Soziale Ungleichheit
Begriffserläuterung: „Soziale Ungleichheit“
Die mittelalterliche Ständeordnung
Wenn der Begriff „soziale Ungleichheit“ verwendet wird, schwingt sehr schnell eine politische Wertung mit, dass etwas „ungerecht“ sei. Zunächst bringt der Begriff aber zum Ausdruck, dass in einer Gesellschaft soziale Positionen und sozialer Status (Ränge) wie Ressourcen (z.B. Eigentum und Einkommen, aber auch Macht und Prestige) ungleich verteilt sind. Wie diese Verteilung bewertet wird und ob ein gesellschaftliches Problem vorliegt, ist dann in einem gesellschaftlichen Diskurs zu klären. Hier liegt ein weites Feld für die Betätigung der Parteien.
Der Begriff „Gleichheit“ ist ein Schlüsselbegriff der modernen Geschichte. Die Forderung nach rechtlicher Gleichheit aller Menschen („Égalité“) war ein zentrales Motiv der Französischen Revolution von 1789. Die Philosophen der Aufklärung hatten diese Forderung thematisiert und sie wurde der alten Gesellschaftsordnung kritisch entgegen gehalten. Damit richtete sich der Begriff gegen die alte Ständeordnung, gegen die damit verbundenen Privilegien und gegen die
„von Gott gewollte“ Ordnung“.
Die Ständeordnung in der 1488 erschienenen Pronostacio des Astrologen Johannes Lichtenberger: Jesus Christus weist den drei Ständen ihre Aufgaben zu: Tu supplex ora („du bete demütig!“) zum Klerus, Tu protege („du beschütze!“) zu Kaiser und Fürsten, Tuque labora („und du arbeite!“) zu den Bauern.

Von scanned by me; the artist is Johannes Lichtenberger († 1503) – Thomas Martin Buck, Plädoyer für eine qualitative Erneuerung des Mittelalter-Unterrichts, Schwalbach 2008. S. 221, Gemeinfrei, Link
In einer dreigliedrigen Ständeordnung, wie sie seit dem ausgehenden Mittelalter beispielsweise für Frankreich charakteristisch war, waren im Dritten Stand diejenigen gesellschaftlichen Rechtssubjekte versammelt, die nicht zu den beiden privilegierten Ständen Klerus (als Erstem Stand) und Adel (als Zweitem Stand) gehörten. Er umfasste also nominell alle freien Bauern und Bürger.

By M. P. – Bibliothèque nationale de France, Public Domain, Link
Beispiele zur sozialen Ungleichheit
Wie auf der vorhergehenden Seite erwähnt, ist die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit und sozialem Ausgleich ein permanentes Thema politischer Auseinandersetzungen.
Im Folgendem werden einige Beispiele gezeigt, in denen sich soziale Ungleichheit zeigt.
Vermögensverteilung in Deutschland
![]()
Von unbekannt – Bundeszentrale für politische Bildung ([1]) basierend auf Berechnungen des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) am DIW Berlin ([2]), PD-Schöpfungshöhe, Link
Das Diagramm zeigt eine deutliche Vermögens-konzentration bei dem reichsten Zehntel (Dezil) der Bevölkerung.
Das Nettovermögen und die Einkommen 2007 also sehr ungleich verteilt: Das reichste Zehntel verfügte über 61,1 Prozent des gesamten Vermögens . Auf der anderen Seite verfügten 27,0 Prozent der erwachsenen Bevölkerung über kein Vermögen oder waren sogar verschuldet. Die Konzentration der Nettovermögen im Top-Dezil hat in den letzten 10 Jahren zugenommen. Im Durchschnitt verfügten im Jahr 2007 alle Personen ab 17 Jahren über ein Nettovermögen von 88.000 Euro.
