Übersicht

Arten der Aufgabenstellung

Wenn Sie sich die Aufgabenstellung zu einem Prosatext genauer ansehen, werden Sie überrascht sein, wie viel Altbekanntes Sie entdecken.
In der Regel beginnt die Interpretation eines Prosatextes mit einer Teilaufgabe, in der
Sie Angaben zum Text machen sollen. Häufig können Sie mit einer Art Kurzzusammenfassung, auch „Überblicksinformation“ genannt, oder mit einer Inhaltsangabe anfangen, die sich von der „Inhaltsangabe in Thesenform“ im Wesentlichen dadurch unterscheidet, dass sie als zusammenhängender Text, also nicht in „Thesenform“, formuliert wird.

Weitere Aufgaben bei der Interpretation eines Prosatextes sind die Charakterisierung von einzelnen Figuren, die Untersuchung der Beziehung zwischen Menschen, des Verhaltens mehrerer Personen oder ihres Gesprächsverhaltens. Teile einer derartigen Aufgabe sind des Öfteren mit Hilfe der „Sprachuntersuchung“ zu bewältigen.



Kurzzusammenfassung
· Autor · Außer dem Namen sind – sofern bekannt – knappe biografische Hinweise sinnvoll
· Gattung, Textsorte · Handelt es sich allgemein um einen epischen Text, im speziellen um eine Kurzgeschichte, einen Romanausschnitt?
· Titel · Auch eventuelle Untertitel werden mitgeteilt.
· Quelle · Wo und wann wurde der Text veröffentlicht?
· Thema · Wovon handelt der Text? Man beschreibt den Kerninhalt in abstrakter Form
· Personen · Wer kommt vor? Eventuell werden auch die Beziehungen zwischen den Personen genannt.
· Hauptaussage · Welches Problem spricht der Autor an, welche Lösung sieht er (nicht)?
· Literarische Besonderheit · Hier nennt man auffällige Gestaltungsmittel.
Inhaltsangabe
1. Die Inhaltsangabe beginnt mit den Angaben über Autor, Titel, Textsorte und Quelle. Ferner nennt man Thema bzw. Problem, Zeit, Ort, Handlung und Personen.
2. Herausarbeitung der wesentlichen Erzählschritte, die Auskunft geben über die äußere Handlung und das innere Geschehen (Handlungsgerüst)
3. Darstellung von Zusammenhängen in der Handlung, von Ursache und Wirkung und Zeitstrukturen 
4. Keine Schilderung oder Nacherzählung von Ereignissen oder Umständen, 
5. Kein Aufbau von Spannung, d.h. Vorwegnahme des Ergebnisses z.B. in der Einleitung, daher Umstellung der chronologischen Reihenfolge möglich: Pointe, Schluss o.Ä. am Anfang
6. Nüchterne Übersetzung der bildhaften Formulierungen in Sachaussagen
7. Keine Nachahmung der Sprache oder des Erzählstils der Textvorlage
8. Lediglich eingeschränkte Personencharakterisierung, i.d.R. nur mit Hilfe äußerer Merkmale
9. Verzicht auf Zitate und direkte Rede – notfalls Umwandlung in indirekte Rede
10. Zeitstufe der Inhaltsangabe: Gegenwart (Präsens), für vorzeitige Ereignisse: Perfekt.

Beispiel: Textvorlage

Erzählperspektiven

Aufgaben:

1.   Fassen Sie den Inhalt knapp zusammen

2.1 Zeigen Sie knapp, wie die Mutter Eduard charakterisiert.

2.2 Zeigen Sie knapp, wie der Vater und der Freund Eduard charakterisieren.

3.   Zeigen Sie, wie sich die Personen den Tod Eduards erklären.

4.   Untersuchen Sie, durch welche sprachlichen Mittel die unterschiedliche Haltung des Vaters und des  Freundes zu Eduard und dessen Tat zum Ausdruck kommt.

