Der Umgang mit Oral History

Zum Begriff des „Zeitzeugen“

Noch in den Nürnberger Prozessen kannte man auch bei der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen Zeugen nur im juristischen Sinn: Ein Augenzeuge, der nach Möglichkeit unbeteiligt ist und daher möglichst sachlich berichten kann. Erst im Eichmann-Prozess von 1961 kamen Menschen in großer Zahl zu Wort, die über das selbst Erlebte und Erlittene berichteten. Der Prozess fand in Israel statt und der Staatsanwaltschaft war es ein Anliegen, nicht nur einen der Haupttäter der Shoah zu verurteilen, sondern auch den jungen israelischen Bürgern, die vom Nationalsozialismus wenig wussten, die Bedeutung der nationalsozialistischen Judenverfolgung vor Augen zu führen. Während Historiker sich in dieser Zeit noch primär auf schriftliche Quellen stützten, wurde zunehmend die Befragung von Zeitgenossen historischer Ereignisse als wissenschaftliche Methode akzeptiert und angewandt, für sie bürgerte sich der Begriff „Oral History“ ein. Zeitzeugen waren nun nicht mehr nur interessant, um Fakten, Ereignisse und Strukturen einer vergangenen Zeit zu verstehen, auch die Biographien einzelner Menschen wurden nun immer mehr erforscht.

Mit der wachsenden zeitlichen Distanz zum „Dritten Reich“ gewann die mediale Dokumentation von Zeitzeugeninterviews immer mehr an Bedeutung. Während in den 80er und 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts Film- und Fernsehdokumentationen eine große Rolle spielten, werden Zeitzeugeninterviews heute fast immer digital aufgezeichnet und präsentiert. Auch die Themen der „Oral History“ werden immer breiter. Stand bis in die 80er Jahre die Zeit des Nationalsozialismus im Mittelpunkt befassen sich heute zahlreiche Projekte auch mit anderen Themen der Zeitgeschichte.

Aufgabe

Vergleichen Sie die beiden Zeitzeugeninterviews hinsichtlich der Entstehungssituation, der Gesprächsführung, der medialen Gestaltung und der spontanen Wirkung auf Sie.

Zeitzeugeninterviews selbst durchführen

Geschichte umgibt uns immer und daher umgeben uns auch immer Zeitzeugen, die z.T. interessante Phasen der Zeitgeschichte in ihrer eigen Perspektive miterlebt haben, sei es die Flucht aus der DDR, die Migration aus einem anderen Land oder die Beteiligung an einer Protestbewegung. Digitale Medien ermöglichen es uns, auch ohne großen technischen Aufwand, Gespräche und Erzählungen zu dokumentieren, zu bewahren und zu präsentieren.

Aufgabe

Wenn Sie einen Zeitzeugen befragen würden: Was würden Sie wissen wollen? Wie sollte Ihrer Meinung nach das Interview ablaufen?

Diese einführenden Informationen der Bundeszentrale für politische Bildung können Ihnen bei Ihren Vorüberlegungen helfen: https://www.bpb.de/lernen/projekte/geschichte-begreifen/42324/oral-history?p=0

Virtual und Augmented Reality

Immer mehr Projekte versuchen Zeitzeugeninterviews mit Virtual- und Augmented-Reality-Elementen in Szene zu setzen, was oft auch Kritik und Zweifel hervorruft.

(Zusatz-)Aufgabe

Informieren Sie sich über die folgenden AR- und VR-Anwendungen. Beurteilen Sie, inwiefern Sie der Quelle Oral History gerecht werden und inwiefern sie eine Bereicherung der Zeitzeugenaussagen darstellen.

Reflexionsaufgabe

Erläutern Sie das folgende Zitat und nehmen Sie selbst Stellung:

Zunächst und ganz basal müssen wir uns darüber klar werden, dass der Zeitzeuge, egal, wann und wie er medial gebannt wurde, primär keine Quelle für Geschichte, sondern eine Quelle für die Verarbeitung von Geschichte ist.

Jörg Skriebeleit, Das Verschwinden des Zeitzeugen. Metapher eines Überganges, in: Heinke M. Kalinke (Hg.): Zeitzeugenberichte zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa im 20. Jahrhundert, Oldenburg2011/2012, S.8.