Texterläuterung
Grundsätzliches im Überblick
Die Texterläuterung als Aufgabenstellung erfordert es, bestimmte Textaussagen mit eigenen Worten näher zu beschreiben, inhaltlich aufzuschlüsseln und zu veranschaulichen, sodass sich beim Leser ein vertieftes Textverständnis ergibt. Wichtig dabei ist, dass die Erläuterung im Sinne des Verfassers abgefasst wird. Eine eigene Meinung zur vorgegebenen Textaussage ist also nicht erlaubt.
Die Texterläuterung im Kommunikationsprozess

Texterläuterung: Allgemeine Regeln
Die Texterläuterung im Kommunikationsprozess
- Gegebene Erläuterungen dürfen die Ausgangstextstelle inhaltlich nicht verfälschen. (Vorsicht: keine Bedeutungsveränderung durch aus dem Zusammenhang gerissene Zitate!)
- Die Veranschaulichung des Sachverhaltes soll durch Beispiele erfolgen, die aus dem Erfahrungsbereich der Zielgruppe stammen.
- Beispiele und Erklärungen sollen ausführlich und für den Leser leicht nachvollziehbar sein.
- Eine logische Abfolge der Gedanken und ein klarer, übersichtlicher Satzbau erleichtern das Textverständnis.
- Liegt ein zu erläuternder Sachverhalt schon länger zurück, so ist die entsprechende Erläuterung auf die gegenwärtigen Verhältnisse zu übertragen, sodass die Darstellung für die Zielgruppe leicht verständlich wird.
Arbeitsschritte
So gehen wir in der Praxis vor!
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Anwendung 1
Aufgaben:
1. Drucken Sie den Text aus, klären Sie unbekannte Begriffe und unterstreichen Sie diejenigen Passagen, die Sie in den verschiedenen Abschnitten der Texterläuterung verwenden können.
Wie komme ich am schnellsten ans Ziel?
Drucken Sie den Text aus oder kopieren Sie ihn auf Ihre Textverarbeitung. Sie können dann leicht die erforderlichen Anmerkungen, Unterstreichungen und Markierungen vornehmen. Wenn Sie die Inhalte nicht aus dem Gesamtzusammenhang erschließen können, müssen Sie auf Nachschlagewerke zurückgreifen. Hilfreich ist hier ein Blick in:
- einen Rechtschreibduden (hier findet man zu den meisten Fremdwörtern eine Minimalerklärung)
- ein Fremdwörterlexikon (enthält meist etwas ausführlichere Worterklärungen)
- Meyers Lexikon – Das Wissen von A-Z (in unseren Links)
2. Verfassen Sie eine Texterläuterung zu der unterstrichenen Textaussage, wo der Autor behauptet, in Schulen kenne man das Montagssyndrom, das darin bestehe, dass das Klima am Wochenanfang deutlich rauer sei. Am Wochenende habe die Fernsehkeule wieder auf die Kleinen eingeschlagen.
Text
Folgen der Gewalt
Wie Brutalität in den Medien auf Kinder wirkt
Und wieder sind alle ganz aufgeregt. Der SPIEGEL hat den kriminellen Kindern soeben zum zweiten Mal eine Titelgeschichte gewidmet. Der Bundespräsident fordert ein gesellschaftliches Bündnis gegen Gewalt. Die CSU wiederum, die immer für härtere Strafen ist, sieht vor allem ausländische Jugendliche als Übeltäter. Bei mehreren Delikten sollen sie, notfalls mit ihren Eltern, außer Landes gewiesen werden. Natürlich ist das keine Lösung. Allenfalls verrät es die eigene Ratlosigkeit.
Noch hat die Welle der Gewalt nicht das Ausmaß erreicht wie in den USA. Doch die Zahl der von Jugendlichen verübten Delikte, von Diebstählen über Einbrücke bis zu Messerstechereien, hat kräftig zugenommen. Und auch in Deutschland gab es mehrere Fälle von unfassbarer Grausamkeit, die sich nur noch im Ausmaß unterschieden von dem jüngsten Amoklauf zweier 11- und 13-jähriger Jungen in dem amerikanischen Provinznest Jonesboro, nicht aber in ihrer Aggressivität.