Unser Eduard

von Paul Schallück

„Er war mein Sohn, mein einziger. Ich begreife es nicht. Sie gehen durchs Haus und flüstern viel, seine Mutter und seine Schwester. Wenn ich heimkomme, verstummen sie. Betrete ich das Zimmer, blicken sie nicht auf. Bei Tisch fällt kaum ein Wort. Sie schweigen mich an, sie strafen mich. Bin ich denn schuld? War ich zu streng? Ich musste streng sein. Er war sehr begabt, aber verspielt, zu weich; verwöhnt worden von denen, die jetzt schweigen. Als er vierzehn wurde, durfte er mit an die Costa Brava. Von da an übernahm ich seine Erziehung. Er wollte ein Schlauchboot. Ich sagte: Lerne schwimmen, dann bekommst du eins. Er lernte es in einer Woche, So wollte ich ihn vorbereiten auf das Leben. Er musste begreifen, dass ihm nichts geschenkt wurde. Auch mir hat niemand etwas geschenkt. Das sagte ich ihm, als er sechzehn war, wie ich mich abgemüht, den Betrieb aufgebaut, ihn selbständig erhalten hatte. Für ihn. Er wird stolz sein auf seinen Vater, ihm nacheifern, dachte ich. Die Schule fiel ihm leicht. Wenn er Lust hatte, war er der Beste in seiner Klasse. Nur, er hatte nicht immer Lust. Ein Sonnenstrahl konnte ihn ablenken oder ein Buch, ein Schnupfen schon und erst recht ein Fußballländerspiel. Wie besessen lief er Tag für Tag zum Fußballplatz und vergaß die Schulaufgaben. Ich schloss die Fußballschuhe ein, und er lernte wieder, für ein paar Wochen. Dann begann er, Trompete zu blasen. Er schrieb Gedichte, kletterte in die Berge und sammelte Steine, ersparte und erbettelte sich ein Fernrohr und beobachtete die Sterne in langen Nächten, tauschte das Rohr gegen ein Moped ein, raste durch die Gartenstadt, ließ die Maschine verrosten, malte abstrakt, züchtete Fische. Alles für ein paar Wochen. So wechseln viele Jungen ihre Neigungen, ich weiß. Er aber vergaß darüber seine Pflichten. Er wurde siebzehn und achtzehn und hatte noch immer nicht gelernt, sich zu konzentrieren, Dann entdeckte er die Mädchen und kam zum ersten Male mit einer Fünf nach Haus. Nach jeder erloschenen Begeisterung redete ich ihm ins Gewissen, drohte, kürzte sein Taschengeld, sperrte den Ausgang, nahm ihn während der Osterferien in den Betrieb, ins Labor. Wenn ich ihn ins Gebet nahm, sah er ein, wie fahrig er dahinlebte, jedem Winde nach, und versprach, härter zu werden. Wenn ich ihn strafte, weinte er; ein aufgeschossener, achtzehnjähriger Bursche. Im letzten Sommer dann fuhr seine Mutter und seine Schwester allein an die Costa Brava. Ich blieb mit ihm zu Haus. Wir erarbeiteten einen Stundenplan, und ich erklärte: Deine letzte Chance, Eduard; wirst du nicht in die Oberprima versetzt, nehme ich dich von der Schule. Ein Ultimatum. Ob ich es wahr gemacht hätte, weiß ich nicht. ihn jedenfalls hat es erschreckt, ich gebe es zu. Aber durfte ich ihn nicht einschüchtern? Wie hätte er sonst ein tüchtiger Mensch werden können und das Leben bestehen? Musste ich denn voraussehen, dass es ihn zermürben wurde? Bin ich deswegen schuld an deinem Tod, Eduard? Ich kann es nicht glauben. Du warst ungezügelt von Natur aus, du konntest dich nicht beherrschen. Es war eine Kurzschlusshandlung, Eduard. Ein paar schlechter Noten wegen springt man nicht von der Brücke. Dafür wirft man doch sein Leben nicht weg, Eduard, mein Junge!“

