Sachtextanalyse

Prüfungsaufgabe aus der Abschlussprüfung 2004

Aufgabenstellung:

Geben Sie Inhalt und Aufbau des Textes wieder.

Nehmen Sie zu folgender Frage Stellung: Wirkt sich der Leistungssport so, wie er sich heute in der Öffentlichkeit darstellt, positiv auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen aus?

Die Giftküchen des Sports

von Hans-Joachim Waldbröl

Man stelle sich vor, es sind Olympische Spiele, und keiner geht hin. Die Athleten fehlen, weil sie wegen Dopings gesperrt sind. Die Zuschauer bleiben weg, weil sie den manipulierten Zirkus satt haben. Die Ausfallerscheinung, die Bert Brecht zugeschrieben und von der Friedensbewegung mit der illusionären Vision verbunden wurde, der Krieg könne wegen akuten Personalmangels nicht stattfinden, alarmiert die Sportfunktionäre und Wettkampfmanager als prekäre Vision einer Pleite des größten Sportfestes der Welt – allerdings nur in Maßen. Die Sommerspiele werden, falls die Griechen rechtzeitig mit ihren Vorbereitungen fertig werden, wie geplant 2004 in Athen ausgetragen. Denn es gibt selbst nach internationalen Drogenrazzien immer noch genug Athleten, die sich nicht beim Leistungsbetrug erwischen lassen – oder tatsächlich sauber sind. Und die Zuschauer werden wohl weiter zahlen, obwohl sie hinter der glitzernden olympischen Fassade und den glänzenden Masken der muskelbepackten Athleten schon lange Lug und Trug vermuten. Die meisten Zirkusbesucher wollen sogar betrogen werden, den sie delektieren sich allein am Spektakel und möchten sich den Spaß an hochstilisierten Zweikämpfen oder einzigartigen Rekorden nicht verderben lassen. So jedenfalls lehrt es die olympische Vergangenheit.

Dennoch geben die jüngsten Vorfälle in der Leichtathletik, die immer noch als „Krone Olympias“ hofiert und fürstlich dotiert wird, Anlass zur Annahme, dass sich in Zukunft einiges ändern könnte; dass der wirtschaftliche Erfolg der Olympischen Spiele, deren Ruf schon vor fünfzig Jahren einmal – und nicht zufällig durch einen Leichtathleten – erschüttert worden ist, nachhaltigen Schaden nehmen könnte. Der Fall des gedopten Kanadiers Ben Johnson, der 1988 in Seoul nach seinem Sieg über die 100 Meter in Weltrekordzeit des Leistungsbetrugs überführt wurde, konnte noch als Einzelfall abgetan werden. Jetzt jedoch flammt eine ganz andere Empörung über einen Dopingskandal auf, der nicht nur nach Quantität, sondern auch in seiner – man scheut sich fast zu sagen – Qualität eine neue Dimension offenbart.

Da hat ein kreativer Biochemiker in Kalifornien, der seinen Kundenkreis offenbar in aller Welt hat, mit geradezu krimineller Energie ein Mittel entworfen, wie geschaffen für betrügerische Athleten: Die sogenannte Designer-Droge Tetrahydrogestrinon, leichter zu merken in der abgekürzten Version als THG. Des Giftküchenmeisters Victor Conte perfides Rezept: Man nehme ein ausdrücklich verbotenes Hormon namens Gestrinon, kombiniere es mit der artverwandten Substanz Trenbolon und verändere dadurch seine chemische Struktur. Das mindert die muskelbildende Wirkung keineswegs, aber es erschwert den Nachweis. Denn die Dopingfahnder in den Labors können nur finden, wonach sie suchen. Und sie können im Arbeitsalltag bei Vollbeschäftigung nur suchen, was sie kennen.

Dass die nationale Anti-Doping-Agentur der Vereinigten Staaten den entscheidenden Tipp, sich die beigelegte Spritze mit den Resten eines angeblich unentdeckbaren Mittels doch bitte mal etwas genauer anzusehen, von einem anonymen Leichtalthletiktrainer bekommen hat, illustriert die institutionelle Ohmacht der Manipulationsgegner. Es gibt seit drei Jahren eine Welt-Anti-Doping-Agentur; es arbeiten in rund dreißig von Internationalen Olympischen Komitee beglaubigten Kontroll-Labors Hundertschaften von Biochemikern; der weltweite Aufwand summiert sich auf Abermillionen Euro. Und doch sind die Dopingfahnder auf einen nützlichen Neider angewiesen, der vielleicht nur die Konkurrenz anschwärzen wollte.

