[blue]{u}\) und \(\vec[green]{a}\) sind parallel.
\(\ \)
Beispiel 2:
Gilt für 3 Vektoren \(\vec[blue]{u}\), \(\vec[green]{a}\) und \(\vec[green]{b}\) der Zusammenhang \(\vec[blue]{u} = k_1\cdot\vec[green]{a} + k_2\cdot\vec[green]{b}\), so kann man folgern:
- \(\vec[blue]{u}\) hängt von \(\vec[green]{a}\) oder \(\vec[green]{b}\) oder von beiden ab.
- \(\vec[blue]{u}\) ist eine Linearkombination von \(\vec[green]{a}\) und \(\vec[green]{b}\).
- \(\vec[blue]{u}\), \(\vec[green]{a}\) und \(\vec[green]{b}\) sind entweder parallel oder zumindest parallel zu einer gemeinsamen Ebene.
Aufgabe zu Beispiel 1 und Beispiel 2
Versuchen Sie, im nachfolgenden Geogebra-Applet die beiden nebenstehenden Beispiele graphisch nachzuverfolgen.
Aufgabe (Beispiel zur Abhängigkeit von 2-dimensionalen Vektoren)
Gegeben sind die Vektoren \(\vec[blue]{u}\!=\!\vv{-3}{6}\), \(\vec[green]{a}\!=\!\vv{2}{-4}\) und \(\vec[green]{b}\!=\!\vv{1}{-1}\).
a) Geben Sie den Vektor \(\vec[blue]{u}\) als Linearkombination von \(\vec[green]{a}\) und \(\vec[green]{b}\) an.
b) Nehmen Sie außerdem Stellung zu den folgenden beiden Aussagen.
- Aussage 1: “ \(\vec[blue]{u}\) hängt von \(\vec[green]{a}\) und \(\vec[green]{b}\) ab.“
- Aussage 2: “ \(\vec[green]{b}\) hängt von \(\vec[green]{a}\) und \(\vec[blue]{u}\) ab.“
Lineare Abhängigkeit bzw. Unabhängigkeit einer Menge von Vektoren
Beispiel: \(\vec[blue]{u}\!=\!\vv{-3}{6}\), \(\vec[green]{a}\!=\!\vv{2}{-4}\), \(\vec[green]{b}\!=\!\vv{1}{-1}\).
Die Menge \(M=\{\vec[blue]{u}, \vec[green]{a}, \vec[green]{b}\}\) ist linear abhängig, weil sich \(\vec[blue]{u}\) in der Form \(\vec[blue]{u}= -1{,}5\cdot\vec[green]{a}+0\cdot\vec[green]{b}\) darstellen lässt .
Beispiel: \(\vec{v_1}\!=\!\vvv{1}{0}{0}\), \(\vec{v_2}\!=\!\vvv{0}{1}{0}\), \(\vec{v_3}\!=\!\vvv{0}{0}{1}\).
Die Menge \(M=\{\vec{v_1}, \vec{v_2}, \vec{v_3}\}\) ist linear unabhängig, weil es unmöglich ist, jeweils 2 Vektoren aus dieser Menge so linear zu kombinieren, dass der verbleibende Vektor damit dargestellt werden kann.
Untersuchung einer Menge von Vektoren auf lineare Abhängigkeit bzw. Unabhängigkeit
Um zu untersuchen, ob eine Menge \(M=\{\vec{a}, \vec{b}, \vec{c}\}\) von Vektoren linear abhängig ist, müsste man wenigstens einen Vektor aus \(M\) finden, der sich durch die anderen Vektoren aus \(M\) darstellen lässt.
Da sich in \(M\) trotzdem Vektoren befinden können, die sich NICHT durch die anderen Vektoren aus \(M\) darstellen lassen, ist es naheliegend zu vermuten, dass man alle Variationsmöglichkeiten testen muss:
1) Gibt es Werte \(k_1\), \(k_2\), so dass \(\vec{a} = k_1\cdot\vec{b} + k_2\cdot\vec{c}\) ?