„Edi war mein Junge, mein einziger Sohn, und er war ein guter Junge, das schwöre ich zu Gott, denn wer sollte das besser beurteilen können als ich, seine Mutter, die er verlassen hat, weil er mit einer unergründbaren Leidenschaft eigensinnig war und etwas suchte, schon als kleiner Junge, denn schon als kleiner Junge wollte er alles oder nichts. So war er veranlagt, mein Edi, nicht anders: Alles oder nichts. Wenn sein Vater meint, er sei von Natur aus ungezügelt gewesen und habe sich die neunzehn Jahre seines Lebens nur gehen lassen und sich niemals konzentrieren können, wie es wohl den Anschein haben mochte, wenn man ihn von einem festen Standpunkt aus beobachtete, oder was sein Vater sich sonst noch bereitgelegt hat, um das Ungeheure zu erklären, dann kann ich nur sagen: Sein Vater folgt einer falschen Spur. Edi war ein ernster Junge, viel zu ernst sogar für sein Alter, und er war es von Kind an, ich habe ihn nur selten lachen gesehen, denn, obwohl es schien, als flattere er jedem Winde nach, war er doch jedes Mal mit einem Ernst am Werk, der mich besorgt und ihn besessen machte. Er suchte etwas, von dem ich lange nicht ahnte, was es war, bis er eines Tages, er mochte zehn gewesen sein oder elf, aus der Kirche kam und sagte, sehr ernst, aber ohne ein Zeichen der Erregung: Weißt du, Mutter, ich könnte mir das Leben nehmen. Ich war verblüfft und erschrocken und habe ihn ausgelacht, so dass er wütend wurde und mich anfuhr: Lach nicht, lach nicht, ich könnte mir wirklich das Leben nehmen! Aber warum denn, mein Junge, fragte ich dann endlich. Und er blickte mich an wie ein sehr alter Mann: Um zu wissen, wer Gott ist, sagte er. Ich hatte das vergessen. Jetzt sehe ich ihn wieder vor mir und höre ihn sprechen, und ich glaube fest, dass er wahrgemacht hat, worüber ich gelacht habe. Mit Verbissenheit hat er gesucht, sein Leben lang und überall, einen Halt meinetwegen, wenngleich ich behaupte: Er hat Gott gesucht, überall, in seinen Gedichten so gut wie auf dem Fußballplatz, in der Geschwindigkeit seines Mopeds und in den Steinen und unter den Sternen und in der Farbe und unter den Fischen und in der Musik. Auch bei den Mädchen. Gesucht und gesucht und doch nicht recht gewusst, was er zu finden hoffte in all dem, was ihn reizte und so rasch hinter ihm zurückblieb, ausgelaugt und weggeworfen, weil er nicht fand, was er suchte, und da er sich vermutlich des Satzes nicht erinnerte, den ich ihn noch immer sprechen höre. Die schlechten Noten haben damit wenig zu schaffen. Denn am Morgen hatte der Mathematiklehrer ihnen das Einsteinsche Weltbild erklärt und gesagt, die Welt sei endlos, aber nicht unbegrenzt, oder so ähnlich, und Edi hatte zugehört wie einem neuen Evangelium und dann mit kalter Stimme gefragt, wo denn in dieser Welt Gott noch seinen Platz habe, und der Mathematiklehrer hatte ihn lächelnd an den Religionslehrer verwiesen, und am Mittag dann hat er sich von den Schulkameraden gelöst und ist allein zur Brücke gegangen und hat das Letzte versucht, um zu finden, was er suchte. Du wolltest alles oder nichts, Edi, mein Junge, aber das war nicht richtig, es lässt sich ja nicht zwingen, ein bisschen Demut hat dir gefehlt und ein bisschen Vertrauen zu deiner Mutter, warum bist du nicht zu mir gekommen, Edi, warum nicht, warum denn nicht zu deiner Mutter, Edi?“