Der Zweck heiligt die Mittel. Das sagen sich auch die zynischen Betrüger, die in der Leichtathletik am häufigsten zu finden sind. Nicht weil die Läufer, Springer und Werfer einen schlechteren Charakter hätten als andere, sondern weil sie sich die teuren Drogen am ehesten leisten können – und weil Schnellkraft, Maximalkraft und Ausdauer, die in ihren mehr als vierzig olympischen Disziplinen den Ausschlag geben, am leichtesten biochemisch zu fördern sind. Aber auch die Athleten anderer Sportarten sind keine Unschuldslämmer, wie die lange Kundenliste des kalifornischen Herstellers von so genannten Nahrungsergänzungsmitteln zeigt. Darin sind die Pessimisten wieder einmal als Realisten bestätigt worden: Alle probieren irgend etwas, um sich knapp unterhalb oder deutlich oberhalb der Verbotsgrenze einen Vorteil zu verschaffen. Und seien sie nur verführt vom eigenen Ur-Misstrauen, der Gegner täte es ohnehin – schon.

Sollen alle, die auf eigene Rechnung und auf eigenes Risiko dopen, doch getrost ihre Gesundheit ruinieren? Wer sich solchem weit verbreiteten Defätismus hingibt, übersieht eines: Eine Kapitulation vor betrügerischen Athleten verbietet sich nicht nur von selbst, sie ist auch gefährlich. Denn dass verführbare Kinder und Jugendliche den falschen Vorbildern nacheifern, muss nicht nur der dafür verantwortliche Sport, sondern auch der verantwortungsbewusste Staat zu verhindern suchen.

Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25.10.2003 (gekürzt)

Prüfungsaufgabe aus der Abschlussprüfung 2004

Aufgabenstellung:

Stellen Sie den Text kurz vor.

Untersuchen Sie, welche Intentionen der Autor in den Zeilen 1 bis 43 verfolgt und welche wesentliche sprachliche Mittel er dafür verwendet.

Offensichtlich leben wir immer mehr „in der Welt des ‚always on'“ (Z. 7). Wie beurteilen Sie die sich daraus ergebenden Folgen?

Aus dem Leben gemailt

Von Christopher Drösser

Jochen Müller geht nicht ins Internet. Jochen Müller ist im Internet – fast immer. Im Büro muss der 43-Jährige, der als oberster Computerfachmann für die Informationstechnik der Stadt Herten verantwortlich ist, ständig für seine Mitarbeiter per E-Mail erreichbar sein. Aber auch zu Hause ist der Familienvater von drei Kindern immer im Netz. „Früher ging man zum Rechner, fuhr ihn hoch, wählte sich ein, öffnete ein E-Mail-Programm“, erzählt Müller. Heute komme ich vom Rasenmähen rein, klappe den Laptop auf und sehe sofort, ob neue E-Mails da sind.“

Willkommen in der Welt des „always on“ – Mailen, Surfen, Chatten rund um die Uhr. Seit die drahtlosen WLAN-Netze1 Einzug in Firmen, Hochschulen und Privathaushalte gehalten haben, muss man sich zum Surfen nicht mehr an einen bestimmten Ort begeben. Smartphones – Handys mit Internet-Empfang – überbrücken die Strecken dazwischen. Das Internet wird zum Nebenbei – Medium. Man ist online während man arbeitet, fernsieht oder isst. Das Internet drängt sich in jede Ritze des Lebens. und fordert Aufmerksamkeit. So wie schon seit einigen Jahren das Handypiepsen jede Konversation unterbricht, so ziehen uns jetzt die sanfte Frauenstimme, das durchdringende Beep oder das blinkende Briefsymbol, die den Empfang einer neuen Mail signalisieren, aus der realen in die virtuelle Welt.

