Bewältigung der DDR-Vergangenheit

Wissenschaftliche und publizistische Aufarbeitung

Die Diskussionen über den Umgang mit der DDR-Vergangenheit verliefen nach der Wiedervereinigung grundsätzlich anders als nach 1945 in Westdeutschland.

Auch hier ergab sich zwar die Frage, wie man die Schuld einzelner Bürger bewerten und Straftaten ahnden soll – angesichts der Tatsache, dass die DDR als Überwachungsstaat par excellence galt, der entsprechend viel Personal, beispielsweise IMs (Inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit), für die Kontrolle der Bürger einsetzte, ein schier endloses Unterfangen. So entfiel – nur als Beispiel – „im Durchschnitt (…) 1985 und 1986 ein von den Bezirksverwaltungen und Kreisdienststellen geführter IM auf 120 Einwohner (…).“
Helmut Müller-Enbergs in seiner Arbeit „Die inoffiziellen Mitarbeiter“, erschienen beim Bundesbeauftragten f. d. Unterlagen d. Staatssicherheitsdienstes d. ehem. DDR (2008), S. 42.

Man entschied sich nicht einfach für die Integration der Verantwortlichen, sondern versuchte eine intensive wissenschaftliche und publizistische Aufarbeitung, mit der man zudem den Betroffenen die Chance geben wollte, auch ihre persönliche Vergangenheit aufzuarbeiten. Nicht selten waren IMs im Freundeskreis der Opfer oder sogar deren Ehepartner.

Quelle: www.bstu.bund.de

So wurde kurz nach der Wende die so genannte „Gauck-Behörde“ gegründet, die ihren populären Namen vom 1. Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, so der offizielle Titel, erhielt. Dieses Amt gewährt Betroffenen Einsicht in die Unterlagen der Staatssicherheit, soweit sie bei der Wende nicht zerstört worden waren. „6.680.934 Ersuchen und Anträge gingen von 1991 bis Ende 2011 beim BStU ein, darunter 2,83 Millionen Anträge von Bürgern auf Auskunft, Akten-Einsicht und Herausgabe, davon 80.611 im Jahr 2011“, meldet die Institution 2012 auf ihrer Webseite.

Man setzte Gremien ein wie die 2005 initiierte Expertenkommission zur Schaffung eines Geschichtsverbunds „Aufarbeitung der SED-Diktatur“, gründete Museen wie die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, die sich auf dem Gelände der früheren zentralen Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit befindet und mit großem Zuspruch unzählige Besucher durch die Anlage führt.

Juristische Aufarbeitung

Parallel dazu trieb man die juristische Aufarbeitung voran, die von den einen als „Siegerjustiz“ gebrandmarkt wurde und die den anderen, in erster Linie den Opfern der DDR-Diktatur, nicht weit genug ging, waren doch die Maßstäbe des Rechtsstaats anzuwenden, die es z.B. getreu dem Prinzip „nulla poena sine lege“ verbieten, jemanden nachträglich für eine Tat zu verurteilen, die zum Zeitpunkt der Tat nicht strafbar war.

Für Gewalttaten an der innerdeutschen Grenze wurden beispielsweise Erich Honecker, General Heinz Keßler, Egon Krenz und Günter Schabowski angeklagt. Einige der Angeklagten erhielten mehrjährige Haftstrafen. Die meisten Prozesse gegen so genannte DDR-„Mauerschützen“ endeten mit Bewährungsstrafen oder Freisprüchen.

Die Gedenkstätte Berlin Hohenschönhausen

Es gab Prozesse wegen Wahlfälschung und staatlich organisiertem Doping bei Spitzensportlern, wegen Wahlfälschung und Amtsmissbrauch.

Die Prozesse „(…) zielten keineswegs nur auf die Spitzen des verflossenen Regimes. In Berlin ging eine eigens eingerichtete Staatsanwaltschaft II in etwa 21.000 Fällen (Stand Ende 1997) dem Verdacht auf ‚Regierungskriminalität‘ und Justizunrecht nach (sie war außerdem zuständig für ‚vereinigungsbedingte Wirtschaftskriminalität‘); es kam in den neuen Bundesländern zu rund 62.000 Ermittlungsverfahren gegen schätzungsweise 100.000 Personen. Zwar standen im Laufe dieser Anstrengungen insgesamt weniger als 1.000 Personen vor Gericht, und lediglich etwa die Hälfte davon wurde (meist zu Bewährungsstrafen) verurteilt. Dennoch machten die Prozesse gegen Honecker, Krenz und weitere Mitglieder des Politbüros, gegen einen Teil der militärischen Führung und gegen etliche mutmaßliche ‚Mauerschützen‘ unmissverständlich klar, dass der Rechtsstaat Bundesrepublik die schweren Menschenrechtsverletzungen in der DDR nach deren Ende nicht einfach auf sich beruhen lassen wollte. (…) Hunderttausende (,) vor allem Ostdeutsche, die im Staatsdienst waren oder in diesen aufgenommen werden wollten, (wurden) auf eine frühere Stasi-Tätigkeit“ hin überprüft. „(…) Bis zur Einschränkung des Verfahrens im Dezember 2006 (addierte sich die Zahl der Überprüften) auf etwa 1,75 Millionen Anfragen.“

Norbert Frei in einem Artikel für „DIE ZEIT“ vom 26.03.2009 mit dem Titel „Geschichtsaufarbeitung in Deutschland: Die DDR-Diktatur wird vorbildlich erforscht. Doch die Ergebnisse dürfen nicht politisch instrumentalisiert werden“

Aufarbeitung der Vergangenheit: Ein Fazit

Als Resümee könnte Prof. Freis Vergleich stehen:

„(… Die) DDR-Forschung (erlebte) Mitte der neunziger Jahre einen Boom, wie es ihn in Bezug auf die Geschichte der westlichen Besatzungszonen und der frühen Bundesrepublik niemals gegeben hatte. Auf dem Höhepunkt dieser Konjunktur, die durch Sonderförderprogramme und durch die Einrichtung völlig neuer Forschungszentren (…) angeheizt wurde, machte die Zahl von etwa tausend laufenden Projekten zur DDR-Geschichte die Runde. (…) Im Ganzen handelte es sich um einen einsamen Rekord: So viel an wissenschaftlicher Durchdringung ihres Gegenstands, jedenfalls in so kurzer Zeit, hatte in den Jahrzehnten zuvor nicht einmal die zeitgeschichtliche NS-Forschung zustande gebracht (…).“

Norbert Frei in dem Artikel „Geschichtsaufarbeitung in Deutschland: Die DDR-Diktatur wird vorbildlich erforscht. Doch die Ergebnisse dürfen nicht politisch instrumentalisiert werden“ Quelle: „DIE ZEIT“ vom 26.03.2009