In Hamburg erstickte vor wenigen Wochen ein 14-jähriger seine Oma. Am selben Tag erstach in Thüringen ein 15-jähriger eine frühere Klassenkameradin. In Brandenburg erschlug ein Schüler eine Klassenkameradin mit einem Dachziegel. Was ist mit diesen Kindern passiert, dass sie sich zu solchen Gewaltexzessen hinreißen lassen?
Nach dem Blutbad von Arkansas wies ein US-Kommentator darauf hin, dass die laschen Waffengesetze als Erklärung kaum ausreichten. Diese waren vor 10 oder 20 Jahren noch freizügiger. Verändert hat sich etwas anderes. Drastisch gewandelt hat sich vor allem der Medienkonsum, dem viele Kinder schon im zarten Alter ausgesetzt werden.
Bis zum 18. Lebensjahr hat ein amerikanischer Jugendlicher im Schnitt 20 000 Morde auf dem Bildschirm erlebt. Auch hier sind wir auf dem besten Weg, das US-Vorbild zu kopieren. Laut einer 23-Länder-Studie der UNESCO über die Wirkung von TV-Gewalt sitzen Zwölfjährige im Schnitt drei Stunden täglich vor der Glotze. Das ist mehr Zeit, als sie spielend mit ihren Freunden verbringen. Mit Abstand die beliebtesten Vorbilder sind brutale Actionhelden wie Rambo und Terminator.
Filme, die sie im Kino nicht sehen dürften, laufen auf den heimischen Videogeräten – oft mit Billigung der Eltern. Bereits im Nachmittagsprogramm der Privatsender werden Zeichentrickfilme gezeigt, in denen zähnefletschende Monster pausenlos aus allen Rohren schießen.
Erzieher in Schulen und Kindergärten kennen das „Montagssyndrom“. Am Wochenbeginn ist das Klima oft deutlich rauer als unter der Woche. Die Fernsehkeule hat am Wochenende wieder auf die Kleinen eingeschlagen.
Nun wäre es dennoch zu einfach, alles den Medien in die Schuhe zu schieben. Sie machen aus Kindern keine Mörder, nicht einmal Schläger. Sie verzerren aber ihr Weltbild. Die mediale Gewalt, das ist der Kern der UNESCO-Studie, verstärkt den Eindruck, dass Brutalität ein normales Mittel der Konfliktlösung ist. Daraus kann nicht nur in Familien, in denen Kinder geprügelt werden, eine brisante Mischung entstehen.
Was folgt? Natürlich müssen die Medien strenger in die Pflicht genommen werden. Das hat nichts mit Zensur zu tun. Aber der freiwilligen Selbstkontrolle, zu der sich auch die Privatsender verpflichtet haben, kann nur vollständiges Versagen attestiert werden. Hier muss der Druck erhöht werden.
Noch wichtiger – und schwieriger – ist es aber, den erziehungsunfähigen Eltern zu helfen, um so das Umfeld der Kinder zu stabilisieren.
Nürnberger Nachrichten vom 23.04.1999
Lösungen
Anwendung 2
Aufgaben:
1. Lesen Sie den Text mehrmals aufmerksam durch und klären Sie unbekannte Begriffe.
Wie komme ich am schnellsten ans Ziel?
Drucken Sie den Text aus oder kopieren Sie ihn auf Ihre Textverarbeitung. Sie können dann leicht die erforderlichen Anmerkungen, Unterstreichungen und Markierungen vornehmen. Wenn Sie die Inhalte nicht aus dem Gesamtzusammenhang erschließen können, müssen Sie auf Nachschlagewerke zurückgreifen. Hilfreich ist hier ein Blick in:
- einen Rechtschreibduden (hier findet man zu den meisten Fremdwörtern eine Minimalerklärung)
- ein Fremdwörterlexikon (enthält meist etwas ausführlichere Worterklärungen)
- Meyers Lexikon – Das Wissen von A-Z (in unseren Links)
2. Beurteilen Sie die nachfolgend abgedruckte Schülerarbeit, die eine Erläuterung der oben angezeigten Textstelle darstellt, anhand der Kontrollfragen. Gehen Sie dabei abschnittweise vor und kommentieren Sie jeden Arbeitsschritt kritisch.