Eine neue Analyse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) aus dem Jahr 2014 bestätigt diesen Befund. Dem Bericht zufolge konnten die oberen Einkommensgruppen zwischen 2002 und 2012 „ihren Vermögensbestand weiter ausbauen“. Bei den 30 Prozent Einkommensschwächsten hat sich das Vermögen in diesem Zeitraum dagegen nicht verändert. Gut ein Fünftel aller Erwachsenen in Deutschland verfügt über kein persönliches Vermögen. Bei sieben Prozent waren die Schulden sogar höher als das Bruttovermögen. Demnach besaß das reichste Zehntel der Bevölkerung ein Nettovermögen von mindestens 217 000 Euro, beim reichsten ein Prozent waren es wenigstens 817 000 Euro.
Es gibt laut der Analyse auch große Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland: So gehören in den neuen Bundesländern Personen mit einem Nettovermögen von mindestens 110 000 Euro bereits zu den reichsten zehn Prozent der Bürger ab 17 Jahren. Im Westen waren dafür knapp 240 000 Euro erforderlich.
- Auch bei einer Unterscheidung nach Alter, Geschlecht und Migrationshintergrund ist eine Korrelation mit der Höhe des individuellen Vermögens festzustellen:
- Die 56 bis 65-Jährigen haben das höchste Nettovermögen.
- Das durchschnittliche Nettovermögen der Männer lag über dem der Frauen.
- Das Vermögen der Personen ohne Migrationshintergrund lag deutlich über dem der Personen mit Migrationshintergrund.
- Wieso die Einkommensschere in Deutschland immer weiter auseinander geht, behandelt dieser Film >>>
Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung: Die soziale Situation in Deutschland
Vergleich: Jahresgehälter Manager und alle Arbeitnehmer in Deutschland 1991 – 2011
In Deutschland sorgte ein neues Rekordgehalt kurzzeitig für Aufregung: Volkswagen-Chef Martin Winterkorn erhält für das vergangene Jahr 16,6 Millionen Euro — mehr als ein Dax-Chef je verdient hat.
Politiker schimpften über Exzesse, einige Wirtschaftsvertreter sorgten sich um den sozialen Zusammenhalt. Doch die Aufregung fand überwiegend in den Medien statt. Einen »Aktionärs-Frühling« wie in Großbritannien gibt es nicht. In Deutschland bleibt es ruhig. Weil hier alles zum Besten steht? Oder weil die Deutschen nun mal kein Volk von Revolutionären sind? Auch hierzulande gäbe es durchaus Gründe, sich aufzuregen. Die Gehälter vieler Manager sind in unglaubliche Höhen geschossen. Anfang der neunziger Jahre begnügten sich die Vorstandsmitglieder der 30 größten börsennotierten Unternehmen im Durchschnitt mit geradezu putzigen 570 000 Euro pro Jahr. Heute langen die Manager ganz anders zu: Drei Millionen beträgt jetzt der Schnitt. Bei den Vorstandsvorsitzenden liegt er sogar bei fünf Millionen. Der Abstand zu den Löhnen der untergebenen Arbeiter und Angestellten wächst rasant. Nach Berechnungen von Joachim Schwalbach, einem Vergütungsexperten an der Humboldt-Universität in Berlin, erhielten Vorstände Mitte der neunziger Jahre 14-mal so viel wie ein durchschnittlicher Arbeitnehmer in ihren Unternehmen. Inzwischen kassieren sie das 50-Fache. VW-Chef Winterkorn kommt nach diesen Berechnungen sogar auf mehr als das 190-Fache.
Den Abstand der Konzernführer zur Welt normaler Arbeitnehmer zeigen auch die Pensionszusagen. Während die Politik über drohende Altersarmut diskutiert und über eine Mindestrente von 850 Euro im Monat für Menschen, die ein Leben lang gearbeitet haben, erwerben Manager innerhalb kürzester Zeit millionenschwere Pensionsansprüche; Siemens-Chef Peter Löscher z.B. stehen nach 5 Jahren fast 13 Millionen zu.
Viele Politiker in den USA, Großbritannien und Frankreich fordern inzwischen eine Begrenzung der Managergehälter. Auch in Deutschland wird dies inzwischen diskutiert.
