Volksentscheide

Volksabstimmungen auf Bundesebene

Was auf Landes- und Kommunalebene durch Volksentscheid und der Bürgerentscheid eingeführte Formen der direkten politischen Mitwirkung der Bürger sind, konnte sich auf der Bundesebene bisher nicht durchsetzen. Dort zeigt sich die politische Ordnung streng repräsentativ orientiert. Das Grundgesetz sieht nur in sehr wenigen, eng begrenzten Ausnahmefällen, z.B. bei der Neugliederung des Bundesgebiets (Artikel 29 GG), einen Volksentscheid vor. Hintergrund ist vor allem die negative historische Erfahrung mit plebiszitären Elementen aus der Weimarer Zeit. Die Befürchtungen gehen in die Richtung, dass man durch Volksentscheide auf Bundesebene populistische Entscheidungen herbeiführen könnte, die zentrale Grundwerte unserer Verfassung aushöhlen würden (Beispiel: Todesstrafe).

In jüngster Zeit hat es allerdings auch neue Initiativen gegeben, Volksentscheide auf Bundesebene einzuführen. Die aktuelle parteipolitische Auseinandersetzung um diese Initiative der rot-grünen Bundesregierung können Sie über die folgende Grafik nachvollziehen:

Die Auseinandersetzung um den Volksentscheid auf Bundesebene

Klicken Sie auf die Elemente der Grafik, um detaillierte Informationen über die aktuelle Auseinandersetzung auf Bundesebene zu erhalten.

Die Europäische Bürgerinitiative (EBI)

Auf der Ebene der EU kann man auf das Instrument der EBI als weitere Möglichkeit zur Partizipation hinweisen. Sie ist ein durch den Vertrag von Lissabon beschlossenes Instrument der direkten Demokratie in der Europäischen Union. Durch dieses Instrument können die EU-Bürger bewirken, dass sich die Europäische Kommission mit einem bestimmten Thema befasst. Hierfür müssen in zwölf Monaten insgesamt eine Million gültige Stimmen in einem Viertel aller EU-Mitgliedsstaaten gesammelt werden.
Eine von Gewerkschaften und Bürgerbewegungen getragene Kampagne, die unter dem Namen ‚Right2Water‚ für ein Menschenrecht auf Wasser eintrat, konnte in wenigen Monaten mehr als 1,5 Millionen Unterschriften sammeln – und schrieb damit europäische Geschichte. ‚Right2water‘ wurde zur ersten erfolgreichen europäischen Bürgerinitiative, weil sie die notwendigen Mindestanforderungen erfüllte, um die EU-Kommission dazu zu zwingen, sich mit dem Thema „Wasserversorgung muss staatlich bleiben“ zu befassen.

Volksentscheid und Bürgerentscheid in Bayern

Gesetzliche Grundlagen und Ziele

Der Volksentscheid und der Bürgerentscheid sind in der Bayerischen Verfassung verankert. Beides sind Formen der politischen Mitwirkung der Bürger auf der Landes- sowie auf kommunaler Ebene. In der Verfassung heißt es dazu:

  •  „Der Staatsbürger übt seine Rechte aus durch Teilnahme an Wahlen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden sowie Volksbegehren und Volksentscheiden.“ (Artikel 7, Abs. 2, Bayerische Verfassung)
  • „Die Staatsbürger haben das Recht, Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises der Gemeinden und Landkreise durch Bürgerbegehren und Bürgerentscheid zu regeln. Das Nähere regelt ein Gesetz.“
    (Artikel 12, Abs. 3, Bayerische Verfassung)

Volksbegehren und Volksentscheid sind schon in der Bayerischen Verfassung von 1946 vorgesehen. Alle politischen Anliegen, auch Verfassungsfragen, können Gegenstand eines Volksbegehrens und eines Volksentscheids sein. Nur der Staatshaushalt oder Verfassungsänderungen, die „den demokratischen Grundgedanken der Verfassung widersprechen“ (Artikel 75 Abs. 1 Satz 2 Bayerische Verfassung) sind vom Volksentscheid ausgeschlossen.  In Bayern waren 14 Initiativen im Zeitraum von 1946 bis 2000 erfolgreich, sechs Initiativen wurden bis zum Volksentscheid vorangebracht. Folgende Themen waren Gegenstand solcher Entscheide: „Das bessere Müllkonzept“ (1991, keine Mehrheit), „Einführung des Bürgerentscheids“ (1995, erfolgreich) und die „Abschaffung des bayerischen Senats“ (1998, erfolgreich). Andere Initiativen für ein Volksbegehren sind gescheitert, weil nicht genügend Stimmen für einen Antrag gesammelt oder weil sie abgelehnt wurden (sie waren finanzwirksam oder verstießen gegen „den demokratischen Grundgedanken der Verfassung“).