Kontrollfragen zur Überprüfung der Ausarbeitung
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- Wurde das Zitat sinnvoll gekürzt und ist die Textstelle sinngemäß korrekt wiedergegeben?
- Ist die angezeigte Textpassage mit eigenen Worten richtig erfasst worden?
- Hat der Verfasser die zu erläuternden Hauptbegriffe bzw. Formulierungen sinnvoll ausgewählt?
- Wurden die genannten Hauptbegriffe anschaulich illustriert, sind die Beispiele treffend gewählt
und gut entfaltet worden? - Sind Ursachen bzw. Folgen des zu erläuternden Sachverhaltes inhaltlich korrekt und
vollständig angeführt und anschaulich genug dargestellt worden? - Ist die Übertragung auf einen anderen Bereich sachlich richtig und überzeugend dargestellt?
- Weist die gesamte Arbeit eine innere Logik auf?
- Ist die sprachliche Ausgestaltung klar und verständlich?
Text
Computer oder Rechnen?
von Hans-Peter Kastenhuber
Die bittere Erkenntnis von Wirtschaft und Politik, plötzlich aus vermeintlich weit unterlegenen Ländern IT-Fachkräfte anwerben zu müssen, weil es in Deutschland an qualifiziertem Nachwuchs mangelt, hat uns arg erschreckt, aufgerüttelt und zu informationstechnischen Nachrüstungsprojekten ermuntert. Dass unsere Schulen – von einigen Ausnahmen abgesehen – mit moderner Computerausstattung nicht unbedingt gesegnet sind, steht fest. Ob aber die Vorgabe der Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn „Jedem Schulkind seinen eigenen Laptop“ gleich als kühne Vision gefeiert werden darf, ist doch sehr fraglich. Gegenüber dem Aufruf zu einer solchen puren Materialschlacht hat ja selbst der Vorschlag zum Zwangscomputerkurs für Lehrer den Vorteil, den qualitativen Aspekt informationstechnischerSchulausbildung nicht einem rein quantitativen Ehrgeiz zu opfern.
Glücklicherweise erinnern sich mittlerweile einige Menschen an das Ergebnis einer vergleichbaren Ausstattungs-Euphorie der 60er und 70er Jahre. Als damals in Bayern die so genannten ländlichen Bildungsreserven mobilisiert wurden und in der Folge neue Gymnasien wie Pilze aus dem Boden schossen, war das Prunkstück dieser Neubauten oft ein den Fortschritt schlechthin symbolisierendes Sprachlabor. Mehr sprechend als schreibend sollten Fremdsprachen gelehrt und gelernt werden. Warum an manchen Schulen schon nach wenigen Jahren die Sprachlabors mit ihren teuren Kabinenreihen fast nur noch als abschreibsicheres Schulaufgabenzimmer missbraucht wurden, ist vermutlich nie richtig untersucht worden. Am besten für die Welt schulischer Phänomene würde die Erklärung passen, dass altgediente Lehrkräfte Angst vor dem Bedienen der vielen Knöpfchen hatten, oder dass nach den ersten technischen Defekten Etatmittel für Reparaturen fehlten.
Selbst wenn dem Computereinsatz in den Schulen solche Pleiten erspart blieben, seine Möglichkeiten und seinen Nutzen sollte niemand überschätzen. Ein solcher Einwand hat nichts mit chronischem Kulturpessimismus zu tun, eher mit einer nüchternen Sichtweise. Der Gebrauch von Rechnern und die Nutzung des weltweiten Datennetzes ermöglichen uns den Zugang zu Informationen und deren schnelle Verarbeitung. Mehr nicht. Die Grundlagenbildung hat weiterhin Priorität, sie fliegt uns mit dem Computereinsatz nicht zu. Basiswissen und kritische Denkfähigkeit bleiben auch in Zukunft unentbehrlich. Schon um den Mythos von der angeblich „künstlichen Intelligenz“ zu durchschauen.