Der Teppich der drahtlosen, oft für jedermann zugänglichen WLAN-Netze – lokale Datenwolken, in die man sich einloggen kann, wenn der eigene Laptop über eine entsprechende Antenne verfügt – wird immer dichter. In vielen Innenstädten gibt es kostenlose „Hot Spots“ in Cafes und Bars. Die Gelände der Universitäten sind praktisch flächendeckend mit einem drahtlosen Zugang ausgestattet. Auf wissenschaftlichen Konferenzen, vor allem in den USA, gehört es inzwischen zum guten Ton, den Gästen kostenloses WLAN – Internet anzubieten. Die Folge: In vielen Vorlesungen und Vorträgen sieht man Zuhörer mit aufgeklappten Laptops, die fleißig in die Tasten greifen. Sie tippen aber nicht die Worte des Vortragenden mit, sondern erledigen nebenbei ihre private Post oder chatten mit Bekannten. Anja Werner, eine deutsche Linguistin, die an der amerikanischen University of Wisconsin lehrt, stöhnt über ihre Studenten: „Die zappen sofort ins Internet, wenn sich nur die kleinste Gelegenheit dazu bietet. Man muss sich noch mehr als sonst anstrengen, ihre Aufmerksamkeit zu behalten.“

Auch die Manager der Computerindustrie, bei denen die totale Vernetzung schon aus beruflichen Gründen zum guten Ton gehört, lassen sich in Meetings gern durch den Bildschirm ablenken. Statt wie früher nebenbei zu tuscheln, schicken sie sich nun instant Messages quer über den Konferenztisch, wenn sie von einer Powerpoint-Präsentation gelangweilt sind. An der vordersten Technologiefront wird schon vorsichtig zurückgerudert: Die New York Times berichtet, dass bei einer Technologiekonferenz, an der Wirtschaftsbossen wie Bill Gates von Microsoft, Steve Jobs von Apple oder Steve Case von AOL Time Warner teilnahmen, die Aufforderung an die Teilnehmer erging, doch bitte während der Vorträge die drahtlose Verbindung ins Netz zu kappen.

Fragt man die ständig mit dem Netz verbundenen Avantgarde-User nach den Schattenseiten ihres digitalen Lebenswandels, fällt eigentlich nie der in den Medien so stark strapazierte Begriff der Informationsflut oder des information overkill. Erfahrene Internet-User haben den Anspruch aufgegeben, alles zu lesen, was es da draußen gibt, sie lassen ihre eingehenden E-Mails automatisch in verschiedene Postfächer einsortieren, sie benutzen elektronische Filter, um der Flut der unerwünschten Werbebotschaften Herr zu werden. (…)

Eine Klage, die man dagegen immer wieder hört: Das Netz fordert ständig Aufmerksamkeit und zerstückelt damit das reale Leben. Gerade bei Tätigkeiten, die Konzentration erfordern, (etwa beim Schreiben dieses Artikels), lässt der Nutzer sich nur zu gern ablenken: Kaum hakt der Gedankengang ein wenig, schon klickt man mal kurz das E-Mail-Fenster an und schaut nach neuer Post.

Anja Wanner erzählt: „Durch allerhand Mätzchen wird der Rechner zum größten Zeitfresser. Am meisten ärgert mich, dass die Aufmerksamkeit so zerfasert und man sich in immer kürzeren Zeitabständen irgendwelchen Teilaufgaben widmet, anstatt in irgendetwas Größeres einzutauchen.“ (…)

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Selbstverständlich gibt es in den USA schon Namen für das zwanghafte Online-Sein: Online compulsive disorder nennt man das oder auch pseudo-attention deficit disorder, ein Begriff, den die Psychologen Edward M. Hallowell und John Ratey in Anlehnung an des konventionelle Aufmerksamkeitsdefizit – Syndrom geprägt haben. Sie stellen fest, dass die Betroffenen einen psychischen Drang danach verspüren, mit dem Netz in Kontakt zu treten. So wie der Nikotinsüchtige alle halbe Stunde seinen Giftpegel justiert, brauchen die Online-Junkies ständig ihren Kick durch Informationshäppchen, und seien sie noch so unbedeutend.

Den Begriff „Internet-Sucht“ führte ein amerikanischer Psychologe im Jahr 1995 als scherzhafte Scheindiagnose ein – inzwischen bestreitet kaum noch ein Suchtexperte, dass man nach dem Netz genauso süchtig sein kann wie nach Geldspiel oder Drogen. (…) Die ehemalige Betroffene Gabriele Farke (…) beschreibt (…) die Schicksale von Menschen, für die die Mattscheibe zum „einzigen Fenster der Sehnsucht“ geworden ist. (…) Farke berichtet von verzweifelten Angehörigen, deren Interaktion mit dem abhängigen Partner sich darauf beschränkt, ihm ab und zu das Essen neben die Tastatur zu stellen.

