Streitbare Demokratie

Streitbare Demokratie und Pluralismus

Die Formulierung „streitbare Demokratie“ ist ein vom Bundesverfassungsgericht geprägter Begriff für die Entschlossenheit, sich gegenüber den Feinden unserer Verfassung, also Feinden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, nicht neutral zu verhalten. Obwohl die Freiheit und die Toleranz gegenüber Andersdenken wesentliche Merkmale unserer Gesellschaftsordnung sind, gilt gemäß der Auslegung durch das  Bundesverfassungsgericht die Abwehrbereitschaft gegenüber Verfassungsfeinden als ein wesentliches Element unserer politischen Ordnung. Die staatlichen Organe sind gehalten, sich gegenüber verfassungsfeindlichen Bestrebungen zur Wehr zu setzen (daher auch: „Wehrhafte Demokratie“). So können z.B. Parteien beobachtet, kontrolliert oder gar verboten werden, die demokratische Spielregeln ausnutzen, um damit die Demokratie selbst abzuschaffen.

Der Begriff Pluralismus

Pluralität bedeutet Vielfalt bzw. die Koexistenz von Vielfalt; Pluralismus im politischen Bereich meint das Zusammenleben von verschiedenen Gruppen mit unterschiedlichen Interessen und Lebensstilen in einer Gesellschaft.

Das Demokratiekonzept der Bundesrepublik geht von einem Pluralitätsmodell aus, das durch folgende Merkmale gekennzeichnet ist:

  • In unserer Gesellschaft existieren Interessengegensätze;
  • ein Gemeinwohl lässt sich nicht ohne Weiteres feststellen;
  • das Gemeinwohl ist das Resultat eines politischen Konkurrenzkampfes um Kompromisse;
  • dieser Konkurrenzkampf bedarf eines Minimalkonsenses aller Gruppen über politische Spielregeln;
  • die verschiedenen Parteien müssen zum Kompromiss bereit  sein und dürfen den politischen Gegner nicht als Feind bekämpfen;
  • die Pluralität der Meinungen und die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ müssen akzeptiert werden;
  • der Staat muss für die Einhaltung dieser Spielregeln sorgen.

Was kann/muss der Staat und die Gesellschaft gegen Extremismus unternehmen?

Mit der Frage, wie Staat und Gesellschaft den Herausforderungenkönnen  des Extremismus wirksam entgegentreten können, kristallisiert sich auch ein Dilemma einer modernen Demokratie heraus:
Handelt der Staat nicht, kann die Gefahr bestehen, dass dem politischen Extremismus das Feld überlassen wird.
Schöpft er alle Möglichkeiten der Bekämpfung aus, kann dies möglicherweise die Aushöhlung der freiheitlichen Demokratie selbst zur Folge haben.

Eine Facette dieser schwierigen Frage, wie sich der Staat „richtig“ gegenüber extremen Gruppierungen verhalten soll, ist die Frage, ob gegen rechte wie linke Gefahren gleichermaßen vorgegangen wird. In diesem Zusammenhang wird gelegentlich der Vorwurf laut, dass rechtsextremistische Gewalt verharmlost würde, es also eine „Blindheit“ staatlicher Organe gegenüber dem Rechtsextremismus gäbe. Konkret wurde dieser Vorwurf 2011 im Zusammenhang mit der Entdeckung einer rechten Terrorzelle laut. Gegen Verfassungsschützer in Thüringen wurde der Vorwurf erhoben, die terroristischen Aktivitäten der rechten Terrorzelle lange Zeit verharmlost zu haben.
Verschiedene Positionen und deren Argumente dieser scharf geführten politischen Auseinandersetzung mit dieser Frage finden Sie hier >>> .