2) Gibt es Werte \(k_3\), \(k_4\), so dass \(\vec{b} = k_3\cdot\vec{a} + k_4\cdot\vec{c}\) ?
3) Gibt es Werte \(k_5\), \(k_6\), so dass \(\vec{c} = k_5\cdot\vec{a} + k_6\cdot\vec{b}\) ?
Muss man jedesmal alle diese Untersuchungen durchführen?
Trick: „Eine für alle“
Tatsächlich gibt es einen einfachen Trick, mit dem wir alle 3 Untersuchungen auf einmal durchführen können.
Eine clevere Überlegung (siehe rechts) zeigt, dass jede der 3 obigen Gleichungen durch diese einzige Gleichung abgedeckt ist:
\(\ell_1\cdot\vec{a} + \ell_2\cdot\vec{b} + \ell_3\cdot\vec{c} = \vec{0}\)
Dahinter steckt diese clevere Überlegung:
Man subtrahiert bei jeder der Gleichungen jeweils auf beiden Seiten den Vektor, der links vom Gleichheitszeichen steht, so dass auf der linken Seite jeweils nur noch der Nullvektor \(\vec{0}\) stehen bleibt.
Diese Gleichung stellt man als lineares Gleichungssystem mit den Variablen \(\ell_1\), \(\ell_2\) und \(\ell_3\) dar und ermittelt dessen Lösungsmenge (z.B. mithilfe des Gauß-Verfahrens).
Das Praktische darin ist, dass es für die Art der Lösungsmenge nur 2 unterschiedliche Möglichkeiten gibt. Und die sind entscheidend dafür, ob die Menge \(M=\{\vec{a}, \vec{b}, \vec{c}\}\) linear abhängig ist oder nicht.
Möglichkeit 1 (unendlich viele Lösungen)
Der Ansatz \(\ell_1\cdot\vec{a} + \ell_2\cdot\vec{b} + \ell_3\cdot\vec{c} = \vec{0}\) führt bei dieser Möglichkeit zu einem Gleichungssystem, für das man unendlich viele Lösungen findet.
Folglich gibt es dann auch eine Lösung, bei der wenigstens eine der drei Variablen \(\ell_1\), \(\ell_2\) oder \(\ell_3\) nicht Null ist.
Ist z.B. \(\ell_2\neq 0\), so kann man die Vektorgleichung nach \(\vec{b}\) auflösen:
\(\phantom{\Rightarrow\quad\ }\ell_1\!\cdot\!\vec{a} + \ell_2\!\cdot\!\vec{b} + \ell_3\!\cdot\!\vec{c} = \vec{0}\)
\(\Rightarrow\quad\ell_2\!\cdot\!\vec{b} = -\ell_1\!\cdot\!\vec{a}\ -\ \ell_3\!\cdot\!\vec{c}\)
\(\Rightarrow\quad\vec{b} = -\frac{\ell_1}{\ell_2}\!\cdot\!\vec{a}\ -\ \frac{\ell_3}{\ell_2}\!\cdot\!\vec{c} \)
Also hätten wir einen Vektor in \(M=\{\vec{a}, \vec{b}, \vec{c}\}\) gefunden, der sich durch die anderen Vektoren aus \(M\) darstellen lässt.
Folglich haben wir in diesem Fall nachgewiesen, dass \(M\) linear abhängig ist.
Beispiel zu Möglichkeit 1
\(\vec{a}=\vvv{-3}{4}{6}\), \(\vec{b}=\vvv{4}{-2}{-5}\), \(\vec{c}=\vvv{7}{4}{-2}\)
Lösungsansatz: \(\ell_1\!\cdot\!\vec{a} + \ell_2\!\cdot\!\vec{b} + \ell_3\!\cdot\!\vec{c} = \vec{0}\)
\(\Rightarrow\quad\ell_1\!\cdot\!\vvv{-3}{4}{6} + \ell_2\!\cdot\!\vvv{4}{-2}{-5} + \ell_3\!\cdot\!\vvv{7}{4}{-2} = \vvv{0}{0}{0}\)
Diese Vektorgleichung lässt sich auch als lineares Gleichungssystem darstellen:
\(\begin{array}{rrrrl}\text{I)} & -3x &\!\!{+}\,4y &\!\!{+}\,7z & \!\!=0 \\ \text{II)} & 4x &\!\!{-}\,2y &\!\!{+}\,4z & \!\!=0 \\ \text{III)} & 6x &\!\!{-}\,5y &\!\!{-}\,2z & \!\!=0 \\ \end{array}\)
Da am Ende der Umformungen weniger Gleichungen als Variablen übrigbleiben, besitzt das Gleichungssystem unendlich viele Lösungen. Diese Erkenntnis genügt, um zu folgern, dass die Vektoren linear abhängig sind.