Die „ganz normalen“ Informationsjunkies führen auch in der richtigen Welt durchaus funktionierende Beziehungen (…). Aber auch sie leiden unter Entzug, wenn die Verbindung zum Netz abreißt. „Es macht mich nervös, nicht online zu sein“, gibt Jochen Müller zu. (…)

Die Netz-Avantgarde erkennt aber zunehmend, dass es ein Segen sein kann, sich von der allgegenwärtigen Information abzuschirmen. (…)

Auch Jochen Müller kappt in seltenen Momenten die Verbindung zum Netz. (…)

Und richtig stolz wird Müller, wenn er vom Sommerurlaub des letzten Jahres erzählt, den er mit der ganzen Familie in Spanien verbracht hat. „Alle haben mir gesagt: Das hältst du nicht aus, du bist spätestens am dritten Tag im Internet-Cafe. Aber ich bin tatsächlich vier Wochen nicht ein einziges Mal online gewesen!“

Die Zeit vom 31.07.2003 (gekürzt und leicht bearbeitet)
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1 WLAN: wireless local network (drahtloses örtliches Funknetzwerk)

Prüfungsaufgabe aus der Abschlussprüfung 2003

Aufgabenstellung:

Geben Sie Aufbau und Inhalt des Textes wieder.

Welche Intentionen verfolgt die Autorin in den Z. 10-26? Mit welchen sprachlichen Mitteln setzt sie diese um?

„Ich bin online, also lerne ich“ (Z. 18f.). Nehmen Sie Stellung zu dieser weit verbreiteten Auffassung.

Kabelfrei

Jeanne Rubner

Arme kleine Niedersachsen. Ihnen droht, so haben Forscher der Hochschule Vechta herausgefunden, die digitale Spaltung. 14 Prozent der Dritt- und Viertklässler arbeiten nie mit dem PC in der Schule, ebenso unglückliche 15 Prozent besitzen zu Hause noch nicht einmal einen Computer. Was soll aus diesen Kindern werden?

Nichts Besseres und nichts Schlechteres als aus der Generation von ihnen, so kann man nach einem Jahrzehnt Erfahrung mit dem World Wide Web sagen. Zugegeben, die Netzeuphorie hat Schulen später ergriffen als Marktplätze. Doch schon jetzt zeichnet sich ab, dass Kinder und Jugendliche, auch wenn sie schneller in die tasten hauen, geschickter Bildschirmspiele meistern und besser durchs Web streunen als ihre Eltern, später dennoch nicht schlauer sein werden.

Was hatten Netzprotagonisten nicht alles versprochen! Vor den Bildschirmen würden Menschen entst4hen, die anders dächten, weil sie in ihren Hirnwindungen schon das Bildhafte, das Assoziative des Netzes gespeichert hätten. Die Welt unter ihren Fingerspitzen würden sie mühelos über den Ozean des Wissens surfen, hier Fremdsprachen, dort Formeln aufsaugen. Besser noch: Via E-Mail-Austausch mit kleinen Afrikanern und Chinesen werde Völkerverständigung gefestigt. Die Schulen würden sich in blühende Lernlandschaften verwandeln, in denen friedliche Kinder vor flachen Schirmen sitzen und statt harscher Worte freundliche Botschaften ihrer Lehrer empfangen. Nicht Bücher, sondern Laptops würden in den Ranzen stecken. Die Pädagogen selbst könnten den Frontalunterricht aus dem 19. Jahrhundert aufgeben und nur noch als Wissens- und Medienkompetenzvermittler arbeiten. Wer hätte das Diktum „Ich bin online, also lerne ich“ je in Frage gestellt?