„Ed, mein kleiner Bruder, war ein Junge wie andere, ein bisschen begabter vielleicht und feiner gesponnen, das war aber auch der einzige Unterschied. Er spielte gern, saß gern auf einer schnellen Maschine, wechselte seine Hobbys, tat alles, was andere Jungen tun. Er war ja viel jünger als seine Jahre. Erst als er den Mädchen begegnete, begann seine Not. Er war prächtig gewachsen, der Edi, und er konnte an jeder Hand zehn haben und hatte sie auch. Nur, er war nie zufrieden. Was sie ihm gaben – und das war nicht wenig, es war alles in ihren Augen -, es genügte ihm nicht. Er verlangte mehr, Liebe verlangte er, obwohl er selbst es vermutlich nicht wusste, das Wort jedenfalls gebrauchte er nie. Liebe von Mädchen, die nicht wissen, was das ist. Daran ist er zerbrochen. Er war ja noch nicht ausgereift, geistig, meine ich. In seiner Klasse gab es zwei Mädchen. Die kicherten, als ihm mitgeteilt wurde, es sei nicht sicher, ob er mit den schlechten Noten versetzt werden könne. Das Kichern war sein Verhängnis. Wir achten zu selten auf die kleinen Dinge, ein Wort, einen Blick, eine Geste oder ein Kichern, besonders in Eds Jahren. Die Mädchen haben ihn auf dem Gewissen, aber sie wissen es nicht. Unschuldig wie kleine Tiere.“

„Unsinn. Mein Freund Eddi, mit doppeltem D, der suchte nicht mehr, nirgendwo und nichts, der ließ sich von einem Kichern nicht umwerfen. Der hatte längst gefunden. Er wusste, was er wollte, wie wir alle. Er wusste längst, dass alles keinen Sinn hat. Er probierte noch ein bisschen, mal hier, mal da. Aber es war gleichgültig, ob er auf dem Moped lag oder auf einem Mädchen. Es interessierte ihn so lange, wie es dauerte. Dann war’s vorbei und langweilte ihn. Ich bin genauso, darum weiß ich es. Was er anfasste, gelang, aber es machte ihm keinen Spaß. Es hat doch alles keinen Sinn. Was soll das alles? Die schlechten Noten hätte er bis zur Versetzung mit der linken Hand korrigiert. Dass er es an diesem Tag getan hat, war nur, um die Alten auf die falsche Spur zu locken. Der beste Schüler der Klasse verübt Selbstmord ein paar schlechter Noten wegen. Das ist paradox, das liebte er. Ich beneide ihn, weil er härter war als wir alle, weil er den Mut gehabt hat, wozu ich nie den Mut haben werde. So war unser Eddi, mit doppeltem D.“