Nürnberger Nachrichten vom 12.09.2000 (gekürzt und überarbeitet)
Schülerarbeit
Texterläuterung zu „Computer oder Rechnen?“
Hans-Peter Kastenhuber schreibt in seinem Kommentar „Computer oder Rechnen?“, der am 12. September 2000 in den „Nürnberger Nachrichten“ erschienen ist, dass „der Gebrauch von Rechnern und des weltweiten Datennetzes“ nicht die „Grundlagenbildung“ verdrängen kann.
Darunter ist zu verstehen, dass der vermehrte Einsatz von Computern und Internet in Schulen nicht die Vermittlung grundlegender Denk- und Arbeitsstrukturen ersetzen kann.
Der „Gebrauch von Rechnern und die Nutzung des weltweiten Datennetzes“ sind in den letzten Jahren stetig angestiegen. So steht heutzutage schon fast in jedem Haushalt ein PC mit Internetanschluss. Das Serven im Internet wird häufig von Jugendlichen besser beherrscht und natürlich häufiger praktiziert als von den Erwachsenen. So kennt sich mein kleiner Bruder mit 15 Jahren schon wesentlich besser damit aus als mein Vater mit 55 Jahren.
Die Fähigkeit, E-Mails zu versenden, aus dem world-wide-web Informationen zu besorgen oder eine Homepage zu gestalten darf aber nicht als Ersatz für Basiswissen und kritische Denkfähigkeit gesehen werden. Damit meint der Autor, den Kindern müsse beigebracht werden, wie man zum Beispiel die gewonnenen Daten bewerten und auswerten kann. Denn die Informationen, die sich aus dem Netz beschaffen lassen, bringen alleine noch nichts. So nützt es kaum etwas, wenn es einem gelingt, auf diese Weise das Ergebnis einer Mathematikaufgabe zu ergattern, man aber nicht weiß, wie dieses zustande gekommen ist. Erst wenn die Aufgabe richtig verstanden wurde, kann das Prinzip auf andere übertragen werden.
Würden die genannte Grundbildung und das kritische Denken nicht vermittelt werden, so verließe sich jeder blind auf den Computer und würde bald verlernen, seine Ergebnisse überprüfen zu können. Das Wissen der Menschen beschränkte sich folglich nur noch auf die Bedienung der einzelnen Computerprogramme. Die ganze Gesellschaft würde von der Maschine abhängig werden und im Störfall bräche alles zusammen. Zudem bekämen wenige Gebildete dann immer mehr Macht, denn eine breite Masse, die die Zusammenhänge nicht mehr begreift, wird manipulierbar.
Aber nicht nur im Computerbereich hat die Grundlagenbildung einen hohen Stellenwert. Fundiertes Basiswissen und kritische Denkfähigkeit sind auch die Grundlage eines jeden Berufes. Im Maschinenbau ist es z.B. nötig, über verschiedene Materialien und deren Eigenschaften bei der Verarbeitung und Anwendung Bescheid zu wissen. Um nach einer technischen Zeichnung ein Werkstück fertigen zu können, ist die Wahl des schnellsten und besten Bearbeitungsverfahrens ausschlaggebend. Diese kann aber ohne eine entsprechende Basisbildung nicht kompetent getroffen werden.
Man sieht also, eine breite Grundlagenbildung ist auch noch im Computerzeitalter nötig. Das kritische Denken des Menschen kann weder durch Maschinen noch durch Computer und Internet ersetzt werden.
Lösungen
Anwendung 3
Aufgaben:
1. Lesen Sie den Text mehrmals aufmerksam durch und klären Sie unbekannte Begriffe.
Wie komme ich am schnellsten ans Ziel?