Einflussnahme der bayerischen Bürger durch Volksbegehren und Bürgerbegehren

Der Bürgerentscheid wurde in Bayern im Vergleich zu anderen Bundesländern recht spät eingeführt. Anfangs räumte das Gesetz den Bürgern starke  Mitwirkungsrechte in der Kommunalpolitik ein. Weder für die Zustimmung noch für die Abstimmungsbeteiligung gab es ein Quorum. Damit konnte auch eine kleine Zahl von Bürgern die Geschicke einer Gemeinde stark beeinflussen. Gegen diese Regelungen wurden beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof Klage eingereicht.  In seinem Urteil zum Bürgerbegehren setzte der Bayerische Verfassungsgerichtshof folgende Änderungen fest:

Zustimmungsquorum: Ein Bürgerentscheid ist nur erfolgreich, wenn er einerseits die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen erhält und gleichzeitig die Zustimmung einer bestimmten Anzahl der Stimmberechtigten hat. Diese beträgt in Gemeinden bis zu 50 000 Einwohner mindestens 20%, in einer Gemeinde von 50 000 bis zu 100 000 Einwohner mindestens 15% und in Gemeinden mit mehr als
100 000 Einwohnern mindestens 10%.

Änderung der Schutzwirkung: Früher war es möglich, mit Abgabe von einem Drittel der notwendigen Unterschriften beim Bürgermeister für einen Zeitraum von 2 Monaten eine Schutzwirkung zu erreichen, d.h. eine dem Bürgerbegehren entgegenstehende Entscheidung der Gemeindeorgane durfte in dieser Zeit nicht getroffen werden. In Zukunft wird die Schutzwirkung erst nach Zulassung des Begehrens durch den Gemeinderat gewährt.

Die Bindungswirkung eines Bürgerentscheids für den Gemeinderat wurde von drei auf ein Jahr gesenkt. Damit kann der Gemeinderat nach einem Jahr bereits eine den Bürgerentscheid entgegenstehende Entscheidung treffen.

Beispiel Bürgerentscheid

Auf kommunaler Ebene wurden in Bayern Bürgerbegehren und der Bürgerentscheid seit 1995 in über 500 Initiativen gestartet. Dieses Mittel der direkten Demokratie bzw. der Partizipation wurde schnell zu einem wichtigen Faktor der Bürgerbeteiligung in der Gemeindepolitik. In Bayern wird dieses Instrument intensiv genutzt.

Hier sehen Sie ein Beispiel aus Erlangen, in dem es um die Ausweisung eines neuen Gewerbegebiets ging. Auf den Plakaten sehen Sie, welche wesentlichen Argumente die Befürworter bzw. die Gegner eines neuen Gewerbegebiets vertreten und wie sie sich an die Erlanger Bürger wenden und um Unterstützung bitten.

Am Tag nach dem Bürgerentscheid meldeten die „Erlanger Nachrichten“ das Ergebnis:

„ERLANGEN – Die Erlangen Bürger haben sich gegen das geplante Gewerbegebiet G6 in Tennenlohe entschieden. Sowohl im Erlangen Ortsteil Tennenlohe, als auch in der Gesamtstadt hat sich die Mehrheit für ein Nein ausgesprochen. 53,6 Prozent der Erlanger wollen das G6 nicht. 16965 Bürger hatten sich an der Abstimmung beteiligt.“
Die Parteien, die unterschiedliche Positionen zu dem Projekt hatten, kommentierten das Ergebnis entsprechend unterschiedlich:

  • „Bravo“ war die erste Reaktion von Harald Bußmann (Grüne Liste), der zu den Gegnern des G6 gehört. „Was Bubenreuth und Uttenreuth können, können wir auch. Flächenfraß und Wachstumsglauben sind eben nicht alles“, meinte der Grüne-Stadtrat.
  • Dieter Rosner, Kreisvorsitzender der SPD, kommentierte das Ergebnis so: „Die SPD war ein Teil des Aktionsbündnisses und ist in der Mehrheit bestätigt worden. Damit ist dieses Projekt G6 gestorben.“ Jetzt müsse man perspektivisch eine neue Flächennutzungspolitik politisch entwickeln. Und das gehe nur unter Beteiligung der Bürger.
  • Die Befürworter des Gewerbegebietes in Tennenlohe waren nach der Bekanntgabe des Ergebnisses natürlich deprimiert. Lars Kittel — der FDP-Stadtrat, der die Idee des Ratsbegehrens in den Stadtrat eingebracht hatte — stellte zunächst fest, dass nun in der Frage Klarheit geschaffen worden sei. Und er meinte weiter, „das Gewebegebiet G6 ist für uns dauerhaft gestorben“. Man müsse überlegen, ob man überhaupt neue Gewerbegebiete ausweisen könne.
  • Oberbürgermeister Siegfried Balleis (CSU), dem man die Enttäuschung ebenfalls anmerkte, sagte, es habe für das Gewerbegebiet keine Mehrheit im Stadtrat gegeben, nun auch nicht in der Bürgerschaft. Und es sei eine gute demokratische Gepflogenheit, dies so zu akzeptieren.
    Das Stadtoberhaupt wandte sich aber auch an die Gegner des Gewerbegebietes im Stadtrat: Deren Kreativität in Hinsicht auf die Ausweisung anderer Gewerbegebiete sei nun gefragt. Zudem gelte es, „alles daran zu setzen, dass dem Wirtschaftsstandort Erlangen kein Schaden aus der Ablehnung des G6 entsteht“. Birgitt Aßmus, die Kreisvorsitzende der CSU, äußerte sich ähnlich. Sie zeigte sich auch besorgt um den Wirtschaftsstandort und betonte, dass sie die Entscheidung für „das falsche Signal nach außen“ halte. Aßmus erklärte die Niederlage in der Abstimmung so: „Es ist uns nicht gelungen, genügend Wähler zu mobilisieren.“

Aufgaben:

Prüfen Sie:

  1. Wie reagieren die verschiedenen Parteien?
  2. Wie begründen Sie ihre Haltungen und den Ausgang des Bürgerbegehrens?

Ein Beispiel für ein Volksbegehren in Bayern ist das „Volksbegehren gegen Studiengebühren“. Die Initiatoren sagen zu ihren Zielen: „Was wir konkret wollen“:

  • Das Aktionsbündnis Volksbegehren Studiengebühren will eine Änderung des Bayerischen Hochschulgesetzes. Die Änderung enthält folgende Regelung: “Die Hochschulen erheben von den Studierenden keine Studienbeiträge oder Verwaltungsgebühren.”
    Als Begründung führen Sie Folgendes aus:
  • Unsere Forderung ist wohl begründet, den Studiengebühren senken die Bereitschaft junger Menschen, ein Studium aufzunehmen, und gehören deswegen abgeschafft. Eine Studie des Hochschul-Informations-Systems (HIS) aus dem Jahr 2006 kam zu dem Ergebnis, dass allein im Abiturjahrgang 2006 bis zu 18.000 junge Menschen wegen Studiengebühren kein Hochschulstudium aufgenommen haben. Besonders betroffen waren Frauen und Abiturienten aus hochschulfernen Elternhäusern. Diese Abhängigkeit der Entscheidung, ein Studium aufzunehmen, von der finanziellen Situation lehnen wir strikt ab.“

Am 31. Januar 2013 stand das amtliche Endergebnis des Volksbegehrens fest: 14,4 Prozent der bayerischen Bürger hatten das Begehren mit ihrer Unterschrift unterstützt und damit war das Volksbegehren gegen Studiengebühren erfolgreich.
Damit könnte es nun zum Volksentscheid kommen. Nach Zahlen des Statistischen Landesamts trugen sich binnen zwei Wochen 14,4 Prozent aller bayerischen Wahlberechtigten in die Unterschriftenlisten ein. Nach Auszählung aller 96 Landkreise und kreisfreien Städte meldete das Statistische Landesamt 1,35 Millionen Unterschriften. 940.000 wären nötig gewesen. Alleine in der Landeshauptstadt München haben sich 109.346 Menschen in die Listen eingetragen.
Am Schluss war es zu einem regelrechten Endspurt der Gebührengegner gekommen. Am letzten Eintragungstag bildete sich eine lange Schlange vor dem Münchner Rathaus. Auf diesen Spätzünder-Effekt hatten die Bündnispartner des Volksbegehrens gesetzt – und doch bis zuletzt gebangt, ob genügend Menschen in Bayern ihr Anliegen für so wichtig halten, dass sie unterschreiben.
Damit kommt es nun im Sommer oder Herbst zum Volksentscheid – wenn der Landtag die Studiengebühren nicht doch noch selbst abschafft.

Hier können Sie noch einmal alle Schritte des Volksbegehrens sehen:

Der Ablauf von Volksbegehren in Bayern

Klicken Sie auf den blauen Pfeil, um den Ablauf des Volksbegehrens anzusehen!