Willi Fehse (Hrsg.), Deutsche Erzähler der Gegenwart, Stuttgart 1959

Lösungen

Lösung 1

Charakterisierung Eduards durch die Mutter

Textpassage: Mutter über Eduard
Auswertung: Charakterisierung Eduards
„Edi war mein Junge, mein einziger Sohn, und er war ein guter Junge, das schwöre ich zu Gott, denn wer sollte das besser beurteilen können als ich, seine Mutter, die er verlassen hat, weil er  mit einer unergründbaren Leidenschaft eigensinnig war und etwas suchte, schon als kleiner Junge, denn schon als kleiner Junge wollte er alles oder nichts. So war er veranlagt, mein Edi, nicht anders: Alles oder nichts. Wenn sein Vater meint, er sei von Natur aus ungezügelt gewesen und habe sich die neunzehn Jahre seines Lebens nur gehen lassen und sich niemals konzentrieren können, wie es wohl den Anschein haben mochte, wenn man ihn von einem festen Standpunkt aus beobachtete, oder was sein Vater sich sonst noch bereitgelegt hat, um das Ungeheure zu erklären, dann kann ich nur sagen: Sein Vater folgt einer falschen Spur. Edi war ein ernster Junge, viel zu ernst sogar für sein Alter, und er war es von Kind an, ich habe ihn nur selten lachen gesehen, denn, obwohl es schien, als flattere er jedem Winde nach, war er doch jedes Mal mit einem Ernst am Werk, der mich besorgt und ihn besessen machte. Er suchte etwas, von dem ich lange nicht ahnte, was es war, bis er eines Tages, er mochte zehn gewesen sein oder elf, aus der Kirche kam und sagte, sehr ernst, aber ohne ein Zeichen der Erregung: Weißt du, Mutter, ich könnte mir das Leben nehmen. Ich war verblüfft und erschrocken und habe ihn ausgelacht, so dass er wütend wurde und mich anfuhr: Lach nicht, lach nicht, ich könnte mir wirklich das Leben nehmen! Aber warum denn, mein Junge, fragte ich dann endlich. Und er blickte mich an wie ein sehr alter Mann: Um zu wissen, wer Gott ist, sagte er. Ich hatte das vergessen. Jetzt sehe ich ihn wieder vor mir und höre ihn sprechen, und ich glaube fest, dass er wahrgemacht hat, worüber ich gelacht habe. Mit Verbissenheit hat er gesucht, sein Leben lang und überall, einen Halt meinetwegen, wenngleich ich behaupte: Er hat Gott gesucht, überall, in seinen Gedichten so gut wie auf dem Fußballplatz, in der Geschwindigkeit seines Mopeds und in den Steinen und unter den Sternen und in der Farbe und unter den Fischen und in der Musik. Auch bei den Mädchen. Gesucht und gesucht und doch nicht recht gewusst, was er zu finden hoffte in all dem, was ihn reizte und so rasch hinter ihm zurückblieb, ausgelaugt und weggeworfen, weil er nicht fand, was er suchte, und da er sich vermutlich des Satzes nicht erinnerte, den ich ihn noch immer sprechen höre. Die schlechten Noten haben damit wenig zu schaffen. Denn am Morgen hatte der Mathematiklehrer ihnen das Einsteinsche Weltbild erklärt und gesagt, die Welt sei endlos, aber nicht unbegrenzt, oder so ähnlich, und Edi hatte zugehört wie einem neuen Evangelium und dann mit kalter Stimme gefragt, wo denn in dieser Welt Gott noch seinen Platz habe, und der Mathematiklehrer hatte ihn lächelnd an den Religionslehrer verwiesen, und am Mittag dann hat er sich von den Schulkameraden gelöst und ist allein zur Brücke gegangen und hat das Letzte versucht, um zu finden, was er suchte. Du wolltest alles oder nichts, Edi, mein Junge, aber das war nicht richtig, es lässt sich ja nicht zwingen, ein bisschen Demut hat dir gefehlt und ein bisschen Vertrauen zu deiner Mutter, warum bist du nicht zu mir gekommen, Edi, warum nicht, warum denn nicht zu deiner Mutter, Edi?“ E. lässt sich nicht von seinen Interessen abbringen, ist unbeirrbar in der Suche nach dem, was ihm wichtig ist

radikal, nicht kompromissbereit

frühreif, nicht oberflächlich

ernsthaft

Suche nach Lebenssinn erfolglos

religiös bis hin zum Fanatismus

interessiert an allen Bereichen des Lebens

rastlos in seinem Wissensdrang

schulisch nicht sehr erfolgreich

über den Schulstoff hinaus motiviert

ein interessierter Schüler

hat sich vom Elternhaus bereits gelöst

Charakterisierung Eduards durch den Vater und den Freund

Auffallend ist, dass jeder, der den Toten beschreibt, mit den Wörtern: „mein Sohn“, „mein Junge“, „mein kleiner Bruder“ oder „mein Freund“ anfängt. Die Betonung liegt dabei auf „mein“. Daraus lässt sich schließen, dass alle vier mit ihrer „Theorie“ über den Selbstmord Recht haben wollen und jeder denkt, er kenne ihn am besten, obwohl völlig unterschiedliche, ja widersprüchliche Erklärungen herauskommen. Einige Gemeinsamkeiten treten aber trotz aller Gegensätze hervor: Eduard wird immer als überdurchschnittlicher Schüler und als Person, die beständig auf der Suche war, dargestellt.