Der Bundespräsident hat in seiner traditionellen Weihnachtsansprache 2011 ausdrücklich auf diese Serie von Gewalttaten der rechten Terrorzelle Bezug genommen und deutlich gemacht, dass diese rechtsextremistischen Gewalttaten die gesamte Gesellschaft betreffen und dass alle Bürger die Pflicht verspüren sollten, solcher Gewalt entgegenzutreten:

„Alle müssen in unserem Land in Sicherheit leben können. Das gilt für jede und für jeden. Umso stärker hat uns alle schockiert, dass rassistisch verblendete Verbrecher über viele Jahre Menschen ausländischer Herkunft geplant ermordet haben. Das haben wir nie für möglich gehalten. Ich habe dann die Angehörigen getroffen. Die Gespräche mit ihnen haben mich tief bewegt. Viele haben erzählt, dass sie nicht nur einen geliebten Menschen verloren haben, sondern plötzlich selbst verdächtigt wurden. Sogar Freunde und Verwandte zogen sich teilweise zurück. In unserem Land gibt es aber keinen Platz für Fremdenhass, Gewalt und politischen Extremismus. Wir schulden den Angehörigen und Freunden der Ermordeten und den Verletzten Mitgefühl und Respekt. Wir schulden nicht nur den Opfern die lückenlose Aufklärung dieser Verbrechen und die unnachsichtige Verfolgung der Täter und ihrer gewissenlosen Unterstützer. Wir schulden uns allen Wachsamkeit und die Bereitschaft, für unsere Demokratie und das Leben und die Freiheit aller Menschen in unserem Land einzustehen. Das fängt schon im Alltag an: Es hängt auch von mir selbst ab, welches geistige Klima in meiner eigenen Familie, in meiner religiösen Gemeinde, in meinem Stadtteil oder in meinem Verein herrscht. Offenheit für Fremde und Fremdes fängt ganz im Kleinen an.“
Quelle: http://www.bundespraesident.de

Auch die Bundeskanzlerin Merkel äußerte sich in ihrer Silvesteransprache 2011/12 ähnlich zu dieser rechtsextremistischen Terrorgruppe und wendet sich direkt an alle Bürger mit ihrem Appell:

„Sie stehen für die Werte unseres Landes ein, die immer wieder herausgefordert oder gar angegriffen werden. Das mussten wir wieder mit Schrecken erfahren, als im Herbst eine rechtsextremistische Terror- und Mörderbande aufgedeckt wurde. In ihren Taten, die sie über mehr als ein Jahrzehnt unbehelligt begehen konnte, wurde ein unfassbares Maß an Hass und Fremdenfeindlichkeit sichtbar. Wir wissen, dass wir das Leid der Angehörigen der Opfer nicht wiedergutmachen können. Aber ihnen und uns gemeinsam sind wir es schuldig, die Taten umfassend aufzuklären und alle Beteiligten, auch die Helfershelfer, zur Rechenschaft zu ziehen. Es ist unsere Pflicht, die Werte unserer offenen und freiheitlichen Gesellschaft entschlossen zu verteidigen – jederzeit und gegen jede Form von Gewalt. Das ist eine Daueraufgabe – für die Politik wie für uns alle.“
Quelle: http://www.bundeskanzlerin.de

Die Bundeskanzlerin spricht von einer „Daueraufgabe“ für die Politik und für uns alle. Unsere demokratische Gesellschaft wird immer wieder durch den Extremismus von Links und von Rechts herausgefordert. War es in den 1970er Jahren der Linksextremismus, so ist es in der letzten Zeit vor allem der Rechtsextremismus, der sich bemerkbar macht. Es gibt also guten Grund, wachsam zu sein und nicht zuzulassen, dass extremistisches Gedankengut an Boden gewinnt. Der Grundgedanke all dieser Bemühungen ist es, eine Wiederholung der Geschichte unmöglich zu machen und die Demokratie zu verbreiten und zu festigen.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, dem Extremismus in allen Formen entgegenzutreten:

  • Politische Bildung, Aufklärung und Informationen über die Ziele und die Gefahren extremistischer Organisationen, z.B. über die Schulen und die politischen Bildungszentralen
  • Unterstützung von Projekten für zivilcouragiertes Handeln z.B. gegen Rechtsextremismus
  • Verfassungsschutzämter zur Beobachtung und Kontrolle extremistischer Gruppen
  • gesetzliche Regelungen zur Überwachung extremistischer Gruppen
  • Parteienverbot durch das Bundesverfassungsgericht