Drucken Sie den Text aus oder kopieren Sie ihn auf Ihre Textverarbeitung. Sie können dann leicht die erforderlichen Anmerkungen, Unterstreichungen und Markierungen vornehmen. Wenn Sie die Inhalte nicht aus dem Gesamtzusammenhang erschließen können, müssen Sie auf Nachschlagewerke zurückgreifen. Hilfreich ist hier ein Blick in:
- einen Rechtschreibduden (hier findet man zu den meisten Fremdwörtern eine Minimalerklärung)
- ein Fremdwörterlexikon (enthält meist etwas ausführlichere Worterklärungen)
- Meyers Lexikon – Das Wissen von A-Z (in unseren Links)
2.1 Vergleichen Sie die ausgearbeitete Einleitung der nachfolgenden Schülerarbeit (Abschnitt 1) mit dem vierten Arbeitsauftrag (Zitieren von charakteristischen Teilen der zu erläuternden Textstelle). Begründen Sie, warum es im vorliegenden Fall nicht genügt, allein die zitierte Textstelle zu wiederholen.
2.2 Stellen Sie fest, welche Informationen aus dem Text in der Ausarbeitung verwendet wurden.
2.3 Ergänzen Sie die Veranschaulichung bzw. Konkretisierung der Begriffe „gläserner Mensch“ und
„Schreckensvision“ im dritten Abschnitt der nachfolgenden Schülerarbeit.
2.4 Verdeutlichen Sie die angegebene Ursache für das Ansinnen vieler Institutionen und Betriebe, den Menschen völlig durchschaubar zu machen (Abschnitt 4 der Schülerarbeit).
2.5 Ersetzen Sie die angeführten Folgen der Vision des „gläsernen Menschen“ durch eigene Gedanken
(Abschnitt 5 der Schülerarbeit).
Text
Benutztes Leben
von Dieter Schwab
Vielleicht wird ja ausgerechnet Island zum Testfall: Dort will eine Privatfirma die genetischen Daten der gesamten Bevölkerung erheben, speichern und auswerten. Wer nicht widerspricht, der ermächtigt seinen Hausarzt, eine Zellprobe ans Labor zu schicken
Was mit den Informationen passiert, ist noch einigermaßen unklar: Zwar werden sie so verschlüsselt, dass auf die Einzelpersonen keinerlei Rückschluss möglich sein soll. Aber Kritiker bezweifeln, dass dies alles nur dem hehren Ziel der Wissenschaft dient. Die Daten könnten an Versicherungen weiterverkauft werden und dort Kalkulationen über Krankheitsrisiken und Lebenserwartung von bisher unerreichter Genauigkeit möglich machen.
In Island jedenfalls hat eine Debatte begonnen, was Gentechnik darf und was nicht.; zahlreiche Hausärzte weigern sich, dem Ansinnen nachzukommen. Immerhin liefern sie mit einer einzigen Zelle eines Menschen den Schlüssel, um in seine persönliche Zukunft zu sehen: Sein individuelles Krebsrisiko lässt sich dort ebenso ablesen wie die Anfälligkeit für Herzinfarkt oder andere Leiden. Die Schreckensvision des gläsernen Menschen wäre damit erreicht.
Dieser Diskussion, die ein umstrittenes Gesetz in Island ausgelöst hat, verweigern sich die politischen Entscheidungsträger in den westlichen Industriestaaten mit unerklärbarer Ignoranz. Dabei zeigen umstrittene Forschungsprojekte fast jede Woche, wie nötig sie wäre.
Im Kern geht es dabei um die Frage, ob menschliches Leben benutzt werden darf und ob und wie stark der Mensch in die natürliche Evolution eingreifen darf. Ein Musterbeispiel dafür wurde im Europäischen Patentamt in München bekannt: Dort hatten zwei Firmen menschliches Erbgut in entkernten Eizellen von Tieren gezüchtet. Hier hat die Behörde zwar aus ethischen Gründen das Patent mit einem klaren Nein verweigert. Aber allein das umstrittene Experiment zeigt, dass einige Genforscher erst experimentieren und dann über die Grenzen ihrer Wissenschaft nachdenken.