Quelle: Zeit vom 16.5.2012
Vergleich: Jahresgehälter Manager und Arbeitnehmer in den USA und Großbritannien

Einen noch krasseren Unterschied bei den Jahresgehältern von Managern und Arbeitnehmern zeigen sich in den angelsächsischen Ländern, in denen traditionell ein größeres Maß an Ungleichheit gesellschaftlich akzeptiert wird.
In einem Artikel der FTD vom 23.7.2012 schreibt Robert Skidelsky dazu Folgendes unter der Überschrift „Es wird Zeit für mehr Umverteilung“:
1970 war das Einkommen vor Steuern eines hohen Vorstandsvorsitzenden in den USA etwa 30-mal so hoch wie das eines durchschnittlichen Arbeiters; heute ist es 263-mal so hoch. In Großbritannien betrug 1970 das Grundeinkommen (ohne Bonus) eines solchen Topverdieners das 47-Fache dessen eines Arbeiters, 2010 das 81-Fache. Seit den späten 70ern ist in den USA das Einkommen nach Steuern des reichsten Fünftels der Gesellschaft fünfmal so stark gestiegen wie das des ärmsten Fünftels und in Großbritannien viermal so stark.
Zu den Ursachen und Folgen dieser Unterschiede wird in dem Artikel auf einen gesellschaftlichen Wertewandel hingewiesen:
Ursache für die heutigen unberechtigten Methoden der Einkommensgestaltung ist der Zusammenbruch nicht wirtschaftlicher, allgemeingültiger Arten der Wertschätzung menschlicher Aktivitäten und dessen Auswirkungen auf den größeren sozialen Zusammenhang. Keinen Unterschied zwischen Preis und Wert zu machen hat eine merkwürdige, aber selten beachtete Konsequenz: Der einzige Weg, der den meisten Menschen zur Steigerung ihres Einkommens dann bleibt, ist das Wirtschaftswachstum.
Quelle: FTD vom 23.7.2012, Robert Skidelsky, Professor für politische Ökonomie an der Warwick University.
Vergleich: Löhne bei Männern und Frauen
Halb so viel Rente für Frauen, ein Fünftel weniger Gehalt als Männer – in der Bundesrepublik ist das Lohngefälle besonders groß. Eine OECD-Studie belegt dies Ende 2012.
In einem Artikel der Süddeutschen Zeitung heißt es dazu unter der Überschrift „Gleich, ungleich, Deutschland:
In Deutschland sind Frauen bei den Löhnen stärker benachteiligt als in den meisten anderen Mitgliedstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Sie erhalten im Schnitt 22 Prozent weniger Gehalt als Männer, das ist das drittschlechteste Ergebnis im Vergleich der OECD. Nur in Südkorea und in Japan ist die Ungleichheit noch größer. Der Durchschnitt aller 34 Staaten liegt bei 16 Prozent weniger Gehalt für Frauen mit mittleren Einkommen. Das hat eine Studie der OECD ergeben.
Im Alter wird der Unterschied demnach noch größer: In Deutschland erhalten Frauen im Durchschnitt nur halb so viel Rente wie Männer. Damit landet Deutschland sogar auf dem letzten Platz, nirgendwo in der OECD ist die Ungleichheit krasser. Laut Studie sind zwei von drei deutschen Rentnern Frauen, zehn Prozent von ihnen leben in Altersarmut. Beides, Ungleichheit bei Löhnen und Renten, begründet die Studie vor allem mit unterschiedlichen Erwerbsbiografien.
Häufiger als anderswo arbeiten Frauen in Deutschland in Teilzeit, vor allem wenn sie Kinder haben. Zwei von drei berufstätigen Müttern zwischen 25 und 54 Jahren haben hier eine Teilzeit-Stelle. In Frankreich beispielsweise ist das Verhältnis genau umgekehrt, dort haben mehr als zwei von drei berufstätigen Müttern einen Vollzeitjob. ‚Wer nur Teilzeit arbeitet, wird schnell zum Mitarbeiter zweiter Klasse‘, sagt Monika Queisser, die Leiterin der Abteilung Sozialpolitik bei der OECD. Man werde vom Chef weniger wahrgenommen, bekomme weniger verantwortungsvolle Aufgaben und habe damit geringere Chancen auf eine Beförderung. Weniger Arbeitsstunden und ein niedrigeres Einkommen schmälern auch die Rente.