Möglichkeit 2 (nur eine einzige Lösung)
Wenn Möglichkeit 1 nicht vorliegt, dann führt der Ansatz \(\ell_1\cdot\vec{a} + \ell_2\cdot\vec{b} + \ell_3\cdot\vec{c} = \vec{0}\) zu einem Gleichungssystem, für das man nur eine einzige Lösung findet, und zwar \(\ell_1=0\), \(\ell_2=0\) und \(\ell_3=0\) (die sog. „triviale Lösung„).
Das heißt, die einzige Möglichkeit, den Nullvektor \(\vec{0}\) als Linearkombination der Vektoren \(\vec{a}\), \(\vec{b}\) oder \(\vec{c}\) dazustellen, ist diese: \(0\!\cdot\!\vec{a} + 0\!\cdot\!\vec{b} + 0\!\cdot\!\vec{c} = \vec{0}\) (die sog. „triviale Linearkombination„).
Die Gleichung \(0\!\cdot\!\vec{a} + 0\!\cdot\!\vec{b} + 0\!\cdot\!\vec{c} = \vec{0}\) lässt sich offensichtlich nicht mehr so umstellen, dass einer der Vektoren \(\vec{a}\), \(\vec{b}\) oder \(\vec{c}\) alleine auf einer Seite steht.
Also lässt sich keiner der Vektoren aus \(M=\{\vec{a}, \vec{b}, \vec{c}\}\) durch die anderen Vektoren aus \(M\) darstellen.
Die Menge \(M\) ist folglich NICHT linear abhängig.
Vielleicht etwas verständlicher ist die Formulierung:
Die Menge \(M\) ist linear unabhängig.
Beispiel zu Möglichkeit 2
\(\vec{a}=\vvv{3}{-2}{5}\), \(\vec{b}=\vvv{-2}{2}{1}\), \(\vec{c}=\vvv{4}{7}{-2}\)
Lösungsansatz: \(\ell_1\!\cdot\!\vec{a} + \ell_2\!\cdot\!\vec{b} + \ell_3\!\cdot\!\vec{c} = \vec{0}\)
\(\Rightarrow\quad\ell_1\!\cdot\!\vvv{3}{-2}{5} + \ell_2\!\cdot\!\vvv{-2}{2}{1} + \ell_3\!\cdot\!\vvv{4}{7}{-2} = \vvv{0}{0}{0}\)
Diese Vektorgleichung lässt sich auch als lineares Gleichungssystem darstellen:
\(\begin{array}{rrrrl}\text{I)} & 3x &\!\!{-}\,2y &\!\!{+}\,4z & \!\!=0 \\ \text{II)} & -2x &\!\!{+}\,2y &\!\!{+}\,z & \!\!=0 \\ \text{III)} & 5x &\!\!{+}\,y &\!\!{-}\,2z & \!\!=0 \\ \end{array}\)
Da am Ende der Umformungen genauso viele Gleichungen wie Variablen übrigbleiben, besitzt das Gleichungssystem genau eine Lösung. Diese Erkenntnis genügt, um zu folgern, dass die Vektoren linear unabhängig sind.
Zusammenfassung:
Aufgabe zur Untersuchung auf lineare Abhängigkeit und lineare Unabhängigkeit
Im nachfolgenden Geogebra-Applet sollen Sie jeweils herausfinden, ob die Vektoren \(\vec{a}\), \(\vec{b}\) und \(\vec{c}\) linear abhängig oder linear unabhängig sind.