Diesen Wesenszug seines Sohnes hält der Vater aber nur für zweitrangig. Er beschreibt ihn als sehr sensibel und leicht beeinflussbar. Ein sonderlich stark ausgeprägtes Pflichtgefühl besitzt er seiner Ansicht nach nicht, was ihn in den Augen des Vaters daran hinderte, Klassenbester zu werden. Seine Wechselhaftigkeit drückt er mit den Worten aus: „Wenn ich ihn ins Gebet nahm, sah er ein, wie fahrig er dahinlebte, jedem Winde nach, und versprach, härter zu werden.“ Selbst an diesem Versprechen tritt hervor, wie leicht er zu überreden oder auch zu belehren war. Weiterhin stellt der Vater fest, dass Eduard äußerst leicht einzuschüchtern war und Gefühle zeigte, ja sogar als „aufgeschossener achtzehnjähriger Bursche“ wegen einer Strafe in Tränen ausbrach und erschrak, als sein Vater ihm ein Ultimatum für den Fall einer ausbleibenden Versetzung in die Oberprima setzte. Aber all diese Gefühlsregungen sind nach den Aussagen des Vaters nur kurzzeitig von Bedeutung. Hobbys werden häufig gewechselt. Er erklärt sich dieses Verhalten mit frühem Verwöhnen, wodurch der Sohn verspielt, unkonzentriert („Ein Sonnenstrahl konnte ihn ablenken.“) und pflichtvergessen geworden sei. Insgesamt betrachtet das Familienoberhaupt seinen Sprössling als einen vielseitig begabten und interessierten, aber auch sehr leichtsinnigen Jungen, der zudem gefühlsbetont und flatterhaft ist.

Die Mutter schildert Eduard ganz anders als ihr Mann.

Von seinem Freund wird Eduard als Held schlechthin charakterisiert. Nach seiner Auffassung war „Eddi“ – auf den Doppelkonsonanten legt der Freund als Ausweis seiner besonderen Individualität großen Wert – ein Suchender und habe längst gefunden, was er gesucht habe. Beide stimmen angeblich darin überein, dass dieses Leben keinen Sinn hat und nichts mehr Spaß machen kann. Mit seiner Intelligenz habe „Eddi“ dies erkannt. Die Tat beweist in den Augen des Freundes seine Härte und seinen Mut, worum er ihn sogar beneidet.

Erklärungen für den Tod Eduards

So wie sich die jeweiligen Charakterisierungen unterscheiden, so verschieden sind auch die Erklärungen für seinen Tod.

Für den Vater ist der Sohn zu sensibel, da er seiner Meinung nach durch jede noch so kleine Widrigkeit ins Wanken gerät und sich einschüchtern lässt. Daher glaubt der Vater einen Anteil an dem Tod zu haben – er befürchtet, zu hart gewesen zu sein. Freilich weist er die Schuld in seiner Erklärung zugleich zurück, wenn er eine unbeherrschte „Kurzschlusshandlung“ annimmt, die durch „ein paar schlechte … Noten“ verursacht worden sei.

Eine völlig andere Erklärung legt sich die Mutter zurecht. 

Des Lebens überdrüssig und dessen Sinnlosigkeit erkannt habend, tritt Eddi lieber eine Reise ins Jenseits an – darüber ist sich der Freund sicher. Er sympathisiert mit Eddi, weil er das konsequent in die Tat umsetzt, was sein eigener Freundeskreis angeblich fest glaubt, aber sich nicht umzusetzen traut. Jedenfalls weist der Freund explizit schulisches Versagen, von dem der Vater als Ursache für den Freitod überzeugt ist, zurück.

Untersuchung der Sprache des Vaters

Textauszug:

„Er war mein Sohn, mein einziger. Ich begreife es nicht. Sie gehen durchs Haus und flüstern viel, seine Mutter und seine Schwester. Wenn ich heimkomme, verstummen sie. Betrete ich das Zimmer, blicken sie nicht auf. Bei Tisch fällt kaum ein Wort. Sie schweigen mich an, sie strafen mich. Bin ich denn schuld? War ich zu streng? Ich musste streng sein. Er war sehr begabt, aber verspielt, zu weich; verwöhnt worden von denen, die jetzt schweigen. Als er vierzehn wurde, durfte er mit an die Costa Brava. Von da an übernahm ich seine Erziehung. Er wollte ein Schlauchboot. Ich sagte: Lerne schwimmen, dann bekommst du eins. Er lernte es in einer Woche. So wollte ich ihn vorbereiten auf das Leben. Er musste begreifen, dass ihm nichts geschenkt wurde. Auch mir hat niemand etwas geschenkt. Das sagte ich ihm, als er sechzehn war, wie ich mich abgemüht, den Betrieb aufgebaut, ihn selbständig erhalten hatte. Für ihn. Er wird stolz sein auf seinen Vater, ihm nacheifern, dachte ich. Die Schule fiel ihm leicht, Wenn er Lust hatte, war er der Beste in seiner Klasse. Nur, er hatte nicht immer Lust. Ein Sonnenstrahl konnte ihn ablenken oder ein Buch, ein Schnupfen schon und erst recht ein Fußballländerspiel. Wie besessen lief er Tag für Tag zum Fußballplatz und vergaß die Schulaufgaben. Ich schloss die Fußballschuhe ein, und er lernte wieder, für ein paar Wochen. Dann begann er, Trompete zu blasen. Er schrieb Gedichte, kletterte in die Berge und sammelte Steine, ersparte und erbettelte sich ein Fernrohr und beobachtete die Sterne in langen Nächten, tauschte das Rohr gegen ein Moped ein, raste durch die Gartenstadt, ließ die Maschine verrosten, malte abstrakt, züchtete Fische. Alles für ein paar Wochen.“

Vergleich der Sprache des Vaters und des Freundes

Wie oben ausgeführt betrachtet der Vater sogar den Selbstmord als Beweis der Schwäche seines Sohnes; er habe es nicht vertragen, dass man aus ihm einen tüchtigen Menschen machen wollte. Diese Meinung spiegelt sich in der Sprache des Vaters.

So stellt er die in seinen Augen negativen Eigenschaften des Sohnes aufzählend dar, reiht seine verschiedenartigen Aktivitäten aneinander, die durch ihre Vielzahl einen Kontrast bilden und die Unstetigkeit des Jungen ausdrücken. Paul Schallück verwendet in der Akkumulation auch Asyndeta, mit denen die Meinung des Vaters umgesetzt wird, dass sich die Reihe der Betätigungen fast endlos fortsetzen ließe. Auch die Übertreibungen sollen zeigen, wie Eduard flatterhaft dem Lustprinzip folgt: „Ein Sonnenstrahl konnte ihn ablenken oder ein Buch, ein Schnupfen schon und erst recht ein Fußball-Länderspiel.“

Der Vater ist in seiner Haltung aber nicht entschieden. Seine quälenden Selbstzweifel drückt er in Form von rhetorischen Fragen aus: „Aber durfte ich ihn nicht einschüchtern?“. Die Betroffenheit kommt auch darin zum Vorschein, dass er eine Art fiktives Zwiegespräch mit seinem toten Sohn führt. „Du warst ungezügelt von Natur aus (…) Dafür wirft man doch sein Leben nicht weg, Eduard, mein Junge!“. Er konfrontiert das Verhalten seines Sohnes, den er direkt anredet, mit dem, was er für normal hält, was „man“, ein unpersönliches Pronomen, zu tun hat.

Die Sprache des Freundes enthält Ähnlichkeiten in der auffallenden Aneinanderreihung kurzer parataktischer Satzglieder. Auch hier demonstriert die Aufzählung, wie die Erzählfigur emotional betroffen ist, wenn sie von „Eddi“ in Possessivpronomina redet: „Mein Freund (…) unser Eddi“. Dieser emotionale Bezug wird allerdings dadurch relativiert, dass er abgeklärt von seinem „Vorbild“ ganz unpersönlich in der dritten Person und in Form von Demonstrativpronomina spricht: „… Der suchte nicht mehr, der ließ sich (…) nicht umwerfen.“ Die parataktische Aufzählung seiner Eigenschaften, die verkürzten umgangssprachlichen Wendungen wie z.B. „mal hier, mal da“ entstammen der Jugendsprache und sollen ausdrücken, wie souverän der Jugendliche über dem Tod steht. Er will seine Betroffenheit verschleiern und zeigen, wie „fertig“ er mit der Welt ist.

Beispiel: Textvorlage: Übung

Untersuchung der Sprache des Vaters

Aufgaben:

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