Schuld an der Frauen-Teilzeit ist laut Queisser auch das Gesellschaftsbild: ‚Wir haben immer noch ein männerzentriertes Alleinverdienermodell.‘ Deutschland hat demnach das einzige Steuer- und Sozialmodell, in dem es sich für Eltern schulpflichtiger Kinder nicht lohnt, dass beide arbeiten. Meistens bleiben die Frauen zu Hause. Als Anreize dafür nennt die OECD Ehegattensplitting und das Betreuungsgeld. Außerdem kritisiert sie, dass es in Deutschland oft an bezahlbarer Kinderbetreuung fehle.
In deutschen Chefetagen stellen Frauen 28 Prozent des Personals, in Vorständen und Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen nur 3,5Prozent. Damit ist Deutschland einmal mehr Schlusslicht, der OECD-Schnitt liegt bei zehn Prozent Frauenanteil. Doch selbst diejenigen, die es bis nach ganz oben geschafft haben, verdienen weniger als ihre männlichen Kollegen – OECD-weit 21 Prozent weniger. Damit wird die Lücke größer, je höher man die Karriereleiter empor steigt. Das zeigen auch die Zahlen des Statistischen Bundesamtes für Deutschland: 2010 verdienten Frauen in Führungspositionen demnach 30 Prozent weniger als männliche Führungskräfte – dieser Unterschied ist um acht Prozentpunkte größer als die allgemeine Gehaltslücke.
Anders als vor zwanzig Jahren unterscheidet sich die Qualifikation von Frauen und Männern dabei kaum. In Deutschland haben sogar mehr Frauen als Männer im Alter zwischen 25 und 34 Jahren einen Uni-Abschluss oder Meisterbrief. Doch häufig entspricht ihr Job danach nicht ihrer Qualifikation. Ein Beispiel: Von den Frauen, die in der OECD ein naturwissenschaftliches Fach studiert haben, arbeiten nur 43 Prozent später als Mathematikerinnen oder Ingenieurinnen. Öfter als Männer werden sie stattdessen Lehrer. ‚Es gibt typische Frauen-Jobs, in denen man weniger verdient und keine Chancen hat, aufzusteigen‘, sagt Holst und zählt Arzthelferinnen, Altenpflegerinnen, Friseurinnen und Kindergärtnerinnen auf. Selbst wenn Männer in Frauenberufen arbeiteten, übernähmen sie häufiger als Frauen eine leitende Position und verdienten entsprechend mehr.
Politische Lösungsansätze
Ludwig Erhard, einer der Väter der sozialen Marktwirtschaft und des deutschen „Wirtschaftswunders“ formulierte 1957 in seinem Buchs „Wohlstand für alle“, als sein wichtigstes politisches Ziel die alte gesellschaftliche Kluft zwischen Arm und Reich zu beseitigen und durch die Wirtschaftpolitik eine Gesellschaft mit „breitgeschichteter Massenkaufkraft“ zu erreichen:
„Am Ausgangspunkt stand da der Wunsch, über eine breitgeschichtete Massenkaufkraft die alte konservative soziale Struktur endgültig zu überwinden. Diese überkommene Hierarchie war auf der einen Seite durch eine dünne Oberschicht, welche sich jeden Konsum leisten konnte, wie andererseits durch eine quantitativ sehr breite Unterschicht mit unzureichender Kaufkraft gekennzeichnet. Die Neugestaltung unserer Wirtschaftsordnung musste also die Voraussetzungen dafür schaffen, daß dieser einer fortschrittlichen Entwicklung entgegenstehende Zustand und damit zugleich auch endlich das Ressentiment zwischen ‚arm‘ und ‚reich‘ überwunden werden konnten.“
Die Äußerungen von Ludwig Erhard sind heute aktueller denn je und können immer noch die die Leitlinien für eine Wirtschaftspolitik abgeben, die auf eine gerechte Sozialordnung abzielt, die geeignet ist, den sozialen Frieden in der Gesellschaft zu erhalten.