Sehr viel diffuser ist die Situation bei der so genannten Präimplantations-Diagnostik. Mit ihrer Hilfe lässt sich vor dem Einsetzen der befruchteten Eizelle in die Gebärmutter unter anderem feststellen, ob genetische Schäden vorliegen. Das ist in der Bundesrepublik verboten; die Bundesärztekammer jedoch fordert – durchaus nachvollziehbar – , diese Option bei Gefahr schwerer Erbkrankheiten nutzen zu können. (…)
Abzusehen ist, dass auch Eltern ihre speziellen Wünsche anmelden werden, die keine besonderen gesundheitlichen Schwierigkeiten haben: Auch sie haben das Recht, so werden sie fordern, mögliche Erbschäden beim Nachwuchs nach Möglichkeit von vornherein schon auszuschließen – und das ist dann ein weitgehender Eingriff in die Evolution.
Nürnberger Nachrichten vom 19.10.2000 (gekürzt und überarbeitet)
Schülerarbeit
Texterläuterung zu „Benutztes Leben“
Dieter Schwab behauptet in seinem Kommentar, dass bei Anwendung der Möglichkeiten der modernen Gentechnik und der Speicherung der gewonnenen Daten „die Schreckensvision des gläsernen Menschen“ erreicht worden sei.
Damit meint er, durch die Analyse seines Erbgutes könne der Mensch vollkommen durchschaut werden. Alle seine durch die Gene bestimmten Eigenschaften sind damit durch die Wissenschaft frei zugänglich. Dies ist für ihn eine schlimme und gefährliche Sache.
Mit dem Begriff „gläserner Mensch“ verdeutlicht der Autor dem Leser, dass man durch die Genanalyse z.B. das jeweilige persönliche Krebsrisiko oder die Anfälligkeit für Herzinfarkt feststellen kann. Auch sind viele Persönlichkeitsmerkmale, wie z.B. Labilität, Ängstlichkeit oder geistige Anlagen, aus den Erbinformationen herauszulesen. Der Autor spricht daher von einer „Schreckensvision“, wenn der Gencode des Menschen für alle möglichen Institutionen zugänglich gemacht wird, wie es in Island geplant ist. Gibt es keinen ausreichenden Schutz der persönlichen Erbinformationen durch entsprechende Gesetze, so können z.B. Versicherungen das jeweilige Erkrankungsrisiko ergründen und im ungünstigen Fall den Abschluss einer Kranken- oder Lebensversicherung verweigern, da dieses Geschäft für sie einen finanziellen Verlust bedeuten würde. Auch könnten Arbeitgeber, bevor sie einen Bewerber einstellen, einen solchen Gentest verlangen. Damit wäre die Schreckensvision des gläsernen Menschen Wirklichkeit geworden.
Sicher gehört das Gewinnstreben vieler Institutionen und Betriebe zu den Hauptursachen für die Forderung nach dem möglichst ungehinderten Zugang zu den Erbinformationen des Menschen.
Die Folgen wären weitreichend, würde der „gläserne Mensch“ Realität werden. Der Einzelne wäre gnadenlos seinem Gencode ausgeliefert, den andere mit einem Blick erkennen können. Wer Gendefekte aufweist, würde überall abgelehnt und abgeschoben werden und hätte kaum Chancen einen ordentlichen Arbeitsplatz oder vielleicht sogar einen Lebenspartner zu bekommen, da auch dieser vor den negativen Eigenschaften abgeschreckt werden würde. Es bestünde also die Gefahr, dass man die Menschen in zwei Gruppen einteilt, nämlich in die, die man zur Vermehrung geeignet und die , die man dafür ungeeignet hält.
Die Vision des gläsernen Menschen ist aber nicht nur durch die Gentechnik möglich geworden. Auch unsere moderne Computertechnologie bringt es mit sich, dass immer mehr Daten von Menschen gespeichert werden. So haben Ärzte, Versicherungen, Tankstellen, Banken, Versandhäuser, Telefongesellschaften etc. eine Unmenge von Daten von uns gespeichert. Durch die bereits weitgehend vollzogene Vernetzung aller Computersysteme wäre es leicht denkbar, die individuellen Datensammlungen über uns zusammenzuführen und daraus ein sehr präzises und differenziertes Persönlichkeitsprofil des Einzelnen zu erstellen, das selbst intimste und geheimste Daten enthält.
Auch hier kann man deutlich erkennen, dass der gläserne Mensch wirklich eine Schreckensvision wäre.
Lösungen
Übungen
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