„Schulen ans Netz“ hieß das Motto der sozialdemokratischen Bildungsministerin Edelgard Bulmahn und des flugs zum Internet-Kanzler gekürten Gerhard Schröder. Andere verwiesen gerne auf die USA, wo bereits vor ein paar Jahren 85 Prozent der Schulen einen Internet-Anschluss bekämen, während es hierzulande nur ein Drittel war. Was im gelobten Land des Internets geschah, musste wegweisend für die Bildung sein. Jeder Kultusminister wollte sich mit möglichst vielen Online-Schülern in seinem Bundesland brüsten, und je weniger Bildungspolitiker vom Netz verstanden, desto mehr versprachen sie sich von der schönen bunten Bildschirmwelt.

Dummerweise hatten die Apologeten des Netzes ein paar Fallstricke der Vernetzung übersehen. Etwa das Geld: Mindestens 40 Milliarden Euro, so eine Schätzung der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 1998, würde es kosten, für jeden Schüler einen Computer bereitzustellen. Hinzu kämen noch einmal zwölf Milliarden Euro jährlich für die Wartung.

Auch über die Datenflut im World Wide Web wurde wenig geredet. Wer eine Information sucht, muss sich durch mehrere Milliarden oft schlecht sortierter Seiten wühlen. Im dezentralen Netz ist mehr Text gespeichert als in der Library of Congress in Washington D.C. Doch welcher Lehrer würde seine Schüler ohne Vorwissen zum Kapitol schicken? Beim Netz dagegen hegen viele die Absurde Vorstellung, der Mausklick könnte Wissen ersetzen – als ob der Griff zur Enzyklopädie schon gebildet macht. Eine Zeit lang schien es, als ob der naive Glaube an die Logik der Maschinen das Nachdenken über Bildung verdrängen könnte. Wozu sich noch anstrengen, wenn Lernen schneller, besser und unterhaltsamer sein kann? Und wenn es nicht voranging mit dem multimedialen Spaß im Klassenzimmer, dann waren garantiert die Lehrer schuld, die nicht wussten, wie man eine Maus bedient.

Zwei Ereignisse beendeten die Träume der Netzeuphoriker. Mit den zerplatzenden Hoffnungen der New Economy1 erhielt auch die „Schulen ans Netz“-Bewegung einen Dämpfer. Schließlich fehlten plötzlich eben jene Unternehmen, die die schöne neue Lernwelt propagiert hatten. Doch auch PISA2 offenbarte, dass die deutschen Schulen andere Sorgen plagen als nur die Verkabelung der Klassenräume. Plötzlich wurde allen bewusst, dass der Bildungsgraben in Deutschland nicht zwischen Schulen mit und ohne Online-Zugang verläuft, sondern zwischen guten und schlechten. Dass es vielleicht wichtiger ist, Ganztagsschulen anzubieten, damit Kinder aus Familien mit weniger Bildungsbewusstsein bessere Chancen bekommen. Selbst die paar Milliarden Euro für Kantinen muss die Regierung mühsam zusammenkratzen. Von wegen: Ein Laptop für jeden Schüler!

Seitdem darf man wieder Bedenken anbringen: So entwickelten einer Umfrage zufolge Laptop-gewohnte Privatschüler aus New York bereits Abneigungen gegen das ubiquitäre Gerät, nur 60 Prozent von ihnen hielten Computerfähigkeiten überhaupt für sinnvoll. Die Hälfte der Schüler schimpfte über verlorene Dateien, defekte Akkus und fehlerhafte Treiberdateien – von spaßigem Lernen war keine Rede mehr. Hohe Kosten und ein nur vager Nutzen bescheinigten kürzlich auch Forscher aus den USA und Israel den Bemühungen, Schulen ans Netz zu bringen. Bei Vergleichen zwischen Klassen mit und ohne Computerausrüstung beobachteten sie, dass die Rechner der Leistung der Schüler nicht stärken, sondern teilweise sogar schwächen. Und in den USA klagen Lehrer längst darüber, dass wegen der teuren Ausrüstung das Geld für Physiklabors und Bibliotheken fehlt. Kindergärten, die fortschrittlich sein wollen, werden mittlerweile damit, dass sie keinen Computer haben.

Überrascht waren die schlauen niedersächsischen Forscher übrigens von der Tatsache, dass ein Viertel der Grundschüler den PC im Klassenzimmer für Spiele nutzt. Sollte Lernen doch ein wenig mehr sein als Klicken?

Süddeutsche Zeitung vom 10.01.2003
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1 New Economy; hier: Firmengründung auf der Basis neuer Technologien
2 PISA: Programme for International Student Assessment